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OLG Hamburg zu der Frage der Herausgabe der Urkunde über eine Gewährleistungsbürgschaft und der Höhe des Kostenvorschusses für die Beseitigung von Baumängeln

OLG Hamburg zu der Frage der Herausgabe der Urkunde über eine Gewährleistungsbürgschaft und der Höhe des Kostenvorschusses für die Beseitigung von Baumängeln

vorgestellt von Thomas Ax

Beanstandet der Bauherr Fehler bei der Bauausführung nur unter dem Gesichtspunkt, dass diese nachteilige Auswirkungen auf den Schallschutz hätten, so bedarf die Fehlerbehauptung keiner weiteren Aufklärung, wenn sowohl das vom Bauherrn als vertragsgemäß behauptete als auch das durch die vereinbarte Bauweise bei einwandfreier Ausführung erreichbare erhöhte Schallschutzniveau tatsächlich erreicht ist und eine sachverständige Beurteilung auch sonst keine Hinweise auf etwaige Schallschutzdefizite ergibt.(Rn.61) (Rn.64) (Rn.67) Es ist kein gerichtliches Geständnis i.S.d. § 288 ZPO, wenn eine Partei auf Rückfrage die vom Gericht im Rahmen seines Sachberichts vorgenommene Einteilung des Tatsachenvortrags in streitig und unstreitig lediglich als zutreffend bezeichnet.(Rn.75) Wenn im Rahmen der Ersatzvornahme zwangsläufig weitere Mängel oder Schäden beseitigt werden, für die der Unternehmer nicht einzustehen hat, dann ist dieser Vorteil auszugleichen.(Rn.104) Eine Gewährleistungsbürgschaft sichert keinen über etwaige Gewährleistungsansprüche hinausgehenden Druckzuschlag nach § 641 Abs. 3 BGB. Sie ist nur anhand der voraussichtlich zu sichernden Mängelbeseitigungskosten zu bemessen. Ggf. ist daher ein Austausch der Bürgschaft gegen eine herabgesetzte, auf das Sicherungsinteresse begrenzte Bürgschaftserklärung vorzunehmen.(Rn.110) Weil zwischen der Klage auf Herausgabe der Gewährleistungsbürgschaft und der Gewährleistungswiderklage wirtschaftliche Gleichwertigkeit i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG besteht, entspricht der höhere Gegenstandswert der Gewährleistungswiderklage dem Gesamtstreitwert.(Rn.118)

OLG Hamburg, Urteil vom 26.01.2024 – 4 U 4/23

Gründe
Randnummer1
Die Klägerin begehrt vom Beklagten, eine Gewährleistungsbürgschaft nicht in Anspruch zu nehmen und die Bürgschaftsurkunde herauszugeben. Der Beklagte begehrt widerklagend einen Kostenvorschuss für die Beseitigung mutmaßlicher Baumängel.
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Mit VOB-Vertrag vom 30.04.2013/13.05.2013 (Anlage K 1) beauftragte der Beklagte die Klägerin mit dem Rohbau einer Doppelhaushälfte. Wegen etwaiger Gewährleistungsansprüche vereinbarten die Parteien eine Verjährungsfrist von 5 Jahren und 4 Monaten und die Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft. Die Abnahme der Bauleistungen fand am 22.08.2013 statt (vgl. Abnahmeprotokoll im Anlagenkonvolut K 2). Die Klägerin überließ dem Beklagten die streitgegenständliche Gewährleistungsbürgschaft über 5.910,78 € (im Anlagenkonvolut K 4), in welcher die Bürgin u.a. ihre Haftung erklärt, falls die Bürgschaft vor dem 27.08.2018 in Anspruch genommen werde.
Randnummer3
Mit Schreiben vom 16.08.2018 (Anlage K 5) machte der Beklagte verschiedene Mängel geltend. U.a. sei der Schallschutz zur benachbarten Doppelhaushälfte mangelhaft. Es träten Risse in den Wänden auf. Im Hauswirtschaftsraum seien die Zuleitungen für Trinkwasser und für die Wärmeversorgung auf der falschen Seite des Raumes verlegt. Die Aufrichterbögen der Wärmeversorgung seien zudem in einem zu großen Abstand zur Wand verlegt, so dass der Raum wegen der hierdurch erforderlichen Leitungsstränge nicht sinnvoll genutzt werden könne. Der Beklagte verlangte die Beseitigung der Mängel und setzte hierfür eine Frist bis zum 20.09.2018.
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Am 27.08.2018 teilte der Beklagte der Bürgin mit, die Bürgschaft in Anspruch nehmen zu wollen. Die Klägerin stellte die geltend gemachten Mängel in Abrede und forderte den Beklagten auf, die Bürgschaftsurkunde herauszugeben.
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Die Klägerin hat u.a. vorgetragen, sie habe ihre Leistungen vollständig und mangelfrei erbracht. Etwaige Gewährleistungsansprüche seien verjährt
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Der Beklagte hat u.a. vorgetragen, Vertragssoll sei ein Schalldämm-Maß von 64 dB gewesen. Dieses werde nicht erreicht, weil die Klägerin die Trennfuge zwischen den beiden Doppelhaushälften nicht fachgerecht ausgeführt habe, insbesondere nicht in der vereinbarten Stärke von 4 cm und nicht mit ausreichender Dämmung, so dass der Luftschallschutz unzureichend sei oder jedenfalls nicht dem bei korrekter Ausführung zu erwartendem Niveau entspreche.
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Es sei auf nicht fachgerechte Arbeiten der Klägerin zurückzuführen, dass im gesamten Haus Risse aufträten.
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Die Klägerin habe die Zuleitungen für die Trinkwasser- und Wärmeversorgung im Hauswirtschaftsraum so gelegt, dass der Raum nicht sinnvoll genutzt werden könne. Selbst falls die Klägerin dabei nur Vorgaben des Architekten umgesetzt habe, hätte sie Bedenken anmelden müssen.
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Mit dem angefochtenen Urteil (in der Fassung des am 09.02.2023 berichtigten Berichtigungsbeschlusses vom 07.02.2023), auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen und der Widerklage teilweise stattgegeben.
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Die Klage sei unbegründet, weil der Beklagte die Bürgschaft zu Recht in Anspruch nehme. Die Sicherungsvereinbarung sei wirksam, insbesondere sei die Vereinbarung einer Gewährleistungsfrist von 5 Jahren und 4 Monaten agb-rechtlich nicht zu beanstanden.
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Der Sicherungsfall sei eingetreten. Der Beklagte habe einen Vorschussanspruch nach §§ 634 Nr. 2, 637 BGB in Höhe von 4.146,56 €. Denn dieser Betrag sei erforderlich, um 17 Risse im Mauerwerk zu schließen, die auf mangelhaften Leistungen der Klägerin beruhten. Regiekosten seien dabei mit 15 % zu kalkulieren. Weder sei dem Beklagten ein Mitverschulden anzulasten, noch sei ein Abzug „Neu für Alt“ vorzunehmen.
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Die Forderung sei nicht verjährt. Der Sicherungsfall sei in unverjährter Zeit eingetreten, weil der Kläger den Mangel vor Ablauf der Verjährungsfrist gerügt habe.
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Der Beklagte dürfe die Bürgschaft auch in 4.146,56 € überschreitender Höhe zurückbehalten, weil ein Druckzuschlag gemäß § 641 Abs. 3 BGB zu berücksichtigen sei.
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Da dem Beklagten ein unverjährter Vorschussanspruch zustehe, der durch die Bürgschaft gesichert sei, habe die Klägerin auch keinen Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde. Abweichend von § 17 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B sei vereinbart, dass die Bürgschaftsurkunde nicht zurückzugeben sei, solange noch eine Gewährleistungsbürgschaft geschuldet sei.
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Nur wegen der 17 Risse in den Wänden sei in Höhe von 4.146,56 € auch die Widerklage auf Zahlung eines Kostenvorschusses begründet.
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Im Übrigen sei die Widerklage unbegründet. Zu etwaigen weiteren Rissen habe der Beklagte nicht schlüssig vorgetragen. Die Rissbildung sei nach den Ausführungen des Sachverständigen auch abgeschlossen. Zudem sei der Vortrag zu weiteren Rissen verspätet erfolgt.
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Nach den Ergebnissen des Sachverständigenbeweises bestehe kein Mangel in Hinblick auf den Schallschutz. Sogar die erhöhten Anforderungen an den Luftschallschutz Rw von 64 dB nach VDI 4100:2007-08 seien erfüllt. Im Obergeschoss und im Dachgeschoss seien Werte erreicht, die schon die Grenze der Machbarkeit bei Doppelhaushälften darstellten. Die Doppelhaushälften seien im Bereich der Haustrennwand hinreichend entkoppelt.
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Ein Anspruch wegen der im Hauswirtschaftsraum verlegten Zuleitungen scheide bereits aus, weil sich der Beklagte Gewährleistungsrechte nicht gemäß § 640 Abs. 3 BGB bei der Abnahme vorbehalten habe. Es sei durch einfaches Betrachten erkennbar gewesen, wo die Leerrohre die Bodenplatte durchdringen.
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Die Berufung des Beklagten
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Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte weiter seine Widerklage, soweit diese erstinstanzlich ohne Erfolg geblieben ist.
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Der Beklagte wiederholt seinen Vortrag, dass der von der Klägerin errichtete Bau im Bereich der Gebäudetrennfuge zwischen den Doppelhaushälften von der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit abweiche. Dies rüge er als Mangel nur soweit daraus nachteilige Folgen für den Schallschutz resultierten. Die Parteien hätten eine vollständige Trennung zwischen beiden Haushälften, einschließlich aller Geschossdecken und der Bodenplatte, mit einer durchgehenden Trennfuge von 4 cm vereinbart. Tatsächlich sei die Fuge aber nicht durchgehend in einer Stärke von 4 cm ausgeführt. Zudem seien Beton und überschüssiger Mörtel in die Fuge gelangt und würden diese vollständig verschließen. Zudem sei zu beanstanden, dass in die Fugen der Geschossdecken statt der vereinbarten Mineraldämmstreifen Styroporplatten eingebaut sind. Das Dämmmaterial sei auch nicht flächendeckend in die Trennfuge eingebaut. Im Obergeschoss seien nicht die vertraglich vereinbarten Kalksandsteine mit einer Steinfestigkeitsklasse SFK 20 und einer Rohdichte von 2,0 verbaut, sondern nur Steine mit einer Steinfestigkeitsklasse SFK 12 und einer Rohdichte von 1,8. Es sei fehlerhaft, dass das Landgericht zu diesem Vortrag trotz erstinstanzlicher Beweisantritte nicht Sachverständigenbeweis erhoben habe. Die geschilderten Abweichungen führten zu Nachteilen beim Luftschallschutz, weil bei vertraglich vereinbarter Ausführung ein besseres Schallschutzniveau erreicht würde. Für die Luftschalldämmung sei das mit der geschuldeten Bauweise im Erdgeschoss erreichbare Schalldämm-Maß von 65 dB knapp nicht eingehalten, soweit in einem Fall ein Wert von nur 64 dB gemessen worden sei. Für die Trittschalldämmung im Eingangsbereich sei der vom Sachverständigen errechnete erreichbare Wert von 36 dB zuungunsten des Beklagten überschritten, soweit der Sachverständige hier 39 dB gemessen habe. Die Ausführung des Sachverständigen, dass die die Fuge zur Wand überbrückende Bodenbeschichtung hierzu einen Beitrag von ca. 5 dB leiste, überzeuge nicht.
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Das Landgericht habe nicht alle mangelbedingten Risse bei der Berechnung des Vorschussanspruchs berücksichtigt. Die Begründung, der Beklagte habe die in der Anlage B17 beschriebenen weiteren Risse nicht ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt, verkenne die Reichweite der Symptomrechtsprechung. Es reiche aus, dass der Beklagte eine Vielzahl von Rissen als Mangelsymptom für nicht ordnungsgemäße Maurerarbeiten benannt habe. Es sei nicht erforderlich, bei sich wiederholenden Symptomen jedes einzeln aufzuführen. Der Beklagte habe zur mutmaßlichen Ausweitung der Rissbildung erst nach Vorlage des Sachverständigengutachtens und nach mündlicher Verhandlung vorgetragen, weil seine Prozessbevollmächtigte davon ausgegangen aus, dass der Sachverständige den Umfang der Rissbildung ohnehin umfassend untersuchen werde.
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Schließlich lasse sie nicht festzustellen, dass der Beklagte bei der Abnahme des Rohbaus Kenntnis gehabt habe, wie die Leitungsführung im Hauswirtschaftsraum im Endzustand verlaufen und was dies für die Nutzbarkeit des Raumes bedeuten werde. Selbst wenn die Klägerin hierbei Vorgaben des Beklagten gefolgt sei, hätte sie auf Bedenken hinweisen müssen.
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Der Beklagte beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils
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1. die Klägerin zu verurteilen, über die zuerkannten 4.146,56 € hinaus weitere 30.353,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 21.02.2019 zu zahlen;
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2. festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, dem Beklagten alle weiteren Kosten, die er zur Beseitigung von
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a) den unter A. I. 2. der Berufungsbegründungsschrift vom 27.02.2023 aufgeführten baulichen Mängeln und Mängeln des Schallschutzes an der Gebäudetrennwand der Doppelhaushälfte …,
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b) Rissen des Innenputzes und des Mauerwerks der Wände des Hauses, wenn diese 0,2 mm überschreiten und sowohl im Putz als auch im Mauerwerk vorhanden sind,
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c) Mängeln an der Grundleitungsbodenplattendurchführung im Hauswirtschaftsraum
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aufwenden muss, zu ersetzen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
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Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil, soweit das Landgericht mangelhafte Leistungen der Klägerin verneint hat.
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Die sachverständig ermittelten guten Schalldämmwerte hätten ohne eine vertragsgemäße Ausführung der Gebäudetrennwand nicht erreicht werden können. Im Bereich der Geschossdecken habe die Klägerin statt Mineralwolle hochwertige Schallschutzplatten aus Styropor verbaut, weil Mineralwolle in diesem Bereich beim Betonieren zusammengedrückt würde und die gewünschten Dämmwerte dann gerade nicht erreicht würden.
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Es sei sachverständig geklärt, dass eine Ausweitung der Rissbildung nicht zu befürchten sei.
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Die Klägerin stellt unstreitig, alle Leerrohre, u.a. für die Trinkwasserversorgung, in der Bodenplatte verlegt zu haben. Nur die Aufrichterbögen für die Fernwärme hätten Dritte verlegt, bevor die Klägerin überhaupt die Bodenplatte gefertigt habe.
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Ein Anspruch wegen der im Hauswirtschaftsraum verlegten Zuleitungen scheide aber bereits aus, weil die Hauseinführungen für die Trinkwasser- und Wärmeversorgung nicht zum Leistungssoll der Klägerin gehörten. Die Lage der Hauseinführungen folge den Vorgaben des Beklagten und seines Architekten anhand von Zeichnungen der Versorger. Der Beklagte habe die Lage der Hauseinführungen im Raum damit begründet, dass noch eine Art „Installationswand“ hätte errichtet werden sollen. Weil sich der Beklagte bei der Abnahme insoweit keine Gewährleistungsrechte gemäß § 640 Abs. 3 BGB vorbehielt, könne er diese auch nicht geltend machen. Es sei durch einfaches Betrachten erkennbar gewesen, wo die Leerrohre die Bodenplatte durchdringen.
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Die Anschlussberufung der Klägerin
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Mit ihrer Anschlussberufung verfolgt die Klägerin weiter ihr erstinstanzliches Klagebegehren und begehrt die vollständige Abweisung der Widerklage.
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Wenn das Landgericht Risse in den Wänden auf mangelhafte Arbeiten der Klägerin zurückführe, übersehe es, dass die Klägerin nicht mit Putzarbeiten beauftragt war. Es handele sich um für den Rohbauer nicht vermeidbare Schwundrisse, die während der Trocknungszeit der verarbeiteten Baustoffe entstünden.
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Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils,
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1. den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, die … als Bürgin aus dem Bürgschein … über den Betrag von 5.910,78 € wegen der Behauptung aus seinem Aufforderungsschreiben vom 27.08.2018, es bestünden von der Klägerin zu verantwortende Mängel am Bauvorhaben „Neubau einer Doppelhaushälfte, …“, in Anspruch zu nehmen und die Zahlung des Bürgschaftsbetrages in Höhe von 5.910, 78 € an sich zu verlangen, weshalb er gegenüber der vorbenannten Bürgin schriftlich zu erklären hat, diese aus der vorbenannten Bürgschaft nicht mehr in Anspruch zu nehmen,
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2. den Beklagten zu verurteilen, die vorbenannte Bürgschaftsurkunde im Original an die Klägerin, hilfsweise an …, herauszugeben,
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3. den Beklagten anzudrohen, in jedem Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld gegen ihn bis zur Höhe von 125.000 € oder eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten festzusetzen,
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4. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 551 € netto vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.09.2018 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Der auf die Unterlassung der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft und die Androhung eines Ordnungsgeldes gerichtete Klagantrag sei nicht statthaft, weil es an einem Verfügungsgrund im einstweiligen Rechtsschutz fehle.
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Entgegen den Hinweisen des Berufungsgerichts sei im Rahmen der Beseitigung von Rissen keine Vorteilsausgleichung geboten. Der Beklagte habe jahrelang mit sichtbaren Rissen leben müssen, ohne dass allein ein neuer Anstrich ohne Sanierung des Putzuntergrundes sinnvoll gewesen wäre. Es sei das Recht des Beklagten, dass er die Risse erst gegen Ablauf der Gewährleistungsfrist gerügt habe. Es sei eine bloße Vermutung, dass die Risse früher aufgetreten seien.
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Das Berufungsgericht hat den Geschäftsführer der Beklagten ergänzend angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ….
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Hierzu und ergänzend zum Parteivortrag wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen aus beiden Instanzen und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen und Beweisaufnahmen Bezug genommen.
II.
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A. Die Berufung des Beklagten
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Die gemäß § 519 ZPO formgerecht und gemäß §§ 517, 520 ZPO fristgerecht eingelegte, mithin zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts beruht im Ergebnis nicht auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1 Alt. 1, 546 ZPO) zulasten des Beklagten und die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine für den Beklagten günstigere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 Alt. 2 ZPO).
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1. Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg, soweit der Beklagte einen Kostenvorschuss und die Feststellung der Ersatzpflicht für die Beseitigung etwaiger Schallschutzmängel begehrt.
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Der Beklagte rügt Baufehler bei der Ausführung des Mauerwerks, insbesondere im Bereich der Trennfuge, nur, soweit hieraus Schallschutzmängel resultieren (vgl. Klarstellung für die Berufungsinstanz: Protokoll vom 04.09.2023, Bl. 657R d.A.). Mängel des Schallschutzes i.S.d. § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB liegen aber nicht vor. Denn die Doppelhaushälfte des Beklagten ist insoweit nicht mit Fehlern behaftet, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch mindern. Der Berufungsvortrag, mit dem der Beklagte weitere bauteilöffnende und -zerstörende Untersuchungen begehrt und ganz allgemein vermutet, dass sich „irgendwo in den Ausführungen des Sachverständigen ein Fehler eingeschlichen haben könnte“, vermag keine Zweifel i.S.v. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen zu begründen.
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a) Dem Vertrag ist keine ausdrückliche Vereinbarung zu entnehmen, welche Schallschutzwerte durch die vereinbarte Bauausführung erreicht werden sollten.
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Der Beklagte hat aber wiederholt konkretisierend vortragen, dass seine im Vertrag zum Ausdruck gebrachte Erwartung als Auftragnehmer, welche in der konkret vereinbarten Bauausführung ihren Niederschlag gefunden habe, eine Luftschalldämmung mit einem Schalldämm-Maß von 64 dB sei (Seite 9 des Schriftsatzes vom 14.02.2019; Seite 4 des Schriftsatzes vom 26.07.2019). Dies sei das vertraglich geschuldete Schallschutzniveau.
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Hieran muss sich der Beklagte festhalten lassen. Dieses Schalldämm-Maß ist nach dem Ergebnis der fachlich einwandfrei durchgeführten und dokumentierten Schallmessungen auch tatsächlich erreicht oder überschritten. Etwaige Messfehler sind weder anhand des Vortrags des Beklagten noch sonst ersichtlich. Da die gewünschten Schalldämm-Maße erreicht sind, liegt kein Mangel vor.
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b) Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass eine von der konkret gewählten Bauausführung unabhängige, allgemein anerkannte Regel der Technik über verbindliche einzuhaltende Schallschutzwerte nicht ohne weiteres zu benennen sei. Auch diese Einschätzung steht im Einklang mit dem in mehreren anderen Berufungsverfahren betreffend Anforderungen des Schallschutzes erworbenen Kenntnisstand des Senats. Welcher Schallschutz für die Errichtung von Doppelhäusern geschuldet ist, ist vielmehr durch Auslegung des Vertrages im Einzelfall zu ermitteln (BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 – VII ZR 45/06 –, juris, Rn. 28).
Randnummer60
aa) Soweit der Sachverständige weiter ausgeführt, dass am ehesten die im DEGA Memorandum BR 0101 formulierten Anforderungen, die an der Haustrennwand bei nicht unterkellerten Häusern im Erdgeschoss ein Schalldämm-Maß von 60 dB fordern, den allgemein anerkannten Regeln der Technik im Zeitraum der Fertigstellung entspreche, ist festzustellen, dass auch dieser Wert erreicht ist.
Randnummer61
bb) Der besonders erfahrene Sachverständige hat unter detaillierter Auseinandersetzung mit den maßgeblichen Regel- und Erfahrungswerten weiter dargelegt, dass im gesamten Haus ein Luftschall- und ein Trittschallschutzniveau erreicht werde, welches nicht nur „normalen“, sondern „erhöhten“ Anforderungen genüge. Das in den oberen Geschossen gemessene Lufschalldämm-Maß zeige Werte, die schon die Grenze der Machbarkeit in Doppelhäusern darstellten. Mit 64 dB im Erdgeschoss sei für Doppelhäuser ohne Kellergeschoss ebenfalls ein sehr guter Wert erreicht. Die Luftschalldämmung sei „ganz hervorragend“. In seinen 38 Jahren als Sachverständiger handele es sich um die drittbeste Dämmung, die er aufgefunden habe.
Randnummer62
cc) Ergänzend hat der Sachverständige Geräusche wie Klavierspielen, Schreie, Gehen und Stühlerücken im Nachbarhaus erzeugen lassen und diese subjektiv dahingehend beurteilt, dass die jeweiligen Geräusche gar nicht, kaum oder allenfalls sehr leise zu hören waren (vgl. Tabelle auf Bl. 234 d.A.). Auch diese Wahrnehmungen des Sachverständigen bieten keine Hinweise auf etwaige Schallschutzdefizite.
Randnummer63
c) Darüber hinaus ist der Berufung aber im Ausgangspunkt zuzustimmen, dass auch der vertraglich vereinbarten Bauweise eine besondere Bedeutung für die Ermittlung des vereinbarten Schallschutzniveaus zukommt. Geschuldet sind demnach diejenigen Werte, welche durch die vereinbarte Bauweise bei einwandfreier Ausführung erreicht werden (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 – VII ZR 45/06 –, juris, Rn. 29; Urteil vom 14. Mai 1998 – VII ZR 184/97 –, juris, Rn. 8).
Randnummer64
aa) Auch nach diesem Maßstab ist der Rohbau mangelfrei. Denn der Sachverständige hat das durch die vereinbarte Bauweise bei einwandfreier Ausführung erreichbare bzw. das aufgrund der gewählten Konstruktion zu erwartende Schallschutzniveau errechnet. Auch das zu erwartende Schallschutzniveau ist nach den gemessenen Werten erreicht (vgl. im Einzelnen die Ergebnistabellen auf Bl. 334 d.A. mit Berechnungen in den Anlagen auf Bl. 336 ff. d.A.). Etwaige Fehler bei der rechnerischen Ermittlung dieser Werte sind nicht nachvollziehbar vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.
Randnummer65
bb) Soweit der Beklagte darauf hinweist, dass der Sachverständige für das Erdgeschoss ein erreichbares Schalldämm-Maß von 65 dB errechnet, aber nur 64 dB gemessen habe, rechtfertigt dies nicht die Annahme eines Mangels. So führt der Beklagte unter Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung mit Schriftsatz vom 14.05.2021 selber zutreffend aus, dass eine überhaupt wahrnehmbare Verbesserung des Schalldämm-Maßes ohnehin erst bei einer deutlichen Steigerung des Schalldämmmaßes von mehreren Dezibel einträte. Der Sachverständige hat in seiner Anhörung am 21.06.2021 weiter ausgeführt, dass die Berechnungen immer anhand von Prüfstandwerten unter optimalen Bedingungen erfolgen würde, so dass ein gewisser Abzug vorzunehmen sei, den er vorliegend mit 2 dB bemessen habe, dass aber der in der Praxis erreichbare Wert dennoch nie dezibelgenau bemessen sei, sondern +/- 1 dB betrage. Auch der für die Fuge vorzunehmende Abzug von vorliegend 6 dB für den Bereich des Erdgeschosses erfolge standardisiert, aber sei nicht auf einen Dezibel genau zu bemessen. Weiter werde das Messergebnis von 64 dB standardisiert abgerundet, so dass die Differenz zu 65 dB wahrscheinlich geringer sei als 1 dB. Schließlich betrügen die üblichen Messtoleranzen +/- 1 dB. Daraus folgt in der Gesamtschau nachvollziehbar und im Einklang mit der Einschätzung des Sachverständigen (vgl. Bl. 377 d.A.), dass die in der Praxis nicht wahrnehmbare und den Bereich von Rundungs- und Messtoleranzen nicht überschreitende Abweichung zwischen einem Rechenwert von 65 dB und ein tatsächlich gemessenes Schalldämm-Maß von nur 64 dB keinen Schluss auf einen tauglichkeitsmindernden Fehler zulässt.
Randnummer66
cc) Ein Mangel des Trittschallschutzes folgt auch nicht daraus, dass der Sachverständige im Eingangsraum einen erreichbaren Norm-Trittschallpegel von 39 dB errechnet, aber einen Trittschallpegel von nur 36 dB gemessen hat. Denn diese Negativabweichung liegt darin begründet, dass der Oberbelag im Eingangsbereich über den Boden in den Wandbereich hochgezogen ist (vgl. Bilder auf Bl. 238 d.A.). Die hierdurch verursachte Kopplung des Fußbodens mit der Wand vermindert nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen die Trittschalldämmung, indem ein Anteil des Körperschalls über diese Kopplung vom Fußboden auf die Wand und über die Gebäudesohle und den Fundamentstreifen weiter übertragen wird. Nur dies vermag auch plausibel zu erklären, warum die Trittschalldämmung im Erdgeschoss des Wohnzimmers bei einem Bodenbelag mit freier Fuge zur Wand 5 dB besser ist als im angrenzenden Eingangsbereich ohne Trennung zwischen Boden und Wand. Gerade die unterschiedlichen Messergebnisse im Wohnzimmer ohne Schallkopplung und im Eingangsbereich mit Schallkopplung durch den Bodenbelag schlössen andere bauliche Ursachen – wie etwa eine nicht getrennte Fuge in der Bodenplatte – für die Messdifferenz von 5 dB aus. Bei 5 dB handele sich auch um eine nach sachverständiger Einschätzung erwartbare Größenordnung. Diese Ausführungen überzeugen auch den Senat. Der Berufungsvortrag rechtfertigt keine Zweifel an diesen Ausführungen. Der Senat war jüngst mit einem anderen Verfahren befasst, in dem der dortige Sachverständige eine allein durch den fugenlosen Fußbodenbelag als Schallbrücke verursachte Verschlechterung des Trittschalls von mehr als 5 dB ermittelte.
Randnummer67
d) Weil bei einem insgesamt hohen Schallschutzniveau auch die bei einwandfreier Ausführung erreichbaren Schalldämm-Maße tatsächlich erreicht sind, bedarf es keiner weiteren, bauteilöffnenden oder -zerstörenden Untersuchung zum Zustand der Trennfuge und zu den verwendeten Materialien. Weil das geschuldete Schallschutzniveau erreicht und auch ein besonders hohes ist, kommt es für die allein streitgegenständlichen Rüge eines Schallschutzmangels nicht auf die konkrete Ausführung an. Der Vortrag des Beklagten zum Zustand der Trennfuge und zu den verwendeten Materialen ist nicht entscheidungserheblich. Es bedarf keiner weiteren Beweiserhebung.
Randnummer68
2. Die Berufung des Beklagten hat auch keinen Erfolg, soweit der Beklagte mit seiner Widerklage einen Kostenvorschuss und die Feststellung der Ersatzpflicht für eine Verlegung der Hauseinführungen für Fernwärme und Trinkwasser begehrt.
Randnummer69
a) Soweit der Beklagte vor allem beanstandet, die Zuleitungen für die Wärmeversorgung und für das Trinkwasser seien auf der falschen Seite des Hauswirtschaftsraumes verlegt, hat der Beklagte nicht bewiesen, dass der Klägerin insoweit ein Fehler unterlaufen wäre.
Randnummer70
aa) Aus dem Inhalt der Akte nebst Anlagen und aus den Zeugenaussagen ergeben sich keine Hinweise, dass die Klägerin insoweit von einer vorgegebenen Planung abgewichen sein könnte. Ein Abgleich der Ausführungsplanung (Anlage B 20) mit den Lichtbildern der Bodenplatte im Anlagenkonvolut B 23 legt vielmehr nahe, dass die Durchführungen für Abwasser, Fernwärme und weitere Gewerke in Relation zueinander jeweils plangemäß auf den jeweils richtigen Seiten umgesetzt wurden. Auch der sachverständige Zeuge … hat in seiner Vernehmung bestätigt, dass die Hauseinführungen im Hauswirtschaftsraum so positioniert wurden, wie es nach seiner Architektenplanung vorgesehen war.
Randnummer71
bb) Auch ergibt sich aus dem Beklagtenvortrag nicht, dass die Klägerin Planungen der technischen Folgegewerke gekannt hat oder hätte kennen müssen, anhand derer sie dann ggf. eine etwaige Fehlerhaftigkeit der insoweit korrekt umgesetzten Ausführungsplanung – wie aus dem Plan in Anlage B 20 ersichtlich – hätte erkennen können und daher auf Bedenken hinweisen müssen. Der Zeuge … hat vielmehr ausgesagt, dass Folgegewerke noch gar nicht beauftragt gewesen seien.
Randnummer72
b) Soweit der Beklagte auch beanstandet, die Aufrichterbögen der Fernwärmeversorgung seien in einem zu großen Abstand zur Wand montiert, kann dahinstehen, ob dies auf Vorgaben des Versorgers D… beruhen könnte. Denn der Beklagte hat schon nicht bewiesen, dass die Klägerin die Aufrichterbögen eingebaut hat.
Randnummer73
aa) Ein solcher Beweis ist nicht entbehrlich gemäß § 288 ZPO. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlungen vom 18.10.2023 nicht gerichtlich zugestanden, die Hauseinführungen für Trinkwasser und Fernwärme verlegt zu haben. Sie hat zuletzt am Ende der mündlichen Verhandlung vom 18.10.2023 wirksam bestritten, die Aufrichterbögen für die Fernwärme verlegt zu haben.
Randnummer74
(1) Das gerichtliche Geständnis ist die innerhalb des Rechtsstreits abgegebene Erklärung einer Partei, dass eine vom Gegner behauptete, ihr im Rechtssinne ungünstige Tatsache wahr sei. Die Wirkung dieser Erklärung ist eine doppelte. Zunächst wirkt sie auf dem Gebiet des Verhandlungsgrundsatzes in Bezug auf das Gericht ebenso wie das Schweigen auf die gegnerische Behauptung: Was eine Partei gegen sich gelten lässt, wird ohne weiteres zur Urteilsgrundlage. Zu dieser Wirkung bedarf es an sich weder einer Erklärung des Geständnisses, noch eines sie stützenden Parteiwillens. Die zweite Wirkung des gerichtlichen Geständnisses besteht dagegen in der nachfolgenden Bindung der Partei an ihr Wort: Während ein Bestreiten bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung jederzeit mit der Wirkung nachgeholt werden kann, dass die Tatsache nunmehr des Beweises bedarf, ist nach Ablegung des gerichtlichen Geständnisses ein einfaches Bestreiten ausgeschlossen und der Widerruf an die Voraussetzungen des § 290 ZPO gebunden. In dem Geständnis liegt somit ein Willensmoment: die Partei erklärt, eine Tatsache gegen sich gelten lassen zu wollen. Die Willenserklärung, die somit positiv-rechtlich in dem Geständnis liegt, ist die Erklärung des Einverständnisses damit, dass die Tatsache ungeprüft zur Urteilsgrundlage gemacht wird (BGH, Versäumnisurteil vom 19. Mai 2005 – III ZR 265/04 –, juris, Rn. 12).
Randnummer75
(2) Die am 18.10.2023 vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin abgegebene Erklärung (vgl. Bl. 695R d.A.), dass der Sachbericht des Gerichts, was streitig oder unstreitig sei, zutreffe, lassen nach Wortlaut und Kontext keinen derartigen Geständniswillen erkennen.
Randnummer76
Das Gericht hatte die Klägerin in der Verhandlung vom 18.10.2023 aufgefordert, vor einer etwaigen Beweisaufnahme ihren Tatsachenvortrag, ob sie die Hausleitungen verlegt habe oder nicht, klarzustellen. Das Gericht hat ausgeführt, es deute den Klägervortrag vorläufig so, dass nicht mehr bestritten werde, dass die Klägerin die Hauseinführungen verlegt habe. Allerdings habe dies der Geschäftsführer der Klägerin in seiner Anhörung am 04.09.2023 noch mit Nichtwissen bestritten. Das Gericht bezweifele unter Verweis auf § 138 Abs. 4 ZPO aber, ob ein Bestreiten mit Nichtwissen überhaupt zulässig sei. Das Gericht bat um Stellungnahme, ob der gegnerische Sachvortrag insoweit als streitig oder unstreitig gelten solle. Der Prozessbevollmächtigte antwortete, dass er um die Problematik des § 138 Abs. 4 ZPO wisse, aber letztlich keine verlässlichen Informationen habe, und erklärte deshalb: „Wenn das Gericht meint, dass nach dem Vortrag vom 18.9. unstreitig sei, dass die Klägerin die Hauseinführungen für Trinkwasser und Fernwärme gemacht hat, so trifft das zu“. Diese Antwort ist exakt protokolliert. Entgegen der Argumentation der Berufung haben Gericht und Klägerin damit terminologisch präzise „unstreitig“ von „zugestanden“ unterschieden. Der Klägervertreter hat erläutert, dass das Nichtbestreiten letztlich auf einem Nichtwissen beruhe. Er warb – nach Erinnerung des Gerichts, insoweit nicht protokolliert – um Verständnis für den „nicht ganz stringenten“ Sachvortrag, indem er – wie schon der Geschäftsführer der Klägerin bei seiner Anhörung am 04.09.2023 (Bl. 657R d.A.) – offenlegte, dass es die Mandantin einfach nicht mehr wisse, auch wenn sie sich fortlaufend um Aufklärung bemühe. Dann liegt es fern anzunehmen, dass die Klägerin ihr Einverständnis erklären wollte, diese Tatsache ungeprüft und nur unter den Voraussetzungen des § 290 ZPO widerruflich zur Urteilsgrundlage machen wollte. So schien es – nach dem damaligen gemeinsamen Verständnis von Gericht und Parteien – ganz unproblematisch und nicht den engen Voraussetzungen des § 290 ZPO unterworfen, dass der Klägervertreter noch im selben Termin nach der Zeugenvernehmung seinen Vortrag dahingehend präzisierte, dass er sich die Angaben des damals zuständigen klägerischen Mitarbeiters, des Zeugen …, zu eigen mache (vgl. Bl. 700R unten d.A.).
Randnummer77
bb) Das vertragliche vereinbarte Leistungssoll der Klägerin und die von der Klägerin tatsächlich abgerechneten Leistungen beinhalten nicht den Einbau der Aufrichterbögen des Wärmeversorgers (vgl. Angebot, Anlage K 10, und Schlussrechnung, Anlage K 3), was dagegen spricht, dass es sich um eine von der Klägerin vertraglich geschuldete und tatsächlich erbrachte Leistung handelt.
Randnummer78
cc) Dass nach dem Beklagtenvortrag der Fernwärmeversorger und Folgegewerke die Montage von Aufrichterbögen nicht in Rechnung gestellt hätten, ist jedenfalls dann kein Indiz für den Beklagtenvortrag, wenn unstreitig auch die Klägerin die Montage von Aufrichterbögen nicht in Rechnung gestellt hat.
Randnummer79
dd) Soweit der Beklagte argumentiert, eine Notiz des Zeugen … (im Plan Anlage B 20) zur Abgabe der Aufrichterbögen an die Baustelle indiziere, dass diese nachfolgend von der Klägerin verbaut worden seien, hat der Zeuge … nachvollziehbar erläutert, dass seiner Notiz eine solche Bedeutung nicht beigemessen werden könne und sich der Gehalt der Notiz auf die bloße Information der Anlieferung beschränke. Dies entspricht auch dem Verständnis des Gerichts.
Randnummer80
ee) Jedoch hat der Zeuge … – relativ zielgerichtet und mit kategorischer Vehemenz – zugunsten des Beklagten ausgesagt, dass die Klägerin alle Zuleitungen durch die Bodenplatte geführt habe. Diese Aussage beruht aber nicht auf einer konkreten Wahrnehmung des Zeugen. Der Zeuge war nicht dabei, als die Aufrichterbögen eingebaut wurden. Vielmehr hat er die Aussage mit seinem allgemeinen Fachwissen erklärt: „Die Leute des Rohbauers bringen die Leitungen ein, so macht man das“. Soweit der Zeuge … – indiziell zugunsten des Beklagten – ausgesagt hat, er habe im maßgeblichen Zeitraum keine anderen Fahrzeuge und Arbeitsgeräte auf der Baustelle gesehen, hat dagegen der Zeuge … ausgesagt, er meine sich an Fahrzeuge anderer Firmen zu erinnern, ohne dass es verwundert, dass der im Arbeitsalltag auf Baustellen arbeitende Zeuge nicht präzisieren konnte, ob und welche Mitarbeiter welcher Firma er vor zehn Jahren auf dieser Baustelle gesehen habe.
Randnummer81
ff) Die – nach Schluss der mündlichen Verhandlung verspätet – eingereichte Kopie einer mutmaßlichen Email des Zeugen … (Anlage B 25), dass die Leerrohre für die Hausversorgung von der Firma … eingebaut seien, rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil für die Aufrichterbögen für die Wärmeversorgung überhaupt keine Leerrohre eingebaut wurden, sondern die Aufrichterbögen direkt einbetoniert wurden, und weil der Zeuge eingeräumt hat, damals gar nicht gesehen zu haben, wer die Rohre der Wärmeversorgung einbaute.
Randnummer82
gg) Weiter hat der Zeuge … ausgesagt, die Klägerin habe die Aufrichterbögen nicht montiert. Für die hohe Glaubhaftigkeit dieser Aussage spricht insbesondere ihre Genese, wonach der Zeuge … vor Gericht zunächst wiederholt auf seine fehlende konkrete Erinnerung verwies, er dann aber erst anhand der ihm vorgelegten Bilder von den Bauarbeiten die Information erhielt, dass die Wärmeversorgung nicht durch KG-Rohre geführt worden war, und daraufhin erläutern und dann präzisieren konnte, dass die Mitarbeiter der Klägerin als Hauseinführungen überhaupt nur KG-Rohre verlegten, so dass er ausschließen könne, die Aufrichterbögen verlegt zu haben, aber zugleich anhand des Bildmaterials bestätigen könne, dass er bzw. Mitarbeiter der Klägerin Leerrohre für die Hausversorgung verlegt hätten. Nachvollziehbar hat der Zeuge anhand der weiteren im Anlagenkonvolut K23 enthaltenen Bilder, die die Verlegung der KG-Rohre für die weiteren Hauseinführungen zeigt, erläutert, dass sie für die Verlegung von Hauseinführungen „immer nur einmal buddeln“, die durch die Bilder von der Verlegung der KG-Rohre belegten Erdanhaftungen an den Fernwärmerohren aber darauf hindeuten, dass die Fernwärmerohre aber schon standen, als die Klägerin ihre Arbeiten zur Verlegung der KG-Rohre als Hauseinführungen ausgeführte.
Randnummer83
Das Gericht hält es in der Gesamtschau für deutlich wahrscheinlicher, dass nicht der Zeuge … sondern der Zeuge … der objektiven Wahrheit entsprechend ausgesagt hat.
Randnummer84
hh) Schließlich war die Aussage des Zeugen … unergiebig, weil er nicht wusste, wer die Aufrichterbögen montiert hat.
Randnummer85
Die auf seiner Auswertung der Vertragsunterlagen zum streitgegenständlichen Bauvorhaben gründende weitere Aussage des Zeugen …, dass der Einbau der Fernwärmerohre eine Leistung des Versorgers gegenüber dem Bauherren sei und dass der Leistungsumfang des Versorgers die Hausanschlussleitung inklusive Montage- und Tiefbauarbeiten von den Verteilleitungen bis zu den Absperrarmaturen nach der Hauseinführung im Haus erfasse, könnte indiziell eher dafür sprechen, dass die Klägerin diese Leistung nicht oder jedenfalls nicht im Auftrag des Beklagten als Bauherrn erbracht haben könnte. Andererseits ist den als Anlage B19 vorgelegten Unterlagen des Wärmeversorgers unter Ziffer 3.2.1 zu entnehmen, dass der Bauherr für den ordnungsgemäßen Einbau der Aufrichterbögen verantwortlich sei. Auch dies besagt aber letztlich nicht, ob und ggf. durch welche Firma der Beklagte diese Arbeit ggf. ausführen ließ.
Randnummer86
ii) In der Gesamtschau aller Umstände ist der Beweis, dass die Klägerin die Aufrichterbögen im Auftrag des Beklagten einbauen sollte und tatsächlich einbaute, nicht erbracht.
Randnummer87
c) Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz unstreitig gestellt hat, die Leerrohre für die übrigen Hausdurchführungen, also auch die Durchführung für die Trinkwasserversorgung, verlegt zu haben, stehen dem Beklagten keine Mangelrechte zu, obwohl die – gemäß Ausführungsplanung an der richtigen Wand des Hauswirtschaftsraums positionierte – Durchführung ausweislich des Gutachtens vom 21.02.2022 23 cm von der nächstliegenden Wand entfernt und damit möglicherweise nicht nah genug an der nächsten Wand positioniert ist.
Randnummer88
aa) Diesbezügliche Gewährleistungsrechte dürften verjährt sein. Denn dass die Trinkwasserdurchführung nicht nah genug an der Wand verlaufe, hat der Beklagte in unverjährter Zeit überhaupt nicht gerügt. In seinem Schreiben vom 16.08.2018 (Anlage K 4) und in den Widerklageanträgen vom 21.12.2018 (Bl. 42 d.A.) hat er lediglich gerügt, dass sich die Durchführung der Trinkwasserversorgung auf der linken statt auf der rechten Seite des Raumes befinde. Eine auf der falschen Seite eines Raumes montierte Leitung ist ein anderer Mangel als eine auf der richtigen Seite, aber nicht nah genug an der Wand montierte Leitung.
Randnummer89
bb) Weiter ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin für diesen Mangel verantwortlich ist. Wie aus den Bildern im Anlagenkonvolut 23 ersichtlich und wie auch von den Zeugen … und … erläutert, hat die Klägerin insgesamt vier KG-Rohre für Hausdurchführungen gelegt, auch wenn nach dem vertraglichen Leistungssoll (vgl. Pos. 3.05 in den Anlagen K 3 und K 10) nur zwei Durchführungen geschuldet waren. Es ist nicht vorgetragen und erscheint fernliegend, dass die Klägerin sodann eine Belegung der konkret gewählten Durchführung mit dem Trinkwasserrohr vorgegeben hätte. Es ist auch nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass alle vier Durchführungen fehlerhaft positioniert und keine der vier Hausdurchführungen besser für die Trinkwasserversorgung geeignet gewesen wäre. Sehr nachvollziehbar hat der Zeuge … hierzu ausgeführt „ich frage mich, wo die beiden anderen Einführungen geblieben sind“. Der sachverständige Zeuge … hat weiter ausgeführt, dass die Belegung der zur Verfügung stehenden Durchführungen mit den einzelnen Medien wie Strom, Wasser, Telefon etc. jedenfalls nicht Sache des Rohbauers sei.
Randnummer90
cc) Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass ein Aufwand für die Verlegung der Trinkwasserleitung um ggf. 10 bis 20 cm näher an die Wand unverhältnismäßig im Sinne des § 13 Abs. 6 VOB/B bzw. § 635 Abs.3 BGB erschiene. Ausweislich der gutachterlichen Dokumentation (Bl. 452 d.A.) ist dort auch Elektrik montiert. Falls die weitere Heranführung der Wasserleitung an die Elektrik überhaupt zulässig ist, ist ein objektives Interesse des Beklagten für eine solche Maßnahme nicht zu erkennen. Er würde wegen der dort an der Wand montierten Elektrik keine zusätzliche Stellfläche gewinnen.
Randnummer91
d) Dann kann weiter dahinstehen, ob dem Landgericht zu folgen wäre, dass einem Mangelbeseitigungsanspruch wegen der Lage der Hauseinführungen auch § 640 Abs. 3 BGB entgegenstünde, weil der Beklagte einen solchen Mangel bei der Abnahme nicht gerügt hat, obwohl er den Mangel gekannt habe, weil der objektive Zustand bei der Abnahme des Rohbaus den Schluss zulasse, dass der Beklagte auch als Laie erkannt habe, dass die Rohre so verlegt worden seien, dass der Raum nicht optimal genutzt werden könne (so auf Seite 15 f. des landgerichtlichen Urteils).
Randnummer92
e) Nur ergänzend ist der Klägerin auch mit ihrem Einwand zuzustimmen, dass dem Beklagten hinsichtlich der Höhe des Mangelbeseitigungsaufwands ggf. eine gravierende Verletzung einer Schadensminderungsobliegenheit entsprechend §§ 254 Abs. 2 2. Alt, 278 BGB anzulasten wäre, weil der Architekt und die Folgegewerke es unterlassen haben, den durch eine schlecht positionierte Hausdurchführung begründeten Schaden zu mindern. Denn die nachfolgenden Gewerke hätten eine Fehlpositionierung der Durchführung um weniger als 20 cm durch geringen Aufwand mit Hilfe einer Leitungsverlegung unter dem Estrich ausgleichen können, so dass der nun erforderliche ganz erhebliche Mangelbeseitigungsaufwand – einen Mangel unterstellt – nicht angefallen wäre.
Randnummer93
3. Die Berufung des Beklagten ist auch ohne Erfolg, soweit der Beklagte einen höheren Kostenvorschuss für die Beseitigung weiterer, vom Sachverständigen nicht dokumentierter Risse begehrt.
Randnummer94
a) Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass er mit der Rüge des Mängelsymptoms, nämlich dass sich aufgrund fehlerhafter Maurerarbeiten Risse bildeten, hinreichend substantiiert zu sämtlichen tatsächlich auftretenden Mängelfolgen vorgetragen hat.
Randnummer95
b) Allerdings ist der Vortrag zum hieraus resultierenden Mangelbeseitigungsaufwand, nämlich dass wegen eines Schadensbildes, das größer sei als der Beweisaufnahme und dem landgerichtlichen Urteil zugrundeliegend, der Mangelbeseitigungsaufwand tatsächlich höher sei, gemäß §§ 296 Abs. 2, 282 Abs. 2 ZPO verspätet. Der erstinstanzlich zu Recht als verspätet zurückgewiesene Vortrag bleibt auch in zweiter Instanz prozessual unzulässig, § 538 Abs. 1 ZPO.
Randnummer96
Zum Schadensbild und dem daraus resultierenden Mangelbeseitigungsaufwand hatte der Beklagte auf Seite 11 bis 19 des Schriftsatzes vom 14.02.2019 detailliert unter Auflistung jedes einzelnen mutmaßlichen Risses vorgetragen. Nur dieser Vortrag wurde sodann Gegenstand der Sachverständigenbeweiserhebung. Dass es nach September 2020 zu weiteren mangelbedingten Rissen gekommen sei, die deshalb einen höheren Mangelbeseitigungsaufwand verursachen, hat der Beklagte erst am 14.04.2022 und damit erst nach der weiteren mündlichen Verhandlung vom 21.06.2021, nach dem zweiten Ortstermin des Sachverständigen vom 21.09.2021 und nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens vom 21.02.2022 vorgetragen, so dass das Gericht den Beweisbeschluss vom 16.08.2019 nicht rechtzeitig erweitern und der Sachverständige die mutmaßlichen weiteren Risse seiner Begutachtung nicht mehr zugrunde legen konnte. Die Zulassung des verspäteten des Vortrags hätte nach üblichen Stellungnahmefristen eine Erweiterung des Beweisbeschlusses, eine weitere Befunderhebung in einem zusätzlichen Ortstermin und ein Nachtragsgutachten erfordert, was die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte. Die Verspätung war grob nachlässig, zumal der anwaltlich vertretene Beklagte anhand des Beweisbeschlusses und auch des tatsächlichen Verhaltens des Sachverständigen, der im Ortstermin eine Begutachtung etwaiger Risse, die bis dahin nicht Gegenstand des Beklagtenvortrags und damit nicht Gegenstand des Beweisbeschlusses waren, ausdrücklich ablehnte, rechtzeitig eindeutig den Umfang der Beweisaufnahme zur Rissbildung erkennen konnte. Es lag fern, dass der Sachverständige seinen Gutachtenauftrag überschreiten würde und dass er, obwohl die zu untersuchenden Risse in einer ganz ungewöhnlichen Detailgenauigkeit vorgegeben waren, auch andere, nicht vom Parteivortrag und vom Beweisbeschluss erfasste mutmaßliche Risse untersuchen würde.
Randnummer97
c) Materiell-rechtlich ist bei ca. sieben Jahren nach Abschluss der Rohbauarbeiten auftretenden mutmaßlichen Rissen eine Kausalität zwischen der Klägerin allein anzulastenden Fehlern des Putzgrundes und dem Auftreten etwaiger weiterer Risse nicht nachgewiesen. Der Sachverständige hat anlässlich seiner Anhörung am 14.11.2002 ausgeführt, dass mehr als sechs Jahre nach Fertigstellung des Rohbaus putzgrundbedingte Vorgänge abgeschlossen seien und Risse, die nach so langer Zeit entstünden, nach seiner Erfahrung nicht auf den Putzgrund zurückzuführen seien, auch wenn sie breiter seien als Haarrisse (Seite 7 des Protokolls vom 14.11.2022). Diese Ausführungen stehen im Einklang mit Erkenntnissen des Senats aus anderen Bauverfahren. Dies gilt vorliegend umso mehr, als bei sämtlichen vom Sachverständigen als mangelbedingt erkannten und im Abstand von ca. einem Jahr zweimal begutachteten Rissen keine Veränderung eingetreten ist, was der Sachverständige überzeugend dahingehend deutet, dass die Rissbildung im September 2020 abgeschlossen war.
Randnummer98
B. Die Anschlussberufung der Klägerin
Randnummer99
Die zulässige Anschlussberufung der Klägerin hat in der Sache teilweise Erfolg.
Randnummer100
4. Die Anschlussberufung hat hinsichtlich der Widerklage teilweise Erfolg, soweit der Beklagte wegen der durch Mängel des Mauerwerks verursachten Rissbildungen einen Anspruch auf einen Kostenvorschuss aus §§ 634 Nr. 2, 637 BGB in Höhe von nur 2.800 € hat.
Randnummer101
a) Zwar trägt die Klägerin auch in zweiter Instanz keine Gründe vor, die Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit i.S.d. § 529 Abs. 1 ZPO derjenigen landgerichtlichen Feststellungen ergibt, aus welchen die Mangelhaftigkeit ihrer Leistung i.S.d. § 633 Abs. 1 BGB folgt. Auch wenn – aus Gründen wirtschaftlicher Vernunft – die im Mauerwerk gründenden Ursachen für die Rissbildung nicht durch eine zerstörende Untersuchung bis ins Letzte aufgeklärt sind, bestehen nach den Ausführungen des Sachverständigen keine Zweifel, dass – in Abgrenzung zu im begrenzten Umfang hinzunehmenden Haarrissen und in Abgrenzung zur Verantwortung anderer Gewerke (Putz, Estrich, Statik) – die der Berechnung des Vorschussanspruchs zugrunde liegenden Risse jeweils auch im Putzgrund vorhanden waren und damit ihre Ursache im Leistungsbereich der Klägerin (Maurerarbeiten) haben und bei mangelfreier Ausführung des Mauerwerks nicht aufgetreten wären.
Randnummer102
b) Aber hinsichtlich der zu erwartenden, vom Landgericht mit sachverständiger Hilfe ermittelten Kosten der Ersatzvornahme ist im Wege der gebotenen Vorteilsausgleichung ein Abzug von (rund) 1/3 der Kosten der Ersatzvornahme vorzunehmen. In dieser Höhe sind im Wege eines gerechten Ausgleichs der widerstreitenden Interessen dem Beklagten diejenigen Vorteile zuzurechnen, welche er im adäquaten Zusammenhang mit der Ersatzvornahme erhalten wird.
Randnummer103
aa) Zwar kommt ein Vorteilsausgleich unter Verweis auf eine durch die Nachbesserung erhöhte Lebensdauer des Werks regelhaft nicht in Betracht, wenn er auf einer jahrelangen Verzögerung der Mangelbeseitigung beruht und sich die Arbeitgeber jahrelang mit einem fehlerhaften Werk begnügen musste. Der Auftragnehmer darf dadurch, dass der Vertragszweck nicht sogleich, sondern erst später im Rahmen der Gewährleistung erreicht wird, keine Besserstellung erfahren. Ein solches Ergebnis widerspräche dem Gesetzeszweck der Gewährleistung im Werkvertragsrecht (BGH, Urteil vom 17.05.1984 – VII ZR 169/82 – juris Rn. 34; OLG Celle, Urteil vom 10.06.2021 – 8 U 11/20 – BauR 2023, 646; Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage, Teil 5 Rn. 80).
Randnummer104
bb) Vorliegend ist aber ausnahmsweise eine Vorteilsausgleichung geboten, weil der Beklagte im Zuge der Mängelbeseitigung eine Besserstellung gegenüber dem Zustand erhalten wird, der bestünde, wenn der Vertragszweck sogleich erreicht worden wäre. Zum einen führen die Mangelbeseitigungsarbeiten auch zur Beseitigung von Haarrissen und anderen Risse bzw. optischen Beeinträchtigungen, die nicht auf mangelhafte Leistungen der Klägerin zurückzuführen sind. Wenn damit aber im Rahmen der Ersatzvornahme zwangsläufig weitere Mängel oder Schäden beseitigt werden, für die der Unternehmer nicht einzustehen hat, so ist dieser Vorteil auszugleichen (Werner/Pastor, Baurecht, 18. Auflage, Rn. 2936). Zum anderen sollen nach dem gewählten Weg der Mangelbeseitigung die Wände zusätzlich mit Malervlies, also einem rissüberbrückenden, widerstandsfähigen und schimmelvorbeugendem Untergrund armiert werden. Damit wird der Beklagte als Resultat der Mangelbeseitigung eine höherwertige Ausführung erhalten, als er sie ohne Auftreten von Mängeln aus dem Leistungsbereich der Klägerin erhalten hätte.
Randnummer105
cc) Zudem dürfte zu berücksichtigen sein, dass der Beklagte die Rissbildung erst nach Ablauf von fünf Jahren gerügt hat, also erst nach Ablauf einer ohnehin üblichen Renovierungsperiode für Malerarbeiten in Wohnräumen. Sollte die Rissbildung tatsächlich erst so spät aufgetreten sein, so liegt eine Ausnahmekonstellation vor, weil sich der Mangel dann erst verhältnismäßig spät ausgewirkt hat, der Beklagte bis dahin keine Gebrauchsnachteile hinnehmen musste und deshalb der Vorteil einer insgesamt deutlich längeren einwandfreien Nutzung auszugleichen ist (OLG Jena, Urteil vom 17. Februar 2022 – 8 U 1133/20 –, Rn. 65, juris). Aber auch wenn die Rissbildung früher aufgetreten sein sollte und der Beklagte sich zunächst freiwillig mit dem fehlerhaften Werk begnügt und bewusst bis zum Ablauf einer üblichen Renovierungsperiode eine Mangelrüge unterlassen hätte, um dann ohnehin fällige Sanierungsarbeiten zu verlangen, so wäre er nach Treu und Glauben gehalten, sich an den Kosten der ohnehin fälligen Renovierung zu beteiligen. Der Vorteil beruht in beiden Fällen für die Dauer eines üblichen Renovierungsintervalls von ca. 5 Jahren nicht auf einer Verzögerung der Mangelbeseitigung seitens der Klägerin.
Randnummer106
5. Die Anschlussberufung hat auch hinsichtlich der Klage teilweise Erfolg, soweit die Klägerin einen Anspruch auf Herausgabe der streitgegenständlichen Gewährleistungsbürgschaft und auf Verzicht auf die aus der Bürgschaft resultierenden Rechte hat, Zug-um-Zug gegen Stellung einer Bürgschaft über einen auf den begründeten Kostenvorschussanspruch begrenzten geringeren Betrag.
Randnummer107
a) Bei verständiger Würdigung des Klägervortrags ist das klägerische Begehr dahingehend auszulegen, dass die Klägerin die Herausgabe der Bürgschaft unter Verzicht auf etwaige Rechte aus der Bürgschaft begehrt.
Randnummer108
b) Der vorliegend in einem Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch auf Rückgabe einer Sicherheit setzt – anders als im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – keinen Verfügungsgrund voraus. Ausreichend ist das Bestehen eines materiellrechtlichen Anspruchs auf Herausgabe und Verzicht.
Randnummer109
c) Abweichend von den im Übrigen zutreffenden Ausführungen des Landgerichts zum Klaganspruch, kann die Klägerin aufgrund der vertraglichen Sicherungsabrede die Herausgabe der Bürgschaft verlangen, soweit diese nicht mehr zur Sicherung von Gewährleistungsansprüchen in verbürgter Höhe erforderlich ist.
Randnummer110
Denn einen über etwaige Gewährleistungsansprüche hinausgehenden Druckzuschlag nach § 641 Abs. 3 BGB sichert die Bürgschaft nicht. Denn während das Leistungsverweigerungsrecht aus § 641 Abs. 3 BGB gegenüber dem Werklohnanspruch des Auftragnehmers über die Sicherung des Anspruchs hinaus den Zweck verfolgt, Druck auf den Auftragnehmer auszuüben, damit dieser die ihm obliegenden Leistungen umgehend erbringt, dient die Bürgschaft lediglich der Sicherstellung des Gewährleistungsanspruchs. Die Bürgschaft ist nur anhand der voraussichtlich noch zu sichernden Mängelbeseitigungskosten zu bemessen. Im Fall der Sicherheit durch Bürgschaft bedeutet dies, dass ein Austausch der Bürgschaft Zug-um-Zug gegen Hergabe einer herabgesetzten, auf das Sicherungsinteresse begrenzten Bürgschaftserklärung vorzunehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2015 – VII ZR 92/14 – NJW 2015, 1952, 1955, Rn. 58; OLG Oldenburg Urteil vom 21. Juli 2000 – 2 U 124/00, BeckRS 2000, 30123786; OLG Frankfurt a. M. Urteil vom 20. Juni 2007 – 4 U 265/06, BeckRS 2008, 13122; OLG Koblenz Urteil vom 8. Mai 2003 – 5 U 1515/02, BeckRS 2003, 6290).
Randnummer111
6. Im Übrigen sind der Klagantrag und damit auch die diesbezügliche Anschlussberufung unbegründet.
Randnummer112
a) Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte bestimmte Erklärungen in Schriftform gegenüber der Bürgin abgibt. Die Vollstreckung des Anspruchs auf Verzicht auf die Rechte aus der Bürgschaft richtet sich ggf. nach § 894 ZPO. Für eine Androhung nach § 890 Abs. 2 ZPO für den nur Zug-um-Zug gegen Stellung einer Ersatzbürgschaft zu erfüllenden Anspruch ist noch kein Raum.
Randnummer113
b) Einem Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 280, 286 BGB steht entgegen, dass der Beklagte sich gegenüber dem Herausgabeverlangen auf seine Gewährleistungsrechte berufen hat und die Bürgschaft auch tatsächlich zurückbehalten darf, solange die Klägerin keine Austauschbürgschaft über einen auf das Sicherungsinteresse begrenzten Betrag stellt.
Randnummer114
C. Nebenentscheidungen
Randnummer115
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Randnummer116
8. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
Randnummer117
9. Der Gebührenstreitwert ist in Höhe des zwischen den Parteien streitigen Kostenvorschusses für die Mängelbeseitigung, also in Höhe des Widerklagebegehrens von 34.500 € festzusetzen.
Randnummer118
a) Weil zwischen der Klage auf Herausgabe der Gewährleistungsbürgschaft und der Gewährleistungswiderklage wirtschaftliche Gleichwertigkeit i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG besteht (OLG Stuttgart, Beschluss vom 25. Juni 1998 – 12 W 36/98 –, juris; Zöller/Herget, ZPO, 34. Auflage, § 3 Rn. 16.52), entspricht der höhere Gegenstandswert der Gewährleistungswiderklage dem Gesamtstreitwert.
Randnummer119
b) Auch der die Vorschusswiderklage ergänzende Feststellungsantrag, der neben der Vorschussklage entbehrlich wäre und lediglich klarstellende Funktion hat (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2008 – VII ZR 204/07), erhöht den Streitwert nicht.
Randnummer120
c) Gemäß diesen Ausführungen erfolgt die Änderung des erstinstanzlichen Streitwerts durch das Berufungsgericht nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.

Bedenkenhinweis nicht erforderlich, wenn der Auftraggeber die entsprechende Kenntnis bereits hat!

Bedenkenhinweis nicht erforderlich, wenn der Auftraggeber die entsprechende Kenntnis bereits hat!

Eine Bedenkenhinweispflicht besteht nicht, wenn der Auftraggeber die entsprechende Kenntnis bereits hat. Dabei muss er sich die Kenntnis eines umfassend rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreters (hier: Baubetreuer) zurechnen lassen:

Grundsätzlich haftet der Unternehmer für einen bestehenden Mangel seines Werks aufgrund seiner verschuldensunabhängigen Erfolgshaftung unabhängig davon, worin die Mängelursache begründet ist. Der vom Werkunternehmer geschuldete Erfolg bestimmt sich nicht allein nach der Summe der vereinbarten Leistungen und Ausführungsart sowie den anerkannten Regeln der Technik, sondern – darüber hinaus – auch nach dem angestrebten Zweck und der Funktion des herzustellenden Werks. Für die weite, durch den funktionalen Mangelbegriff geprägte Mängelhaftung des Unternehmers spielt es dem Grunde nach keine Rolle, aus wessen Verantwortungsbereich die Mängelursache herrührt. Der Werkunternehmer haftet danach nicht nur für die vereinbarte Beschaffenheit, sondern ist auch verpflichtet, ein nach den Vertragsumständen zweckentsprechendes, funktionstaugliches Werk zu erbringen. Ein Werk ist auch dann mangelhaft, wenn es die vereinbarte Funktion nur deshalb nicht gewährleistet, weil die verbindlichen Anordnungen des Bestellers unzureichend sind, auch wenn das Werk im Übrigen der vereinbarten Leistungsbeschreibung und den anerkannten Regeln der Technik entspricht (BeckOGK/Kober, 1.10.2023, BGB § 634 Rn. 383).

Ein Unternehmer wird aber ausnahmsweise bei einem Mangel seines Werks, der auf verbindliche Vorgaben und Anordnungen des Bestellers oder auf von diesem gelieferte Stoffe, Bauteile oder auf Vorleistungen anderer Unternehmer zurückzuführen ist, von der Haftung befreit, wenn der Unternehmer seiner Prüfungs- und Hinweispflicht genügt und er dem Besteller seine Bedenken wegen eventueller Mängelrisiken mitteilt (BeckOGK/Kober, a.a.O., Rn. 384; Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts 5. Auflage 2020, Teil 5, Rn. 73).

Ein zur Haftungsbefreiung führender Bedenkenhinweis erfordert dabei, dass der Besteller ausreichend gewarnt wird. Für den Besteller müssen die Risiken und Folgen einer Ausführung bei einem Festhalten an seinen bisherigen Anordnungen konkret erkennbar sein. Die nachteiligen Folgen der mangelhaften Ausführung und die daraus folgenden oder ergebenden Gefahren muss der Unternehmer in seinem Hinweis klar, fachlich zutreffend, vollständig und verständlich aufzeigen, damit dem Besteller die Tragweite der Nichtbefolgung klar wird. Auch die nachteiligen Folgen und die sich daraus ergebenden Gefahren der unzureichenden Vorgaben müssen konkret dargelegt werden, damit dem Besteller die Tragweite der Nichtbefolgung klar wird. Unzureichend sind allgemeine und vage Hinweise. Erklärungen pauschalen Inhalts sind – jedenfalls, wenn ein Fachunternehmen beauftragt wurde – unzulänglich. Der Besteller muss hierdurch in die Lage versetzt werden, darüber zu entscheiden, ob er den Bedenken abhilft oder auf den für bedenklich erachteten Vorgaben besteht (BeckOGK/Kober, a.a.O., Rn. 416; Kniffka/KoebIe, a.a.O.).

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Pflicht, auf Bedenken hinzuweisen, dem Zweck dient, dass der Besteller die notwendige Aufklärung über die Fehlerhaftigkeit seiner bindenden Anordnungen erhalten soll. Eine Bedenkenhinweispflicht besteht deshalb von vornherein nicht, wenn der Besteller die entsprechende Kenntnis bereits hat, ihm also bekannt ist, dass die Anordnung oder Vorleistung ungeeignet ist, den gewünschten Vertragserfolg herbeizuführen oder jedenfalls ein entsprechendes Risiko, über das aufzuklären wäre, besteht (Kniffka/Koeble, a.a.O., Rn. 66).

Vermeiden Sie unwirksame Vertragsklauseln

Vermeiden Sie unwirksame Vertragsklauseln

vorgestellt von Thomas Ax

Bauunternehmen verwenden gerne gegenüber Verbrauchern einen vorformulierten “Planungs- und Bauvertrag”. Dieser enthält Vertragsbestimmungen. Viele davon sind unwirksam …

Auch für die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gelten grundsätzlich die Auslegungsregeln der §§ 157, 133 BGB und die hierzu entwickelten Grundsätze. Sie sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, NJW 2016, 936, 937). Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zulässig (BGH, NJW 2016, 936, 937 f.).
Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe in Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat so zu erfolgen, wie ein durchschnittlicher und um Verständnis bemühter Verbraucher die Regelung verstehen darf, wobei in erster Linie auf den Wortlaut und ergänzend auf den Zweck der Regelung abzustellen ist (BGH, NJW-RR 2020, 92, 93). Die §§ 308, 309 BGB enthalten Kataloge verbotener Klauseln. § 307 BGB enthält mit seiner Generalklausel die zentrale Vorschrift der Inhaltskontrolle; ihr kommt zugleich rechts-technisch die Funktion einer Auffangnorm zu. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Vertragsklausel den Transparenzanforderungen des § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB gerecht wird, ist auf die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen (BGH, NJW 2016, 936, 937) und nicht auf die Erkenntnis-möglichkeiten des konkreten Vertragspartners oder auf das Verständnis eines Fachmannes, insbesondere eines Juristen (BGH, NJW 1989, 222, 224 m. w. N.).
Das Transparenzgebot darf den Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen aber nicht überfordern; die Verpflichtung, den Klauselinhalt klar und verständlich zu formulieren, besteht nur im Rahmen des nach den Umständen Möglichen (BGH, NJW 2016, 936, 940; BGH, NJW-RR 2011, 1618, Rn. 27 m. w. N.).
Eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB liegt vor, wenn der Verwender mit der Formulierung der Klausel nur seine eigenen Interessen im Auge hat, ohne von vornherein die Interessen des Vertragspartners hinreichend zu berücksichtigen und diesem einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BGH, NJW 1993, 326, 329).
Sind mehrere Auslegungsmöglichkeiten rechtlich vertretbar, kommt die Zweifelsregel des § 305c Absatz 2 BGB zur Anwendung. Dabei ist im Rahmen eines Verbandsprozesses nach § 1 UKlaG bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten von der kundenfeindlichsten Auslegung auszugehen (BGH, NJW 2008, 360, 363).

Folgende Klauseln sind unwirksam:

“Vor Unterzeichnung dieses Vertrages hat keine eingehende Besichtigung oder Untersuchung des Grundstücks stattgefunden. Dies wird erst im Nachgang zur Unterzeichnung dieses Vertrages erfolgen. Der vereinbarte Fertigstellungstermin gem. Ziffer 5.3 und der vereinbarte Pauschalfestpreis gem. Ziffer 7.1 beruhen auf der Annahme, dass ein ebenes Grundstück vorliegt und keine unüblichen Grundstücksgegebenheiten bestehen. Wenn sich bei der eingehenden Besichtigung des Baugrundstücks herausstellen sollte, dass ein unebenes Grundstück oder unübliche Gegebenheiten vorliegen sollten, werden AN und AG in einer Nachtrags-vereinbarung zu diesem Planungs- und Bauvertrag eine Vereinbarung treffen, in der die dann erforderlichen Planungs- und Bauleistungen beschrieben und der Fertigstellungstermin sowie der Pauschalfestpreis angepasst werden.”

Die Klausel ist nach § 309 Nr. 12b BGB und nach § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB teilweise unwirksam, soweit es sich um den im Tenor nicht fettgedruckten Teil der Klausel handelt.
Die ersten beiden Sätze der Bestimmung, die sich damit befassen, dass vor Unterzeichnung des Vertrages keine eingehende Besichtigung oder Untersuchung des Grundstücks stattgefunden hat und diese erst im Nachgang zur Unterzeichnung des Vertrages erfolgen wird, verstoßen gegen § 309 Nr. 12b BGB. Nach § 309 Nr. 12 BGB ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Bestimmung unwirksam, durch die der Verwender die Beweislast zum Nachteil des anderen Vertragsteils ändert, insbesondere indem er a) diesem die Beweislast für Umstände auferlegt, die im Verantwortungsbereich des Verwenders liegen, oder b) den anderen Vertragsteil bestimmte Tatsachen bestätigen lässt. Die Voraussetzungen des § 309 Nr. 12b BGB liegen vor. § 309 Nr. 12b BGB ist dann erfüllt, wenn die formularmäßige Bestätigung von Tatsachen durch den Kunden zur Folge hat oder auch nur das prozessuale Risiko erhöht, dass die Beweislast, die in Bezug auf diese Tatsachen nach den gesetzlichen Beweislastregeln oder den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen den Verwender trifft, auf den Kunden überbürdet wird (BGH, NJW 1990, 761, 765; OLG Koblenz, Urteil vom 02.03.2017 – 2 U 296/16, BeckRS 2017, 111351, Rn. 16). Mit der Klausel bestätigt der Kunde sinngemäß und formularmäßig eine Tatsache, die zutreffen kann, aber nicht muss, nämlich, dass der Verwender das Baugrundstück nicht kennt. Dies beeinträchtigt die Beweislage des Auftraggebers in etwaigen Nachtragsstreitigkeiten. Denn ohne eine solche Bestätigung muss die Auftragnehmerin Nachtragsgründe darlegen und beweisen. Mit ihr kann sie quasi ein Nichtwissen vom Baugrundstück als Vertragsgrundlage fixieren lassen, was nicht gerechtfertigt ist, wenn sie de facto Wissen hat. Ein solches Wissen ist im Übrigen auch praktisch nicht fernliegend, wenn der Kunde das Baugrundstück vor Vertragsschluss bereits hat. Zutreffend hat daher das OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 07.06.1985 – 6 U 148/84, NJW-RR 1986, 245) bereits entschieden, dass eine Vertragsklausel unzulässig ist, nach der – gleichsam umgekehrt – ein Unternehmer als Vertragspartner erklärt, dass ihm die örtlichen Verhältnisse zu der Baustelle bekannt sind. Diese Entscheidung ist vergleichbar, auch wenn in der hier zu beurteilenden Klausel der Auftraggeber bestätigt, dass die örtlichen Verhältnisse zum Grundstück dem Klauselverwender (Auftragnehmerin) unbekannt sind. Die Tatsachenbestätigung kann sich für den Auftraggeber nachteilig auswirken, sofern die Auftragnehmerin vor Vertragsschluss Kenntnis von dem Grundstück und den örtlichen Verhältnisse erlangt hat.
Zudem verstößt der in der Klausel verwendete Begriff “unübliche Grundstücksgegebenheiten” gegen das Transparenzgebot des § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB. Ausgehend davon, dass die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe in Allgemeinen Geschäftsbedingungen so zu erfolgen hat, wie ein durchschnittlicher und um Verständnis bemühter Verbraucher die Regelung verstehen darf, ist dem Kunden vollkommen unklar, wann ein Grundstück noch üblich und wann es unüblich beschaffen ist. Es gibt kein “Baugrundstück von der Stange”. Der Begriff der unüblichen Grundstücksgegebenheit ist durch Auslegung nicht bestimmbar. Vielmehr spielen für die Grundstücksbeschaffenheit verschiedene Einflussfaktoren wie die Lage des Grundstücks, die Bodenbeschaffenheit, der Grundwasserbemessungsstand, die Bepflanzung und Umwelteinwirkungen eine Rolle, die spezifiziert werden müssten und könnten.
Im Übrigen ist die Klausel wirksam. Der in der Bestimmung verwendete Begriff “ebenes Grundstück” ist auslegungsfähig und nicht intransparent im Sinne des § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB. Er meint die Ebenheit im baupraktischen Sinne und ist sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch als auch auf dem Immobilienmarkt durchaus gängig und verständlich. Der durchschnittliche Vertragspartner wird mit dem Begriff ein leicht zu bebauendes Grundstück verbinden, das keine Hanglage aufweist.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.10.2020 – 29 U 146/19

“Der AN kann die in den Vertragsunterlagen genannten Fabrikate und Materialien durch gleichwertige Leistungen ersetzen, wenn der AG dem zustimmt. Der AG darf seine Zustimmung nur aus wichtigem Grund verweigern.”

Die Klausel ist wegen eines Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB unwirksam.
Nach § 308 Nr. 4 BGB ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen insbesondere die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen, unwirksam, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung oder Abweichung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil zumutbar ist. Die Interessenabwägung ist auf eine typisierende Betrachtungsweise zu stützen und nicht auf die Umstände des konkreten Einzelfalls (BGH, NJW 2014, 1168, Rn. 39). In der streitgegenständlichen Klausel ist der Änderungsvorbehalt schon deshalb unwirksam, weil er die Änderungsgründe nicht ansatzweise spezifiziert, was die höchstrichterliche Rechtsprechung aber für erforderlich hält (BGH, NJW 2005, 3567, 3569). Nach der Rechtsprechung des BGH, der der Senat folgt, ist die Zumutbarkeit einer Leistungsänderungsklausel dann zu bejahen, wenn die Interessen des Verwenders die für das jeweilige Geschäft typischen Interessen des anderen Vertragsteils überwiegen oder ihnen zumindest gleichwertig sind. Das setzt eine Fassung der Klausel voraus, die nicht zur Rechtfertigung unzumutbarer Änderungen dienen kann, und erfordert im Allgemeinen auch, dass für den anderen Vertragsteil ein gewisses Maß an Kalkulierbarkeit der möglichen Leistungsänderungen besteht (BGHZ 158, 149, 154 f.). Das Manko der durch die Klausel nicht im Ansatz spezifizierten Änderungsvorbehalte wird durch das – streitanfällige – Gleichwertigkeitserfordernis und das Widerspruchsrecht des Auftraggebers aus wichtigem Grund nicht ausreichend kompensiert. Die Klausel drängt den Kunden in eine Rechtfertigungsnot, die er de lege nicht hat.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.10.2020 – 29 U 146/19

“AG und AN sind sich darüber einig, dass die als Anlage 1 beigefügte Bau-beschreibung so ausführlich und hinreichend gefasst ist, dass das Bauvorhaben nach den Bestimmungen dieses Vertrages hergestellt werden kann und sie damit auch den Anforderungen gem. §§ 650j, 650k BGB entspricht.”

Die Klausel ist unwirksam und verstößt gegen § 307 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Nr. 1 BGB i. V. m. § 276 Absatz 2 BGB sowie § 309 Nr. 7b BGB, da sie jedenfalls bei gebotener kundenfeindlicher Auslegung einen Verzicht auf Ansprüche aus Unzulänglichkeiten der Baubeschreibung enthält, indem der Kunde die Baubeschreibung billigt. Dadurch verliert er einen möglichen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Baubeschreibungspflicht aus culpa in contrahendo (§§ 280 Absatz 1, 241 Absatz 2, 311 Absatz 2 BGB) bei einem vorsätzlichen (§ 307 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Nr. 1 BGB i. V. m. § 276 Absatz 2 BGB) oder grob fahrlässigen (§ 309 Nr. 7b BGB) Handeln. Ein legitimes Interesse der Auftragnehmerin an einer derartigen Verzichtserklärung ist aber nicht ersichtlich, so dass die Klausel den Auftraggeber unangemessen benachteiligt.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.10.2020 – 29 U 146/19

“Der AN wird nach erfolgter technischer Bemusterung die Ausführungsplanung erstellen und diese dem AG zur Freigabe zur Ausführung vorlegen. Erteilt der AG die Freigabe nicht und fordert stattdessen eine wesentliche Änderung der Planung, werden AG und AN vor Beginn der Bauausführung über eine Anpassung des Fertigstellungstermins gem. Ziffer 5.3 und des Pauschalfestpreises gem. Ziffer 7.1 verhandeln und eine entsprechende Nachtragsvereinbarung abschließen.”

Die Klausel ist unwirksam, da sie sowohl gegen § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB als auch gegen § 307 Absatz 2 Nr. 1 BGB i. V. m. § 650b BGB verstößt.
Eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB liegt vor, weil die Klausel jedenfalls bei gebotener kundenfeindlicher Auslegung auch wesentliche Änderungen erfasst, deren Notwendigkeit sich aus Planungsmängeln der Beklagten als Verwenderin ergibt. Dies ist zu weitgehend, dem Auftraggeber unzumutbar und benachteiligt ihn daher unangemessen.
Zudem weicht die Klausel gemäß § 307 Absatz 2 Nr. 1 BGB von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen ab. Die Regelung entspricht nicht – wie das Landgericht meint – dem, was ohne die Vereinbarung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei wesentlichen Änderungen der Planung auch sonst gilt. Denn nach dem seit dem 01.01.2018 neu eingefügten § 650b Absatz 2 Satz 1 BGB kann der Besteller die Änderung in Textform anordnen, wenn die Parteien binnen 30 Tagen nach Zugang des Änderungsbegehrens beim Unternehmer keine Einigung nach Absatz 1 erzielen. Das Werkvertragsrecht kannte bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts im Gegensatz zur VOB/B (in § 1 Absatz 3, 4 VOB/B) kein gesetzliches Anordnungsrecht des Bestellers, das ermöglicht, das ursprünglich vereinbarte Bauprogramm einseitig zu ändern. Dies hat der Gesetzgeber mit § 650b BGB für den Bauvertrag geändert, so dass dem Besteller nun gegenüber dem Unternehmer ein Anordnungsrecht zusteht, wenn keine gütliche Einigung über zusätzlich zu erbringende Arbeiten zustande kommt (Busche, aaO, § 650b Rn. 1). Der Unternehmer ist sogar im Grundsatz verpflichtet, der Anordnung des Bestellers zu folgen (§ 650b Absatz 2 Satz 2 Halbsatz 1 BGB). Sinn und Zweck der neuen gesetzlichen Regelung ist es, eine Möglichkeit zur Vertragsanpassung zu schaffen, wenn aufgrund der Komplexität und Dauer von Baumaßnahmen aus Sicht des Bestellers ein Bedürfnis zu Vertragsanpassungen gegeben ist (Begr. RegE zum Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts, BT-Drs. 18/8486, 24, 53). Allgemeine Geschäftsbedingungen müssen sich am Leitbildcharakter von § 650b BGB messen lassen (Busche, aaO). Die Klausel lässt aber den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, dem Besteller ein Anordnungsrecht zuzubilligen, wenn eine gütliche Einigung zwischen den Parteien nicht zustande kommt, vollkommen außer Acht, indem sie ein solches Anordnungsrecht unerwähnt lässt. Sie erweckt vielmehr den Eindruck, der Kunde benötige unbedingt eine Nachtragsvereinbarung zu Vergütung und Bauzeit, was so de lege nicht zutrifft.
Zwar ist der erste Satz der Klausel isoliert betrachtet nicht zu beanstanden. Allerdings stehen beide Sätze der Bestimmung im Zusammenhang, so dass der erste Satz für das Verständnis des zweiten Satzes erforderlich ist und daher die gesamte Klausel als unwirksam angesehen werden muss.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.10.2020 – 29 U 146/19

“Der AG wird dem AN das Grundstück so zur Verfügung stellen, dass der AN die Bauleistungen ungehindert und wie vertraglich vereinbart herstellen kann. Der AG wird dem AN ferner die notwendigen Ver- und Entsorgungsleitungen, Baustrom und Bauwasser bereitstellen, sofern und soweit er nicht den AN gesondert mit der entsprechenden Bereitstellung beauftragt. Er wird dem AN außerdem während der gesamten Vertragslaufzeit ungehinderten Zugang zum Baugrundstück gewähren und dafür Sorge tragen, dass es mit schweren Baufahrzeugen mit einem Gesamtgewicht von 40 Tonnen befahren werden kann.”

Die Klausel ist teilweise wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB unwirksam, soweit sie den im Tenor fettgedruckten letzten Halbsatz des letzten Satzes betrifft; im Übrigen ist sie wirksam.
Soweit die Klausel dem Auftraggeber auferlegt, dafür Sorge zu tragen, dass sein Baugrundstück mit schweren Baufahrzeugen mit einem Gesamtgewicht von 40 Tonnen befahren werden kann, liegt ein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB vor. Ein durchschnittlicher und um Verständnis bemühter Verbraucher kann nicht beurteilen, ob sein Baugrundstück mit schweren Baufahrzeugen mit einem Gesamtgewicht von 40 Tonnen befahren werden kann. Denn dies hängt sowohl von der Beschaffenheit seines Grundstücks – insbesondere von den Bodenverhältnissen – als auch von der Beschaffenheit der Baufahrzeuge ab, vor allem auch von der Frage, ob diese einen Allrad-Antrieb haben oder nicht. Der Kunde weiß jedoch weder, wie die Baufahrzeuge konkret ausgestattet sind, noch kann er die Beschaffenheit des Bodens seines Grundstücks diesbezüglich einschätzen, so dass er ein Baugrundgutachten zur Frage der Belastbarkeit bzw. Beschaffenheit seines Grundstücks einholen müsste, was von ihm angesichts der ansonsten von der Beklagten übernommenen Planungsverantwortung nicht ohne Weiteres verlangt werden kann und was ihm aufgrund der Fassung der Klausel auch nicht klar genug vor Augen geführt wird.
Im Übrigen bestehen aber keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der Klausel. Eine unangemessene Benachteiligung des Auftraggebers gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt nicht vor; die Bestimmung ist nicht unvereinbar mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird. Zu den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung des Werkvertrages zählt auch die für den Grundtyp des Bauvertrages von dem Gesetzgeber vorgenommene Risikoverteilung (vgl. Hdb. priv. BauR [Eichberger], 6. Aufl. 2019, § 6 Rn. 127). Das betrifft für die Auftraggeberseite das Bodenrisiko (§ 645 BGB) sowie das Risiko der rechtzeitigen und für die Herbeiführung des vereinbarten Erfolges tauglichen Mitwirkung (§§ 642, 643 BGB), insbesondere das Planungsrisiko (Eichberger, aaO). Nach § 645 BGB kann der Unternehmer einen der geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung und Ersatz der in der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen verlangen, wenn das Werk vor der Abnahme infolge eines Mangels des vom Besteller gelieferten Stoffes oder infolge einer von dem Besteller für die Ausführung erteilten Anweisung untergegangen, verschlechtert oder unausführbar geworden ist, ohne dass ein Umstand mitgewirkt hat, den der Unternehmer zu vertreten hat. Die mit Ausnahme des letzten Halbsatzes des letzten Satzes in der Klausel vorgenommene Risikoverteilung ist sach- und interessengerecht.
Auch liegt für den überwiegenden Teil der Klausel kein Verstoß gegen das Transparenzgebot vor. Es ist nämlich rechtlich unbedenklich, dass die Klausel mit den Begriffen “ungehindertem Herstellen” und “ungehindertem Zugang” unbestimmte Rechtsbegriffe enthält. Ein durchschnittlicher und um Verständnis bemühter Verbraucher darf die zu überprüfende Klausel dahingehend verstehen, dass er nicht für Umstände einstehen muss, die er nicht beeinflussen kann und die außerhalb seines Grundstücks liegen. Solche Umstände außerhalb des Grundstücks sind vom Wortlaut der Klausel nicht umfasst. Die Argumentation des Klägers, Behinderungen des Zugangs zur Baustelle wie etwa ein Faschingsumzug, eine Sportveranstaltung, ein Straßenfest etc. würden nach der Klausel zu einer Pflichtverletzung des Auftraggebers führen, so dass beispielsweise Vorhaltekosten nach § 642 BGB entstünden, verfängt daher nicht. Der von der Klägerseite herangezogene Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung im Verbandsverfahren greift hier nicht, weil bei der Auslegung kein behebbarer Zweifel bleibt, so dass nicht zwei oder mehrere Auslegungsmöglichkeiten sinnvoll in Betracht kommen. Eine Aufbürdung der Einstandspflicht des Auftraggebers für äußere Umstände außerhalb seines Grundstücks liegt fern.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.10.2020 – 29 U 146/19

“AG und AN streben einen Baubeginn innerhalb von sechs Monaten nach Unterzeichnung dieses Vertrages an. Voraussetzung für den Baubeginn sind die Erteilung der bestandskräftigen Baugenehmigung, die Vorlage der Finanzierungs-bestätigung gemäß Ziffer 3.1, die Fertigstellung der technischen Bemusterung gem. Ziffer 3.3, die Freigabe der vom AN erstellten Ausführungsplanung durch den AG gem. Ziffer 3.4 und – sofern und soweit erforderlich – die Vorlage der geprüften statischen Berechnung. Spätestens sechs Wochen, nachdem die vorstehend genannten Voraussetzungen vorliegen, wird der AN mit den Bauleistungen beginnen.”

Die Klausel ist unwirksam und verstößt gegen § 308 Nr. 1 BGB, § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB und § 307 Absatz 1, Absatz 2 Nr. 1 BGB i. V. m. § 212a BauGB.
Es liegt ein Verstoß gegen § 308 Nr. 1 BGB vor. Die Auftragnehmerin behält sich mit der Klausel eine unbestimmte Frist für den Baubeginn vor, weil die Formulierung zwar die Freigabe für die Ausführungsplanung durch den Auftraggeber voraussetzt, aber nicht regelt, innerhalb welcher Frist die Auftragnehmerin die Ausführungs-planung erstellen muss. In Ziffer 3.4 des Planungs- und Bauvertrages, auf die die zu beurteilende Klausel Bezug nimmt, ist geregelt, dass die Auftragnehmerin nach erfolgter technischer Bemusterung die Ausführungsplanung erstellen und diese dem Auftraggeber zur Freigabe zur Ausführung vorlegen wird. Ziffer 3.4 bestimmt aber keine zeitliche Höchstgrenze für die Auftragnehmerin zur Erstellung der Ausführungsplanung. Die Angemessenheit einer Leistungsfrist ist nach den branchenspezifischen Üblichkeiten zu bestimmen (§ 271 Absatz 1 BGB); (nur) insoweit sind die Interessen des Verwenders schützenswert (OLG Koblenz, aaO, Rn. 59; Wurmnest, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 308 Nr. 1 Rn. 19). Zwar hat die Auftragnehmerin nach § 271 BGB mit der Ausführungsplanung unmittelbar nach Abschluss der technischen Bemusterung zu beginnen. Diese muss sie in angemessener Zeit fertigstellen, wobei ihr mindestens aber der Zeitraum zur Verfügung steht, der für die Ausführungsplanung erforderlich ist (so BGH, NJW-RR 2001, 806; II. 1). Unwirksam sind aber nach § 308 Nr. 1 BGB Klauseln, die Leistungsfristen festlegen, aber nicht hinreichend bestimmen. Dies ist der Fall, wenn der Leistungszeitpunkt vom Vertragspartner des Verwenders, dem Gläubiger der Leistung, nicht berechnet oder herbeigeführt werden kann (BGH, NJW 1989, 1602, 1603). Hinreichend bestimmt i. S. d. § 308 Nr. 1 BGB ist die Frist für die Erbringung einer Leistung, wenn sie der Kunde berechnen kann; dies ist der Fall, wenn der Beginn der Frist ausschließlich von einem Ereignis im Bereich des Kunden abhängig ist (BGH, NJW 1985, 855, 856; OLG Koblenz, aaO; Wurmnest, aaO, § 308 Nr. 1 Rn. 22). Beginn und Länge der Frist dürfen sich also nicht aus den Umständen ergeben, die in die Sphäre des Verwenders fallen und deren Ermittlung und Nachprüfung dem Kunden schwerfällt (Wurmnest, aaO). Nach dem Inhalt der Klausel knüpft der Baubeginn an ein Ereignis an, welches ausschließlich in der Sphäre der Beklagten liegt, so dass der Kunde die Frist nicht hinreichend berechnen kann.
Die Bestimmung verstößt zudem auch gegen § 307 Absatz 1, Absatz 2 Nr. 1 BGB i. V. m. § 212a BauGB. Denn wegen des Grundsatzes der kundenfeindlichen Auslegung im Verbandsklageverfahren ist die Anknüpfung an die Bestandskraft im Sinne der Vorschrift zu unbestimmt. Mit dem Begriff Bestandskraft kann sowohl die formelle als auch die materielle Bestandskraft als Voraussetzung für den Baubeginn gemeint sein. Eine formelle Bestandskraft der Baugenehmigung liegt vor, wenn sie nicht mehr mit Rechtsbehelfen angefochten werden kann, somit eine Unanfechtbarkeit vorliegt. Die materielle Bestandskraft hat zur Folge, dass der Rechtsträger der Behörde und der Adressat des Verwaltungsaktes – hier der Bauherr – an die getroffene Regelung gebunden sind. Die materielle Bestandskraft schafft somit einen Vertrauensschutz für den Bauherrn. Die formelle Bestandskraft kann hingegen gegebenenfalls erst nach Jahren eintreten. Der Verbraucher weiß nicht, ob die Klausel an die formelle oder an die materielle Bestandskraft anknüpft. Nach dem Grundsatz der kundenfeindlichen Auslegung ist die Klausel dahingehend auszulegen, dass die formelle Bestandskraft gemeint ist. Da der Verbraucher den Eintritt der formellen Bestandskraft der Baugenehmigung aber nicht oder kaum abschätzen kann, ist die Klausel zu unbestimmt.
Schließlich liegt auch ein Verstoß gegen § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB vor, weil die Auftragnehmerin dadurch eine etwaige Vertragsstrafe beeinflussen könnte, denn diese wird erst dann geschuldet, sofern die Auftragnehmerin mit der Einhaltung des Fertigstellungstermins (10 Monate nach Baubeginn gemäß Ziffer 5.3 des Vertrages) in Verzug ist.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.10.2020 – 29 U 146/19

“Als abgenommen gilt das Werk auch, wenn der AN nach Fertigstellung eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat und der AG die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe wesentlicher Mängel verweigert hat.”

Die Klausel ist unwirksam und verstößt gegen § 307 Absatz 1, 2 Nr. 1 BGB i. V. m. § 640 Absatz 2 Satz 1, 2 BGB i. V. m. § 650o BGB sowie gegen § 308 Nr. 5 BGB.
§ 640 Absatz 2 Satz 1 BGB regelt, dass ein Werk als abgenommen gilt, wenn der Unternehmer dem Besteller nach Fertigstellung des Werks eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat und der Besteller die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat. Nach Satz 2 dieser Vorschrift treten die Rechtsfolgen des Satzes 1 nur dann ein, wenn der Unternehmer den Besteller zusammen mit der Aufforderung zur Abnahme auf die Folgen einer nicht erklärten oder ohne Angabe von Mängeln verweigerten Abnahme hingewiesen hat; der Hinweis muss in Textform erteilt werden. Im Gegensatz zu § 640 Absatz 2 Satz 1 BGB verlangt die Klausel nicht nur einen Mangel, sondern “Mängel”. Sie stellt somit eine unangemessene Benachteiligung des AG entgegen dem Gebot von Treu und Glauben (§ 307 Absatz 1 Satz 1 BGB) dar.
Zudem verstößt die Klausel gegen § 307 Absatz 2 Nr. 1 BGB, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der Neufassung des § 640 Absatz 2 Satz 1 BGB nicht zu vereinbaren ist. Dies liegt zum einen daran, dass die Klausel entgegen der gesetzlichen Regelung auf “Mängel” und nicht mindestens einen Mangel abstellt; zum anderen verlangt sie die Angabe wesentlicher Mängel. Ob der Mangel wesentlich oder unwesentlich ist, spielt aber nach § 640 Absatz 2 Satz 1 BGB keine Rolle (Begr. RegE zum Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts, DT-Drs. 18/8486, 24, 48f; Bachem/Bürger, NJW 2018, 118, 120; Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 640 Rn. 30). Sinn und Zweck der Bestimmung ist es, den Unternehmer in die Lage zu versetzen, etwaige Mängel zeitnah zu beseitigen (Begr. RegE, aaO; Busche, aaO). Da der Besteller vielfach nicht über Fachkenntnisse verfügt, ist anerkannt, dass es ausreicht, wenn er Symptome beschreibt, die auf eine mangelhafte Leistung des Unternehmers schließen lassen (vgl. nur Busche, aaO). Die Klausel mutet dem Besteller aber zu, zwischen einem wesentlichen und einem unwesentlichen Mangel zu unterscheiden, was von ihm nicht erwartet werden kann und auch mit dem Grundgedanken der neuen gesetzlichen Regelung unvereinbar ist.
Schließlich ergibt sich aus § 650o Satz 1 BGB, dass von § 640 Absatz 2 Satz 2 BGB nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden kann. Die Vorschrift findet auch dann Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen wird (§ 650o Satz 2 BGB). Fehlt – wie hier – der nach Absatz 2 Satz 2 erforderliche Hinweis, scheidet der Eintritt der Abnahmewirkung nach § 640 Absatz 2 BGB aus (so Busche, aaO, Rn. 31).
Da in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach § 308 Nr. 5 BGB auch eine Bestimmung unwirksam ist, wonach eine Erklärung des Vertragspartners des Verwenders bei Vornahme oder Unterlassung einer bestimmten Handlung als von ihm abgegeben oder nicht abgegeben gilt, ist die Klausel auch wegen dieser Norm unwirksam.
Es spricht schließlich – entgegen der Auffassung der Beklagten – gerade nicht für die Wirksamkeit der Klausel, dass diese der Gesetzeslage vor dem 01.01.2018 entspricht. Klauseln, die der alten Gesetzeslage entsprechen, halten dann einer Inhaltskontrolle nach dem 01.01.2018 nicht mehr stand, wenn sie von dem neuen gesetzlichen Leitbild abweichen, wobei es für die Inhaltskontrolle nicht erheblich ist, ob die aktuelle gesetzliche Regelung interessengerechter als die bisherige ist oder nicht.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.10.2020 – 29 U 146/19

“§ 1 Abs. 3 und Abs. 4 VOB/B finden keine Anwendung. § 650b BGB gilt für alle nach diesem Vertrag vom AN geschuldeten Leistungen mit der Maßgabe, dass der AN dem AG zunächst innerhalb von 12 Werktagen nach Zugang des Änderungs-begehrens ein Angebot vorlegt (“Angebotsfrist”), aus dem die Mehr- oder Minder-kosten für die aufgrund der Leistungsänderung erforderlichen Planungs- und Bauleistungen hervorgehen. AG und AN werden dann innerhalb eines Zeitraums von 24 Werktagen nach Zugang des Angebots beim AG über eine Einigung über die Vergütung für die Planungs- und Bauleistungen anstreben (“Einigungsfrist”). Erzielen AG und AN innerhalb dieser 24 Werktage keine Einigung, ist der AG berechtigt, die Änderung in Textform anzuordnen.”

Diese Klausel ist nach § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB und nach § 307 Absatz 2 Nr. 1 BGB i. V. m. § 650b Absatz 2 BGB unwirksam.
Die Klausel benachteiligt den Auftraggeber unangemessen im Sinne des § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB. Sie kann nicht nach Treu und Glauben hingenommen werden, weil der Verwender bei dieser Klausel vorrangig seine eigenen Interessen im Auge hat. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es für den Auftraggeber kein Vorteil, dass die Klausel eine Angebotsfrist von 12 Werktagen für die Auftragnehmerin vorsieht. Diese Angebotserstellung, die sofort bzw. in nach den Umständen angemessener Zeit geschuldet ist (§ 271 Absatz 1 BGB), kann letztlich die Beklagte bis zu 12 Werktage hinauszögern. Die Klausel beinhaltet eine maximale Frist von 36 Werktagen (12 plus 24 Werktage), was umgerechnet 42 Kalendertagen entspricht. Dies entspricht einer erheblichen Verlängerung um 40 Prozent. Durch die Verlängerung der Wartefrist kann sich die Fertigstellung zum Nachteil des Auftraggebers verzögern. Die 30-Tagesfrist soll nach dem gesetzgeberischen Willen aber den Besteller schützen. Eine mögliche erhebliche Überschreitung der maximalen Gesamtzeit bis zur Anordnung durch den Auftraggeber von 30 Tagen auf 42 Tage entspricht nicht dem gesetzgeberischen Willen und ist nicht mehr hinnehmbar. Im Übrigen stellt eine Frist von 30 Tagen für den Auftraggeber schon eine erhebliche Belastung dar. Daher ist bislang auch nicht ernsthaft diskutiert worden, ob diese Frist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen verlängert werden kann. Vielmehr war es Gegenstand von Diskussionen, ob man die Frist überhaupt abbedingen kann, so wie die VOB/B seit jeher ein sofortiges Anordnungsrecht vorsieht (Langen, in: Langen/Berger/Dauner-Lieb, Kommentar zum neuen Bauvertragsrecht, Köln 2018, § 650b Rn. 122). Jedenfalls liegt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht lediglich eine Konkretisierung der gesetzlichen Regelungen durch eine leichte Modifizierung der Einigungsfrist vor.
Zudem ist die Klausel auch nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB i. V. m. § 650b Absatz 2 BGB unwirksam, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Allgemeine Geschäftsbedingungen müssen sich am Leitbildcharakter von § 650b BGB messen lassen (Busche, aaO, § 650b Rn. 1). Der am 01.01.2018 neu eingefügte § 650b Absatz 2 Satz 1 BGB besagt, dass der Besteller die Änderung in Textform anordnen kann, wenn die Parteien binnen 30 Tagen nach Zugang des Änderungsbegehrens beim Unternehmer keine Einigung nach Absatz 1 erzielen. Ursprünglich war diese Fristbestimmung von 30 Tagen im Gesetzesentwurf nicht enthalten; sie geht auf eine Anregung des Bundesrates zurück (BR, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts, BT-Drs. 18/8486, 81, 86 f.). Kritik des Bundesrates war, dass ohne eine derartige Regelung das Baugeschehen durch die Verhandlungen über Gebühr verzögert werden könnte, so dass er eine zeitliche Begrenzung der Verhandlungsdauer als geboten ansah. Damit will der Gesetzgeber verhindern, dass der Unternehmer den Fristablauf und somit die Verhandlungs-dauer durch eine späte Erstellung des Angebots hinauszögern kann (BT-Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Beschlussempfehlung und Bericht zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts, BT-Drs. 18/11437, 42, 47; Busche, aaO, Rn. 15). Die Klausel sieht indes mit einer Verlängerung von 40 Prozent eine nicht unerhebliche Verlängerung dieser 30-Tages-Frist vor. Entgegen der gesetzgeberischen Vorstellung kann sich die Fertigstellung zum Nachteil des Auftraggebers erheblich stärker verzögern.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.10.2020 – 29 U 146/19

“Der Fertigstellungstermin verlängert sich automatisch um den Zeitraum der Angebots- und der Einigungsfrist gem. Ziffer 4.1 dieses Vertrages sowie um den Ausführungszeitraum für Leistungsänderungen. Der Fertigstellungstermin verlängert sich darüber hinaus automatisch um den Zeitraum, in dem der AG gem. Ziffer 3.6 dieses Vertrages Eigenleistungen erbringt und der AN insofern keine Leistungen erbringen kann.”

Diese Klausel ist wegen eines Verstoßes gegen § 308 Nr. 1 BGB unwirksam. Hinsichtlich § 308 Nr. 1 BGB räumt diese Regelung der Auftragnehmerin eine potentiell unangemessen lange Frist für die Erbringung ihrer Leistung ein. Die Klausel sieht eine Fristverlängerung automatisch und unabhängig davon vor, ob eine Verhandlung oder die geänderte Ausführung zu einer Verzögerung des Bauablaufs führt. Unwirksam sind zudem nach § 308 Nr. 1 BGB Klauseln, die Leistungsfristen festlegen, aber nicht hinreichend bestimmen. Dies ist der Fall, wenn der Leistungszeitpunkt vom Vertragspartner des Verwenders, dem Gläubiger der Leistung, nicht berechnet oder herbeigeführt werden kann (BGH, NJW 1989, 1602, 1603). Beginn und Länge der Frist dürfen sich also nicht aus den Umständen ergeben, die in die Sphäre des Verwenders fallen und deren Ermittlung und Nachprüfung dem Kunden schwerfällt (Wurmnest, aaO, § 308m Nr. 1 Rn. 22). Die Frist muss nach Beginn, Dauer und Ende berechenbar sein; dies gilt auch für etwaige Verlängerungstatbestände (Wurmnest, aaO, Rn. 9). Dies ist bei der hier vorliegenden automatischen Verlängerung nicht gegeben, weil sich die Frist um den Ausführungszeitraum für Leistungsänderungen verlängert, dieser Ausführungszeitraum aber nicht hinreichend präzise bestimmt werden kann. Im Rahmen eines Verbandsprozesses nach § 1 UKlaG ist bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten von der kundenfeindlichsten Auslegung auszugehen.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.10.2020 – 29 U 146/19

OVG SH zu der Frage, ob eine bestehende Wetterradarstation Genehmigungshindernis für Windkraftanlagen ist

OVG SH zu der Frage, ob eine bestehende Wetterradarstation Genehmigungshindernis für Windkraftanlagen ist

vorgestellt von Thomas Ax

Ob sich eine bestehende Wetterradarstation als Genehmigungshindernis für Windkraftanlagen erweist, hängt nach der Normstruktur des § 35 BauGB vom Ergebnis zweier Prüfungsschritte ab: Erstens muss die zur Genehmigung gestellte Windkraftanlage den öffentlichen Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB beeinträchtigen, indem sie die Funktionsfähigkeit einer Radaranlage stört; sie ist aber erst dann nicht genehmigungsfähig, wenn ihr zweitens dieser öffentliche Belang gemäß § 35 Abs. 1 BauGB dergestalt entgegensteht , dass er das Interesse an der Vorhabenverwirklichung überwiegt.

OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12.05.2025 – 5 LA 55/22

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt immissionsschutzrechtliche Genehmigungen für die Errichtung und den Betrieb von zwei Windenergieanlagen (Gesamthöhe jeweils 149,5 m).

Die Klägerin stellte am 2. Mai 2013 einen Antrag auf die Errichtung und den Betrieb von zwei Windenergieanlagen mit einer Gesamthöhe von 149,5 m in der Gemeinde ……

Die Standorte der geplanten Windenergieanlagen befinden sich in einem Abstand von 7,5 bis 8,6 km südwestlich zur Wetterradarstation …. (in dem Windvorranggebiet PR3_SEG_024). In Richtung …. befindet sich in einer Distanz von 8 bis 10 km der Bestandswindpark ….., bestehend aus 16 Windenergieanlagen. Die geplanten Windenergieanlagen grenzen nördlich an diesen Bestandswindpark an.

Die Beigeladene gab im Rahmen der Behördenbeteiligung ablehnende Stellungnahmen ab. Es sei erforderlich, dass die von ihr betriebenen Wetterradaranlagen nicht durch in der Nähe errichtete Windenergieanlagen in ihrer Funktion beeinträchtigt würden. Die geplanten Windenergieanlagen würden mit mindestens 40 m in den Radarstrahl hineinragen und die Radarmessung insbesondere in den untersten Elevationen signifikant stören.

Den Anträgen könne nur zugestimmt werden, wenn die geplanten Anlagen eine Gesamthöhe von 130 m nicht überschreiten würden.

Mit Bescheiden vom 29. September 2014 wurden die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsanträge abgelehnt. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein.

Die Klägerin hat am 5. März 2015 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2015 zurückgewiesen.

Das Verwaltungsgericht hat zu den Auswirkungen der streitgegenständlichen Windenergieanlagen auf die Wetterradarstation ….. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens (Sachverständiger: ……) vom 1. November 2020 Beweis erhoben (Gerichtsakte VG-Band, Bl. 1165).

Im November 2021 erstellte die ….. GmbH für das Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (MELUND) und den Beklagten ein “Behördengutachten Windkraftanlagen im Einwirkbereich des Wetterradars ….”. Mit Einführungserlass vom 29. November 2021 (Az.: V 64 / V625 – 41223/2021) legte das MELUND fest, dass die im Gutachten hergeleiteten Bewertungsmaßstäbe als Grundlage für die Abwägung zur Genehmigungsfähigkeit von Windkraftanlagen heranzuziehen sind. Zum “Behördengutachten” nahm der Sachverständige Dr. Handwerker unter dem 10. April 2022 ergänzend Stellung (E-Akte VG-Band, S. 28).

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 24. Mai 2022 den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 29. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2015 verpflichtet, über die Anträge der Klägerin auf Errichtung und Betrieb von zwei Windenergieanlagen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Nach der Kostenentscheidung trägt die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu 50 %; der Beklagte und der Beigeladene tragen die übrigen 50 % je zur Hälfte. Von den außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt die Klägerin 50 %. Im Übrigen trägt der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, den Vorhaben der Klägerin stehe der öffentliche Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB nicht entgegen.

Die Errichtung und der Betrieb der zwei Windkraftanlagen wirke sich auch unter Berücksichtigung des Bestandswindparks und der im Verfahren 6 A 44/15 genehmigten Windenergieanlagen nicht nachteilig auf die Funktionsfähigkeit der Wetterradarstation ….. aus.

Das Urteil wurde der Klägerin am 30. Juni 2022, dem Beklagten am 7. Juli 2022 und der Beigeladenen am 1. Juli 2022 zugestellt.

Der Beklagte hat am 21. Juli 2022 die Zulassung der Berufung beantragt. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2024 hat der Beklagte den Zulassungsantrag zurückgenommen.

Die Beigeladene hat am 27. Juli 2022 die Zulassung der Berufung beantragt. Am 29. August 2022 hat sie den Zulassungsantrag begründet.

Die Klägerin hat am 1. August 2022 (einem Montag) die Zulassung der Berufung beantragt, beschränkt auf die Kostenentscheidung, soweit tenoriert worden ist, dass sie die Kosten des Verfahrens zu 50 % trägt und der Beklagte und die Beigeladene die übrigen 50 % je zur Hälfte tragen, und sie – die Klägerin – von den außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen 50 % zu tragen hat. Unter dem 29. August 2022 hat die Klägerin die Zulassungsbegründung vorgelegt.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung der Klägerin ist unzulässig (1.). Soweit der Beklagte seinen Zulassungsantrag zurückgenommen hat, ist das Verfahren auf Zulassung der Berufung einzustellen (2.). Der Antrag auf Zulassung der Berufung der Beigeladenen ist unbegründet (3.).

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung der Klägerin ist unzulässig.

Nach § 158 Abs. 1 VwGO ist die Anfechtung der Entscheidung über die Kosten unzulässig, wenn nicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird. So liegt es hier. Die Klägerin hat ihren Zulassungsantrag auf die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils beschränkt.

Die Auffassung der Klägerin, sie könne vorliegend durch ein Anschlussrechtsmittel die Kostenentscheidung allein angreifen, ist unzutreffend.

Die Beschränkung des § 158 Abs. 1 VwGO gilt nur für selbständige Rechtsmittel, die allein gegen die Kostenentscheidung gerichtet sind. Die isolierte Anfechtung der Kostenentscheidung ist als Anschlussrechtsmittel ausnahmsweise zulässig, wenn das Gericht wegen eines durch einen Verfahrensbeteiligten eingelegten Rechtsmittels ohnehin mit der Hauptsache befasst ist (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 11. Juli 2017 – 2 Bs 114/17 -; OVG Bautzen, Beschluss vom 3. März 2010 – 1 E 3/10 -; VGH Mannheim, Urteil vom 7. März 1996 – 2 S 2537/95 -; Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, § 158 Rn. 3).

Eine Anschlussberufung der Klägerin gemäß § 127 VwGO liegt indes nicht vor; eine solche wäre auch erst nach einer zugelassenen Berufung zulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1996 – 9 C 64.95 -; Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, § 127 Rn. 9).

2. Soweit der Beklagte seinen Zulassungsantrag zurückgenommen hat, ist das Verfahren auf Zulassung der Berufung in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

3. Der Antrag auf Zulassung der Berufung der Beigeladenen ist unbegründet.

Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor oder sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).

a) Der Rüge der Beigeladenen, das Urteil leide an erheblichen formalen Mängeln, weil das Verwaltungsgericht auf den von der Klägerin gestellten Hilfsantrag nur ein Bescheidungsurteil gefällt habe, ohne den gestellten Hauptantrag zu tenorieren, greift nicht durch. Aus der Rüge ergibt sich keine (materielle) Beschwer der Beigeladenen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, Vorb § 124 Rn. 46).

b) Die Berufung ist nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

Für das Vorliegen ernstlicher Zweifel ist erforderlich, dass ein Erfolg des Rechtsmittels, dessen Zulassung begehrt wird, mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie dessen Misserfolg. Dabei müssen die Zweifel das Ergebnis der Entscheidung betreffen (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 2022 – 5 LA 308/20 -).

Für die Darlegung ernstlicher Zweifel ist erforderlich, dass sich der Antragsteller mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt und im Einzelnen substantiiert ausführt, welche Erwägungen er für unzutreffend hält und aus welchen Gesichtspunkten sich die Unrichtigkeit dieser Erwägungen ergibt. Der Antragsteller muss ferner darlegen, dass und aus welchen Gründen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf diesen – aus seiner Sicht fehlerhaften – Erwägungen beruht, d.h. die dargestellten Zweifel müssen im konkreten Fall entscheidungserheblich sein. Aus ihnen muss sich die Unrichtigkeit der Entscheidung im (allein relevanten) Ergebnis ergeben; betrifft der Zweifel nur die Begründung oder nur einen von mehreren, die Entscheidung tragenden Gründen, kann eine Zulassung nicht erfolgen (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 2022 – 5 LA 308/20 -).

Mit dem Vortrag (Gliederungspunkt A. der Zulassungsbegründung vom 29. August 2022), das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Windenergieanlagen die Funktionsfähigkeit der Wetterradarstation Boostedt nicht gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB störten, weil es einerseits die fehlende Fachkenntnis des Sachverständigen Dr. Handwerker verkenne (Gliederungspunkt A.I. der Zulassungsbegründung vom 29. August 2022) und andererseits die Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB fehlerhaft subsumiere (Gliederungspunkt A.II. der Zulassungsbegründung vom 29. August 2022), legt die Beigeladene keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils dar.

Ob sich eine bestehende Wetterradarstation als Genehmigungshindernis für Windkraftanlagen erweist, hängt nach der Normstruktur des § 35 BauGB vom Ergebnis zweier Prüfungsschritte ab: Erstens muss die zur Genehmigung gestellte Windkraftanlage den öffentlichen Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB beeinträchtigen, indem sie die Funktionsfähigkeit einer Radaranlage stört. Sie ist aber erst dann nicht genehmigungsfähig, wenn ihr zweitens dieser öffentliche Belang gemäß § 35 Abs. 1 BauGB dergestalt “”entgegensteht”, dass er das Interesse an der Vorhabenverwirklichung überwiegt (“nachvollziehende Abwägung””, vgl. BVerwG, Urteil vom 22. September 2016 – 4 C 2.16 -; Kümper, BauR 2017, 966, 969 f. und 971; Rieger, in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 35 Rn. 160). Mit der “nachvollziehenden Abwägung” ist ein gerichtlich uneingeschränkt überprüfbarer Vorgang der Rechtsanwendung gemeint, der eine auf den Einzelfall ausgerichtete Gewichtsbestimmung verlangt: Ob sich die öffentlichen Belange im Einzelfall durchsetzen, ist eine Frage ihres jeweiligen Gewichts und der Abwägung mit dem Vorhaben, zu dem es konkret in Beziehung zu setzen ist. Dabei ist dem gesteigerten Durchsetzungsvermögen privilegierter Außenbereichsvorhaben gebührend Rechnung zu tragen (BVerwG, a.a.O.).

Das Verwaltungsgericht (Urteil, S. 15 zweiter Absatz) ist – im ersten Prüfungsschritt – zu der Annahme gelangt, dass eine Störung der Funktionsfähigkeit der Wetterradaranlage durch den künftigen Betrieb der zur Genehmigung gestellten Windenergieanlagen sowohl hinsichtlich durch sie bewirkter Störechos als auch in Bezug auf Abschattungseffekte und Mehrfachreflektionen vorliegt und sich diese darüber hinaus auch auf die vom Deutschen Wetterdienst erstellten Warnprodukte auswirken. Die “nachvollziehende Abwägung” führe aber – im zweiten Prüfungsschritt – zu dem Ergebnis, dass sich das Privatinteresse der Klägerin an der Verwirklichung der streitgegenständlichen Windenergieanlagen gegenüber dem beeinträchtigten öffentlichen Belang “Funktionsfähigkeit von Radaranlagen” mangels hinreichender Gewichtigkeit der konkret zu erwartenden Beeinträchtigungen durchsetze (Urteil, S. 15 bis 17).

Mit der “nachvollziehenden” Abwägung des Verwaltungsgerichts setzt sich die Beigeladene nicht auseinander (zweiter Prüfungsschritt). Die Ausführungen in der Zulassungsbegründung beschränken sich auf die Frage, ob die zur Genehmigung gestellten Windkraftanlagen den öffentlichen Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB beeinträchtigen, indem sie die Funktionsfähigkeit einer Radaranlage stören (erster Prüfungsschritt). Hierbei verkennt die Beigeladene (Zulassungsbegründung vom 29. August 2022, S. 3: “Das Verwaltungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Windenergieanlagen – insbesondere im Hinblick auf die in nächster Umgebung bereits vorhandenen und neu genehmigten Windenergieanlagen – die Funktionsfähigkeit der von der Beigeladenen betriebenen Wetterradaranlage in …. nicht gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB stören würden.”; S. 13: “Das Verwaltungsgericht überspannt folglich auch an dieser Stelle den gesetzlichen Tatbestand des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB und kommt [auch] aufgrund dessen zu einer Ablehnung einer Störung der Funktionsweise des Wetterradars ….. durch die beiden streitgegenständlichen Windenergieanlagen.”), dass das Verwaltungsgericht zu der Annahme gelangt ist, dass eine Störung der Funktionsfähigkeit der Wetterradaranlage durch den künftigen Betrieb der zur Genehmigung gestellten Windenergieanlagen vorliegt, damit indes noch kein “Entgegenstehen” dieses öffentlichen Belangs im Sinne von § 35 Abs. 1 BauGB verbunden ist (Urteil, S. 15).

c) Der Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor.

Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO weist eine Rechtssache auf, wenn sie voraussichtlich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, d.h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht. Die Darlegung des Zulassungsgrundes erfordert grundsätzlich, dass in fallbezogener Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die geltend gemachten Schwierigkeiten als solche benannt werden und darüber hinaus aufgezeigt wird, dass und aus welchen Gründen sie sich qualitativ von denjenigen eines Verwaltungsrechtsstreits “durchschnittlicher” Schwierigkeit abheben (Senat, Beschluss vom 5. Dezember 2023 – 5 LA 70/22 -).

aa) Mit dem Vortrag, in keinem anderen – ihr bekannten – Rechtsstreit über die hier maßgebliche Rechtsfrage der Störung der Funktionsfähigkeit von Wetterradaranlagen gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB sei eine Berufung nicht zugelassen worden, benennt die Beigeladene nicht in fallbezogener Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts überdurchschnittliche tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten.

bb) Die Beigeladene bringt vor, der Umstand, dass das Verwaltungsgericht die Berufung nicht zugelassen habe, verdeutliche, dass dem Verwaltungsgericht die besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten, die in jedem Fall der Störung von Wetterradaren durch Windenergieanlagen zu klären seien, überhaupt nicht bewusst gewesen sei. Dieses Vorbringen verkennt, dass das Verwaltungsgericht gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO die Berufung nur wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) zulassen kann.

cc) Die Beigeladene trägt vor, in allen genannten oberverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen (VGH München, OVG Koblenz, OVG Münster) sei auch der Sachverständige Dr. Handwerker als einziger gerichtlicher Sachverständiger gehört worden. Insoweit könnten die bereits ergangenen Urteile nicht als Beleg dafür herangezogen werden, dass die tatsächlichen, d.h. fachlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Störung der Funktionsfähigkeit von Wetterradaranlagen durch Windenergieanlagen zwischenzeitlich hinreichend gerichtlich geklärt seien. Das Gegenteil sei der Fall. Die fachlichen Diskussionen gingen nach den ergangenen Urteilen unvermindert weiter. Dies sei in diesem Verfahren nicht zuletzt durch den einbezogenen Gutachter …. und dessen “MELUND-Gutachten”, mit dem erstmals auch ein auf Seiten der Genehmigungsbehörde eingeholtes Gutachten vorgelegen habe, das zudem – entgegen dem gerichtlich beauftragten Gutachten ….- eine Störung der Funktionsfähigkeit des Wetterradars…. durch die streitgegenständlichen Windenergieanlagen bejaht habe, eindrucksvoll bestätigt worden.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beigeladene keine konkreten überdurchschnittlichen Schwierigkeiten auf.

Besondere tatsächliche Schwierigkeiten können nicht bereits aus dem Umstand abgeleitet werden, dass das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten (Sachverständiger: ……) vom 1. November 2020 und das “Behördengutachten Windkraftanlagen im Einwirkbereich des Wetterradars ….” aus November 2021 möglicherweise zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind. Denn es ist Aufgabe des Gerichts, einander widersprechenden Wertungen im Rahmen der Sachverhalts- und Beweiswürdigung zu prüfen und rechtlich angemessen zu bewerten (vgl. VGH München, Beschluss vom 2. Dezember 2022 – 3 ZB 22.1075 -).

d) Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechts-sache, wenn sie eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht geklärte Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich noch nicht beantwortete Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die für die Entscheidung der Vorinstanz von Relevanz war und sich auch im Berufungsverfahren entscheidungserheblich stellte, einer abstrakten Klärung zugänglich ist, im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden berufungsgerichtlichen Klärung bedarf und im Falle einer Rechtsfrage nicht bereits anhand des Gesetzeswortlauts und der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung sowie auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 14. Januar 2025 – 3 LA 12/21 -).

Die Beigeladene hält für grundsätzlich bedeutsam,

inwieweit es ein Verwaltungsgericht zu gewichten hat, wenn zur Beurteilung des Sachverhalts nicht nur ein gerichtlich beauftragtes Sachverständigengutachten zugrunde liegt, sondern – wie im vorliegenden Fall mit dem MELUND-Gutachten – daneben auch ein behördlich eingeholtes Sachverständigengutachten zur Verfügung steht,

inwieweit das Verwaltungsgericht diese Beweise zu würdigen hat, wenn es konkret um die Anwendung und Subsumtion des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB geht.

Die aufgeworfenen Fragen, die in Bezug auf fallabhängige Einzelheiten einer abstrakten Klärung nicht zugänglich wären, lassen sich in ihrer generellen Bedeutung ohne weiteres anhand von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO beantworten. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es gehört zu den dem Tatsachengericht durch § 108 Abs. 1 VwGO übertragenen Aufgaben, sich im Wege der freien Beweiswürdigung unter Abwägung verschiedener Möglichkeiten seine Überzeugung über den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2003 – 8 B 154.03 -; Dawin, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 46. EL August 2024, VwGO § 108 Rn. 19). Dabei ist das Gericht im Grundsatz nicht an bestimmte Beweisregeln gebunden (vgl. VGH München, Beschluss vom 2. Februar 2018 – 8 ZB 17.1271 -).

e) Die Berufung ist nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.

Nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ist die Berufung zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Ein Verfahrensmangel setzt voraus, dass durch unrichtige Anwendung oder Nichtanwendung einer prozessualen Vorschrift das Gerichtsverfahren fehlerhaft geworden ist. Geltend gemacht wird der Verfahrensverstoß durch genaue Bezeichnung der Tatsachen, aus denen er sich ergibt. Der Verfahrensmangel muss rechtserheblich sein, d.h. die angefochtene Entscheidung muss auf dem Verfahrensmangel beruhen können. Das ist der Fall, wenn mindestens die Möglichkeit besteht, dass das Gericht ohne den Verfahrensverstoß zu einem für den Rechtsmittelführer sachlich günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (Senat, Beschluss vom 9. September 2021 – 5 LA 1/21 -; zu § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO: BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 – 9 B 710.94 -).

Ein Verfahrensfehler in Gestalt der Verletzung der Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 liegt nur vor, wenn bereits im erstinstanzlichen Verfahren auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden. Eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht kann grundsätzlich nicht geltend gemacht werden, wenn ein anwaltlich vertretener Beteiligter von einem Beweisantrag abgesehen hat; etwas anderes gilt nur, wenn sich eine Beweisaufnahme offensichtlich aufdrängen musste (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 1988 – 7 B 28.88 -; Senat, Beschluss vom 9. September 2021 – 5 LA 1/21 -, Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 191).

Gemessen daran legt die Beigeladene einen Verfahrensfehler nicht dar.

aa) Die Beigeladene rügt, trotz der erheblichen fachlichen Bedenken gegen die Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen, ……, und trotz der eklatanten Abweichungen seiner Beurteilungen gegenüber dem “MELUND-Gutachten” habe das Verwaltungsgericht das Urteil allein auf die Beurteilung des Herrn…. gestützt.

Die Rüge greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Urteil (S. 15) das “Behördengutachten Windkraftanlagen im Einwirkbereich des Wetterradars …..” (MELUND-Gutachten) aus November 2021 berücksichtigt. Es ist jedoch im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 VwGO zu der Annahme gelangt, dass sich aus den Ergebnissen des MELUND-Gutachtens keine andere Beurteilung ergebe, da dieses Gutachten eine einhergehende Auseinandersetzung mit den Warnprodukten des Deutschen Wetterdienstes, wie z.B. die Hagel- oder Mesozyklonenerkennung, vermissen lasse. Es sei nicht erkennbar, inwieweit windenergieanlagenbedingte Störungen in den Basisdaten sich in der operativen Warntätigkeit des Deutschen Wetterdienstes fortsetzten. Das Gutachten gehe hauptsächlich der Frage nach, ob windenergieanlagenbedingte Störungen der Basisdaten vorlägen. Hieran bestünden jedoch keine Zweifel und werde von keinem der Beteiligten grundlegend in Frage gestellt. Hinzu komme, dass das Gutachten sich nur auf bodennahe Messungen konzentriere und eine Untersuchung der höheren Elevationen ab 2,5 Grad gänzlich unberücksichtigt lasse.

Die anwaltlich vertretene Beigeladene hat in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2022 ausweislich des Sitzungsprotokolls (E-Akte VG-Band, S. 196) auch nicht durch einen Beweisantrag nach § 86 Abs. 2 VwGO auf eine weitere Sachaufklärung hingewirkt.

Ungeachtet dessen legt die Beigeladene auch einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO nicht dar. Ein die Annahme eines Verfahrensfehlers begründender Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann ausnahmsweise dann anzunehmen sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. September 2016 – 5 B 3.16 D -). Solche Umstände zeigt die Beigeladene nicht auf. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (vgl. VGH München, Beschluss vom 2. Februar 2018 – 8 ZB 17.1271 -).

bb) Die Beigeladene bringt vor, das MELUND-Gutachten liefere als objektives Behördengutachten bereits eine hinreichende und zutreffende Grundlage zur Entscheidung des Rechtsstreits. Das Verwaltungsgericht hätte auf der Grundlage der hierin gewonnenen Erkenntnisse die Klage abweisen müssen.

Mit diesem Vorbringen wendet sich die Beigeladene gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, ohne indes einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 VwGO darzulegen. Im Übrigen kann das Tatsachengericht im Rahmen seines Ermessens nach § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO zwar davon absehen, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, wenn bereits Gutachten zu einer entscheidungserheblichen Tatsache vorliegen, wobei sich das Tatsachengericht ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht auf Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen stützen kann, die eine Behörde im Verwaltungsverfahren eingeholt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 2020 – 7 BN 3.19 -). Es ist hierzu aber nicht verpflichtet.

cc) Die Beigeladene bringt vor, das Verwaltungsgericht hätte den Sachverhalt weiter aufklären müssen. Zur weiteren Aufklärung hätte das Gericht den gerichtlichen Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen und/oder eine weitere mündliche Anhörung vornehmen müssen. Das Verwaltungsgericht habe sich darauf beschränkt, den gerichtlichen Sachverständigen zum Termin zur mündlichen Verhandlung zu laden und dort mit wenigen durch das Gericht vorformulierten Fragen zu konfrontieren.

Die Rüge greift nicht durch. Der gerichtliche Sachverständige (…..) hat unter dem 10. April 2022 eine schriftliche Stellungnahme zum “Behördengutachten Windkraftanlagen im Einwirkbereich des Wetterradars ….” (MELUND-Gutachten) erstellt und diese dem Verwaltungsgericht am 14. April 2022 übersandt (E-Akte VG-Band, S. 27).

Zudem hat die anwaltlich vertretene Beigeladene in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2022 nicht durch einen Beweisantrag nach § 86 Abs. 2 VwGO auf eine weitere Sachaufklärung – etwa in Form eines weiteren Gutachtens nach § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO – hingewirkt.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO (für die Klägerin und die Beigeladene) und § 155 Abs. 2 VwGO (für den Beklagten) i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO (vgl. Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 154 Rn. 7; BVerwG, Beschluss vom 10. November 1980 – 1 B 802.80 -). Bei der Verteilung der Gerichtskosten ist zu berücksichtigen, dass sich der ursächliche Beitrag des von dem Beklagten gestellten Zulassungsantrags zur Entstehung der Gerichtsgebühren durch die Rücknahme verringert hat (vgl. Nr. 5121 KV-GKG). Der Senat sieht ferner davon ab, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3 VwGO anteilig der Klägerin aufzuerlegen, da sich die Beigeladene zu dem klägerischen Zulassungsantrag nicht eingelassen hat.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG. Auf den Zulassungsantrag der Klägerin entfallen 14.820,00 Euro, auf die Zulassungsanträge des Beklagten und der Beigeladenen jeweils 60.000,00 Euro (analog Nr. 19.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit). Die letztgenannten Werte sind nicht zu addieren, da das verfolgte Interesse der Sache nach identisch ist (vgl. Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs).

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

OLG Frankfurt zu der Frage dass und wann das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1 BGB auch für Architektenverträge gilt

OLG Frankfurt zu der Frage dass und wann das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1 BGB auch für Architektenverträge gilt

vorgestellt von Thomas Ax

Der Architektenvertrag ist zwar kein Verbraucherbauvertrag und die Vorschriften über den Widerruf dieses Vertragstyps sind auch nicht entsprechend anwendbar (vgl. § 650q Abs. 1 BGB; vgl. auch EuGH, Urteil vom 14.5.2020 – Rs. C-208/19 = ZfBR 2020, 749, beck-online; ferner Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 2020, Teil 11: Recht der Architekten und Ingenieure Rn. 140 m.w.N., beck-online; siehe jüngst etwa auch OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 30.1.2024 – 21 U 49/23 = NZBau 2024, 485, beck-online). Jedoch gelten die Vorschriften über das allgemeine Widerrufsrecht für Verbraucherverträge: Wurde ein Architekten- oder Ingenieurvertrag außerhalb von Geschäftsräumen des Architekten/Ingenieurs abgeschlossen, dann ist der Widerruf durch den Bauherrn bei Vorliegen der Voraussetzungen möglich (§§ 312g, 355 BGB). Denn das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1 BGB gilt auch für Architektenverträge (etwa OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 30.1.2024 – 21 U 49/23 = NZBau 2024, 485, beck-online; OLG Köln Hinweisbeschluss vom 23.3.2017 – 16 U 153/16 = NJOZ 2018, 943, beck-online; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, a.a.O., beck-online).

Eine Ausnahme vom entsprechenden Grundsatz ist anzunehmen, wenn der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist (§ 312c Abs. 1 BGB).
Das Erfordernis eines solchermaßen zu verstehenden Fernabsatzsystems hat in erster Linie den Zweck, Geschäfte, die nur zufällig unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts auszuklammern (BT-Drs. 14/2658, 30, dazu BeckOGK/Busch, Std. 1.7.2023, BGB § 312c Rn. 26, beck-online). Solches trifft auch auf Unternehmer zu, die Angebote regelmäßig erst nach einem vorhergehenden Ortstermin abgeben; hier fehlt es häufig an einem auf den Fernabsatz ausgerichteten Geschäftsbetrieb (BeckOGK/Busch, 1.7.2023, BGB § 312c Rn. 26, beck-online; OLG Schleswig Urteil vom 15.10.2021 – 1 U 122/20 = NJW-RR 2022, 341, beck-online; vgl. auch BGH, Urteil vom 19.11.2020 – IX ZR 133/19 = NJW 2021, 304, beck-online).
Etwa das Oberlandesgericht Schleswig (a.a.O.) führt beitrittswürdig aus:
“Ist der Vertrag ausschließlich über Fernkommunikationsmittel geschlossen worden, so wird zulasten des Unternehmers widerleglich vermutet, dass sein Vertriebs- und Dienstleistungssystem auf den Fernabsatz ausgerichtet ist. Die Darlegungs- und Beweislast, dass ein ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln zustande gekommener Vertrag nicht im Rahmen eines hierauf gerichteten Vertriebs- und Dienstleistungssystems abgeschlossen worden ist, liegt mithin bei ihm (BT-Drs. 17/12637, 50; BT-Drs. 14/2658, 31; BGH NJW 2021, 304 (305) Rn. 12). Der Sachverhalt ist hier jedoch unstreitig. Auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts steht fest, dass der Bekl. seinen Betrieb nicht in solcher Weise organisiert hat.
Der Bekl. hält eine Webseite vor, in der er über sein Leistungsangebot informiert und über die er durch ein eingebundenes Nachrichtentool kontaktiert werden kann. Ein unmittelbares Leistungsangebot findet sich dort nicht. Er hat zwar keine Geschäftsräume, in denen er aufgesucht werden könnte. Dies liegt seinem Vortrag zufolge aber nicht daran, dass er sich für den Kundenkontakt auf Fernkommunikation eingestellt hat, sondern daran, dass er seine Kunden ohnehin immer aufsuchen muss. Dieser Vortrag ist unstreitig und nachvollziehbar. Das Angebot zu garten- und landschaftsgestalterischen Arbeiten setzt zwangsläufig voraus, dass sich der Dienstleister zuvor ein Bild vor Ort gemacht hat. Wie es sodann zum Vertragsschluss kommt, ist offen. Er kann mündlich erfolgen, ausschließlich über Fernkommunikationsmittel oder durch Unterbreitung eines vor Ort noch einmal besprochenen Angebots. Der Geschäftsbetrieb des Bekl. ist jedenfalls gerade nicht darauf ausgelegt, Verträge über die angebotenen Dienstleistungen ausschließlich im Wege der Fernkommunikation zu schließen. Der Bekl. hat seinen Vertrieb vielmehr so organisiert, dass stets im Laufe der Vertragsanbahnung oder des Vertragsschlusses persönlicher Kontakt vorgesehen ist.”
Entsprechend vergleichbar liegen die Dinge, wenn der Vertragsschluss unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln ersichtlich der Zufälligkeit einer Ortsabwesenheit der Klägerin geschuldet war.
OLG Frankfurt, Urteil vom 17.02.2025 – 29 U 42/24

Gründe

I.

Die Parteien streiten in der Berufung weiter um die Rückzahlung geleisteter Architektenvergütung aufgrund eines verbraucherschützenden Widerrufs.

Im Jahr 2022 waren die Klägerin und ihr Partner auf der Suche nach einer baulichen Begleitung für die Renovierung und Sanierung des von ihnen erworbenen Anwesens ###. Zu diesem Zweck traten sie an den Beklagten, einen Architekten, heran, der ihnen nach ausführlichem E-Mailverkehr und per Fernkommunikation mittels des Onlineportals “Zoom” geführten Gesprächen (April bis August 2022) sodann am 17.8.2022 ein Angebot über die Erstellung von Bestandsplänen und eines ersten Entwurfs zum Preis von 4.460 Euro netto unterbreitete. Dieses Angebot nahm die Klägerin an. Dabei erfolgten sowohl die gesamte vorvertragliche Kommunikation als auch der Vertragsschluss selbst ausschließlich per E-Mail, Telefon und Videokonferenz, weil die Klägerin im fraglichen Zeitraum in ### weilte; im Juni 2022 hatte die Klägerin eine Honorarvereinbarung angefragt. Nichtsdestotrotz wurde dem Beklagten bereits vor Vertragsschluss Zugang zur Immobilie der Klägerin gewährt, indem vor Ort ein Schlüssel deponiert wurde, sodass der Beklagte im Juli / August 2022 das Objekt in Augenschein nehmen konnte. Diesen Ortsterminen wohnte die ortsabwesende Klägerin allerdings nicht bei. Der Beklagte beharrte nicht auf einer gemeinsamen Inaugenscheinnahme vor Vertragsschluss. Der erste gemeinsame Ortstermin bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit beider Parteien erfolgte vielmehr erst nach Vertragsschluss am 5.9.2022, in dessen Rahmen die Bestandspläne und zwei Entwurfsvarianten von den Parteien besprochen wurden. Nachdem die Pläne der Klägerin auch per E-Mail übermittelt worden waren, beglich sie den in Rechnung gestellten Bruttobetrag von 5.307,40 Euro. In der Folge arbeiteten die Parteien weiter rege am gemeinsamen Projekt, wobei der Beklagte mehrfach konkrete Vorstellungen der Klägerin hinsichtlich des geplanten Umbaus wie auch zahlreiche Änderungswünsche einarbeitete, ohne dass für diese Leistungen nochmals eine separate Vergütungsvereinbarung getroffen wurde. Auch kontaktierte der Beklagte weitere Handwerker, den Statiker und den Energieberater für weitere Besprechungen, ohne hierfür eine Rechnung zu stellen, die Klägerin bestätigte die Leistungen des Beklagten zunächst und stellte anhand von Plänen / Zeichnungen weitere Rückfragen an den Beklagten (siehe etwa E-Mail-Verkehr zwischen 5.9.2022 und 12.10.2022 – Bl. 128 ff. d. A.). Als der Beklagte die weitere Zusammenarbeit für die kommenden Leistungen (bzw. Leistungsphasen) am Projekt vom Abschluss einer Honorarvereinbarung nach der HOAI abhängig machte, rügte die Klägerin eine Fehlerhaftigkeit der ursprünglich erstellten Pläne. Schlussendlich widerrief sie mit E-Mail vom 28.10.2022 den Vertrag über die Erstellung der Bestandspläne und eines ersten Entwurfs und forderte den Beklagten zur Rückzahlung des geleisteten Betrags in Höhe von 5.307,40 Euro auf. Schriftliche oder mündliche Informationen zu einem Widerrufsrecht hinsichtlich des Vertrags waren der Klägerin seitens des Beklagten zu keinem Zeitpunkt vor Vertragsschluss im August 2022 erteilt worden.

Der Beklagte selbst betreute während seiner beruflichen Tätigkeit als Architekt in den letzten 22 Jahren ca. 250 Bauvorhaben und schloss im hiesigen Einzelfall erstmals einen entsprechenden Planungsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln ab. Vielmehr fanden stets vor der Angebotsabgabe bzw. dem finalen Vertragsabschluss Ortstermine zwischen dem Beklagten und den Auftraggebern (Bauherren) an der jeweiligen Baustelle statt (Bl. 239 Rückseite ff. der Akte).

Die Klägerin hat vor dem Landgericht insbesondere behauptet, sie habe den Rechnungsbetrag nicht überwiesen, um ihre Bestätigung des Vertrags oder des Arbeitsergebnisses des Beklagten auszudrücken, sondern um ihn zur Behebung von Fehlern in den Plänen zu motivieren. Zudem ist sie der Ansicht, dass die Einarbeitung ihrer konkreten Vorstellungen hinsichtlich des geplanten Umbaus wie auch der zahlreichen Änderungswünsche durch den ursprünglich abgeschlossenen Vertrag gedeckt gewesen sei.

Die Klägerin hat vor dem Landgericht beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie – die Klägerin – einen Betrag von 5.307,40 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.11.2022 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist einem Widerrufsrecht entgegengetreten und hat insbesondere behauptet, dass die ursprünglich übermittelten Pläne ordnungsgemäß erstellt worden seien. Bemaßte Pläne seien bei einer Aktualisierung von Bestandsplänen nebst bloßer Entwurfsplanung nicht geschuldet gewesen. Im Übrigen ginge die Einarbeitung der zahlreichen Änderungswünsche und konkreten Vorstellungen der Klägerin in Detailfragen weit über das Stadium einer bloßen Entwurfsplanung hinaus. Was die Klägerin verlangt habe, hätte den Charakter einer (nicht geschuldeten) Werkplanung; er habe weitaus mehr Leistungen erbracht als eigentlich geschuldet gewesen seien. Weiterhin ist er bereits vor dem Landgericht der Ansicht gewesen, dass die Berufung der Klägerin auf ihr Widerrufsrecht rechtsmissbräuchlich sei. Als Anwältin und damit von Berufs wegen mit dem Recht befasste Person sei sie schon gar nicht über das Bestehen eines Widerrufsrechts zu belehren gewesen. Damit sei die Widerrufsfrist bereits abgelaufen. Darüber hinaus verstoße die Vorgehensweise der Klägerin, die mit den gelieferten Arbeitsergebnissen zunächst – insoweit unstreitig – voll zufrieden gewesen sei und ihre Ansichten hinsichtlich der Qualität der Leistungen des Beklagten erst dann geändert habe, als dieser die weitere Zusammenarbeit auf eine verbindliche vertragliche Grundlage habe stellen wollen, gegen Treu und Glauben. Auf seine monatelangen, umfangreichen und teilweise überobligatorischen Anstrengungen entgegne die Klägerin mit einer formalen Rechtsposition in Form des Widerrufsrechts; dies sei grob rechtsmissbräuchlich gewesen.

Das Landgericht hat die Klage in vollem Umfang zuerkannt. Zur Begründung hat es zusammengefasst ausgeführt, dass der Klägerin das begehrte verbraucherschützende Widerrufsrecht infolge eines Fernabsatzvertrags zustehe, wobei Vortrag zu einer Ausnahme hiervon – insbesondere in Gestalt einer nicht auf den Fernabsatz ausgerichteten Vertriebsorganisation – seitens des Beklagten nicht gehalten worden sei. Auch eine Treuwidrigkeit der Ausübung des Widerrufsrechts sei vorliegend nicht anzunehmen. Zu den tatsächlichen Feststellungen, den gestellten Anträgen und der Begründung im Einzelnen wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen (§ 540 ZPO).

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung, zu deren Begründung er zusammengefasst ins Feld führt, dass vorliegend mit Blick auf die eigene Vertriebsorganisation eine Ausnahme von den Regeln des widerruflichen Fernabsatzvertrags gegeben sein müsse. Bis auf den hiesigen Fall habe er in seiner beruflichen Praxis die Verträge mit Kunden stets (erst) aufgrund persönlichen Kontakts und eines gemeinsamen Ortstermins geschlossen; der Ortsabwesenheit der Klägerin und damit bloßen Zufälligkeiten sei es vorliegend geschuldet gewesen, dass dies vorliegend anders gewesen sei. Im Übrigen habe das Landgericht zu Unrecht auch eine Treuwidrigkeit der Klägerin verneint – wie sich aufgrund von Recherchen mittlerweile herausgestellt habe, sei die Klägerin auch gegenüber anderen Beteiligten des Bauvorhabens auf ähnliche Weise verfahren und habe entsprechende Verträge (gleichsam im Wege planvollen Vorgehens) nach anfänglichen Leistungen widerrufen. Zu den Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 26.6.2024 (Bl. 238 ff. der Akte) wie auch die weiteren Schriftsätze (Bl. 276 ff., 293 ff. der Akte) verwiesen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2.4.2024 – Az. 2-31 O 78/23 – abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen, hilfsweise das Urteil einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens aufzuheben und die Sache an das Landgericht Frankfurt am Main zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die landgerichtliche Entscheidung, wobei zu den Einzelheiten insbesondere auf die Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 18.8.2024 (Bl. 261 ff. der Akte) nebst dem weiteren Schriftsatz vom 25.10.2024 verwiesen werden kann.

Zu den Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auch im Übrigen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

II.

Das Rechtsmittel ist unbedenklich zulässig. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig im Sinne der Zulässigkeit ausreichend begründet worden, §§ 511, 517, 519, 520 ZPO. Der Beklagte ist durch seine Verurteilung zureichend beschwert.

Die Berufung hat Erfolg.

Im Einzelnen:

(1) Die Regeln des verbraucherschützenden Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrags sind mit den Ausführungen des Landgerichts grundsätzlich einschlägig – von der Berufung wird dies letztlich auch nicht angegriffen.

Der Architektenvertrag ist zwar kein Verbraucherbauvertrag und die Vorschriften über den Widerruf dieses Vertragstyps sind auch nicht entsprechend anwendbar (vgl. § 650q Abs. 1 BGB; vgl. auch EuGH, Urteil vom 14.5.2020 – Rs. C-208/19 = ZfBR 2020, 749, beck-online; ferner Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 2020, Teil 11: Recht der Architekten und Ingenieure Rn. 140 m.w.N., beck-online; siehe jüngst etwa auch OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 30.1.2024 – 21 U 49/23 = NZBau 2024, 485, beck-online). Jedoch gelten die Vorschriften über das allgemeine Widerrufsrecht für Verbraucherverträge: Wurde ein Architekten- oder Ingenieurvertrag außerhalb von Geschäftsräumen des Architekten/Ingenieurs abgeschlossen, dann ist der Widerruf durch den Bauherrn bei Vorliegen der Voraussetzungen möglich (§§ 312g, 355 BGB). Denn das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1 BGB gilt auch für Architektenverträge (etwa OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 30.1.2024 – 21 U 49/23 = NZBau 2024, 485, beck-online; OLG Köln Hinweisbeschluss vom 23.3.2017 – 16 U 153/16 = NJOZ 2018, 943, beck-online; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, a.a.O., beck-online).

Zu Recht weist jedoch der Beklagte als Berufungsführer zuletzt in allen Einzelheiten (Bl. 239 Rückseite ff., 294 Rückseite ff. der Akte) darauf hin, dass im vorliegenden Einzelfall eine Ausnahme vom entsprechenden Grundsatz anzunehmen ist, weil der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist (§ 312c Abs. 1 BGB).

Das Erfordernis eines solchermaßen zu verstehenden Fernabsatzsystems hat in erster Linie den Zweck, Geschäfte, die nur zufällig unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts auszuklammern (BT-Drs. 14/2658, 30, dazu BeckOGK/Busch, Std. 1.7.2023, BGB § 312c Rn. 26, beck-online). Solches trifft auch auf Unternehmer zu, die Angebote regelmäßig erst nach einem vorhergehenden Ortstermin abgeben; hier fehlt es häufig an einem auf den Fernabsatz ausgerichteten Geschäftsbetrieb (BeckOGK/Busch, 1.7.2023, BGB § 312c Rn. 26, beck-online; OLG Schleswig Urteil vom 15.10.2021 – 1 U 122/20 = NJW-RR 2022, 341, beck-online; vgl. auch BGH, Urteil vom 19.11.2020 – IX ZR 133/19 = NJW 2021, 304, beck-online).

Etwa das Oberlandesgericht Schleswig (a.a.O.) führt beitrittswürdig aus:

“Ist der Vertrag ausschließlich über Fernkommunikationsmittel geschlossen worden, so wird zulasten des Unternehmers widerleglich vermutet, dass sein Vertriebs- und Dienstleistungssystem auf den Fernabsatz ausgerichtet ist. Die Darlegungs- und Beweislast, dass ein ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln zustande gekommener Vertrag nicht im Rahmen eines hierauf gerichteten Vertriebs- und Dienstleistungssystems abgeschlossen worden ist, liegt mithin bei ihm (BT-Drs. 17/12637, 50; BT-Drs. 14/2658, 31; BGH NJW 2021, 304 (305) Rn. 12). Der Sachverhalt ist hier jedoch unstreitig. Auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts steht fest, dass der Bekl. seinen Betrieb nicht in solcher Weise organisiert hat.

Der Bekl. hält eine Webseite vor, in der er über sein Leistungsangebot informiert und über die er durch ein eingebundenes Nachrichtentool kontaktiert werden kann. Ein unmittelbares Leistungsangebot findet sich dort nicht. Er hat zwar keine Geschäftsräume, in denen er aufgesucht werden könnte. Dies liegt seinem Vortrag zufolge aber nicht daran, dass er sich für den Kundenkontakt auf Fernkommunikation eingestellt hat, sondern daran, dass er seine Kunden ohnehin immer aufsuchen muss. Dieser Vortrag ist unstreitig und nachvollziehbar. Das Angebot zu garten- und landschaftsgestalterischen Arbeiten setzt zwangsläufig voraus, dass sich der Dienstleister zuvor ein Bild vor Ort gemacht hat. Wie es sodann zum Vertragsschluss kommt, ist offen. Er kann mündlich erfolgen, ausschließlich über Fernkommunikationsmittel oder durch Unterbreitung eines vor Ort noch einmal besprochenen Angebots. Der Geschäftsbetrieb des Bekl. ist jedenfalls gerade nicht darauf ausgelegt, Verträge über die angebotenen Dienstleistungen ausschließlich im Wege der Fernkommunikation zu schließen. Der Bekl. hat seinen Vertrieb vielmehr so organisiert, dass stets im Laufe der Vertragsanbahnung oder des Vertragsschlusses persönlicher Kontakt vorgesehen ist.”

Entsprechend vergleichbar liegen die Dinge im vorliegenden Einzelfall, zumal ausweislich des vorgelegten außergerichtlichen Schriftverkehrs der Beklagte selbst offenbar ursprünglich auf einen gemeinsamen Ortstermin zur Angebotsbesprechung hingewirkt hatte (vgl. etwa Bl. 17, 24 der Akte; E-Mail des Beklagten vom 4.4.2022) und der Vertragsschluss unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln ersichtlich der Zufälligkeit einer Ortsabwesenheit der Klägerin geschuldet war – wenn nicht mit dem Beklagtenvortrag sogar einem treuwidrig-planvollen Verhalten, wozu der Senat sich allerdings abschließend nicht verhalten muss. So hat der Beklagte zuletzt vorgetragen, dass er selbst während seiner beruflichen Tätigkeit als Architekt in den letzten 22 Jahren ca. 250 Bauvorhaben betreut und im hiesigen Einzelfall erstmals einen entsprechenden Planungsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmittel geschlossen habe. Im Übrigen hätten stets vor der Angebotsabgabe bzw. dem finalen Vertragsabschluss Ortstermine zwischen dem Beklagten und den Auftraggebern (Bauherren) an der jeweiligen Baustelle stattgefunden (Bl. 239 Rückseite ff. der Akte). All dies ist mit Blick auf die typischen Gepflogenheiten des Berufsbildes ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar und im Übrigen von der Klägerseite so auch nicht (mehr) konkret bestritten worden.

Die hiergegen gerichteten Ausführungen der Klägerin erschöpfen sich vielmehr in einer Verspätungsrüge bzw. dem sinngemäßen Einwand der Unerheblichkeit. Solches bleibt unbehelflich. Insbesondere besteht – (selbst) ohne die Annahme eines verfahrensfehlerhaften Vorgehens des Landgerichts infolge unterbliebener Hinweise – keine Veranlassung, das in den maßgeblichen Gesichtspunkten unstreitige oder zumindest zwanglos festzustellende Vorbringen in zweiter Instanz nicht zuzulassen. Es dürfen an die Informationslasten der Partei im Rahmen des Verspätungsrechts keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 18.10.2005 – VI ZR 270/04 = BGHZ 164, 330-336 = NJW 2006, 152).

(2) Es kann sich die Klägerin hier im Ergebnis auch nicht auf ein einschlägiges gesetzliches Rücktrittsrecht bzw. die ins Feld geführten “Gewährleistungsrechte” berufen. Denn weder sind hierfür hinreichend konkretisierte Mängelrügen nebst angemessener Nachfristsetzung (näher) dargelegt oder etwa ein Rücktrittsbegehren auch nur konkret geäußert, noch erklärt die Klägerin den Umstand ihrer vorbehaltlosen Zahlung plausibel. Letzterer ist vielmehr hier im Sinne eines “Zeugnisses gegen sich selbst” zu werten, demgegenüber (über den eigentlich ins Feld geführten Widerruf hinausgehende) Rückforderungstatbestände so nicht hinreichend ersichtlich sind.

Denn der Rücktritt erfordert eine entsprechende Nachfristsetzung. Das in der vorgeschriebenen Nachfristsetzung liegende Leistungsverlangen muss dabei bestimmt sein und konkret die Unzulänglichkeit der Leistung bezeichnen (MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 281 Rn. 42). Die Nachfrist muss sodann fruchtlos abgelaufen sein, um die betreffenden Gewährleistungsrechte erst entstehen zu lassen (vgl. MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 281 Rn. 55). An die Erfüllung der vorgenannten Voraussetzungen sind strenge Anforderungen zu stellen (MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 281 Rn. 47 sowie § 323 Rn. 70).

Alldem hat die Klägerin nicht entsprochen.

Weder war die vorgeschriebene Nachfristsetzung jedoch unzumutbar (§ 323 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 BGB), noch wäre sie etwa infolge einer – hierfür gelten hohe Anforderungen – endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung entbehrlich gewesen. Für die Fertigstellung der Antragsunterlagen selbst waren in der vertraglichen Übereinkunft der Parteien weder Frist noch konkreter Zeitpunkt vereinbart; hierauf beruft sich die Klägerin auch nicht. Es mag dabei sein, dass sich ein besonderes Interesse an termingerechter Leistung nicht unbedingt aus den Vertragsregelungen ergeben muss, sondern im Einzelfall auch aus den vertragsbegleitenden Umständen abgeleitet werden kann (vgl. BeckOK BGB/Schmidt, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 323 Rn. 36 m.w.N.). An die Annahme eines Interessewegfalls sind allerdings sehr hohe Anforderungen stellen, um der naheliegenden Gefahr einer bequemen Umgehung der Regelvoraussetzungen für eine Vertragsliquidierung zu begegnen (BGH, Urteil vom 17.12.1996 – X ZR 74/95 = NJW-RR 1997, 622, beck-online; MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 323 Rn. 133 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, zumal es auch zu bedenken gilt, dass dem Nachfristerfordernis auch eine – hier nicht gewahrte – Warnfunktion zukommt. Zu alldem trägt die Klägerin nicht näher vor.

Auch im Übrigen bleiben die Einwendungen einer Mangelhaftigkeit der Planungsleistungen jedoch so lediglich pauschal und sind nicht greifbar, soweit die Klägerin etwa anführt, es hätten in den Bestandsplänen Stufen, Kellerfenster und Bemaßungen gefehlt (Bl. 262 Rückseite f. der Akte). Es trifft hier wie auch allgemein mit Blick auf die Mangelhaftigkeit der Leistung den Auftraggeber die volle Darlegungs- bzw. Erklärungslast. Erst sodann muss der Auftragnehmer u.U. Einzelheiten zu den von ihm getätigten Leistungshandlungen vortragen (Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020, Teil 11 Recht der Architekten und Ingenieure Rn. 387, beck-online; OLG Oldenburg, NJW-RR 2013, 463, beck-online). Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass er ausweislich der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung lediglich die Aktualisierung der vorhandenen Bestandspläne als Basis für die sodann erstellten ersten Umgestaltungsentwürfe als maßgeblichen Vertragszweck schuldete. Eine tiefergehende Planung war (zunächst) nicht vereinbart, insbesondere nicht in Gestalt einer Detail- und Ausführungsplanung (s. etwa zuletzt Bl. 299 Rückseite der Akte).

Dies spiegelt sich letztlich auch plausibel in dem Umstand wider, dass die Klägerin den streitgegenständlichen Betrag auf die (vertragsgemäße) Übersendung der Pläne infolge der Inrechnungstellung durch den Beklagten unverzüglich an diesen beglich, ohne sich etwa Mängelrechte vorzubehalten oder überhaupt nur Mängelrügen anzukündigen. Hiermit kann die Leistung des Beklagten zwanglos als abgenommen gelten. Bis heute sind Mängelrechte seitens der Klägerin nicht konkret erklärt (vgl. bereits den ausdrücklichen Beklagtenvortrag Bl. 299 Rückseite der Akte). Darüber hinaus stellt zwar die Bezahlung einer Rechnung nicht ohne weiteres ein rechtsgeschäftliches Anerkenntnis dar und auch ein Rückforderungsanspruch wird dadurch nicht per se ausgeschlossen. Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Erklärungen des Schuldners, mit denen dieser die Forderung des Gläubigers bestätigt, selbst dann Rechtswirkungen äußern können, wenn sie nicht rechtsgeschäftlich sind. Gibt der Schuldner seine Erfüllungsbereitschaft durch Erklärungen oder Verhalten zum Ausdruck, so kann solches zu einer Beweiserleichterung für den Gläubiger führen. Ein solches Verhalten enthält zwar keine materiell-rechtliche Regelung für das Schuldverhältnis, bewirkt aber als “Zeugnis des Anerkennenden gegen sich selbst” im Prozess in der Regel eine Umkehrung der Beweislast (vgl. etwa Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, a.a.O., Teil 4 Der Werklohnanspruch des Auftragnehmers, Rn. 80 m.w.N., beck-online). Soweit die Klägerin hier ihre vorbehaltlose Zahlung damit zu erklären sucht, sie habe den Beklagten hierdurch zur Weiterarbeit motivieren wollen (etwa Bl. 86 der Akte), ist dies nicht plausibel. Im Gegenteil spricht alles dafür, dass sie selbst in Ansehung der erstellten Pläne von der bis hierhin vertragsgerechten Leistungserbringung durch den Beklagten ausging.

Auch Minderungsrechte stehen der Klägerin nicht zur Seite.

Zwar kann der Honoraranspruch ganz oder teilweise dann entfallen, wenn der Tatbestand einer Regelung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts des BGB oder des werkvertraglichen Gewährleistungsrechts erfüllt ist, die den Verlust oder die Minderung der Honorarforderung als Rechtsfolge vorsieht (BGH, NJW 2004, 2588 = NZBau 2004, 509 = BauR 2004, 1640; BGH, NJW-RR 2005, 318 = NZBau 2005, 158 = BauR 2005, 400; BGH, NZBau 2005, 163 = BauR 2005, 588 = NJW-RR 2005, 672 Ls.). Weder ist vorliegend nach den vorstehenden Ausführungen jedoch von einer Mangelhaftigkeit auszugehen, noch hätte die Klägerin überhaupt eine Minderung erklärt oder dargelegt. Im Gegenteil weist schon der Gegner zurecht darauf hin, dass sich die Klägerin bis zuletzt gerade nicht hinsichtlich etwaiger von ihr ausgeübter Mängelgewährleistungsrechte erklärt hat (Bl. 299 Rückseite der Akte).

Und auch unter dem Gesichtspunkt einer etwa freien Kündigung – welche sie als rechtskundige Rechtsanwältin allerdings schon gar nicht geltend macht – stünden der Klägerin hier so keine Rückforderungsansprüche zu. Zwar kann eine Beendigungserklärung (Rücktritt oder Widerruf) im Einzelfall durch den Tatrichter auch als freie Kündigung im Sinne von § 648 BGB auszulegen bzw. umzudeuten sein. So ist anerkannt, dass die Verkehrsauffassung etwa dem Ausdruck “Rücktritt” nicht die gesetzestechnische Bedeutung beimisst, sondern hieraus zunächst einmal lediglich schließt, dass der Gläubiger auf die geschuldete Leistung keinen Wert mehr legt; dies gilt auch dann, wenn ein Rechtsanwalt das Schreiben verfasst hat (so BGH, Urteil vom 10.2.1982 – VIII ZR 27/81 = NJW 1982, 1279, beck-online m.w.N.; BGH, Urteil vom 14.12.1966 – VIII ZR 231/64 – beck-online; RGZ 126, 65, 69; zum Bauvertrag s. Etwa BGH, Versäumnisurteil vom 24.7.2003 – VII ZR 218/02 = NJW 2003, 3474, beck-online; BeckOGK/Kessen, 1.10.2023, BGB § 648 Rn. 27 m.w.N.; a.A. offenbar OLG Celle, Urteil vom 3.11.2021 – 14 U 73/21 = BeckRS 2021, 33640, beck-online). Zum einen spricht vorliegend jedoch eingedenk der Zahlung der Klägerin an den Beklagten auf die Aushändigung der streitgegenständlichen Werkplanung hin nach den vorstehend beschriebenen Grundsätzen alles für eine die freie Kündigung ausschließende Vollendung des Werks (§ 648 S. 1 BGB) – nichts Anderes ist hier tragfähig aufgezeigt. Und zum anderen ist auch nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass die stattgehabten Leistungen des Beklagten mit dem streitgegenständlichen Betrag etwa unangemessen abgebildet wären. Jedenfalls ergäbe sich wertungsgemäß im hiesigen Einzelfall – zumindest im Sinne der letztlich einvernehmlichen Vertragsbeendigung (dazu Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, I. Teil. N. Unwirksamkeit und vorzeitige Beendigung von Bau- und Planerverträgen, 4. Auflage 2022, Rn. 59, beck-online) – ein Abrechnungsverhältnis (zu den Fallgruppen instruktiv Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Teil 4: Der Werklohnanspruch des Auftragnehmers, 5. Aufl. 2020, Rn. 489 ff. m.w.N., beck-online). Der Senat verkennt insoweit nicht, dass grundsätzlich nach freier Kündigung durch den Auftragnehmer differenziert schlusszurechnen ist (BeckOK BauVertrR/Kiedrowski, 23. Ed. 1.11.2023, BGB § 648 Rn. 72). Insbesondere jedoch, wenn nach Sachlage davon auszugehen ist, dass der Auftraggeber die (pauschal) abgerechneten Kosten zu tragen hat, muss dem Auftragnehmer nicht notwendigerweise abverlangt werden, eine detaillierte(re) Darstellung der Vertragspreise vorzunehmen (Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, a.a.O., Rn. 65 ff. m.w.N., beck-online). Denn das Gericht darf seine Feststellungen hier nach freier Überzeugung treffen; § 287 Abs. 1 ZPO (BGH NZBau 2005, 335; KG NZBau 2018, 533; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher Kompendium BauR/Kniffka, a.a.O., Rn. 67 m.w.N.; BeckOK BauVertrR/Kiedrowski, 23. Ed. 1.11.2023, BGB § 648 Rn. 72). Selbst bei Annahme einer – so allerdings schon nicht geltend gemachten und auch nicht gangbaren – freien Kündigung bliebe hier auf den unwidersprochen gebliebenen Beklagtenvortrag (Bl. 299, 180, 109, 75, 19 der Akte) hinzuweisen, dass im Falle einer Abrechnung der Entwurfsplanung nach der HOAI noch von deutlich höheren Kosten auszugehen sein würde. Mit Blick auf das ersichtlich unter dem Eindruck einer Aquiseerwartung abgegebene Angebot erscheint all dies zumal nicht unplausibel.

Der gestellte Hilfsantrag kommt nicht zum Tragen.

(3) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 91 ff. ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

(4) Die Revision ist nicht zuzulassen. Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu. Sie wirft keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf. Es handelt sich vielmehr um eine von den tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalls geprägte Sache. Die Zulassung der Revision ist im Streitfall auch nicht zur “Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung” (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Dieser Zulassungsgrund ist insbesondere dann gegeben, wenn das Berufungsgericht von einer Entscheidung eines höherrangigen Gerichts, namentlich des Bundesgerichtshofes, abweicht. Eine Abweichung in diesem Sinne liegt dann vor, wenn das Berufungsgericht ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, also einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit dem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten Rechtssatz nicht deckt (vgl. BGH, Beschluss vom 04.07.2002 – V ZR 75/02 = NJW 2002, 2295; Beschluss vom 27.3.2003 – V ZR 291/02 = NJW 2003, 1943, 1945; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 31.10.2013 – 15 U 127/13 -). Eine so verstandene Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes findet im Streitfall nicht statt.

LSG NW zu der Frage der Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit – Nachunternehmer oder abhängig Beschäftigter?

LSG NW zu der Frage der Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit - Nachunternehmer oder abhängig Beschäftigter?

vorgestellt von Thomas Ax

Das Vorliegen einer Beschäftigung beurteilt sich nach § 7 Abs. 1 SGB IV, wenn in Bindungswirkung erwachsene Feststellungen zum sozialversicherungsrechtlichen Status fehlen. Hiernach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur “funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess” verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (st. Rspr., vgl. etwa BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 14; Urt. v. 14.03.2018 – B 12 R 3/17 R – juris Rn. 12; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl. BVerfG Beschl. v. 20.05.1996 -1 BvR 21/96 – juris Rn. 6 ff.). Zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 15; Senatsurt. v. 15.12.2021 – L 8 R 13/15 – juris Rn. 154; Senatsurt. v. 23.11.2020 – L 8 BA 155/19 – juris Rn. 58). Für die zeitliche Weisungsgebundenheit genügt es, wenn der Auftragnehmer von den organisatorischen Vorgaben des Betriebes abhängig ist und die Arbeit nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt abgebrochen werden kann, sondern die zugewiesenen Aufgaben erledigt werden müssen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 31; Senatsurt. v. 24.04.2024 – L 8 BA 109/19 – juris Rn. 71).

LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.02.2025 – L 8 BA 182/19

Gründe

I.

Streitig ist im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens nach § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) eine Nachforderung von Beiträgen und Umlagen zur Sozialversicherung im Hinblick auf verschiedene Leistungen, die der Beigeladene zu 3) für den Kläger auf Baustellen erbracht hat.

Der Kläger betreibt ein Bauunternehmen als Einzelfirma, mit dem er seinen Kunden nach eigenen Angaben einen “Rundumservice” anbietet. Der Beigeladene zu 3) (im Folgenden: R.), der am 30.11.2010 bei der Stadt C. ein Gewerbe als “Fliesenlegerbetrieb und Trockenbau” angemeldet hatte, wurde für den Kläger u.a. in der Zeit vom 01.02.2013 bis 31.10.2015 mit Unterbrechungen tätig. Hierfür stellte R. Abbruch-, Fliesen-, Laminat-, Renovierungs- und Tapezierarbeiten in Rechnung. Die Rechnungen wurden auf dem PC des Klägers von dessen Ehefrau gefertigt, da R., der ungarischer Staatsbürger ist, über keine Deutschkenntnisse verfügte. Im Streitzeitraum wohnte R. als Untermieter des Bruders des Klägers, der in dessen Betrieb angestellt war, in einer Wohnung in dem Mehrfamilienhaus, in dem sich auch der Wohnsitz des Klägers befindet.

Am 23.06.2016 führte die Beklagte beim Kläger eine Betriebsprüfung durch. R. gab im Fragebogen zur sozialrechtlichen Feststellung, den die für ihn und den Kläger tätige Steuerberaterin übersandte, u.a. an, keine eigenen Geschäfts- bzw. Betriebsräume zu unterhalten und keine Arbeitnehmer zu beschäftigen. Die vertraglichen Grundlagen der Zusammenarbeit beruhten auf mündlichen Festlegungen. Arbeitszeit und -ort könne er frei gestalten. Arbeitsmittel (Werkzeug) seien ihm kostenlos zur Verfügung gestellt worden und er nicht verpflichtet, eigenes Kapital einzusetzen. Ein konkretes Kalkulationsangebot gebe er gegenüber dem Kläger nicht ab. Die Vergütung werde jeweils pauschal vereinbart. Aus Gewinnermittlungen des R. für die Jahre 2012 bis 2015 gehen – weitgehend in der Tätigkeit beim Kläger erzielte – Jahresumsätze zwischen 7.930,00 und 13.609,00 Euro hervor.

Auf die Schlussbesprechung der Betriebsprüfung sowie die Anhörung der Beklagten vom 08.09.2016 zur beabsichtigten Festsetzung einer Beitragsnachforderung vertrat der Kläger die Auffassung, dass R. als selbstständiger Fliesenleger/Trockenbauer tätig geworden sei, dies als Subunternehmer für verschiedene Auftraggeber. Weder sei R. in seinen Betrieb eingegliedert gewesen noch habe er, der Kläger, ein Weisungsrecht gehabt. Dass Bauleistungen regelmäßig an einem bestimmten Ort zu verrichten seien, ändere nichts daran, dass der Ort der Leistung im Hinblick auf die Möglichkeit, Bauvorarbeiten im Rahmen von Montagearbeiten an einem anderen Ort auszuführen, frei gewählt werden könne. R. habe die Gewerke eigenständig in Abstimmung mit den anderen Gewerken sowie im Hinblick auf den Zeitplan des jeweiligen Auftrags geplant. Urlaub sei von ihm frei wählbar gewesen. Da bei Mängeln Nachbesserungen zu erfolgen hätten und eine Verminderung der Auftragssumme wegen Schlechtleistung in Betracht komme, unterliege R. auch einem unternehmerischen Risiko. Wenngleich es zutreffe, dass dieser die Arbeiten aufgrund des geringen Auftragsvolumens selbst ausgeführt habe, sei er jedoch berechtigt gewesen, Hilfskräfte einzusetzen. Schließlich müsse berücksichtigt werden, dass R. für mehrere Auftraggeber tätig geworden sei. Als Kleinunternehmer stünden ihm keine Mittel für aufwändige Werbemaßnahmen zur Verfügung. Separate Betriebs- und Geschäftsräume benötige R. nicht, da Kundentermine vor Ort stattfänden. Dem Schreiben fügte der Kläger eine Aufstellung der Erlöse des R. sowie einen vom 30.08.2013 datierten “Werkvertrag” zu Trockenbau- und Fliesenarbeiten in einem Objekt X.-straße N01, C., bei.

Mit Bescheid vom 15.11.2016 setzte die Beklagte eine Nachforderung von Beiträgen zu sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung und Umlagen für die Zeiträume vom 01.02.2013 bis 31.12.2013, 01.03.2014 bis 31.12.2014 und 01.03.2015 bis 31.10.2015 in Höhe von insgesamt 12.960,00 Euro fest. Die für eine versicherungspflichtige Beschäftigung sprechenden Gesichtspunkte überwögen. R. sei in den Betrieb des Klägers eingegliedert und unterliege dem klägerischen Weisungsrecht. Entgegen seinen Angaben im Fragebogen ergebe sich aus der Natur der Sache, dass dieser Arbeitsort und -zeit nicht habe wählen können, sondern die Leistungen als Fliesenleger und Trockenbauer in den Räumen der Kunden nach Maßgabe des Auftraggebers an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit erbringen müsse. R. setze ausschließlich die eigene Arbeitskraft ein und sei funktionsgerecht dienend in einer fremden Arbeitsorganisation tätig. An einem unternehmerischen Risiko oder einem Kapitaleinsatz als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit fehle es. Ein Arbeitsmitteleinsatz, der über das übliche Maß hinausgehe, liege nicht vor. Im Zeitraum vom 01.01.2013 bis 30.09.2015 sei R. zudem ausschließlich für den Kläger tätig geworden. Der Prüfer habe unter der im Werkvertrag angegebenen Adresse kein Klingelschild o.ä. vorgefunden. Augenscheinlich würden also keine eigenen Büro- oder Lagerräume von R. unterhalten. Dieser bewege sich nicht am Markt, besitze keinen eigenen Kundenstamm, betreibe keine Werbung oder Kundenakquise.

Den gegen den Bescheid am 24.11.2016 erhobenen Widerspruch, mit dem der Kläger insbesondere herausstellte, dass den Beauftragungen jeweils Werkverträge (Bauverträge) mit der Vergütung einer Pauschalsumme nach der VOB/B zugrunde lägen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2017 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 23.03.2017 Klage beim Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben. Er hat den Bescheid vom 15.11.2016 bereits als formell rechtswidrig erachtet, da das Schreiben der Beklagten vom 08.09.2016 keine ordnungsgemäße Anhörung darstelle. R. habe zudem vernommen und als Beteiligter hinzugezogen werden müssen. Im Übrigen sei der Bescheid aber auch materiell rechtswidrig, da eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht vorliege. R. sei – wie er, der Kläger, bereits dargelegt habe – weder in seine Arbeitsorganisation eingegliedert noch weisungsgebunden gewesen. Eine Eingliederung erfolge bei Bauverträgen wie hier gerade nicht. Der Generalunternehmer vergebe vielmehr einzelne Gewerke an Werkunternehmer, so dass sich die Rechtsbeziehungen aus dem Werkvertragsrecht ergäben. Bereits der Umstand, dass ein Fliesenleger- und Trockenbaubetrieb über ein überragendes Fachwissen in seinem Bereich verfüge, mache zudem deutlich, dass diesem faktisch keine Weisungen erteilt werden könnten. Bei R. handele es sich um einen selbstständigen Unternehmer, der vom Kläger als Besteller beauftragt werde und Aufträge für den von ihm angemeldeten Gewerbebetrieb erhalte. Über die von ihm erbrachten Leistungen erteile R. unter einer Steuernummer Rechnungen. Dessen unternehmerisches Risiko werde dadurch geprägt, mangels geeigneter Aufträge, fehlerhafter Kalkulation und mangelnder Leistungsfähigkeit des Auftraggebers das betriebliche Ergebnis nicht erreichen zu können. Darüber hinaus sei der Erlass eines Summenbescheides unverhältnismäßig und die Schätzungen der Beklagten nicht nachvollziehbar. Während es im Bescheid noch heiße, R. sei im Zeitraum vom 01.01.2013 bis 30.09.2015 abhängig beschäftigt gewesen, so würden in der Anlage zur Beitragsberechnung (nur) die Zeiträume 01.02.2013 bis 31.12.2013, 01.03.2014 bis 31.12.2014 und 01.03.2015 bis 31.10.2015 erfasst.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 15.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2017 aufzuheben.

Die Beklagte, die ihre Bescheide als zutreffend angesehen hat, hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das SG hat am 14.12.2018 einen Erörterungstermin durchgeführt und den Kläger und R. zum Sach- und Streitstand angehört. Anschließend ist die Klage mit Urteil vom 26.06.2019 – im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung – abgewiesen worden. Diese sei zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids beschwere den Kläger nicht. Dieser sei formell rechtmäßig. Soweit der Kläger die Ansicht vertrete, dass er nicht ausreichend angehört worden sei, gelte ein solcher, etwaiger Fehler jedenfalls unterdessen gem. § 41 Abs. 1 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als geheilt. Eine fehlende Beteiligung des R. beschwere den Kläger nicht (selbst). Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Bescheides bestünden nicht.

Die streitgegenständlichen Bescheide seien auch materiell rechtmäßig. R. sei beim Kläger im streitigen Zeitraum versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Dabei gehe die Kammer zunächst davon aus, dass es auf den Ort und die gewählte Arbeitszeit nicht entscheidend ankomme. Insbesondere der Ort sei bei Bauleistungen der vorliegenden Art, namentlich dem Fliesenlegen und Trockenbauarbeiten, naturgemäß vorgegeben. Auch der Zeit, in der die Arbeiten tatsächlich ausgeführt worden seien, komme nur untergeordnete Bedeutung zu. Unabhängig davon, ob Bauleistungen im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung oder eines (Subunternehmer-)Werkvertrages erbracht würden, dürfe in der Regel davon auszugehen sein, dass ein Zeitplan insgesamt für die Bauleistungen, die der Arbeitgeber bzw. der Hauptunternehmer auszuführen habe, vorgegeben und insoweit der Spielraum nur eingeschränkt sei. Es bestehe jedoch kein Unternehmerrisiko. Selbst wenn R. ausschließlich eigenes Werkzeug eingesetzt habe, so handele es sich um überschaubare Aufwendungen. Zudem könnten die Werkzeuge für jede Baustelle wiederverwendet werden. Darüber hinaus habe er nur seine Arbeitskraft eingesetzt. Dass R. nicht durchgehend gleichbleibende Einkünfte gehabt habe, spreche nicht für eine selbstständige Tätigkeit, sondern sei auch Kennzeichen eines unständig abhängig Beschäftigten.

Das vom Kläger angeführte Risiko, keine weiteren Aufträge zu erhalten, begründe nach der Rechtsprechung kein Unternehmerrisiko. R. sei in die Arbeitsorganisation des Klägers eingebunden gewesen, wenngleich dieses nachweisende Tatsachen nur für einen Teil der Arbeiten vorlägen. So habe er geschildert, zur Hälfte und teilweise auch in Zusammenarbeit mit dem Kläger mit Rigipsarbeiten beschäftigt gewesen zu sein. Dies habe der Kläger bestätigt und dargelegt, dass er R. um Hilfe gebeten habe, wenn Arbeiten nicht von ihm und seinen Mitarbeitern hätten bewältigt werden können. Unabhängig davon, ob dies auch für die Fliesenarbeiten gegolten habe – was vom Kläger zunächst geschildert und dann als unzutreffend zurückgenommen worden sei – könne aus dessen Vortrag jedenfalls eine Zusammenarbeit und auch eine Besprechung der Ausführung der Tätigkeit entnommen werden. Dies spreche erheblich für eine Eingliederung in den klägerischen Betrieb. Damit sei auch dessen Behauptung widerlegt, dass R. stets in allen seinen Arbeiten vollständig frei gewesen sei. Soweit sich der Kläger weiterhin darauf berufe, obläge es ihm, die für ihn günstigen Tatsachen nachzuweisen. Aus den vorliegenden Unterlagen und Erklärungen sei nicht zu entnehmen, wann Absprachen und Zusammenarbeit stattgefunden hätten und wann nicht. Diese Umstände lägen in der klägerischen Sphäre und könnten nur durch ihn vorgetragen und belegt werden. Soweit er auf eine konkrete Aufzeichnung verzichtet habe und ihm anders gestützter Vortrag nicht möglich sei, müsse er sich daran festhalten lassen, dass aus den nachgewiesenen Umständen auf die Gesamtheit der Arbeit geschlussfolgert werde. Schriftliche Verträge seien bis auf eine Ausnahme nicht geschlossen worden. Auch fehlten konkrete Angaben, welches genaue Werk R. auf der jeweiligen Baustelle zu erstellen gehabt habe. Den Rechnungen des R. komme wegen seiner mangelnden Deutschkenntnisse und des Umstandes, dass er sie nicht selbst verfasst habe, kein Nachweiswert zu. Ohnehin seien sie global und ohne jedwede Angaben von Art und Umfang der vereinbarten Leistungen. Aus den Rechnungen des Klägers an seine Kunden ließen sich Arbeiten ersehen, die über die von R. erbrachten Tätigkeiten hinausgingen. Wann eine Zusammenarbeit bzw. eine Absprache stattgefunden habe, könne hieraus aber nicht abgeleitet werden. Auf dieser Grundlage sei der Schluss zulässig, dass die Tätigkeit des R. insgesamt als eingegliedert in die Organisation des Klägers stattgefunden habe. Der Frage, ob Weisungen im Einzelnen erteilt worden seien, komme nur untergeordnete Bedeutung zu. Der ebenfalls auf der Baustelle anwesende Kläger habe den Fortschritt der Arbeiten kontinuierlich beobachten können. Die Besprechung der Ausführung von Arbeiten, wie sie der Kläger jedenfalls teilweise eingeräumt habe, spreche für eine fehlende Notwendigkeit, Weisungen im Einzelfall zu erteilen. Bei dieser Arbeitspraxis sei es nachvollziehbar nicht zu dem Fall gekommen, dass das Arbeitsergebnis nicht den Vorstellungen des Klägers entsprochen habe. Vor diesem Hintergrund könne der allein für eine Baustelle bei Überschreiten des Fertigstellungstermins eingeräumten Vertragsstrafe bzw. Mängelhaftungsvorschriften keine Bedeutung beigemessen werden. Ob R. weitere Auftraggeber gehabt habe, bleibe dahingestellt. Die Kammer gehe jedenfalls davon aus, dass die Vertragsbeziehung zum Kläger sich als abhängige Beschäftigung darstelle. Die Voraussetzungen für den Erlass eines nicht personenbezogenen Summenbeitragsbescheids seien erfüllt.

Soweit sich der Kläger auf die Zulässigkeit von Pauschalpreisvereinbarungen nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) berufe und seiner Auffassung nach genaue Angaben über die vereinbarten Leistungen nicht gemacht werden müssten, finde sich für die behauptete Vereinbarung der VOB/B kein Hinweis. Dies stelle sich vielmehr als Schutzbehauptung dar. Schriftlich vereinbart worden sei nur ein einziger Auftrag. Auf die Bestimmungen der VOB/B werde dort nicht Bezug genommen. Zudem seien offenbar auch die übrigen (pflichtigen) Vorgaben der VOB/B nicht eingehalten worden, wie z.B. die notwendige Niederschrift über die förmliche Abnahme (§ 12 Abs. 4 VOB/B) und die schriftliche Fertigstellungsmitteilung (§ 12 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B).

Der Einwand, dass die Zeiten, für die Beiträge erhoben worden seien, nicht mit dem Prüfzeitraum vollständig übereinstimmten, treffe zu, führe aber zu keiner anderen Beurteilung. Die Beklagte habe zulässigerweise nur die Monate, für die der Kläger Zahlungen geleistet habe, der Beitragsrechnung zugrunde gelegt.

Gegen das ihm am 05.07.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26.07.2019 Berufung eingelegt und insbesondere die Auffassung vertreten, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer unrichtigen Würdigung des Beweisergebnisses beruhe. Entgegen der Auffassung des SG stehe R. bei ihm, dem Kläger, nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Es habe die spezifischen Anforderungen an die vertragsgemäße Erfüllungshandlung eines Werkunternehmers verkannt. Gegen die Annahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung spreche, dass es sich bei R. um einen ungarischen Unternehmer handele, der zum Zeitpunkt seiner Tätigkeit im Inland seine selbstständige Tätigkeit hauptsächlich in Ungarn ausgeübt habe. Diese Tätigkeit in Ungarn müsse bei der Statusbeurteilung berücksichtigt werden. R. mache von der ihm europarechtlich gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit Gebrauch. Die Rechtsauffassung der Beklagten stelle sich als direkte Verletzung dieser Grundfreiheit und im Übrigen auch des Grundrechts aus Art. 14 Grundgesetz (GG) in der Ausprägung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. R. sei keinen Weisungen des Klägers unterworfen gewesen. Im Rahmen einer arbeitsteiligen Tätigkeit auf Baustellen erfolge eine ständige Koordinierung der Gewerke. Der Kläger habe R. zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, wie dieser seine Arbeiten als Fliesenleger auszuführen habe. Zugewiesen seien lediglich, wie sich aus der Natur der Sache ergebe, der Arbeitsort, der Umfang des Gewerkes und der Zeitpunkt der Fertigstellung. Dies seien jedoch zwingende Bestandteile des Werkvertrags. Die Auffassung, dass eine Zusammenarbeit an Gewerken für eine Eingliederung spreche, widerspreche der zivilrechtlichen Rechtsprechung zu Bauverträgen und deren arbeitsteiligen Ausführung. Auf jeder Baustelle arbeiteten naturgemäß verschiedene Werkunternehmer zusammen. Diese seien nicht abhängig Beschäftigte des Generalunternehmers. Die Unterstützung des R. durch die Ehefrau des Klägers bei der Rechnungsstellung habe nichts mit einer betrieblichen Organisation zu tun, sondern damit, dass R. der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sei. Sofern der Senat hieraus sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen ableiten sollte, liege hierin eine Diskriminierung eines ausländischen Werkunternehmers. Die weiteren Einwände gegen die Rechnungen seien zurückzuweisen. Diese müssten nicht für den Senat, sondern für den Auftraggeber prüfbar sein.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 26.06.2019 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 15.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat am 30.03.2022, 30.01.2023 und 13.09.2023 Erörterungstermine durchgeführt, in deren Rahmen der Kläger ergänzend zum Sach- und Streitstand angehört worden ist. Weiterhin hat der Senat durch Anhörung des Klägers und Befragung des Zeugen A. (vergeblich) versucht, den aktuellen Aufenthaltsort des R. zu ermitteln, nachdem R. verzogen war, ohne seine neue Anschrift mitzuteilen und eine ladungsfähige Anschrift auch nicht über das behördliche Meldeportal ermittelt werden konnte.

Die Beteiligten sind mit gerichtlichem Schreiben vom 25.09.2024 darauf hingewiesen worden, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg biete und beabsichtigt sei, diese gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen. Die Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung ist R. öffentlich zugestellt worden (Beschluss vom 09.10.2024). Der Kläger hat eine mündliche Verhandlung für zwingend erforderlich gehalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers wird durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 S. 1 SGG zurückgewiesen. Zur Möglichkeit einer solchen Entscheidung sind die Beteiligten mit Schreiben vom 25.09.2024 angehört worden. Der Senat hat den Kläger mit Schreiben vom 10.12.2024 darauf hingewiesen, dass er auch unter Berücksichtigung dessen Vorbringens im Schriftsatz vom 21.10.2024 an der beabsichtigten Entscheidung im Beschlusswege festhält. Der Senat konnte das Schreiben vom 25.09.2024 an R. gem. § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 185 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) öffentlich zustellen. Die öffentliche Zustellung, die wegen des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 62 SGG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht vorschnell angenommen werden darf, ist zulässig, wenn sämtliche geeigneten und zumutbaren Möglichkeiten zur Ermittlung des Aufenthalts des Zustellungsadressaten ausgeschöpft worden sind (vgl. BSG Beschl. v. 14.12.2023 – B 4 AS 72/23 B – juris Rn. 7). Dies ist hier der Fall. Nach fruchtloser Prüfung einer aktuellen Adresse im behördlichen Meldeportal hat der Senat mehrfach versucht, die ladungsfähige Anschrift des R. über den Kläger in Erfahrung zu bringen und zusätzlich hierzu auch noch den Zeugen A. im Rahmen des Erörterungstermins am 13.09.2023 befragt. Beide haben angegeben, nicht mehr in Kontakt zu R. zu stehen und noch nicht einmal sagen zu können, ob dieser sich in Deutschland oder in Ungarn aufhalte.

Gem. § 153 Abs. 4 S. 1 SGG kann der Senat die Berufung außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 S. 1 SGG durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Dies gilt auch bei einer Entscheidung des SG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (vgl. BSG Beschl. v. 06.08.2019 – B 13 R 233/18 B – juris Rn. 11; Senatsbeschl. v. 10.04.2024 – L 8 BA 126/23 – juris Rn. 29).

Diese Voraussetzungen der Zurückweisung gem. § 153 Abs. 4 SGG sind erfüllt. Im Klageverfahren hat das SG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden. Die Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats nicht begründet. Eine mündliche Verhandlung wird nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nicht für erforderlich gehalten. Der Sachverhalt ist umfassend ermittelt, eine ergänzende Sachverhaltsaufklärung nicht mehr erforderlich. Dem anwaltlich vertretenen Kläger ist im Rahmen von drei Erörterungsterminen umfassend rechtliches Gehör gewährt worden. Von der ihm eingeräumten Möglichkeit, sich zum rechtlichen Hinweis vom 25.09.2024 zu äußern, hat er Gebrauch gemacht. Das erstmalige Vorbringen noch nicht vorgetragener Tatsachen oder rechtlicher Gesichtspunkte in einem Verhandlungstermin ist daher nicht zu erwarten. Andere Aspekte, die nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig erscheinen lassen, sind nicht erkennbar.

Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Duisburg vom 26.06.2019 ist nicht begründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Beitragsbescheid der Beklagten vom 15.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2017 (§ 95 SGG), mit dem sie Beiträge und Umlagen in Höhe von 12.960,00 Euro aufgrund Beschäftigung des R. nachgefordert hat.

Das SG hat die als isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 SGG) statthafte (vgl. Senatsurt. v. 25.10.2023 – L 8 BA 194/21 – juris Rn. 27) und auch im Übrigen zulässige Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert.

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 28p Abs. 1 S. 1 und 5 SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (Satz 1). Im Rahmen der Prüfung werden Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern erlassen (Satz 5). § 10 Aufwendungsausgleichsgesetz – AAG – stellt die Umlagen zum Ausgleichsverfahren (U1 und U2) insoweit den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung gleich (vgl. BSG Urt. v. 10.12.2019 – B 12 R 9/18 R – juris Rn. 12). Entsprechendes gilt für die Insolvenzgeldumlage (UI) gem. § 359 Abs. 2 S. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – SGB III (vgl. Scheer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 28p SGB IV, Stand 03.01.2025, Rn. 148 m.w.N.). Im Rahmen dieser Ermächtigung hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid formell (hierzu unter 1.) und materiell (hierzu unter 2.) rechtmäßig erlassen.

Entgegen der Auffassung des Klägers und des SG stellt der angefochtene Bescheid keinen sog. Summenbescheid im Sinne des § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV dar. Vielmehr wird die Beitragsnachforderung personenbezogen bestimmt. So nennt der Bescheid R. namentlich und weist in den beigefügten Anlagen “Berechnung der Beiträge” und “Nachweis der Beiträge” auf ihn bezogene Beiträge und Umlagen aus (vgl. BSG Urt. v. 04.09.2018 – B 12 R 4/17 R – juris Rn. 11 m.w.N.). Der Umstand, dass für R. keine Versicherungsnummer ermittelt werden konnte und keine letzte Krankenkasse bekannt ist, war von der Beklagten (allein) bei der Bestimmung der zuständigen Einzugsstelle zu berücksichtigen. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe im Prüfbescheid personenbezogen zu erfolgen hat, wird hierdurch nicht begründet.

Auch eine – vom Kläger gerügte – Schätzung der Arbeitsentgelte nach § 28f Abs. 2 S. 3 SGB IV ist von der Beklagten nicht vorgenommen worden. Vielmehr hat sie die Beiträge ausweislich der Bescheidanlagen konkret unter Zugrundelegung der von R. aktenkundig beim Kläger erzielten Vergütung berechnet.

1. Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Dabei kann es – worauf bereits das SG zu Recht hingewiesen hat – dahinstehen, ob das Schreiben der Beklagten vom 08.09.2016 die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Anhörung gem. § 24 Abs. 1 SGB X erfüllt. Ein etwaiger Anhörungsmangel ist nach Maßgabe des § 41 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 SGB X im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Eine solche Heilung tritt ein, wenn der Kläger dort hinreichende Gelegenheit hat, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (vgl. z.B. BSG Urt. v. 13.02.2019 – B 6 KA 56/17 R – juris Rn. 15 m.w.N.; Senatsurt. v. 25.10.2023 – L 8 BA 194/21 – juris Rn. 33). Dies war hier der Fall. So ist vom anwaltlich vertretenen Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ausführlich Stellung genommen worden. Mit den von ihm vorgetragenen Einwänden hat sich die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid (auch) auseinandergesetzt.

Der Einwand des Klägers, R. sei im Verwaltungsverfahren nicht nach Maßgabe des § 12 Abs. 2 SGB X hinzugezogen worden, stellt keinen durch ihn selbst rügefähigen Verfahrensfehler dar. Zutreffend hat das SG hierzu entschieden, dass im Falle einer fehlenden Beteiligung allein R., nicht jedoch der Kläger in eigenen Rechten verletzt ist. Einer an R. gerichteten Anfrage durch den Senat, ob er die Wiederholung des Verwaltungsverfahrens wegen unterbliebener Benachrichtigung von seiner Einleitung oder unterbliebener Hinzuziehung begehre, bedurfte es nicht. Ein solches Erfordernis besteht dann nicht, wenn der Beigeladene – wie hier – keinen Antrag gestellt, mithin von der ihm gegebenen Möglichkeit, selbstständig Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen (vgl. § 75 Abs. 4 S. 1 SGG), keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. BSG Urt. v. 09.08.2006 – B 12 KR 3/06 R – juris Rn. 14; Roller in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 12 Rn. 21).

2. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. R. unterlag im streitbefangenen Zeitraum der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (hierzu unter a.). Tatbestände, die zu einer Versicherungsfreiheit in den genannten Sozialversicherungszweigen führen, liegen nicht vor (hierzu unter b.). Fehler bei der Berechnung der nachgeforderten Beiträge und Umlagen sind nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich (hierzu unter c.).

a. Der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, der sozialen Pflege- und der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung – SGB XI, § 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI, § 25 Abs. 1 S. 1 SGB III).

R. erhielt vom Kläger für seine Tätigkeit in dessen Unternehmen ein Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV).

Er war auch beim Kläger beschäftigt und nicht selbstständig tätig.

Das Vorliegen einer Beschäftigung beurteilt sich nach § 7 Abs. 1 SGB IV, wenn – wie im vorliegenden Fall – in Bindungswirkung erwachsene Feststellungen zum sozialversicherungsrechtlichen Status fehlen. Hiernach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur “funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess” verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (st. Rspr., vgl. etwa BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 14; Urt. v. 14.03.2018 – B 12 R 3/17 R – juris Rn. 12; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl. BVerfG Beschl. v. 20.05.1996 -1 BvR 21/96 – juris Rn. 6 ff.).

Zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 15; Senatsurt. v. 15.12.2021 – L 8 R 13/15 – juris Rn. 154; Senatsurt. v. 23.11.2020 – L 8 BA 155/19 – juris Rn. 58).

Ausgehend von der mündlich vereinbarten vertraglichen Grundlage eines Dienstvertrags (vgl. § 611 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) im Sinne eines Dauerschuldverhältnisses (dazu unter aa.) ist R. in seiner Tätigkeit des Fliesenlegens und sonstiger Bauleistungen gegenüber dem Kläger weisungsgebunden (hierzu unter bb.) und in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert (hierzu unter cc.) tätig geworden. Wesentliche Indizien, die für eine Selbstständigkeit sprechen, liegen hingegen nicht vor (hierzu unter dd.). In der Gesamtschau überwiegen die für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Gesichtspunkte deutlich (hierzu unter ee.). Das so gewonnene Ergebnis verletzt weder Europarecht noch das Grundgesetz (hierzu unter ff.).

aa. Zur Überzeugung des Senats haben die Beteiligten mündlich ein Dauerschuldverhältnis über von R. zu erbringende Dienstleistungen geschlossen.

Soweit der Kläger geltend macht, es sei für die an R. herangetragenen Aufgaben (mündlich) ein jeweils neuer (gleichlautender) (Werk-)Vertrag geschlossen worden, sieht der Senat dies als wirklichkeitsfremdes juristisches Konstrukt an. Für eine solche Ausgestaltung jeweilig neuer Rechtsgeschäfte findet sich weder ein tatsächlicher objektiver Anhaltspunkt in den Schilderungen zur vertraglichen Praxis noch stützen sonstige Umstände eine derartige Auslegung.

Für die Vereinbarung eines Dauerschuldverhältnisses spricht, dass R. mindestens seit dem Jahr 2012 bis einschließlich Oktober 2015 regelmäßig für den Kläger tätig geworden ist und jegliche überzeugenden Anhaltspunkte für den Abschluss von Einzelverträgen fehlen. So konnten anlässlich der Betriebsprüfung keinerlei Unterlagen aufgefunden werden, die vom Kläger behauptete einzelne, separate Aufträge valide belegen. Entsprechende beweiskräftige Dokumente sind von ihm (trotz zunächst entsprechender Behauptung) im gesamten Verfahren nicht vorgelegt worden. Das Fehlen von – üblicherweise zu erwartenden – Kostenvoranschlägen für konkretisierte, genaue Aufträge mit einer detaillierten Werksbeschreibung und der Kalkulation des Werklohns sowie schriftlichen Auftragserteilungen lässt gerade nicht den Schluss auf die vom Kläger behaupteten jeweiligen einzelnen Werkverträge zu, sondern weist vielmehr auf ein tatsächlich praktiziertes Dauerschuldverhältnis hin (vgl. Senatsbeschl. v. 12.11.2020 – L 8 BA 117/20 B ER – juris Rn. 16).

Soweit der Kläger allein eine (einzige) als “Werkvertrag” betitelte Vereinbarung mit der Datumsangabe 30.08.2013 zu den Akten gereicht hat, vermag diese zur Überzeugung des Senats weder einen belastbaren Hinweis auf den Abschluss von Einzelverträgen zu bieten noch inhaltlich die tatsächlich zwischen den Vertragspartnern getroffenen Vereinbarungen widerzuspiegeln. In der Gesamtschau der Umstände diente das vorgelegte Vertragspapier zur Überzeugung des Senats ersichtlich nicht zur realen Dokumentation der wechselseitig tatsächlich vereinbarten Verpflichtungen des Klägers und des R..

Bereits grundsätzlich fehlt es an der Plausibilität, weshalb der Kläger und R. in vier Jahren der Zusammenarbeit lediglich einmal im Jahr 2013, also bereits weit nach Beginn der Tätigkeit des R. einen (einzigen) schriftlichen (Werk-)Vertrag geschlossen haben wollen. Dies gilt umso mehr, als dieser Vertrag auch nur ein solitäres konkretes Projekt (X.-straße N01, C.) beinhaltet und nicht etwa als Rahmenvertrag für eine Vielzahl von Projekten konzipiert ist. R. selbst hat im Fragebogen der Beklagten vom 05.06.2016 eine schriftliche Vereinbarung zudem überhaupt nicht erwähnt, sondern angekreuzt, dass die vertraglichen Grundlagen der Zusammenarbeit auf mündlichen Vereinbarungen beruhten.

Gegen die Ernsthaftigkeit der Vereinbarung spricht ferner, dass der Vertragstext ausschließlich in Deutsch aufgesetzt ist, obwohl R. der deutschen Sprache – worauf sich der Kläger an anderer Stelle selbst zu seinen Gunsten berufen will – nicht mächtig ist und beide ausschließlich auf Ungarisch kommunizierten.

Auch inhaltlich vermögen die niedergelegten Vertragsklauseln keinen hinreichenden Beleg für vermeintlich vereinbarte Werkleistungen zu bieten. So ist eine ausreichend genaue Beschreibung des zu erbringenden Werks nicht erkennbar. Beispielsweise fehlen nähere Angaben, in welchen konkreten Räumen wie viele Quadratmeter Laminat zu verlegen sind, ob ggf. Fußbodenvorarbeiten geleistet werden müssen oder eine Trittschalldämmung zu berücksichtigen ist. Umgekehrt enthält der vorgelegte Werkvertrag, den der Kläger im Rahmen des Erörterungstermins vor dem Senat am 30.03.2022 selbst als “Mustervertrag” bezeichnet hat, verschiedene Klauseln (z.B. § 4 Abs. 2 zur Tragung von Schreibgebühren und Vervielfältigungskosten) ohne erkennbaren Bezug zu den von R. ausgeführten Tätigkeiten.

Im Übrigen fehlt es auch an sonstigen Umständen, die den Abschluss einzelner Werkverträge überhaupt ansatzweise plausibel machen. Im Gegenteil spiegelt sich in den im Verfahren vorgelegten Rechnungen des R. eine fortlaufende Dienstverpflichtung wieder. Die Rechnungen belegen eine sehr konstante Leistungserbringung, bei der weitestgehend keinerlei Konkretisierung der Arbeitsleistung erkennbar ist, dies insbesondere nicht im Sinne eines hinreichend abgegrenzten Werks. Eine überhaupt nur ansatzweise Zuordnung zu vermeintlich vereinbarten, voneinander abgrenzbaren Einzel(werk)aufträgen ergibt sich nicht. Vielmehr enthalten die Rechnungen regelmäßig bloße Tätigkeitsbeschreibungen (“Fliesenarbeiten”, “Abbrucharbeiten”, “Renovierungsarbeiten” etc.), somit Dienstleistungen. Die von R. behauptete Abrechnung seiner Fliesenlegerarbeiten nach Quadratmetern geht aus den Abrechnungen ebenfalls nicht hervor. Vielfach sind noch nicht einmal Angaben enthalten, bei welchem Auftraggeber des Klägers bzw. welchem Objekt R. die entsprechenden Leistungen erbracht hat. Der Einwand des Klägers, dass es insoweit auf die Prüfbarkeit durch ihn und nicht durch das Gericht ankomme, führt dabei zu keiner anderen Beurteilung. Es ist fernliegend, dass sich der Auftraggeber eines Werkvertrags auf entsprechende Abrechnungen, denen die Prüffähigkeit regelmäßig vollständig fehlt, einlassen würde. Die Prüfbarkeit der Rechnung ist kein Selbstzweck. Das Erfordernis der Prüffähigkeit soll den Auftraggeber in die Lage versetzen, die Rechnung zu prüfen und die Richtigkeit der einzelnen Ansätze zu beurteilen (vgl. hierzu z.B. BGH Urt. v. 18.06.1998 – VII ZR 189/97 – juris Rn. 7). Dazu ist ein Werkbesteller aber regelmäßig nicht (zuverlässig) in der Lage, wenn verschiedene Tätigkeiten ohne Nennung von Einzelpositionen zusammengefasst sind, dies hier zum Teil sogar (vgl. z.B. die Rechnung v. 11.08.2015) in einer für mehrere Monate erstellten Abrechnung. Dementsprechend drängt sich im Falle einer pauschalen Benennung durchgeführter Tätigkeiten der Eindruck auf, dass vertraglich nicht ein Werkerfolg, sondern eben Dienstleistungen geschuldet waren (vgl. Senatsbeschl. v. 12.11.2020 – L 8 BA 117/20 B ER – juris Rn. 17). Diese Annahme wird vorliegend durch den Umstand verstärkt, dass die Abrechnungen nicht werkvertragstypisch nach Abnahme (§ 641 BGB), sondern dienstvertragstypisch (vgl. § 614 BGB) nach (monatlichen) Zeitabschnitten (“Ausführungszeitraum”) erstellt worden sind.

Gegen den Abschluss (einzelner) mündlicher Werkverträge spricht schließlich, dass zu erledigende Arbeiten vielfach vom Kläger, seinen angestellten Mitarbeitern und R. gemeinsam ausgeführt worden sind. Damit aber fehlt es insoweit an einem allein R. zurechenbaren Werkerfolg. Differenzierungen zwischen gemeinsamer Zusammenarbeit einerseits und – behaupteten – alleinig von R. erbrachten Tätigkeiten finden sich in den Rechnungen wiederum nicht, so dass von einer grundsätzlich dauerhaft identischen Vereinbarung und Handhabung dessen Arbeitseinsatzes auszugehen ist.

bb. R. unterlag bei der Durchführung der von ihm verrichteten Dienstleistungen – entgegen den anderslautenden Behauptungen des Klägers – dessen Weisungsrecht hinsichtlich Zeit, Ort und Art der Arbeit.

(1) Für die zeitliche Weisungsgebundenheit genügt es, wenn der Auftragnehmer von den organisatorischen Vorgaben des Betriebes abhängig ist und die Arbeit nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt abgebrochen werden kann, sondern die zugewiesenen Aufgaben erledigt werden müssen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 31; Senatsurt. v. 24.04.2024 – L 8 BA 109/19 – juris Rn. 71). Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Senats vorliegend gegeben. So zog der Kläger nach seinen eigenen Angaben R. immer dann hinzu, wenn seine Mitarbeiter und er die zu erledigenden Aufgaben “nicht schafften”. Dies indiziert, dass er auf die Mitwirkung des R. zur Einhaltung der mit seinen Kunden vereinbarten Herstellungstermine angewiesen war. Hinzu kommt, dass Aufgaben – wie bereits dargelegt – vielfach gemeinsam erledigt wurden. So fuhr R. nach dessen Angaben zumindest teilweise gemeinsam mit dem Kläger zu den Baustellen und führte (jedenfalls) Rigipsarbeiten regelmäßig zusammen mit ihm aus. Damit übereinstimmend hat der Kläger (im Erörterungstermin des SG am 14.12.2018) angegeben, dass seine Mitarbeiter und R. die zu verrichtenden Arbeiten jedenfalls, wenn es sich um eine “große Arbeit” im Bereich des Fliesenlegens oder bei Trockenbauarbeiten gehandelt habe, zusammen übernommen hätten. Soweit der Kläger diese zunächst eingeräumte Zusammenarbeit beim Fliesenlegen im Nachhinein pauschal bestritten hat, wird seine vorige andere Äußerung von ihm nicht schlüssig erläutert. Bei dieser Sachlage hatte R. insbesondere, wenn Zeitdruck herrschte, nicht die Möglichkeit, sich die zu erledigenden Arbeiten nach eigenem Gutdünken einzuteilen, sondern war an die zeitlichen Vorgaben des Klägers gebunden.

(2) Örtlich war R. an die Baustellen der Kunden des Klägers gebunden. Dass diese örtliche Gebundenheit in der “Natur der Sache” liegt, ändert – entgegen der Auffassung des Klägers – dabei nichts daran, dass es sich hierbei um ein bei der Statusbeurteilung zu berücksichtigendes Indiz handelt. Auch Umstände, die typisch bzw. einer Tätigkeit ihrer Eigenart nach immanent sind oder “in der Natur der Sache” liegen, sind zu berücksichtigen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 25; Urt. v. 19.10.2021 – B 12 KR 29/19 R – juris Rn. 25; Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 87).

(3) Ebenfalls unterlag R. hinsichtlich der Art und Weise der Ausführung der ihm zugetragenen Arbeiten einem Weisungsrecht des Klägers.

Da – wie bereits dargelegt – von einem Dauerschuldverhältnis und nicht von (kleinteiligen) einzelnen Vertragsschlüssen auszugehen ist, fehlte bei Tätigkeitsaufnahme des R. und im gesamten streitigen Zeitraum jegliche genauere inhaltliche Bestimmung der im konkreten Fall gewünschten Leistung. Ein inhaltliches Weisungsrecht des Auftraggebers liegt schon (zwangsläufig) dann vor, wenn über den Vertrag hinaus offenkundig noch weitere einseitige Einflussnahmen notwendig sind (vgl. Senatsbeschl. v. 14.06.2019 – L 8 BA 12/18 B ER – juris Rn. 22). Fehlt es an einer genaueren vertraglichen Fixierung bzw. inhaltlichen Bestimmung der im konkreten Fall gewünschten Leistung, da das Tätigkeitsfeld nur allgemein und beispielhaft umschrieben ist, so bedarf es weiterer Konkretisierungen und damit Weisungen (vgl. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 85; Urt. v. 12.07.2023 – L 8 R 541/17 – juris Rn. 47 f.; Urt. v. 26.01.2022 – L 8 BA 98/20 – juris Rn. 56), um den Auftragnehmer darüber in Kenntnis zu setzen, welche Arbeitsleistung wo, wann und mit welchen Details gewünscht wird. So liegt der Fall hier. Schriftliche Verträge, in denen die von R. zu erbringenden Leistungen hinreichend konkretisiert aufgeführt sind, liegen – wie bereits dargelegt – nicht vor. Dem entsprechend hat der auf den jeweiligen Baustellen anwesende Kläger die Ausführung der Tätigkeit des R. mit diesem dort – wie von ihm im Erörterungstermin des SG am 14.12.2018 selbst dargelegt – besprochen. Seine Einflussnahme (und damit die Ausübung des fachlichen Weisungsrechts) erreichte dabei ein derartiges Maß, dass die Arbeit des R. – wiederum nach seinen eigenen Angaben – am Ende immer seinen, den klägerischen, Anforderungen entsprach. Schließlich waren die Arbeiten mit den vom Kläger angeschafften Baumaterialien auszuführen, so dass ins Gewicht fallende Freiheiten des R. hinsichtlich der Art und Weise der Ausführung der Arbeiten auch insoweit nicht erkennbar sind.

Soweit R., dem der Kläger “ein überragendes Fachwissen” im Bereich des Fliesenlegens bescheinigt hat, (tatsächliche) Freiheiten in der Art und Weise der Ausführung der zu erbringenden Leistungen zugekommen sind, schließt dies eine Weisungsbindung nicht aus. Eine allein (partielle) Gestaltungsbefugnis in der Art und Weise der Verrichtung führt regelmäßig nicht zur Selbstständigkeit im Sinne einer unternehmerischen Tätigkeit. Eine eigenständige Arbeitsweise ist kein Synonym für eine zur Versicherungsfreiheit führende Selbstständigkeit (vgl. Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 80; Urt. v. 30.11.2022 – L 8 R 597/17 – juris Rn. 98 m.w.N.; Urt. v. 26.01.2022 – L 8 BA 98/20 – juris Rn. 59) und darf mit dieser nicht verwechselt werden (vgl. Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 80; Urt. v. 14.12.2022 – L 8 BA 159/19 – juris Rn. 80 m.w.N.). Eigenverantwortlichkeit und inhaltliche Freiheiten bei der Aufgabenerfüllung sind daher erst dann ein aussagekräftiges Indiz für Selbstständigkeit, wenn sie nicht mehr innerhalb des Rahmens dienender Teilhabe am Arbeitsleben zu verorten sind und insbesondere eigennützig durch den Auftragnehmer zur Steigerung seiner Verdienstchancen eingesetzt werden können (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 31 m.w.N.; Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 81; Urt. v. 14.12.2022 – L 8 BA 159/19 – juris Rn. 81). Hieran fehlte es vorliegend.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Tätigkeit des R. sogar bei einem weitgehenden Fehlen fachlicher Weisungen fremdbestimmt sein kann. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers bei Dienstleistungen höherer Art, die ihr Gepräge von der Ordnung eines fremden Betriebes erhalten, verfeinert sich “zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess” und kann – insbesondere bei Hochqualifizierten oder Spezialisten – aufs Stärkste eingeschränkt sein. Auch in typischen Arbeitsverhältnissen werden Arbeitnehmern immer mehr Freiheiten zur zeitlichen, örtlichen und teilweise auch inhaltlichen Gestaltung ihrer Arbeit eingeräumt. Werden insoweit lediglich Rahmenvorgaben vereinbart, spricht dies erst dann für Selbstständigkeit, wenn die Tätigkeit durch typische unternehmerische Freiheiten geprägt ist, die dem Betroffenen eigenes unternehmerisches Handeln mit entsprechenden Chancen und Risiken erlauben. Eine selbstständige Tätigkeit ist erst dann anzunehmen, wenn bei ihrer Verrichtung eine Weisungsfreiheit vorhanden ist, die sie insgesamt als eine unternehmerische kennzeichnet (vgl. BSG Urt. v. 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R – juris Rn. 18; Urt. v. 19.10.2021 – B 12 R 10/20 R – juris Rn. 29; Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 29; Senatsurt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 89).

Ebenfalls ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die streitige Tätigkeit des R. darüber hinaus auch ungeachtet des Umfangs seiner Weisungsgebundenheit als Beschäftigung zu beurteilen ist. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass die in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV genannten Anhaltspunkte der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung weder in einem Rangverhältnis zueinander stehen noch stets kumulativ vorliegen müssen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.12.2023 – B 12 R 10/21 R – juris Rn. 17; Urt. v. 13.12.2022 – B 12 KR 16/20 R – juris Rn. 21; Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 29). Die jüngere Rechtsprechung des BSG hat sich in diesem Rahmen von einer auf das Direktionsrecht gerichteten Betrachtungsweise gelöst und nimmt vor allem den Eingliederungsaspekt in den Blick (vgl. zuletzt: BSG Urt. v. 12.06.2024 – B 12 BA 8/22 R – juris Rn. 18 ff.). Dies entspricht den Entwicklungen in der Arbeitswelt, die das “klassische” Weisungsrecht im Sinne von tatsächlichen und laufenden Anordnungen zunehmend in den Hintergrund treten lassen (vgl. Bergner in: Meßling/Voelzke, Die Zukunft des Rechts- und Sozialstaates – Festschrift für Schlegel, 2024, S. 367, 372; Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl. 2021, § 7 Abs. 1 Rn. 84 f.). Im Rahmen der Eingliederung sind grundsätzlich auch Rahmenvereinbarungen, regulatorische Rahmenbedingungen oder “in der Natur der Sache” liegende Umstände zu berücksichtigen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 25 m.w.N.; Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 76, 88; Senatsurt. v. 14.06.2023 – L 8 BA 208/18 – juris Rn. 51 ff.). Dabei kommt es weniger darauf an, woraus Abhängigkeiten und Bindungen resultieren, sondern vielmehr auf die Beurteilung, ob und inwieweit im Einzelfall noch Raum für unternehmerische Freiheit zur Gestaltung der Tätigkeit mit entsprechenden Chancen und Risiken verbleibt (vgl. BSG Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 25 m.w.N.).

Entsprechend genügt es (auch), wenn die Tätigkeit – wie hier (dazu unter (cc.)) – eingegliedert in den Betrieb des Auftraggebers erfolgt.

cc. R. war – wie bereits das SG zu Recht ausgeführt hat – in die fremde Arbeitsorganisation des Klägers umfassend eingegliedert.

Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers setzt regelmäßig voraus, dass die Tätigkeit innerhalb von Organisationsabläufen erbracht wird, die der Weisungsgeber vorhält, dass also dessen Einrichtungen/Betriebsmittel genutzt werden und arbeitsteilig mit vorhandenem Personal in vorgegebenen Abläufen bzw. Strukturen zusammengearbeitet wird (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.12.2023 – B 12 R 10/21 R – juris Rn. 20; Urt. v. 12.12.2023 – B 12 R 12/21 R – juris Rn. 22; Urt. v. 27.04.2021 – B 12 R 8/20 R – juris Rn. 24; Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 32). Eine dienende Teilhabe am Arbeitsprozess in diesem Sinne liegt in der Regel aber auch schon vor, wenn das Arbeitsziel und der betriebliche Rahmen vom Auftraggeber gestellt oder auf seine Rechnung organisiert werden. Sie kann selbst dann noch gegeben sein, wenn lediglich der Geschäfts- oder Betriebszweck vorgegeben und es dem Beschäftigten überlassen wird, welche Mittel er zur Erreichung der Ziele einsetzt (vgl. z.B. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 90 m.w.N.; Urt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 81; Urt. v. 14.06.2023 – L 8 BA 208/18 – juris Rn. 59).

Diese Voraussetzungen liegen vor.

Zwar stellt ein Abstimmungsbedarf, wie er auf Baustellen notwendig ist, allein noch kein ausreichendes Indiz für eine Eingliederung dar, dies insbesondere dann nicht, wenn der Abstimmungsbedarf auf (technischen) Sachzwängen beruht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 29.05.2024 – L 9 BA 20/21 – juris Rn. 38). Jedoch dienten sämtliche der von R. im streitigen Zeitraum übernommenen Aufgaben hier dem Betriebszweck des Unternehmens des Klägers. Gegenüber den Kunden des Klägers kam R. keinen eigenen vertraglichen Verpflichtungen nach, da er mit diesen keine Verträge geschlossen hat. Vielmehr wurde er “lediglich” als Erfüllungsgehilfe des Klägers tätig (vgl. BSG Urt. v. 14.03.2018 – B 12 KR 12/17 R – juris Rn. 33) und war insofern Teil des klägerischen Personaltableaus (vgl. z.B. Senatsurt. v. 14.12.2022 – L 8 BA 159/19 – juris Rn. 86; Urt. v. 30.08.2017 – L 8 R 962/15 – juris Rn. 70). Sozialversicherungsrechtlich relevante Unterschiede zu sonstigem vom Kläger zur Sozialversicherung angemeldeten Personal sind im Übrigen weder vorgetragen noch erkennbar. Nach Beendigung der Tätigkeit des R. sind dessen Aufgaben auch durch einen – ebenfalls – angestellten Mitarbeiter des Klägers wahrgenommen worden.

R. erbrachte die von ihm durchgeführten Bauleistungen auch allein in dem vom Kläger “von A bis Z”, d.h. von der Akquise bis zur Zahlung, organisierten Rahmen. Seine Tätigkeit beschränkte sich vollumfänglich auf die Bearbeitung von Aufträgen Dritter, um die sich der Kläger bemüht hatte und die entsprechend diesem und nicht unmittelbar R. erteilt worden sind. Es war auch der Kläger allein, der für die reibungslose Durchführung der Aufträge einschließlich der Aufteilung der Arbeiten und deren Kontrolle sorgte. Schließlich nahm auch nur er die Abrechnung der Arbeiten gegenüber den Kunden vor. Eine derartige Vergütung auf den jeweiligen Ebenen stellt ebenfalls ein Indiz für eine Eingliederung dar (vgl. BSG Urt. v. 19.10.2021 – B 12 KR 29/19 R – juris Rn. 24; Urt. v 19.10.2021 – B 12 R 1/21 R – juris Rn. 23; Senatsurt. v. 19.06.2024 – L 8 BA 179/18 – juris Rn. 55).

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger gegenüber seinen eigenen Kunden einen “Rundumservice” an Arbeitsleistungen angeboten hat. Stellt sich die statusrechtlich streitige Tätigkeit (wie hier die des R.) nur als Wahrnehmung einer Teilaufgabe des gesamten “Ganzen” dar, d.h. ist er in einer solchen Konstellation – je nach dem Umfang seines Teilbereichs – (allein) “ein Rädchen bzw. Rad” innerhalb des von seinem Auftraggeber organisierten und einem Dritten angebotenen gesamten Ganzen, geht dies regelmäßig zwangsläufig mit einer Einbindung in die (engmaschige) Organisationsstruktur des Auftraggebers einher, die keinen Raum für eine wesentlich eigenständige Arbeitsorganisation lässt (vgl. Senatsurt. v. 14.06.2023 – L 8 BA 208/18 – juris Rn. 62 m.w.N.; vgl. auch Senatsurt. v. 30.11.2022 – L 8 R 597/17 – juris Rn. 106 m.w.N.).

Als weiteres Merkmal der Eingliederung ist der Umstand zu werten, dass R. weitestgehend vom Kläger organisierte und bezahlte Betriebsmittel nutzte. Eine kostenfreie Überlassung von Betriebsmitteln durch den Kläger stellt ein Kriterium der Eingliederung dar (vgl. z.B. BSG Urt. v. 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R – juris Rn. 21; Urt. v 19.10.2021 – B 12 R 1/21 R – juris Rn. 23; Urt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 100 m.w.N.; Urt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 92; Beschl. v. 22.01.2024 – L 8 R 335/17 – juris Rn. 27). Nach seinen eigenen Angaben stellte der Kläger R. das für die Ausführung der Arbeiten notwendige Baumaterial vollumfänglich zur Verfügung. Jedenfalls teilweise nahm er R. zu den Baustellen in seinem Fahrzeug mit. Auch Werkzeug überließ er diesem mindestens (so seine Einlassung vor dem Senat) gelegentlich. R. selbst gab in dem der Beklagten übersandten Fragebogen zur sozialrechtlichen Feststellung sogar eine vollständige Inanspruchnahme von Werkzeugen des Klägers an und kreuzte ergänzend an, dass er nicht verpflichtet gewesen sei, in seiner hier streitigen Tätigkeit eigenes Kapital einzusetzen. Dass R. den Fragebogen hier – wie der Kläger meint – mangels hinreichender Deutschkenntnisse falsch ausgefüllt haben könnte, sieht der Senat schon vor dem Hintergrund, dass der Fragebogen vom Steuerberaterbüro übersandt worden ist, als Schutzbehauptung an.

Die erfolgte Eingliederung zeigt sich weiter daran, dass R. seine Tätigkeit jedenfalls teilweise gemeinsam mit dem Kläger und auch dessen sonstigen Mitarbeitern erbrachte. So gab der Kläger selbst an, dass er, seine Mitarbeiter und R. größere Arbeiten zusammen ausgeführt hätten. Insbesondere bei Rigipsarbeiten habe er dem Kläger “geholfen”, weil diese “für einen allein einfach zu schwer” seien. Zum Ausdruck kommt die Zusammenarbeit auch in der der Rechnung vom 15.12.2013 beigefügten Anlage, wonach R. dem Kläger beim Abbruch einer Wand “Hilfe” bei der Entsorgung geleistet hat. In welchem (genauen) Umfang R. letztlich gemeinschaftlich und in welchem Umfang allein an einem Gewerk gearbeitet hat, kann dahingestellt bleiben. Für eine Eingliederung genügt es (bereits), dass die Frage des Einsatzes (allein oder mit anderen) offenkundig vollständig der Disposition des Klägers unterlag.

Ein deutliches Indiz für eine Eingliederung (und zusätzlich für den Versuch, diese zu verschleiern), ist weiter darin zu sehen, dass R. die im Verfahren vorgelegten Rechnungen nicht selbst geschrieben hat, sondern dies durch die Ehefrau des Klägers an dessen Computer erfolgt ist. Soweit R. mangels Deutschkenntnissen (auch) nicht in der Lage war, Rechnungen in deutscher Sprache aufzusetzen, ist die für die entsprechende Handhabung genannte Motivation nicht geeignet, dem Umstand eine andere sozialversicherungsrechtliche Beurteilung beizumessen. Aus welchen Gründen eine Tätigkeit nach Weisungen bzw. unter Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation ausgeübt wird, spielt insoweit keine Rolle (vgl. z.B. BSG Urt. v. 27.04.2021 – B 12 R 16/19 R – juris Rn. 16; Senatsurt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 81; Senatsbeschl. v. 22.01.2024 – L 8 R 335/17 – juris Rn. 30; Beschl. v. 16.03.2023 – L 8 R 997/17 – juris Rn. 47; Urt. v. 15.03.2023 – L 8 BA 132/19 – juris Rn. 62).

dd. Gesichtspunkte, die eine Selbstständigkeit des R. nahelegen, sind im Wesentlichen nicht vorhanden.

Über eine eigene Betriebsstätte verfügte R. nicht. Unabhängig davon, dass er offenkundig keinerlei – im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den Kläger stehenden – Büroarbeiten vorgenommen hat, stellt ein eventueller Arbeitsplatz in der von ihm gemeinsam mit dem Bruder des Klägers gemieteten Wohnung keine bei der Statusbeurteilung zu berücksichtigende Betriebsstätte dar (vgl. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 103 m.w.N.; Senatsbeschl. v. 15.05.2023 – L 8 BA 32/23 B ER – juris Rn. 13; BFH Beschl. v. 09.05.2017 – X B 23/17 – juris Rn. 16).

Zudem trug R. – wie das SG zu Recht festgestellt hat – kein (ins Gewicht fallendes) unternehmerisches Risiko. Maßgebendes Kriterium ist nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 31.03.2017 – B 12 KR 16/14 R – juris Rn. 33 m.w.N.), denen sich der Senat in seiner ständigen Rechtsprechung angeschlossen hat (vgl. z.B. Senatsurt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 97; Urt. v. 26.01.2022 – L 8 BA 51/20 – juris Rn. 38; Urt. v. 29.01.2020 – L 8 BA 153/19 – juris Rn. 64 m.w.N.), ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt werden, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen und persönlichen Mittel also ungewiss ist. Allerdings ist ein unternehmerisches Risiko nur dann Hinweis auf eine selbstständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft oder größere Verdienstchancen gegenüberstehen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 31.03.2017 – B 12 KR 16/14 R – juris Rn. 33; Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 36; Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 104; Urt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 98). Diese Voraussetzungen liegen bereits deshalb nicht vor, weil sämtliche wesentlichen, kostenintensiven Arbeitsmaterialien vom Kläger zur Verfügung gestellt worden sind und den ggf. in geringem Umfang von R. eingesetzten eigenen Werkzeugen demgegenüber jedenfalls nur eine weit untergeordnete Bedeutung zukommt.

Seine Tätigkeit hat R. zudem – arbeitnehmertypisch (vgl. z.B. BSG Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 27; Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 33 m.w.N.; Senatsurt. v. 19.06.2024 – L 8 BA 179/18 – juris Rn. 67; Urt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 101) – stets höchstpersönlich ausgeführt. Er verfügte nicht über eigene Beschäftigte und damit auch nicht über eine betriebliche Infrastruktur und ein entsprechendes Unternehmerrisiko in personeller Hinsicht (vgl. z.B. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 111; Urt. v. 19.06.2024 – L 8 BA 179/18 – juris Rn. 67; Urt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 101). Dass die ihm gewährte Vergütung im Falle einer Schlechtleistung vermindert worden wäre, wie dies der Kläger behauptet hat, findet in der Aktenlage keine Stütze.

Eine Selbstständigkeit wird auch nicht durch die behauptete Tätigkeit des R. für mehrere Auftraggeber begründet. Vielmehr erhält dieses Kriterium erst in der Zusammenschau mit weiteren typischen Merkmalen einer selbstständigen Tätigkeit, wie z.B. einem werbenden Auftreten am Markt für die angebotene Leistung, an Gewicht (vgl. z.B. BSG Urt. v. 07.06.2019 – B 12 R 6/18 R – juris Rn. 33; Senatsurt. v. 22.06.2020 – L 8 BA 78/18 – juris Rn. 63 m.w.N.; Senatsbeschl. v. 12.02.2020 – L 8 BA 157/19 B ER – juris Rn. 19 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass R. werbend am Markt aufgetreten ist, bestehen nicht. Eine werbende Tätigkeit am Markt in Deutschland würde zudem erwarten lassen, dass der Unternehmer entweder selbst der deutschen Sprache hinreichend mächtig ist bzw. über Angestellte verfügt, die entsprechende Kenntnisse aufweisen (vgl. Senatsbeschl. v. 01.02.2021 – L 8 BA 5/20 B ER – juris Rn. 56) oder jedenfalls relevante Werbeaktivitäten bei Unternehmen entfaltet, mit denen er sprachlich hinreichend kommunizieren kann. Nichts davon ist hier der Fall. Aussagekräftige Belege dafür, dass R. im Streitzeitraum – wie vom Kläger behauptet – parallel in Ungarn in einem (ins Gewicht fallenden) Umfang unternehmerisch tätig gewesen ist, sind zu keinem Zeitpunkt vorgelegt worden und auch sonst nicht ersichtlich.

Die Gewerbeanmeldung des R. spricht gleichfalls nicht für eine selbstständige Tätigkeit, da der sozialversicherungsrechtliche Status eines Betriebsinhabers seitens der Gewerbeaufsicht nicht geprüft wird (vgl. z.B. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 120; Urt. v. 19.06.2024 – L 8 BA 179/18 – juris Rn. 76).

Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, für eine Selbstständigkeit des R. spreche dessen Berechtigung, für die von ihm geschuldeten Tätigkeiten Hilfskräfte einzusetzen, ist dies unzutreffend. Sofern man der Behauptung einer solchen Berechtigung überhaupt Glauben schenkt, vermag allein die Befugnis zur Delegation allenfalls dann ein Indiz für Selbstständigkeit darzustellen, wenn von dieser realistischerweise Gebrauch gemacht werden könnte (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 34 m.w.N.). Dies ist nicht ersichtlich, wenn dem Auftragnehmer – wie hier – grundsätzlich keine eigenen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter mit entsprechender Qualifikation zur Verfügung stehen (vgl. Senatsurt. Urt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 114).

ee. Angesichts des Umstandes, dass sich die § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV gesetzlich ausdrücklich hervorgehobenen (“insbesondere”) Kriterien für eine abhängige Beschäftigung – Weisungsgebundenheit und Eingliederung – feststellen lassen und R. weder über eine eigene Betriebsstätte verfügt noch im Auftragsverhältnis ein unternehmerisches Risiko getragen hat, sprechen alle wesentlichen Abgrenzungskriterien für eine abhängige Beschäftigung.

Eine Selbstständigkeit des R. lässt sich demzufolge auch nicht dadurch begründen, dass dies (jedenfalls) vom Kläger so gewünscht war. Überwiegen nach dem Gesamtbild die Indizien für eine abhängige Beschäftigung, kommt dem von diesem Ergebnis abweichenden Willen der Vertragsparteien keine ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.06.2024 – B 12 BA 8/22 R – juris Rn. 24). Die wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit kann nicht mit bindender Wirkung für die Sozialversicherung durch die Vertragsparteien vorgegeben werden, indem sie z.B. vereinbaren, eine selbstständige Tätigkeit zu wollen. Denn der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung schließt es aus, dass über die rechtliche Einordnung einer Person – als selbstständig oder beschäftigt – allein die Vertragsschließenden entscheiden. Über zwingende Normen kann nicht im Wege der Privatautonomie verfügt werden (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.06.2024 – B 12 BA 5/23 R – juris Rn. 15; Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 15; Urt. v. 12.12.2023 – B 12 R 10/21 R – juris Rn. 18; Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 98; Urt. v. 12.07.2023 – L 8 R 541/17 – juris Rn. 38; Urt. v. 14.06.2023 – L 8 BA 208/18 – juris Rn. 43). Vielmehr kommt es entscheidend auf die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung der Vertragsverhältnisse an (vgl. z.B. BSG Urt. v. 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R – juris Rn. 12 m.w.N.; Senatsurt. v. 26.01.2022 – L 8 BA 51/20 – juris Rn. 30 m.w.N.). Aus diesen ergibt sich – wie dargelegt – gerade nicht die (zumindest vom Kläger) beabsichtigte Selbstständigkeit des R..

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass zwar die konkrete Ausgestaltung der Vertragsbeziehung zwischen zwei Vertragspartnern grundsätzlich weitgehend ihrer Disposition unterliegt. Entsprechend steht es ihnen frei, dem Auftragnehmer einen derart großen Umfang an Weisungsfreiheit zuzugestehen, dass dies sozialversicherungsrechtlich als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit zu würdigen ist. Verfügt dieser dann noch über eine eigene Betriebsstätte, die er im konkreten Auftragsverhältnis auch nutzt und trägt er hier ein Unternehmerrisiko, steht einer (von den Vertragspartnern gewünschten) sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung als selbstständiger Tätigkeit regelmäßig nichts im Wege. Davon abzugrenzen sind jedoch Fallkonstellationen, in denen nicht die vertraglichen Umstände tatsächlich so ausgestaltet werden, dass sie einer selbstständigen Tätigkeit entsprechen, sondern in denen vielmehr allein bei der Darstellung einer – den tatsächlichen Umständen nach – abhängigen Beschäftigung nach außen bewusst der falsche Anschein einer selbstständigen Tätigkeit erweckt werden soll. Zu unterscheiden ist entsprechend eine Vertragsgestaltung, bei der die Vertragsparteien eine selbstständige Tätigkeit den Umständen nach tatsächlich ernsthaft begründen gegenüber einer Gestaltung, bei der tatsächliche Umstände einer dem Grunde nach abhängigen Beschäftigung lediglich zur Vermeidung der sozialversicherungsrechtlichen Abgabepflicht verdeckt werden sollen (vgl. z.B. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 123 f.; Urt. v. 30.11.2022 – L 8 R 597/17 – juris Rn. 121). Im vorliegenden Fall sieht der Senat letzteres als offenkundig an. Der deutlich zutage tretende Wunsch des Klägers, die Tätigkeit des R. für die (Außen-)Beurteilung als selbstständig darzustellen, um der sozialversicherungsrechtlichen Abgabepflicht zu entgehen, zieht sich durch die gesamte Verfahrensführung.

ff. Ein – den Kläger berührender – Verstoß gegen europarechtliche Vorschriften oder das Grundgesetz ist von ihm nicht substantiiert dargelegt worden bzw. auch im Übrigen nicht ersichtlich.

Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, R. “mache von der ihm europarechtlich gewährten Dienstleistungsfreiheit Gebrauch” bzw. die Rechtsauffassung der Beklagten stelle sich als “direkte Verletzung dieser Grundfreiheit” dar, ist eine Verletzung dieser durch Europarecht gewährten Freiheit bereits nicht ersichtlich. Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) steht der Anwendung (nur solcher) nationalen Regelungen entgegen, die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten gegenüber der Erbringung von Dienstleistungen allein innerhalb eines Mitgliedstaats erschwert. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt Art. 56 AEUV (lediglich) die Aufhebung aller Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, die darauf beruhen, dass der Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niedergelassen ist, in dem die Leistung erbracht wird (vgl. z.B. EuGH Urt. v. 07.09.2023 – C-461/21 – juris Rn. 62). Inwiefern die deutschen statusrechtlichen Vorschriften und deren Auslegung durch die Behörden und Gerichte die Tätigkeiten des R. als (vermeintlich) Dienstleistendem, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen sollen (vgl. hierzu EuGH Urt. v. 17.12. 2015 – C-342/14 – juris Rn. 48), ist nicht erkennbar.

Darüber hinaus hat der Kläger in keiner Weise dargelegt, welches – eigene (klägerische) – Recht konkret verletzt sein soll. Soweit er in seiner Argumentation (allein) auf Rechte des R. abstellt, fehlt es bereits an einem Bezug zu der vermeintlichen eigenen Betroffenheit. Eine solche ist auch nicht ersichtlich.

Gleiches gilt für seine (bloße) Behauptung, die Auffassung der Beklagten verletze seine Grundrechte und die des Beigeladenen aus Art. 14 GG in der Ausprägung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Unabhängig davon, dass umstritten ist, ob das “Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb” überhaupt die konstituierenden Merkmale des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs aufweist (vgl. z.B. Epping/Hillgruber in: BeckOK Grundgesetz, 59. Ed., Stand 15.06.2024 – Rn. 52 m.w.N.), liegt ein Verstoß gegen Art. 14 GG nicht vor. Vielmehr ergibt sich die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsabgaben aus dem öffentlichen Interesse an der Funktionsfähigkeit des Sozialversicherungssystems als Belang der sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit und an einer sozialen Ausgestaltung des Wirtschaftsprozesses, die eine freie und zugleich sozialverträgliche Unternehmensführung gewährleistet (vgl. ausführlich BSG Urt. v. 29.06.2000 – B 4 RA 57/98 R – juris Rn. 154 ff.).

b. Die Voraussetzungen von Versicherungsfreiheitstatbeständen sind nicht erfüllt. Hinweise auf das Vorliegen einer geringfügigen Beschäftigung (§ 8 Abs. 1 SGB IV) oder das Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), die zum Ausschluss der Versicherungspflicht führen könnten, sind weder erkennbar noch geltend gemacht. Eine (anderweitige) hauptberufliche selbstständige Tätigkeit des R., die ggf. gem. § 5 Abs. 5 SGB V zur Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung führen könnte, ist nicht belegt. Versicherungsfreiheit im Recht der Arbeitsförderung wegen der Ausübung einer unständigen Beschäftigung nach § 27 Abs. 3 Nr. 1 SGB III (vgl. BSG Urt. v. 14.03.2018 – B 12 KR 17/16 R – juris Rn. 20) besteht nicht.

c. Die Höhe der Beitragsforderung und Umlagen für die Zeiträume vom 01.02.2013 bis 31.12.2013, 01.03.2013 bis 31.12.2014 und 01.03.2015 bis 31.10.2015 begegnet keinen Bedenken. Einwände hat der Kläger insoweit auch nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind weder erstattungsfähig noch sind diese mit Kosten zu belasten, da sie von einer Antragstellung abgesehen haben (vgl. § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1 S. 1, 52 Abs. 3, 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Gerichtskostengesetz.

Architekten machen keine Rechtsberatung!

Architekten machen keine Rechtsberatung!

Nach § 3 RDG ist die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch das Rechtsdienstleistungsgesetz oder durch oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird. 
Nach § 2 Abs. 1 RDG ist eine Rechtsdienstleistung jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine Prüfung des Einzelfalls erfordert. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfasst diese Vorschrift jede konkrete Subsumtion eines Sachverhalts unter die maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen, die über die bloße schematische Anwendung von Rechtsnormen ohne weitere rechtliche Prüfung hinausgeht. Ob es sich um eine einfache oder schwierige Rechtsfrage handelt, ist unerheblich (BGH, Urteil vom 31. März 2016 – I ZR 88/15 Rn. 23, NJW 2016, 3441).
Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 RDG sind Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit erlaubt, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören. Ob eine Nebenleistung vorliegt, ist nach ihrem Inhalt, Umfang und sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind. Ziel dieser Regelungen ist es einerseits, diejenigen, die in einem nicht spezifisch rechtsdienstleistenden Beruf tätig sind, in ihrer Berufsausübung nicht zu behindern und andererseits, den erforderlichen Schutz der Rechtsuchenden vor unqualifiziertem Rechtsrat zu gewährleisten (BGH, Urteil vom 31. März 2016 – I ZR 88/15 Rn. 32, NJW 2016, 3441; BT-Drucks. 16/3655, S. 51).
Der Architekt hat die Pflicht, die Leistungen zu erbringen, die erforderlich sind, um die mit dem Besteller vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele zu erreichen. Dieses Aufgabengebiet und damit das Berufsbild des Architekten hat in vielfacher Hinsicht Berührungen zu Rechtsdienstleistungen. So kann es zum Erreichen der vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele notwendig sein, über Kenntnisse des öffentlichen und privaten Baurechts zu verfügen und diese in der Beratung des Bauherrn umzusetzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Architekt als geschäftlicher Oberleiter, sachkundiger Berater und Betreuer des Bauherrn nicht unerhebliche Kenntnisse des Werkvertragsrechts, des BGB und der entsprechenden Vorschriften der VOB/B besitzen (BGH, Urteil vom 26. April 1979 – VII ZR 190/78, BGHZ 74, 235, 238). Die Tätigkeit des Architekten kann zudem erfordern, dem Bauherrn das planerische, wirtschaftliche und rechtliche Umfeld des Vorhabens zu erläutern und in diesem Zusammenhang öffentlich-rechtliche Vorschriften zum Bauplanungs- und Bauordnungsrecht in seine Beratung einzubeziehen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2021 – I ZR 227/19 Rn. 52, BauR 2021, 990 = NZBau 2021, 259). Insoweit soll der Architekt in seiner Berufsausübung durch das Rechtsdienstleistungsgesetz nicht behindert werden.
Der Architekt ist jedoch nicht einem Rechtsberater des Bauherrn gleichzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2021 – I ZR 227/19 Rn. 53, BauR 2021, 990 = NZBau 2021, 259; Urteil vom 25. Oktober 1984 – III ZR 80/83, NJW 1985, 1692, 1693 zu 2). Eine allgemeine Rechtsberatung wird von dem Berufsbild des Architekten nicht erfasst, da es insoweit an einer hinreichenden juristischen Qualifikation fehlt. Insoweit greift der Zweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes, den Schutz der Rechtsuchenden vor unqualifiziertem Rechtsrat zu gewährleisten.
Bspw geht die Zurverfügungstellung einer der Interessenlage der Klägerin entsprechenden Skontoklausel zur Verwendung in den Verträgen mit den bauausführenden Unternehmern über die typischerweise mit der Verwirklichung von Planungs- und Überwachungszielen verbundenen Aufgaben und damit über das Berufsbild des Architekten hinaus. Denn die Erfüllung einer solchen Pflicht erfordert qualifizierte Rechtskenntnisse, wie sie grundsätzlich nur in der Anwaltschaft vorhanden sind. Es bedarf deshalb des Schutzes des Bauherrn als Rechtsuchenden vor unqualifiziertem Rat (vgl. Keldungs, Festschrift Ulrich Werner, S. 81, 86; Rath, Festschrift Koeble, S. 457, 460). Demgegenüber wird der Architekt in seiner Berufsausübung nicht behindert, da er die mit dem Bauherrn vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele erreichen kann, ohne selbst eine Skontoklausel zur Verfügung zu stellen, die die Interessenlage des Bauherrn im Verhältnis zu den bauausführenden Unternehmern abbildet. Der Architekt muss den Bauherrn nur darauf hinweisen, dass ihm eine solche Tätigkeit nicht erlaubt ist und sich der Bauherr insoweit an einen Rechtsanwalt zu wenden hat (vgl. schon zum Rechtsberatungsgesetz Kniffka, ZfBR 1994, 253, 256; vgl. des Weiteren Kniffka/Jurgeleit – Zahn, Bauvertragsrecht, 4. Aufl., § 650p Rn. 152). Die vom Senat getroffene Auslegung des Rechtsdienstleistungsgesetzes verletzt deshalb den Beklagten nicht in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).
Eine solche Rechtsdienstleistung ist des Weiteren durch Anlage 11 Leistungsphase 7 h) zu § 33 Satz 3 HOAI (2009) weder unmittelbar noch mittelbar erlaubt.
Nach dieser Regelung erhält ein Architekt ein Entgelt für das “Mitwirken bei der Auftragserteilung”. Insoweit wird vertreten, der Architekt sei verpflichtet, Verträge zu entwerfen bzw. sämtliche Vertragsunterlagen zusammenzustellen, die auf die Interessen des Bauherrn abgestellt sind (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 26. September 2002 – 12 U 63/02, BauR 2003, 1751 = NZBau 2003, 684, juris Rn. 24; Locher/Koeble/Frik-Koeble, Kommentar zur HOAI, 15. Aufl., § 34 Rn. 205; Langen, AnwBl. 2009, 436, 438; Bruns, NZBau 2007, 737, 738; Preussner, Architektenrecht, 2. Aufl., Teil D Rn. 84 f.; ähnlich Korbion in Korbion/Mantscheff/Vygen, Kommentar zur HOAI, 9. Aufl., § 34 HOAI Rn. 239; a.A. Scholtissek, HOAI, 2. Aufl., § 34 Rn. 297; Keldungs, Festschrift Ulrich Werner, S. 81, 85 f.; Rath, Festschrift für Koeble, S. 457, 460). Soweit der Verordnungsgeber insbesondere für rechtsbesorgende Tätigkeiten im Rahmen der HOAI eine Vergütung vorgesehen habe, sei damit ein Erlaubnistatbestand im Sinne von § 5 Abs. 1 RDG geschaffen, weil ansonsten eine Leistung vergütet werde, die wegen § 134 BGB nicht wirksam vereinbart werden könne (Locher/Koeble/Frik-Locher, Kommentar zur HOAI, 15. Aufl., Einl. Rn. 209; vgl. zudem Langen AnwBl. 2009, 436, 438).
Ein Erlaubnistatbestand im Sinne von § 5 Abs. 1 RDG kann unmittelbar aus Anlage 11 Leistungsphase 7 h) zu § 33 Satz 3 HOAI (2009) bereits deshalb nicht abgeleitet werden, weil der Verordnungsgeber durch die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage in Art. 10 § 1 MRVG nicht ermächtigt wurde, Erlaubnistatbestände für die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen im Sinne von § 3 RDG zu regeln.
Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der dem Verordnungsgeber erteilten Ermächtigung in dem ermächtigenden Gesetz bestimmt werden. Beachtet die Verordnung diese Grenzen der Ermächtigung nicht, ist sie insoweit unwirksam (vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Juli 1999 – 2 BvF 3/90, BVerfGE 101, 1, juris Rn. 111 ff.; BGH, Urteil vom 24. April 2014 – VII ZR 164/13 Rn. 13 ff., BGHZ 201, 32). Mit Art. 10 § 1 MRVG hat der Gesetzgeber die Bundesregierung ausschließlich ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats eine Honorarordnung für Ingenieur- und Architektenleistungen zu erlassen. Art. 10 § 1 MRVG enthält dagegen über die reinen Honorarregelungen hinaus keine Ermächtigung, das Architekten- und Ingenieurrecht zu gestalten und beispielsweise Erlaubnistatbestände für grundsätzlich unzulässige Rechtsdienstleistungen zu normieren. Dementsprechend ist Anlage 11 Leistungsphase 7 zu § 33 HOAI Satz 3 (2009) verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass diese Regelung keinen Erlaubnistatbestand im Sinne von § 3 RDG enthält.
Aus Anlage 11 Leistungsphase 7 h) zu § 33 Satz 3 HOAI (2009) kann daher auch nicht mittelbar geschlossen werden, eine Vereinbarung über die Zurverfügungstellung einer Skontoklausel, die die Interessen des Bauherrn berücksichtigt, zur Verwendung in den Verträgen mit bauausführenden Unternehmern sei vom Berufsbild des Architekten gedeckt. Eine solche Auslegung verkennt zudem das Verhältnis von formellen und materiellen Gesetzen wie dem Rechtsdienstleistungsgesetz zu bloß materiellen Gesetzen wie der HOAI als Rechtsverordnung.
Die HOAI steht als Rechtsverordnung im Rahmen der Normenhierarchie unter dem Rechtsdienstleistungsgesetz als formellem Gesetz, das deshalb Vorrangwirkung entfaltet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1981 – 1 BvR 413/80, 768/80, 820/80, BVerfGE 56, 216, juris Rn. 74). Dementsprechend ist nicht das Rechtsdienstleistungsgesetz unter Heranziehung der Honorarregelungen der HOAI auszulegen. Vielmehr ist umgekehrt bei der Frage der Auslegung von Anlage 11 Leistungsphase 7 h) zu § 33 HOAI Satz 3 (2009) zu berücksichtigen, dass es keine Vergütung für eine Verpflichtung geben kann, die nach § 3 RDG in Verbindung mit § 134 BGB nichtig ist.
Schließlich ist eine übernommene unzulässige Rechtsdienstleistung nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Architekt sich hinsichtlich der Skontoklausel der Hilfe eines Rechtsanwalts bedient hat. Die Einbeziehung eines Rechtsanwalts als Erfüllungsgehilfen zur Erbringung der Rechtsdienstleistung ändert nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nichts an der Unzulässigkeit der Rechtsdienstleistung und der Nichtigkeit der entsprechenden schuldrechtlichen Vereinbarung (BGH, Urteil vom 30. Juli 2019 – VI ZR 486/18 Rn. 21 m.w.N., NJW-RR 2019, 1524).
Vereinbarungen, die auf die Erbringung einer unerlaubten Rechtsdienstleistung zielen, sind nach § 134 BGB nichtig (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18 Rn. 58 m.w.N., NJW 2020, 208).

Vertragsstrafenregelungen müssen wirksam sein!

Vertragsstrafenregelungen müssen wirksam sein!

Unwirksam ist die vom Auftraggeber in einem Einheitspreisvertrag verwendete Vertragsstrafenklausel

“2.1 Der Auftragnehmer hat bei Überschreitung … der Frist für die Vollendung als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs zu zahlen:
[…]
0,2 v.H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer;
[…]
2.2 Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 5 v. H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) begrenzt.”

Sie ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Es kann daher dahinstehen, ob die Vertragsstrafenregelung überhaupt in den Vertrag der Parteien einbezogen wurde und worauf die Verzögerung der Vollendung beruhte.
Die Vertragsstrafenklausel in Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB. Verwenderin im Verhältnis zur Klägerin ist die Beklagte, deren Ausschreibung die BVB-VOB enthielt.
Nach Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB ist die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Frist für die Vollendung, wie eine Auslegung dieser Bestimmungen ergibt, auf insgesamt 5 % der vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Auftragssumme begrenzt. Eine solche Regelung über die Bezugsgröße der Vertragsstrafe beeinträchtigt bei einem Einheitspreisvertrag, wie er hier geschlossen wurde, den Auftragnehmer als Vertragspartner des Verwenders nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind wie revisible Rechtsnormen zu behandeln und infolgedessen vom Revisionsgericht frei auszulegen, da bei ihnen ungeachtet der Frage, ob sie über den räumlichen Bezirk eines Berufungsgerichts hinaus Verwendung finden, ein Bedürfnis nach einheitlicher Handhabung besteht (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2022 – VII ZR 176/20 Rn. 28, BauR 2022, 1337 = NZBau 2022, 648; Urteil vom 8. September 2021 – VIII ZR 97/19 Rn. 17, RdE 2022, 23; Urteil vom 16. Juli 2020 – VII ZR 159/19 Rn. 26, BauR 2020, 1933 = NZBau 2020, 708 jeweils m.w.N.).Sie sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2022 – VII ZR 176/20 Rn. 29, BauR 2022, 1337 = NZBau 2022, 648; Urteil vom 8. September 2021 – VIII ZR 97/19 Rn. 18, RdE 2022, 23; Urteil vom 16. Juli 2020 – VII ZR 159/19 Rn. 27, BauR 2020, 1933 = NZBau 2020, 708; jeweils m.w.N.). Ansatzpunkt für die bei einer Formularklausel gebotene objektive Auslegung ist in erster Linie ihr Wortlaut (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2022 – VII ZR 176/20 Rn. 29, BauR 2022, 1337 = NZBau 2022, 648; Urteil vom 8. September 2021 – VIII ZR 97/19 Rn. 21, RdE 2022, 23; Urteil vom 16. Juli 2020 – VII ZR 159/19 Rn. 27, BauR 2020, 1933 = NZBau 2020, 708; jeweils m.w.N.).
(a) Nach diesen Grundsätzen ist zunächst davon auszugehen, dass die Bestimmung über die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Frist für die Vollendung in Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB nach der Vertragsgestaltung eine eigenständige Regelung darstellt, die inhaltlich, optisch und sprachlich von der Vertragsstrafe für die Überschreitung sonstiger Termine getrennt ist. Als solche kann sie einer eigenen Inhaltskontrolle unterzogen werden (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. November 2013 – VII ZR 371/12 Rn. 7, BauR 2014, 550 = NZBau 2014, 100; Urteil vom 18. Januar 2001 – VII ZR 238/00, BauR 2001, 791, juris Rn. 23).
Die Auslegung des Begriffs der “im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer)” in Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB führt nach dem eindeutigen Wortlaut dazu, dass sich die Höhe der Vertragsstrafe nach der vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Auftragssumme richtet.
Zwar ist der Begriff der “Auftragssumme” als solcher grundsätzlich unterschiedlichen Deutungen zugänglich. Hierunter kann – nach den jeweiligen Gegebenheiten – einerseits die nach der Abwicklung des Vertrags geschuldete Vergütung zu verstehen sein, andererseits aber auch derjenige Wert, der sich nach der von den Parteien vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Vergütung bemisst (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – VII ZR 28/07, BauR 2008, 508 = NZBau 2008, 376, juris Rn. 14).
Vorliegend ist allerdings durch die ausdrückliche Anknüpfung an die “im Auftragsschreiben genannte[n]” Netto-Auftragssumme zweifelsfrei klargestellt, dass als Bezugsgröße der Wert gemeint ist, der sich nach der von den Parteien vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Vergütung der Klägerin bemisst. Im Zeitpunkt der schriftlichen Auftragserteilung steht bei einem Einheitspreisvertrag, bei dem die Mengen und Massen nach dem (späteren) tatsächlichen Verbrauch berechnet werden, nur diese Vergütung fest.
Ausgehend von diesem Klauselverständnis ist die Bestimmung über die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Frist für die Vollendung in Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB bei Verwendung in einem Einheitspreisvertrag, wie er hier geschlossen wurde, gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 – VII ZR 159/19 Rn. 23, BauR 2020, 1933 = NZBau 2020, 708). Nach der Rechtsprechung des Senats benachteiligt eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers enthaltene Vertragsstrafenklausel den Auftragnehmer unangemessen, wenn sie eine Höchstgrenze von mehr als 5 % der Auftragssumme bei Überschreiten des Fertigstellungstermins vorsieht (BGH, Versäumnisurteil vom 23. Januar 2003 – VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311, juris Rn. 58 ff.). Diese Rechtsprechung knüpft maßgeblich an die mit der Strafe verfolgte Druckfunktion an, den Auftragnehmer zur ordnungsgemäßen Erbringung seiner Leistungen anzuhalten. Zugleich soll sie den Auftraggeber in den Stand setzen, sich bei Verletzung der sanktionierten Vertragspflichten jedenfalls bis zur Höhe der Vertragsstrafe ohne Einzelnachweis schadlos zu halten (BGH, Urteil vom 20. Januar 2000 – VII ZR 46/98, BauR 2000, 1049 = NZBau 2000, 327, juris Rn. 11). Allerdings müssen auch die Interessen des Auftragnehmers berücksichtigt werden, insbesondere, dass die für die Überschreitung eines Termins vereinbarte Vertragsstrafe unter Berücksichtigung ihrer Druck- und Kompensationsfunktion in einem angemessenen Verhältnis zum Werklohn steht, den der Auftragnehmer durch seine Leistung verdient (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – VII ZR 133/11, juris Rn. 18). Die Druckfunktion erlaubt dabei zwar durchaus eine spürbare Vertragsstrafe, es ist aber darauf zu achten, dass sich die Vertragsstrafe in wirtschaftlich vernünftigen Grenzen hält (BGH, Urteil vom 20. Januar 2000 – VII ZR 46/98, BauR 2000, 1049 = NZBau 2000, 327, juris Rn. 12). Gemessen daran ist eine Vertragsstrafe von über 5 % der Auftragssumme zu hoch. Der Auftragnehmer wird typischerweise durch den Verlust von mehr als 5 % seines Vergütungsanspruchs unangemessen belastet (BGH, Versäumnisurteil vom 23. Januar 2003 – VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311, juris Rn. 60).
Diesen Wirksamkeitsanforderungen wird die in Rede stehende Klausel bei Verwendung in einem Einheitspreisvertrag nicht gerecht.
Maßgebliche Bezugsgröße für die vorgenannte Grenze von 5 % des Vergütungsanspruchs des Auftragnehmers ist die Abrechnungssumme in ihrer objektiv richtigen Höhe (vgl. Staudinger/Leupertz, BGB, 2022, Anh. zu §§ 305-310 Rn. B 229; BeckOK VOB/B/Oberhauser, Stand: 31. Januar 2023, § 11 Abs. 3 Rn. 5; jeweils m.w.N.). Das folgt aus der Orientierung des Grenzwerts an dem tatsächlichen “Verdienst” des Auftragnehmers, der typischerweise durch den Verlust von über 5 % der Vergütungssumme in vielen Fällen nicht nur seinen Gewinn verliert, sondern einen spürbaren Verlust erleidet (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 23. Januar 2003 – VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311, juris Rn. 60). Dem entspricht es, dass für einen möglichen Schaden des Auftraggebers, den die Vertragsstrafe widerzuspiegeln hat (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2000 – VII ZR 46/98, BauR 2000, 1049 = NZBau 2000, 327, juris Rn. 19, Versäumnisurteil vom 23. Januar 2003 – VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311, juris Rn. 59), gleichfalls nicht die vor Ausführung des Auftrags vereinbarte, sondern die an den Auftragnehmer tatsächlich zu zahlende Vergütung bestimmend ist (vgl. BeckOK VOB/B/Oberhauser, Stand: 31. Januar 2023, § 11 Abs. 3 Rn. 5).
Bei einem Einheitspreisvertrag kann bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die Anknüpfung der Vertragsstrafe an die vor Auftragsdurchführung vereinbarte (Netto-)Auftragssumme im Falle einer – aus unterschiedlichen Gründen (etwa durch Verringerung der tatsächlich ausgeführten gegenüber den bei Vertragsschluss zugrunde gelegten Mengen) nicht bloß theoretisch denkbaren – nachträglichen Absenkung des Auftragsvolumens dazu führen, dass die vom Auftragnehmer zu erbringende Strafzahlung die Grenze von 5 % seines Vergütungsanspruchs – unter Umständen erheblich – übersteigt. Die damit verbundene, den Auftragnehmer im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligende und damit zur Unwirksamkeit der Klausel führende Privilegierung des Auftraggebers wird innerhalb der Regelung nicht anderweit, etwa durch einen dem gegenüberstehenden Vorteil für den Auftragnehmer, ausgeglichen. Die Klausel enthält insbesondere auch keine Vorkehrungen (beispielsweise durch einen Vorbehalt oder in anderer geeigneter Weise), durch die der Gefahr einer Überschreitung der für die Vertragsstrafe maßgeblichen Grenze angemessen Rechnung getragen wird.

Meiden Sie jedwede Änderungen der VOB/B!

Meiden Sie jedwede Änderungen der VOB/B!

Beispiele aus der Rechtsprechung hierfür sind

  • Eine Regelung, die Einheitspreise für fest und unveränderbar erklärt (vgl. BGH, Urt. v. 19.01.2023 – VII ZR 34/20). Hierin liegt eine Abweichung von § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B.
  • Eine Regelung, nach der der Auftraggeber Abschlagszahlungen von bis zu 90 Prozent der nachgewiesenen Leistungen zu leisten hat (vgl. BGH, Urt. v. 19.01.2023 – VII ZR 34/20). Hierin liegt eine Abweichung von § 16 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B.
  • Eine Regelung, wonach die Leistung ab einer Auftragssumme von 10.000,00 Euro förmlich abzunehmen ist (vgl. LG Heidelberg, Urt. v. 10.12.2010 – 3 O 170/10). Hierin liegt eine Abweichung von § 12 Abs. 5 VOB/B.
  • Eine Regelung, nach der der Auftragnehmer eine Bürgschaft auf erstes Anfordern als Sicherheit zu stellen hat (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 13.12.2007 – 12 U 1498/07). Hierin liegt eine Abweichung von § 17 Nr. 4 S. 3 VOB/B.
  • Eine Regelung, nach der die Gewährleistungsfrist 6 Werktage nach Beginn der Benutzung des Werks durch dessen Besteller, spätestens mit dem Einzug in das errichtete Haus beginnt (vgl. OLG Celle, Teilurt. v. 18.12.2008 – 6 U 65/08). Hierin liegt eine Abweichung von § 12 Abs. 5, 13 Abs. 4 Nr. 3 VOB/B.

Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1982 (VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135) unterlagen die Klauseln der VOB/B, die als vorformulierte Vertragsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Juli 2008 – VII ZR 55/07 Rn. 10 m.w.N., BGHZ 178, 1), keiner Inhaltskontrolle, wenn der Verwender die VOB/B ohne ins Gewicht fallende Einschränkung übernommen hatte. Begründet wurde das damit, dass die VOB/B im Gegensatz zu anderen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht nur die Interessen einer Vertragspartei verfolge, sondern im Ganzen einen einigermaßen ausgewogenen Ausgleich der beteiligten Interessen enthalte (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1982 – VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135, juris Rn. 27 ff.).
Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 22. Januar 2004 dahingehend modifiziert, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist, unabhängig davon, welches Gewicht der Eingriff hat. Damit ist die Inhaltskontrolle auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vorliegen. Ob eventuell benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen “ausgeglichen” werden, ist unerheblich (BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 – VII ZR 419/02, BGHZ 157, 346, juris Rn. 11).
Danach ist für die Eröffnung der Inhaltskontrolle eine substanzielle Abänderung der VOB/B nicht erforderlich. Dies gilt auf Grund der vorgenannten Rechtsprechung ungeachtet des Umstands, dass der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag aus der Zeit vor dem 1. Januar 2009 und damit vor Einführung von § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB datiert.
Ein Auftraggeber als Verwender der VOB/B kann dann eine ausgesprochene Kündigung nicht auf § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) stützen. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) hält ebenso wie die hierauf rückbezogene Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand. Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002), die inhaltlich den derzeit geltenden § 4 Abs. 7 Satz 3, § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2016) entspricht, benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam.
Nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) kann der Auftraggeber den Vertrag kündigen, wenn im Falle des § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) die dem Auftragnehmer gesetzte Frist fruchtlos abgelaufen ist (Entziehung des Auftrags). Die Klausel in § 4 Nr. 7 VOB/B (2002), auf die sich dieses Kündigungsrecht bezieht, sieht in Satz 1 vor, dass der Auftragnehmer Leistungen, die schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig erkannt werden, auf eigene Kosten durch mangelfreie zu ersetzen hat. Kommt der Auftragnehmer der Pflicht zur Beseitigung des Mangels nicht nach, kann ihm gemäß Satz 3 der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels setzen und erklären, dass er ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehe (§ 8 Nr. 3). § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) enthält mithin nicht selbst einen Kündigungsgrund, sondern greift rückbeziehend das in § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) tatbestandlich geregelte Kündigungsrecht unter den dort niedergelegten Voraussetzungen auf. Die derart wechselbezüglich miteinander verknüpften Regelungen stellen allgemeiner Auffassung zufolge einen Anwendungsfall des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund dar (vgl. Kapellmann/Messerschmidt/Lederer, 8. Aufl. 2023, VOB/B § 8 Rn. 93).
In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist (für die Unwirksamkeit Ingenstau/Korbion/Sienz, VOB Teile A und B, 22. Aufl., Anh. 3 Rn. 72; Kniffka/Jurgeleit/Schmitz, ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand: 15. November 2021, § 648a Rn. 89 ff.; Bolz/Jurgeleit/Karczewski, ibr-online Kommentar VOB/B, Stand: 24. August 2022, § 4 Rn. 368, 372; Bedenken an der Wirksamkeit äußernd Gartz in Nicklisch/Weick/Jansen/Seibel, VOB/B, 5. Aufl., § 4 Rn. 209 f.; Messerschmidt/Voit/Voit, Privates Baurecht, 4. Aufl., § 4 VOB/B Rn. 38; Glöckner/v. Berg/Vogelheim, Bau- und Architektenrecht, 2. Aufl., Teil III, § 4 Rn. 28; Leinemann/Kues/Geheeb, BGB-Bauvertragsrecht, 1. Aufl., § 648a Rn. 92; Graf von Westphalen/Thüsing/Pamp/Schmidt, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 48. EL. März 2022, “Bauvertrag”, Rn. 22; Schenke, BauR 2008, 1972, 1977; für die Wirksamkeit OLG Koblenz, Urteil vom 28. Juli 2020 – 4 U 1282/17, juris Rn. 87 ff.; LG Bremen, Zwischenurteil vom 20. Juni 2019 – 2 O 2021/10, juris Rn. 122 ff.; OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Juni 2007 – 3 U 31/07, juris Rn. 15 ff.; Schrader, jurisPR-PrivBauR 5/2020 Anm. 3).
Der BGH entscheidet die Frage dahingehend, dass § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung der Voraussetzungen einer Kündigung eines Werkvertrags aus wichtigem Grund, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Die Klauseln benachteiligen den Auftragnehmer unangemessen und sind deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.
Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2017 – VII ZR 170/16 Rn. 17, BauR 2017, 1202). Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders wird nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vermutet, wenn eine klauselmäßige Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung gegeben ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und damit für die Bestimmung der für die Beurteilung einer unangemessenen Benachteiligung heranzuziehenden wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist der Vertragsschluss (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2014 – VIII ZR 344/13 Rn. 31 m.w.N., BGHZ 201, 363). Entscheidend sind die durch die Klausel konkret verdrängten gesetzlichen Vorschriften, die im Streitfall auf das vertraglich begründete Rechtsverhältnis anwendbar wären (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1987 – VII ZR 185/86, BGHZ 102, 41, juris Rn. 20). Die “gesetzlichen Regelungen” im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfassen dabei nicht nur Gesetze im materiellen Sinn, sondern auch ungeschriebenes Recht, wozu auch das Richterrecht sowie die von der Rechtsprechung und Rechtslehre durch Auslegung, Analogie oder Rechtsfortbildung aus den allgemeinen Grundgedanken eines Rechtsgebiets oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung aus der Natur eines Schuldverhältnisses erarbeiteten und anerkannten Rechtssätze gehören (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2002 – XI ZR 245/01, BGHZ 150, 269, juris Rn. 23). Die Vermutung ist widerlegt, wenn die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild auf Grundlage einer umfassenden Interessensabwägung sachlich gerechtfertigt und der gesetzliche Schutzzweck auf andere Weise sichergestellt ist (BGH, Urteil vom 27. April 2021 – XI ZR 26/20 Rn. 24 m.w.N., BGHZ 229, 344).
Für § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) ist von einem Klauselverständnis auszugehen, wonach bei ganz geringfügigen und unbedeutenden Vertragswidrigkeiten oder Mängeln die Kündigung aus wichtigem Grund eröffnet ist.
Nach dem Wortlaut von § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) kann der Auftraggeber dem Auftragnehmer den Auftrag entziehen, wenn eine mangelhafte oder vertragswidrige Leistung in der Ausführungsphase aufgetreten ist, die der Auftragnehmer trotz Fristsetzung und Kündigungsandrohung nicht beseitigt hat. Weitere Voraussetzungen im Hinblick darauf, dass die Kündigung nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) eine solche aus wichtigem Grund ist, enthalten weder § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) noch § 8 Nr. 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002).
Die Sanktion der Kündigung aus wichtigem Grund kann danach einschränkungslos in jedem denkbaren Fall festgestellter Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit ausgesprochen werden. Diese Möglichkeit besteht losgelöst davon, welches Gewicht der Vertragswidrigkeit oder dem Mangel im Hinblick auf die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zukommt. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) differenziert nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels, so dass selbst unwesentliche Mängel, die den Auftraggeber nach § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zur Verweigerung der Abnahme berechtigen würden, zur Kündigung aus wichtigem Grund führen können.
Die Fristsetzung und die Auftragsentziehungsandrohung sind lediglich als einzuhaltende Förmlichkeiten formuliert, so dass der Auftraggeber den Vertrag auch dann aus wichtigem Grund kündigen kann, wenn der Fristsetzung kein anerkennenswertes eigenes Interesse an der fristgerechten Beseitigung der vertragswidrigen oder mangelhaften Leistung zugrunde liegt oder die Auftragsentziehung angedroht wird, ohne dass ein berechtigtes Interesse an der vorzeitigen Vertragsbeendigung besteht.
Aus der systematischen Stellung und dem Regelungszusammenhang der Klauseln ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass ganz geringfügige und unbedeutende Vertragswidrigkeiten oder Mängel kein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund begründen könnten. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) knüpft an das dem Auftraggeber in § 4 Nr. 7 Satz 1 VOB/B (2002) ausbedungene Recht an, bereits während der Ausführung die Beseitigung als vertragswidrig oder mangelhaft erkannter Leistungen fordern zu können. § 4 Nr. 7 Satz 1 VOB/B (2002) differenziert seinerseits ebenfalls nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels.
Ausgehend von dem Klauselverständnis widerspricht § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) dem gesetzlichen Leitbild im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
Die Kündigungsregelung nach § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) ist anhand der richterrechtlich entwickelten Grund-sätze zu messen, nach denen der Auftraggeber einen Werkvertrag aus wichtigem Grund kündigen kann.
Das Recht eines Auftraggebers, einen Werkvertrag aus wichtigem Grund zu kündigen, ist für ab dem 1. Januar 2002, aber vor Einführung von § 648a BGB geschlossene Verträge – wie dem streitgegenständlichen – richterrechtlich anerkannt und folgt aus dem Rechtsgedanken des § 314 BGB (BGH, Urteil vom 7. April 2016 – VII ZR 56/15 Rn. 40 m.w.N., BGHZ 210, 1).
Voraussetzung einer Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage zum Auftraggeber derart erschüttert hat, dass diesem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2019 – VII ZR 1/19 Rn. 23, 31, BGHZ 223, 260; Urteil vom 8. März 2012 – VII ZR 118/10 Rn. 22, BauR 2012, 949 = NZBau 2012, 357).
Eine vertragswidrige oder mangelhafte Werkleistung in der Ausführungsphase kann im Hinblick auf die zu berücksichtigende Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers nur dann ein wichtiger Grund sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen. Solche können sich im Einzelfall aus Umständen ergeben, die einen Bezug zu der potenziell mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung aufweisen, sofern diese in der Gesamtabwägung so schwer wiegen, dass sie zu einer tiefgehenden Störung der für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertrauensbeziehung geführt haben. Ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers, die Fertigstellung durch den Auftragnehmer nicht mehr abwarten zu müssen, kann etwa aus der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels folgen.
Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) weicht nach dem maßgeblichen Klauselverständnis von diesen wesentlichen Grundgedanken ab. Hiernach kann der Auftraggeber die Kündigung losgelöst von diesen Kriterien und – bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs – selbst bei Geringfügigkeit der Vertragswidrigkeiten oder Mängel während der Ausführungsphase aussprechen.
Diese Abweichung von dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, denn die Vermutung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist nicht widerlegt. Weder wird die unangemessene Benachteiligung durch andere der Klägerin von der Beklagten gewährte Vorteile kompensiert noch rechtfertigen besondere Umstände bezogen auf die Durchführung und Abwicklung von Bauleistungen diese.
§ 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) behält im Übrigen – soweit die Bestimmung nicht auf § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) rückbezogen ist – seine Wirksamkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können inhaltlich voneinander trennbare, einzeln aus sich heraus verständliche Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch dann Gegenstand einer gesonderten Wirksamkeitsprüfung sein, wenn sie in einem äußeren sprachlichen Zusammenhang mit anderen – unwirksamen – Regelungen stehen. Nur wenn der als wirksam anzusehende Teil im Gesamtgefüge des Vertrags nicht mehr sinnvoll, insbesondere der als unwirksam beanstandete Klauselteil von so einschneidender Bedeutung ist, dass von einer gänzlich neuen, von der bisherigen völlig abweichenden Vertragsgestaltung gesprochen werden muss, ergreift die Unwirksamkeit der Teilklausel die Gesamtklausel. Die inhaltliche Trennbarkeit einer Klausel und damit ihre Zerlegung in einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich unzulässigen Teil ist immer dann gegeben, wenn der unwirksame Teil der Klausel gestrichen werden kann, ohne dass der Sinn des anderen Teils darunter leidet (sog. blue-pencil-test); ob beide Bestimmungen den gleichen Regelungsgegenstand betreffen, ist dabei unerheblich (vgl. nur BGH, Urteil vom 6. April 2022 – VIII ZR 295/20 Rn. 45 m.w.N., NJW 2022, 1944).
Es empfiehlt sich deshalb entweder die VOB/B tatsächlich als Ganzes zu vereinbaren und auf modifizierende Regelungen gänzlich zu verzichten oder, insbesondere sofern man selbst Verwender des vertraglichen Klauselwerkes ist, eine rechtliche Prüfung vornehmen zu lassen, um Risiken entsprechend zu minimieren.

VG Ansbach zu der Untersagung des Fortbetriebs einer nicht genehmigten Gastraumerweiterung

VG Ansbach zu der Untersagung des Fortbetriebs einer nicht genehmigten Gastraumerweiterung

vorgestellt von Thomas Ax

Mehr Sitzplätze im Sommer, ein überdachter Eingangsbereich oder eine modernisierte Küche – bauliche Veränderungen gehören für viele Gastronomen zum Alltag. Selbst kleinere Anpassungen können rechtliche Folgen haben, wenn sie ohne Genehmigung vorgenommen werden. Wer Umbauten oder Erweiterungen plant, sollte sich vorab mit den baurechtlichen Rahmenbedingungen befassen.

Erfolglose Klage gegen die Untersagung des Fortbetriebs einer nicht genehmigten Gastraumerweiterung

Der für einen “Verzehr an Ort und Stelle” iSv § 1 Abs. 1 GastG erforderliche räumliche Zusammenhang ist zumindest dann gegeben, wenn auch ohne räumliche Verbindung ein Raum vorhanden ist, der als Verzehrort genutzt wird; die zudem für den Schankwirtschaftsbegriff erforderliche Mehrzahl von Verkehrspersonen kann auch durch häufigen Wechsel einzelner Personen erfüllt werden. (Rn. 31)

VG Ansbach, Urteil v. 06.08.2021 – AN 4 K 18.01628

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem ihm die Fortsetzung des Gaststättenbetriebs außerhalb eines bereits genehmigten Gastraumes untersagt worden ist.

2

Der Kläger betreibt im Anwesen … in … einen Bordellbetrieb. Mit Bescheid vom 2. Juni 2016 erhielt er von der Beklagten eine gaststättenrechtliche Erlaubnis für den Ausschank in einem Teilbereich des Bordellbetriebs. Hinsichtlich der Betriebsräume wurde die Erlaubnis in folgendem Umfang erteilt: „ein Aufenthaltsraum im EG (rot markierte Teilfläche gemäß Bauplan Az. …*) sowie die Nebenräume gemäß dem baubehördlich genehmigten Plan“. In dem Bauplan ist ein Raum mit 8,06 m² und der Bezeichnung „Getränkebar Anbahnungszone“ rot umrandet und mit der Legende „Teilfreigabe“ versehen.

3

Die Beklagte führte am 9. März 2018 durch das Ordnungsamt eine Kontrolle der Örtlichkeiten durch. Hier wurde festgestellt, dass der Vorraum zum gaststättenrechtlich genehmigten Raum auch selbst gaststättenrechtlich genutzt werde.

4

Die Beklagte erließ daraufhin am 18. Juli 2018 (dem Bevollmächtigten des Klägers gegen PZU am 20. Juli 2018 zugestellt) folgenden Bescheid:

„1. Die Fortsetzung des Gaststättenbetriebs außerhalb des bereits genehmigten Gastraumes (vgl. gelb markierte Flächen im beigefügten Lageplan) im Anwesen …, … ist bis zur Erteilung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis untersagt. Sämtliche alkoholische Getränke sowie sämtliche Sitz- und Getränkeabstellmöglichkeiten sind aus diesem Räumlichkeiten zu entfernen.

2. Falls der Anordnung aus Nummer 1 dieses Bescheides nicht innerhalb einer Woche nach Unanfechtbarkeit dieses Bescheides nachgekommen wird, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,- Euro zur Zahlung fällig.

3. Die Kosten des Verfahrens hat Herr … zu tragen.“

5

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach § 31 GastG in Verbindung mit § 15 Abs. 2 GewO die Fortsetzung eines erlaubnispflichtigen Gewerbes untersagt werden könne, wenn dieses ohne die dafür erforderliche Erlaubnis betrieben werde. Der Kläger führe seit dem 2. Juni 2016 die Gaststätte, die Erweiterung der Bewirtschaftungsfläche auf andere Gasträume sei erlaubnispflichtig. Eine gaststättenrechtliche Erlaubnis für den Betrieb der Gasträume in den Nebenräumen des Bordells bestehe nicht. Die Fortsetzung des Gaststättenbetriebs könne daher verhindert werden, ein Einschreiten der Behörde erfolge auch im sachgerechten Ermessen. Auch entspreche das Auswahlermessen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere sei durch den Betreiber bisher kein baurechtliches Nutzungsänderungsverfahren beantragt worden. Zudem werde die Untersagung für den Fall einer eventuellen Genehmigung aufgrund der auflösenden Bedingung gegenstandslos.

6

Der Kläger ließ durch einen am 20. August 2018 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenen Schriftsatz seines Bevollmächtigten Klage erheben mit dem Antrag:

„Der Bescheid der Stadt … vom 18.07.2018 – Az. … – wird aufgehoben.“

7

Zur Begründung wurde ausgeführt, es habe nach den Hinweisen durch die Beklagte entsprechend der Zusage des Klägers kein Gaststättenbetrieb außerhalb des bereits genehmigten Gastraumes stattgefunden, sodass von einer Fortsetzung des Gaststättenbetriebes nicht die Rede sein könne. Einige Kleinigkeiten, die anlässlich der Kontrolle gerügt worden seien, seien wie zugesagt unverzüglich abgestellt worden.

8

Hinsichtlich der im beigefügten Lageplan gelb markierten Flächen handle es sich um sogenannte Koberräume von Prostituierten, sodass es den Prostituierten nicht zugemutet werden könne, dass sämtliche Sitz- und Getränkeabstellmöglichkeiten und sämtliche alkoholischen Getränke aus diesem Räumlichkeiten zu entfernen seien, da sich die Prostituierten dort teilweise über viele Stunden hinweg aufhielten und deshalb die Möglichkeit haben müssten, zu sitzen, Getränke abzustellen und auch gegebenenfalls alkoholische Getränke zu konsumieren.

9

Ein Einverständnis des Klägers mit dem Bescheiderlass habe nicht vorgelegen. Weiterhin habe der zuständige Sachbearbeiter der Beklagten sinngemäß erklärt, es gebe zum Verhältnis Gaststättenrecht und Prostitutionsstättenrecht noch keine einschlägige Gerichtsentscheidung.

10

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 17. September 2018,

die Klage abzuweisen.

11

Von der Gaststättenerlaubnis sei nur der rot markierte große Aufenthaltsraum umfasst. In der Erlaubnis werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass außerhalb dieses Raumes keine alkoholischen Getränke konsumiert werden dürften. Der Aufenthaltsraum diene dem vom Kläger genannten Zweck, dass die Prostituierten dort Pause machten und dort alkoholische Getränke konsumieren könnten. Eine Erweiterung könne gegebenenfalls beantragt werden, hierfür möge der Kläger die entsprechenden bau- und gaststättenrechtlichen Erlaubnisse beantragen. Ohne die Genehmigung sei der Gaststättenbetrieb nicht zulässig und habe deshalb nach § 15 Abs. 2 GewO untersagt werden dürfen.

12

Der Bevollmächtigte des Klägers ergänzte mit Schriftsatz vom 6. Februar 2020, außerhalb des 8,06 m² großen Aufenthaltsraumes sei kein Gaststättenbetrieb durchgeführt worden, deshalb könne auch nicht von einer Fortsetzung gesprochen werden. Wenn die Auflage Nr. II.3 die Erlaubnis regele bzw. darauf hinweise, dass außerhalb dieses Raumes keine alkoholischen Getränke konsumiert werden dürften, könnten nur Räume innerhalb der Gaststätte gemeint sein, denn ansonsten dürfe auch nicht einmal ein Anwalt zu Hause oder in seiner Kanzlei, die sich außerhalb dieses 8,06 m² großen Aufenthaltsraum befinde, einen Schnaps trinken.

13

Die anderen zur Straße gelegenen Zimmer gehörten nicht zur Gaststätte. Hier säßen mitunter Personen, die selbstständig tätig seien. Es sei nachvollziehbar, dass diese Personen auch Sitz- und Abstellmöglichkeiten benötigten. Diese Personen gingen übrigens in diesen zur Straße gelegenen Zimmern, die nicht zur Gaststätte gehörten, keineswegs der Prostitution nach. Es sei also nicht nachvollziehbar, weshalb die selbstständig tätigen Personen dort keinen Alkohol konsumieren dürften, während es anderen Personen erlaubt sei, wie sich aus der zuvor dargestellten Argumentation ergebe.

14

Der Bevollmächtigte des Klägers teilte mit Schriftsatz vom 7. September 2020 mit, dass im Einspruchsverfahren beim Amtsgericht … gegen einen Bußgeldbescheid über die Erweiterung des Gastraums ohne die erforderliche gaststättenrechtliche Erlaubnis verhandelt worden sei. Das Verfahren sei nach Vernehmung zweier Mitarbeiter der Beklagten als Zeugen gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt worden. Hintergrund sei, dass die Entfernung vor der Abnahme erfolgt sei. Im Übrigen erfolge kein unzulässiger Gaststättenbetrieb außerhalb der konzessionierten Fläche, der Aushang der Getränkekarte sei verpflichtend.

15

Auf gerichtliche Nachfrage teilte der Klägerbevollmächtigte am 23. September 2020 schriftsätzlich mit, dass die Zwischenwand zwischen beiden auf dem Lageplan mit „Zimmer“ betitelten Räumen entfernt worden sei. Dieser neue Raum werde weiterhin nur durch Prostituierte zum Zwecke der Anbahnung genutzt, Kunden hätten zu diesem Raum keinen Zutritt. Weiterhin sei für diesen Raum inzwischen die baurechtliche Genehmigung für eine Gaststättennutzung eingeholt worden, allerdings noch keine gaststättenrechtliche.

16

Die Beklagte teilte am 14. Oktober 2020 mit, dass von der Gaststättenerlaubnis nur der im Lageplan schwarz umrandete Bereich („Getränkebar, Anbahnungszone“) erfasst sei, ein unerlaubter Gaststättenbetrieb sei insbesondere auf der grün markierten Fläche erfolgt (unterster Raum auf dem Lageplan, sowie die Fensterbereiche der mit „Zimmer“ bezeichneten Räume). Im größeren Raum neben der Gaststättenfläche habe sich zudem der auf dem Lichtbild zu sehende Getränkeautomat befunden, die Mauer zu diesem Raum sei ohne Rücksprache mit dem Ordnungsamt beseitigt worden. In den anderen Zimmern seien Sitz- und Abstellmöglichkeiten vorgefunden worden, was auf gastronomische Nutzung hindeute.

17

Der Bevollmächtigte des Klägers teilte hierauf am 16. November 2020 mit, durch den genannten Getränkeautomaten würden nur nichtalkoholische Getränke angeboten, hierfür sei keine Gaststättenkonzession erforderlich. Klargestellt werde, dass die beiden „Zimmer“ inzwischen baurechtlich für die Gaststättennutzung genehmigt seien, nicht aber der andere, an die konzessionierte Fläche angrenzende Raum. Jedenfalls seit Abnahme durch die Gaststättenbehörde sei beides als ein einheitlicher Raum zu erkennen, wenn auch durch die Reste der ehemaligen Trennwand eine gewisse Raumteilung erkennbar sei. In den anderen Zimmern befänden sich zwar Sitz- und Abstellmöglichkeiten, diese würden allerdings ausschließlich von den Prostituierten genutzt, die in diesen Zimmern zur Straße hin „angekobert“ hätten.

18

Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 23. Januar 2020 bzw. vom 6. Februar 2020 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren mitgeteilt.

19

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Über die Klage konnte nach Zustimmung der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 101 Abs. 2 VwGO.

21

Die Klage ist zulässig, aber ganz überwiegend nicht begründet.

22

Der Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2018 ist – mit Ausnahme der Verfügung der Entfernung sämtlicher Sitz- und Getränkeabstellmöglichkeiten in den als „Zimmer“ bezeichneten Räumen – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

23

Der Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2018 stützt sich dabei auf die Rechtsgrundlage der § 31 GastG, § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO. Nach diesen Vorschriften kann die zuständige Behörde die Fortsetzung eines Gaststättenbetriebes verhindern, wenn ein nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GastG erlaubnispflichtiges Gaststättengewerbe ohne Erlaubnis betrieben wird.

24

a) Die Erweiterung der Bewirtschaftungsfläche ist erlaubnispflichtig, weil mit dem Genehmigungsbescheid der Beklagten vom 2. Juni 2016 die Erlaubnis nach § 2 GastG nur für den Umfang „1 Aufenthaltsraum im EG (rot markierte Teilfläche gem. Bauplan Az. …*) sowie die Nebenräume gemäß dem baubehördlichen genehmigten Plan“ erteilt wurde. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 GastG ist jedoch eine Erlaubnis für alle durch die Gaststätte genutzten Räume erforderlich.

25

b) Die Bewirtschaftungsfläche wurde erweitert, indem der Gaststättenbetrieb auf den im Lageplan unter dem mit „Getränkebar/Anbahnungszone“ (nachfolgend als „Aufenthaltsraumerweiterung“ bezeichnet) eingezeichneten Raum (1.) und den neu geschaffenen Raum, bestehend aus dem im Lageplan jeweils oberhalb hiervon als „Zimmer“ bezeichneten Räume (nachfolgend in Fortführung der vom Klägervertreter genutzten Terminologie als „Koberraum“ bezeichnet) (2.), erweitert wurde.

26

1. Hinsichtlich der Aufenthaltsraumerweiterung ist von einer Erweiterung der Bewirtschaftungsfläche auszugehen. Wie sich aus den im Rahmen der Ortseinsicht vom 9. März 2018 gefertigten Lichtbildern (Bl. 57 und 58 der Behördenakte) ergibt, erfolgt eine gemeinsame Nutzung des genehmigten Gastraumes und der Aufenthaltsraumerweiterung, weil sich in beiden Raumteilen Getränkeautomaten und Bestuhlung befinden. Entsprechend wurde auch durch die Beklagte aufgrund des Aktenvermerks des Ordnungsamts vom 12. Oktober 2020 (vgl. Lageplan auf Bl. 73 der Gerichtsakte) festgestellt, dass in diesem Raum ein gaststättentypischer Betrieb erfolgte.

27

Dem steht nicht entgegen, dass das Bußgeldverfahren gegen den Kläger (Az. …*) wegen „illegaler Gastraumerweiterung“ am 10. Januar 2019 durch das Amtsgericht … nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt wurde. Im hier gegenständlichen Verfahren kommt es – anders als im genannten Ordnungswidrigkeitenverfahren – schlicht nicht darauf an, ob die Erweiterung vor oder nach einer Abnahme durch Mitarbeiter der Beklagten erfolgt ist, weil sich die Genehmigung nach § 2 GastG ausschließlich auf den zuvor als „Getränkebar/Anbahnungszone“ bezeichneten Raum erstreckte und nicht automatisch auf die Aufenthaltsraumerweiterung.

28

2. Auch hinsichtlich des „Koberraums“, der nach Angaben des Klägervertreters durch Entfernung der Zwischenwand geschaffen wurde (vgl. Bl. 67 der Gerichtsakte), ist von einer Erweiterung der Bewirtschaftungsfläche auszugehen.

29

Zwar ergibt sich die Erlaubnispflicht nicht schon aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 14.06.1961 – VII CB 61.59, GewA 1962,40 (40 f.); U.v. 26.02.1974 – I C 27.72, GewA 1974, 201), nachdem sich die dortigen Entscheidungen auf die Bewirtung von Besuchern der Prostituierten auf deren Zimmern bezogen. Allerdings handelt es sich nach Auffassung der Kammer auch bei der Bewirtung der Prostituierten im „Koberraum“ selbst um einen erlaubnispflichtigen Gaststättenbetrieb.

30

i. Bei der Abgabe von Getränken aus dem genehmigten Gastraum an Prostituierte, welche diese Getränke im „Koberraum“ zu sich nehmen, handelt es sich um ein Verabreichen von Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle an jedermann bzw. einen bestimmten Personenkreis (§ 1 Abs. 1 GastG).

31

Der erforderliche räumliche Zusammenhang ist zumindest dann gegeben, wenn auch ohne räumliche Verbindung ein Raum vorhanden ist, der als Verzehrort genutzt wird; der Zusammenhang ist beispielsweise auch dann gegeben, wenn Getränke an Personen abgegeben werden, die sie in ein benachbartes Bordell mitnehmen und dort verzehren (Michel/Kienzle, Das Gaststättengesetz, Kommentar, 13. Aufl. 1999, § 1 Rn. 45 f.). Die zudem für den Schankwirtschaftsbegriff erforderliche Mehrzahl von Verkehrspersonen kann auch durch häufigen Wechsel einzelner Personen erfüllt werden (Michel/Kienzle, a.a.O., Rn. 49). Bei lebensnaher Betrachtung ist unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags davon auszugehen, dass der „Koberraum“ bzw. der dortige Fensterplatz regelmäßig zeitnah nach Verlassen des Raumes durch eine Prostituierte zum Zwecke des persönlichen Treffens mit einem Kunden durch eine andere Prostituierte besetzt wird und dass bereits hierdurch ein häufiger Personenwechsel anzunehmen ist. Zudem war aus Sicht der Kammer insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger als Pächter des gesamten Erdgeschosses (vgl. Bl. 25 der Behördenakte) die erforderliche Verfügungsgewalt innehat und der Gaststättenbetrieb im Gebäude „…“ ausweislich der Betriebsbeschreibung („Konversation zwischen Kunden und Anbieterinnen“, Bl. 15 der Behördenakte) mit dem vom Bevollmächtigten des Klägers genannten Funktionszweck des „Koberraums“ („Nutzung zum Zwecke der Anbahnung“, vgl. Bl. 67 der Gerichtsakte) übereinstimmt. Aus der Preisliste (Bl. 64 der Behördenakte) ergibt sich darüber hinaus, dass nicht von einer Abgabe zum Selbstkostenpreis ausgegangen werden kann.

32

ii. Ebenfalls ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass die im „Koberraum“ konsumierten Getränke aus dem Getränkeautomaten des genehmigten Gastraumes bezogen werden, zumal der Kläger zugleich als Betriebsbetreiber, Untervermieter und Betreiber der Gaststätte in Personalunion in Erscheinung tritt.

33

c) Die Voraussetzungen liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (hierzu: Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, 82. EL Oktober 2019, § 15 Rn. 26) noch vor. Eine Änderung der Rechtslage ist insbesondere hinsichtlich der bisher unveränderten und nicht erweiterten Genehmigung nach § 2 GastG nicht erfolgt und hinsichtlich der tatsächlichen Umstände stellen sich weiterhin die gleichen gaststättenrechtlichen Fragen.

34

d) Soweit im Bescheid die Entfernung aller Sitz- und Getränkeabstellmöglichkeiten auch im „Koberraum“ verfügt wurde, ist die Anordnung insoweit unverhältnismäßig (i.), im Übrigen erweist sie sich als rechtmäßig (ii.).

35

i. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der „Koberraum“ auch nach Vortrag der Beklagten nicht in seiner Gesamtheit als Gaststättenraum genutzt wird, sondern nur in einem kleinen, fensternahen Abschnitt (vgl. insoweit die grünen Schraffierungen auf Bl. 73 der Gerichtsakte), erscheint es der Kammer unverhältnismäßig, für den gesamten Raum eine Entfernung sämtlicher Sitz- und Getränkeabstellmöglichkeiten anzuordnen, weil hierdurch die unstreitig nicht zu gaststättenbezogenen Zwecken gehörende Nutzung unmöglich gemacht würde. Hier ist insbesondere zu berücksichtigen, dass ein Verbot alkoholischer Getränke auch in diesem Raum durch Bußgelder sanktioniert werden kann.

36

ii. Im Übrigen ist die Anordnung rechtmäßig, insbesondere sind Ermessensfehler nicht ersichtlich. Unter Berücksichtigung der Befristung der Anordnung bis zur Erteilung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis ist diese auch nicht als unverhältnismäßig anzusehen, weil es dem Kläger freisteht, durch Beantragung der Erweiterung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis eine entsprechende Fortführung des bisherigen Gaststättenbetriebs herbeizuführen.

37

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt das Unterliegen der Beklagten zu einem nur untergeordneten Teil.