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OLG Celle zu der Frage, ob ein Vergleich zwischen AG und AN dessen Nachunternehmer bindet

OLG Celle zu der Frage, ob ein Vergleich zwischen AG und AN dessen Nachunternehmer bindet

vorgestellt von Thomas Ax

Bei der Frage, ob der Hauptauftragnehmer berechtigt ist, die aus einem Vergleichsschluss mit seinem Auftraggeber resultierenden Kosten an seinen Nachunternehmer “weiterzugeben”, ist auf den Zeitpunkt des Vergleichsschlusses abzustellen. Es ist zu fragen, ob der Entschluss zur vergleichsweisen Einigung adäquat-kausal auf die Mängel des Nachunternehmerwerks zurückzuführen ist und der Vergleichsschluss nach dieser Maßgabe angemessen war.
Es ist dem Hauptauftragnehmer nicht zuzumuten, gleichsam zugunsten des Nachunternehmers einen teuren Prozess mit ungewissem Ausgang zu betreiben und dabei Gefahr zu laufen, neben den Sanierungskosten auch noch die Prozesskosten und die Mangelfolgeschäden ersetzen zu müssen.
OLG Celle, Urteil vom 22.09.2022 – 5 U 142/21 

Gründe:

I.

Die Klägerin macht als Hauptunternehmerin gegen die Beklagte, ihre Subunternehmerin, Schadensersatz mit der Behauptung geltend, wegen mangelhafter Werkleistungen der Beklagten habe sie sich mit ihrer Auftraggeberin, der Bauherrin, zur Abwendung von Gewährleistungsansprüchen vergleichsweise auf eine Zahlung von 300.000 Euro einigen müssen.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf das landgerichtliche Urteil (Blatt 469 ff.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme der Klage stattgegeben. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Verden, Aktenzeichen 5 O 364/19, teilweise abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 8. Juli 2021 (5 O 364/19) zurückzuweisen.

Die Beiakten 4 OH 9/15 Landgericht Verden lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen des weiteren Vortrages der Parteien wird auf deren Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, bleibt in der Sache jedoch – bis auf die Höhe des zuerkannten Zinssatzes – ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung der Vergleichssumme in Höhe von 300.000 Euro sowie der Gutachterkosten verurteilt.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz dieses Schadens gemäß §§ 631, 634 Nummer 4, 280 Abs. 1, 3, § 281 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 13 Abs. 7 Nr. 3 VOB/B zu.

1. Es handelt sich um einen Anspruch auf Ersatz eines Mangelfolgeschadens. Die Klägerin als Auftraggeberin hat gegen die Beklagte als ihrer Auftragnehmerin nicht nur einen (primären) Gewährleistungsanspruch wegen der Mängel am Gewerk selbst, sondern auch auf Ersatz des Schadens, der der Klägerin dadurch entstanden ist, dass sie sich mit ihrer Auftraggeberin wegen der mangelhaften Werkleistung der Beklagten vergleichsweise auf Zahlung von 300.000 Euro einigte.

a) Die Werkleistung der Beklagten war mangelhaft, § 633 Abs. 2 BGB.

aa) Dies nimmt die Beklagte dem Grunde nach nicht in Abrede, sondern wendet insoweit lediglich u.a. ein, es seien nicht sämtliche Flügel des Bauvorhabens betroffen, eine Sanierung aller Außenputzflächen gerade nicht erforderlich. Der Sachverständige habe das falsche Flächenmaß zugrundegelegt. Die Flächen des Bauteils F seien mangelfrei.

Auch der von ihr privat beauftragte Sachverständige Dipl.-Ing. O. kommt in seinen Stellungnahmen vom 2. und 3. März 2017, (Blatt 600 ff., 672 ff. d. BA) zu dem Ergebnis mangelhafter Leistungen, jedoch mit einem deutlich geringeren Sanierungsaufwand.

bb) Im Übrigen hat das Landgericht verfahrensfehlerfrei festgestellt, dass die Leistung der Beklagten in großem Umfang mangelbehaftet ist [siehe dazu unten 1. c) bb) (1) und (2) ]. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, denn es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit begründen.

b) Die Beklagte hatte ihr Nachbesserungsrecht verloren, bevor die Klägerin sich mit ihrer Bauherrin einigte. Bereits mit Datum vom 29. September 2014 (Blatt 27, 48 der Beiakten) setzte die Klägerin der Beklagten unter Hinweis auf bestimmte Mangelerscheinungen Fristen. Auch das Abnahmeprotokoll vom 9. Oktober 2014 enthält solche.

Angesichts des durchgehenden Bestreitens, ihre Leistungen zeigten (erhebliche) Mängel, wäre eine weitere Fristsetzung zudem reine Förmelei, § 281 Abs. 2, § 323 Abs. 2 Nummer 1, § 636 BGB.

c) Der Vergleichsschluss der Klägerin mit ihrer Auftraggeberin war – als durch die Mängel herausgeforderte, wirtschaftlich vernünftige Reaktion – angemessen und auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.

aa) Bei der Frage, ob die Klägerin berechtigt ist, die aus dem Vergleichsschluss resultierenden Kosten an die Beklagte “weiterzugeben”, ist auf den Zeitpunkt des Vergleichsschlusses abzustellen. D.h., es ist zu fragen, ob der Entschluss der Klägerin, sich mit der Bauherrschaft zu einigen, adäquat kausal auf die Mängel an dem Gewerk der Beklagten zurückzuführen sind und der Vergleichsschluss nach dieser Maßgabe angemessen war. Es kommt mithin nicht im Einzelnen darauf an, ob und welche Flächen in welchem Maß (Oberputz oder auch Unterputz?) tatsächlich betroffen waren, welcher Beseitigungsaufwand tatsächlich erforderlich gewesen wäre und ob die Bauherrin die Mängel zwischenzeitlich tatsächlich hat beseitigen lassen oder dies nicht beabsichtigt.

Nach dieser Maßgabe ist die Klägerin berechtigt, sich wegen der gesamten Kosten des Vergleichs bei der Beklagten “schadlos” zu halten. Entscheidend ist, dass die Klägerin dieses Prozesses auf der Grundlage der im selbständigen Beweisverfahren eingeholten Gutachten und Stellungnahmen davon ausgehen musste, die Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen – die gesamte Fassade sei zu erneuern – hätten in einem streitigen Verfahren zwischen ihr und ihrer Auftraggeberin Bestand, und zwar gleichermaßen hinsichtlich der Feststellungen zu den Baumängeln als auch hinsichtlich der Höhe der Mangelbeseitigungskosten.

Eine solche Annahme der Klägerin war berechtigt. Eine Beweiserhebung darüber, dass die Mängel und damit die Sanierungskosten – angeblich – deutlich geringer ausgefallen wären, als dies der gerichtlich beauftragte Sachverständigen im selbständigen Beweisverfahren ermittelt hatte, wäre erst dann geboten, wenn sich aus Sicht der Klägerin dieses Prozesses etwa hätte aufdrängen müssen, dass die Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen fehlerhaft gewesen wären. Dies ist jedoch nicht der Fall. Im Gegenteil: Das Landgericht hat sich mit überzeugender, detaillierter und sorgfältiger Begründung den Feststellungen des Sachverständigen angeschlossen. Der Senat tritt diesen Erwägungen bei.

Unter Beteiligung der Beklagten (Streithelferin der hiesigen Klägerin) wurde in dem vorangegangenen selbständigen Beweisverfahren (4 OH 9/15 LG Verden) umfangreich unter Beteiligung mehrerer Sachverständiger der Frage nachgegangen, ob und in welchem Umfang die Leistungen der hiesigen Beklagten mangelhaft sind und welcher Sanierungsaufwand erforderlich ist. Dem Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens hat die Klägerin nachvollziehbarer Weise entnommen, dass auch in einem Hauptsacheverfahren zwischen ihr und der Bauherrin festgestellt wird, dass die Leistungen der hiesigen Beklagten, und damit – im Verhältnis zur Haupt-Auftraggeberin – auch die Leistungen der hiesigen Klägerin in großem Umfang mangelhaft sind. Die Umstände, die zu einer solchen Einschätzung führen mussten, waren der Beklagten bekannt. Sie war nicht nur an dem selbständigen Beweisverfahren als Streithelferin beteiligt, unstreitig fanden nach der mündlichen Erläuterung der Gutachten am 8. Juni 2017 vor dem Landgericht Verden (Sitzungsprotokoll Blatt 788 ff der BA) auch Gespräche zwischen den Hauptbeteiligten statt, nämlich zwischen der Klägerin und der Haupt-Auftraggeberin einerseits und den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits andererseits zur Frage einer einvernehmlichen Erledigung.

bb) Abgesehen davon hätten die Einwendungen der Beklagten auch in der Sache keinen Erfolg:

(1) Das Landgericht hat verfahrensfehlerfrei festgestellt, dass die Leistung der Beklagten gravierend mangelbehaftet ist, weil nicht nur der Oberputz die gerügten Erscheinungen aufweist, sondern auch die Gefahr besteht, dass der Unterputz – jedenfalls in Teilen – ebenfalls auszubessern ist. Der gerichtlich bestellte Sachverständige St. hat sich im selbständigen Beweisverfahren mit sämtlichen bis dahin geäußerten Einwendungen auseinandergesetzt, insbesondere auch mit denen aus dem Privatgutachten des Sachverständigen O.. Dessen Feststellungen waren (und sind) insgesamt nicht geeignet, die tragenden Erwägungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen zu erschüttern. Zum einen nennt der Sachverständige O. seine Feststellungen “einstweilig”, zum anderen räumt er selbst ein, dass der von ihm vorgeschlagene Egalisierungsanstrich die Risse nur kaschiert. Darauf musste sich die Bauherrin nicht einlassen. Zudem entspricht ein solcher Anstrich nicht dem Vertragssoll.

Der gerichtlich beauftragte Sachverständige hat dagegen überzeugend ausgeführt, auch der Unterputz entspreche nicht den vertraglichen Vorgaben, er halte es gleichwohl nicht für ratsam, ihn komplett zu entfernen, weil dadurch weitere Probleme auftreten könnten.

Das Landgericht hat sich mit den Einwendungen der Beklagten detailliert, sorgfältig und plausibel auseinandergesetzt und nachvollziehbar ausgeführt, dass und warum es den Angaben des gerichtlich bestellten Sachverständigen St. folgt. Der Senat tritt den Erwägungen des Landgerichts bei.

(2) In dem selbständigen Beweisverfahren ist im Rahmen der mündlichen Erläuterung des Gutachtens (Sitzungsprotokoll vom 8. Juni 2017, Blatt 788 ff. BA = Blatt 174 ff.) ausdrücklich über die Fläche gesprochen worden; der Sachverständige nennt sie “genau genommen 3400 m²” (Blatt 177). Einen Vorhalt der Beklagten dazu gab es nicht und wäre auch näher zu erläutern gewesen, denn die Fläche ergibt sich aus dem Leistungsverzeichnis (3400 m²), das den Arbeiten der Beklagten zugrunde lag.

In ihrer Klageerwiderung, auf die die Beklagte sich in ihrer Berufungsbegründung bezieht, hat sie sich darauf beschränkt, (schlicht) zu bestreiten, dass die Mängel die Fassaden aller Flügel betreffen sollten. Eine Konkretisierung nimmt sie in der Klageerwiderung nicht vor, sondern wiederholt ihre Einwendungen aus dem selbständigen Beweisverfahren.

Das Landgericht hat den Vortrag der Beklagten hierzu in dem Schriftsatz vom 3. Juni 2021 (Blatt 417 ff.) zu Recht nicht berücksichtigt. Der Beklagten war Schriftsatznachlass gewährt worden auf neuen Vortrag der Klägerin in dem Schriftsatz vom 8. April 2021 (Blatt 320 ff.) Darin nimmt die Klägerin zu den Hinweisen des Landgerichts Stellung und wendet sich gegen den Vortrag der Beklagten, zum Beispiel zur Verjährung und zum Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens.

Die Beklagte versucht, den Schriftsatznachlass dazu zu verwenden, statt in der Klageerwiderung erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung konkrete Einwendungen gegen das Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens vorzubringen. Dieses Vorhaben scheitert. Denn das zu Recht gemäß § 296 a ZPO zurückgewiesen Vorbringen ist “neu” im Sinne des § 531 Abs. 2 Nummer 3 ZPO. Warum es der Beklagten nicht hätte möglich sein sollen, ihre Einwendungen früher geltend zu machen, ist nicht dargetan.

Auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Präklusion von neuem Vorbringen nach vorangegangenem selbständigen Beweisverfahren möglich ist, kommt es hier nicht an, denn die Beklagte hat Einwendungen vorgebracht, die im Rahmen von Ergänzungsgutachten und einer mündlichen Erläuterung “abgearbeitet” wurden.

(3) Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Beklagte aufgrund der Interventionswirkung der Streitverkündung die Feststellungen im selbständigen Beweisverfahren (Aktenzeichen 4 OH9 /15, Landgericht Verden) gegen sich gelten lassen muss. Insoweit macht sich der Senat die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Verden im angefochtenen Urteil zu eigen, die die Beklagte mit der Berufung nicht weiter angegriffen hat.

cc) Entgegen der Ansicht der Beklagten stand dem Vergleichsschluss der Klägerin nicht die geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Frage, ob der Besteller wegen eines Mangels Schadensersatz in Höhe der fiktiven Mangelbeseitigungskosten fordern kann, entgegen.

Wie das Landgericht zutreffend entschieden hat, drohte der Klägerin jedenfalls eine Inanspruchnahme auf einen Kostenvorschuss in Höhe von rund 330.000 Euro brutto. Die damit verbundene “Chance” der Klägerin, von der Bauherrin nachträglich eine Abrechnung über den Vorschuss verlangen zu können und auf einer Verwendung des Vorschusses für die Mangelbeseitigung binnen einer angemessenen Frist bestehen zu können, bewertet der Senat wirtschaftlich nicht als derart gewichtig, dass die Entscheidung der Klägerin, sich in einer Höhe von 300.000 Euro zu vergleichen, als unvernünftig anzusehen ist. Im Gegenteil bewahrte die Klägerin sich selbst (und im Ergebnis auch die Beklagte) durch den Abgeltungsvergleich zugleich auch vor etwaigen Nachforderungen.

Daneben hat die Klägerin hinreichend deutlich gemacht, dass von Seiten der Bauherrin zusätzlich ein deutlich höherer Schadensersatzanspruch drohte, nämlich neben den reinen Sanierungskosten der entgangene Gewinn, wenn während der Zeit der Sanierung das Gebäude nicht bewohnbar ist. Ob dabei die von der Bauherrin gegenüber der Klägerin behaupteten Erlösausfälle in einem Umfang von über 2 Million Euro zutreffend ermittelt waren, kann dahingestellt bleiben. Denn die Vergleichssumme liegt bereits unter den Bruttosanierungskosten und lediglich ca. 20.000 Euro über den vom Sachverständigen ermittelten Nettosanierungskosten in Höhe von 279.602 Euro. Dass tatsächlich während der Sanierung des Gebäudes, das als psychiatrische Klinik genutzt wird, ein vorübergehender Nutzungsausfall einzelner Flügel des Gebäudes drohte, war keineswegs von der Hand zu weisen und von der Klägerin bei den Vergleichsverhandlungen als ernsthafte weitere Schadensfolge zu berücksichtigen.

Im Ergebnis war es der Klägerin unter diesen Umständen nicht zuzumuten, gleichsam zugunsten der Beklagten einen teuren Prozess zu betreiben mit ungewissem Ausgang und dabei Gefahr zu laufen, außer den Sanierungskosten Prozesskosten und Mangelfolgeschäden ersetzen zu müssen.

Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es der Beklagten unbenommen war, den gesamten Kostenanfall dadurch zu verhindern, dass sie zeitnah nach den Mängelanzeigen ihre Leistungen sach- und fachgerecht nachbessert.

d) Soweit die Beklagte bestreitet, die Bauherrin habe von der Vergütung einen Betrag in Höhe von 300.000 einbehalten, hat auch dieser Angriff keinen Erfolg. Die Klägerin hat den schriftlichen Vertrag zwischen der Bauherrin und ihr zu den Einbehalten (Blatt 188 ff.) und den Vergleich (Blatt 200 ff.) vorgelegt. Für die Schadensberechnung ist es irrelevant, ob die Beklagte 300.000 Euro an die Bauherrschaft gezahlt hat oder ob sie in dieser Höhe keinen Werklohn erhalten hat. Die Beklagte behauptet nicht die Unechtheit dieser Urkunden, die damit die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit genießen. Die Beklagte hat nicht dargetan, dass es sich bei diesen Vereinbarungen etwa um eine “schriftliche Lüge” handeln würde.

Die Beklagte ist auch dem Vortrag der Klägerin nicht entgegengetreten, dass die Parteien nach dem Erörterungstermin im selbständigen Beweisverfahren Vergleichsgespräche führten und zwar jeweils die Bauherrin mit der Klägerin und die Beklagte mit der Klägerin. Die Ausgangslage war der Beklagten damit bekannt, sodass konkretere Einwendungen erforderlich wären, um darzutun, dass und warum die 300.000 Euro sich entgegen den vertraglichen Vereinbarungen nicht auf die Putzarbeiten beziehen sollen.

e) Die von der Klägerin angesetzten Rechtsanwaltskosten sind nicht überhöht. Insoweit bezieht sich die Beklagte auf die Argumente in ihrer Klageerwiderung vom 16. März 2020 (Blatt 296). Hier differenziert die Beklagte jedoch nicht nach den einzelnen Rechnungen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin (Anlagenkonvolut K 17 = Blatt 219 ff.). Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägervertreter Gebühren abgerechnet hätten, deren Gebührentatbestände nicht angefallen oder deren Streitwert überhöht wäre. Das hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, der Senat tritt den dortigen Erwägungen bei.

Auch mit dem Einwand, die Klägerin habe sich zu Unrecht auf eine Kostenaufhebung geeinigt, dringt die Beklagte nicht durch. Angesichts des drohenden Gesamtanspruchs, dem sich die Klägerin gegenübersah, ist die Kostenaufhebung nicht nur für die Klägerin, sondern – erst recht – für die Beklagte günstig.

2. Der Beklagten steht über den von der Klägerin bereits anerkannten Betrag in Höhe von 54.036,56 Euro kein weiterer Werklohn zu.

a) Ein solcher Anspruch war, wie das Landgericht zutreffend entschieden hat, in der Klageerwiderung nicht schlüssig dargetan. In ihrer Klageerwiderung behauptet die Beklagte schlicht eine noch offene Hauptforderung in Höhe von 83.197,88 Euro, ohne dies mit Tatsachenvortrag zu untermauern (Blatt 297). Da die Beklagte ausdrücklich erklärt hat, sie behalte sich die Möglichkeit einer etwaigen Aufrechnung vor (Blatt 298), muss sie eine solche im Anschluss ausdrücklich erklären, wenn der Vorbehalt entfallen und mit einem angeblich weiteren Werklohnanspruch aufgerechnet werden soll.

b) Zutreffend hat das Landgericht die weiteren Ausführungen zu einer offenen Restwerklohnforderung im Schriftsatz vom 3. Juni 2021 gemäß § 296a ZPO als präkludiert angesehen. Der Beklagten war zwar Schriftsatznachlass gemäß § 283 ZPO zu einem Schriftsatz der Klägerin vom 8. April 2021 gewährt worden; dieser Schriftsatz enthielt jedoch keine Ausführungen zur Gegenforderung der Beklagten. Das Vorbringen im nicht nachgelassenen Schriftsatz ist deswegen in der Berufungsinstanz als neues Vorbringen zu behandeln. Gründe für eine Zulassung des Vorbringens gemäß § 531 Abs. 2 ZPO sind nicht vorgetragen.

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch weiterhin ein Großteil der geltend gemachten Positionen nicht hinreichend substantiiert dargetan ist: In den ersten beiden Positionen akzeptiert die Beklagte die Kürzungen. Hinsichtlich der Position 10.0240 legt die Beklagte nicht dar, welche Arbeiten zusätzlich auf Anordnung der Klägerin ausgeführt sein sollen. Die Stundenzettel liegen nicht vor. Um welche “zusätzlichen bzw. nochmaligen” Arbeiten es sich handeln soll, ist nicht zu verstehen. Bei einem “nochmaligen” Abkleben müsste dargetan werden, dass es sich nicht um Nachbesserungsarbeiten handelt, die nicht gesondert zu vergüten sind. Ohne Darstellung, um welche Arbeiten genau es geht, ist gerade nicht zu entscheiden, ob sie zu vergüten sind, weil der in Rechnung gestellte Umfang erforderlich war. Hinsichtlich der Positionen 10.02 51-10.02 57 hat die Klägerin ersichtlich den angesetzten Einheitspreis beanstandet. Dazu verhält sich der Vortrag der Beklagten jedoch nicht.

Zur Position 10.0258 soll eine Kostenbelastung “im Vertragsverhältnis mündlich besprochen” worden sein. Da der Vortrag diesbezüglich nicht nachgelassen war, handelt es sich um neuen Vortrag in der Berufungsinstanz und eine Aufrechnung ist an § 533 ZPO zu messen. Dessen Voraussetzungen liegen nicht vor. Eine Zulassung ist gerade nicht sachdienlich, weil hierzu Beweis zu erheben wäre und der Rechtsstreit im Übrigen entscheidungsreif ist.

Zur Position 20.0 ist nicht dargetan, warum die Klägerin und die Bauherrin eine werksseitige Eintönung zusätzlich zu bezahlen hätten. Die Behauptung genügt nicht, es sei “im Vorhinein durch diverse Musterlegungen für die A. und das Krankenhaus entwickelt und festgelegt” worden.

In Position 6.1 macht die Beklagte entgangenen Gewinn wegen einer Reduzierung des Auftragsumfangs geltend und bezieht sich dabei auf eine Anlage B3 (Blatt 464), der man nichts dergleichen entnehmen kann. Im Übrigen gilt das soeben gesagte (§ 533 ZPO) entsprechend.

Dementsprechend fehlt auch jeder Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin Verzugszinsen aus der Schlussrechnung der Beklagten schulden sollte.

3. Dass die Forderung der Klägerin nicht verjährt ist, greift die Beklagte mit ihrer Berufung nicht an. Die Ausführungen des Landgerichts hierzu treffen zu. Da die Parteien eine Verjährungsfrist von vier Jahre und zwei Monaten vereinbarten, die Abnahme in 2015 erfolgte und Klage bereits im Jahr 2019 erhoben wurde, kommt es auf die Hemmung durch die Streitverkündung im selbstständigen Beweisverfahren nicht mehr an. Im Übrigen hat das Landgericht zutreffend ausgeführt., dass §§ 66 ff ZPO auch für das selbständige Beweisverfahren gelten.

4. Da die Beklagte eine zulässige Berufung eingelegt hat, ist von Amts wegen zu beachten, dass die Zinsforderung der Klägerin nicht 9 Prozentpunkte über Basiszinssatz beträgt, weil es sich nicht um eine Entgeltforderung, sondern um einen Schadensersatzanspruch handelt (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 288 Rn. 8, § 286 Rn. 27). Es bleibt daher bei 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz.

Auf die Berufung der Beklagten war das landgerichtliche Urteil daher nur hinsichtlich der Höhe des Zinssatzes zu korrigieren und sie im Übrigen zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 Satz 2 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 ZPO.

KG zur Frage der Einordnung eines typengemischten Vertrages und des Anspruchs auf Bauhandwerkersicherheit

KG zur Frage der Einordnung eines typengemischten Vertrages und des Anspruchs auf Bauhandwerkersicherheit

vorgestellt von Thomas Ax

§ 650f BGB findet auf einen typengemischten Vertrag Anwendung, wenn er jedenfalls seinem Schwerpunkt nach ein Bauvertrag ist. Für die Abgrenzung von Kauf- und Werklieferungsverträgen einerseits und Werkverträgen andererseits ist maßgeblich, auf welcher der Leistungen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Schwerpunkt liegt. Liegt der Schwerpunkt des Vertrags auf der mit dem Warenumsatz verbundenen Übertragung von Eigentum und Besitz, liegt ein Kauf- oder Werklieferungsvertrag vor. Liegt der Schwerpunkt des Vertrags dagegen nicht auf dem Warenumsatz, sondern schuldet der Unternehmer die Herstellung eines funktionstauglichen Werks, ist ein Werkvertrag anzunehmen (BGH, Urteil v. 30.08.2018 – VII ZR 243/17 – Rn. 25). Je mehr die mit dem Warenumsatz verbundene Übertragung von Eigentum und Besitz der zu montierenden Sache auf den Vertragspartner im Vordergrund steht und je weniger dessen individuelle Anforderungen und die geschuldete Montage- und Bauleistung das Gesamtbild des Vertragsverhältnisses prägen, desto eher ist die Annahme eines Kaufvertrags mit Montageverpflichtung geboten (BGH, Urteil v. 19.07.2018 – VII ZR 19/18 – Rn. 19). Dass der Warenwert einem Vielfachen der Montagekosten entspricht, steht der Annahme eines Werkvertrags bei der gebotenen Gesamtbetrachtung aber nicht entgegen (BGH, Urteil v. 30.08.2018, a.a.O., Rn. 30: Werkvertrag, auch wenn Warenwert dem Vierfachen der Montagekosten entspricht). Richtet sich in einem Vertrag mit Elementen von Kauf- und Werkvertrag die Vergütung des Leistungserbringers – insbesondere ihre Fälligkeit – nach dem Werkvertragsrecht, so spricht dies dafür, auch den Sicherungsanspruch des Bauunternehmers aus § 650f auf den Vertrag anzuwenden.
KG, Beschluss vom 29.10.2024 – 21 U 52/24
Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt die Stellung einer Bauhandwerkersicherheit nach § 650f BGB.

Die Parteien schlossen am 28.04.2021 einen als “Werkvertrag über Bauleistungen als Pauschalvertrag” bezeichneten Vertrag über die Elektroinstallation in einem Hochhaus-Neubau mit einem Pauschalfestpreis von 1.950.000,00 EUR netto. Nach dem zugrundeliegenden Leistungsverzeichnis gehörten zum Leistungssoll auch Elektrobauteile. Hierzu zählten unter anderem Beleuchtungsanlagen mit einem Nettopreis von 700.257,35 EUR, wovon auf 255 Stehlampen ein Betrag von 506.530,- EUR netto entfiel, sowie Niederspannungsinstallations-Geräte mit einem Preis von 404.567,43 EUR netto.

Die Parteien streiten insbesondere über die rechtliche Einordnung des Vertrags verbunden mit der Frage, ob die Vergütungsansprüche der Klägerin über § 650f BGB sicherbar sind.

Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Berlin II vom 07.03.2024 Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage auf Erbringung der Bauhandwerkersicherheit nach § 650f BGB stattgegeben. Der streitgegenständliche Vertrag sei bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung als Werkvertrag einzustufen, weil der Schwerpunkt auf der Herstellung einer funktionsfähigen Elektroinstallation nebst Beleuchtungsanlage und nicht auf dem bloßen Erwerb von Beleuchtungsmitteln und Elektrobauteilen liege. Dieser Werkvertrag sei zudem als Bauvertrag im Sinne von § 650a Abs. 1 Satz 1 BGB einzuordnen, weil die Elektroinstallationsarbeiten zum bestimmungsgemäßen Gebrauch des Neubaus erforderlich und von wesentlicher Bedeutung seien. Die Klägerin könne deshalb für die nicht gezahlte Vergütung aus dem streitgegenständlichen Bauvertrag Sicherheit nach § 650f BGB verlangen. Die von der Beklagten im Rahmen der Schlussrechnungsprüfung vorgenommenen Abzüge seien unberechtigt. Der Beklagten stehe kein Anspruch auf Zahlung einer Umlage wegen Baustellenkoordination in Höhe von 1 % der Nettoabrechnungssumme zu. Die in Ziff. IV.3. enthaltene Regelung verstoße als von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung (nachfolgend: AGB) gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und sei unwirksam. Die Beklagte sei mangels Anspruchsgrundlage auch nicht berechtigt, einen Abzug wegen nicht vorgelegter Bautenstandsberichte vorzunehmen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Die Beklagte rügt:

Der streitgegenständliche Vertrag sei nicht als Bauvertrag zu qualifizieren, so dass § 650f BGB keine Anwendung finde. Der Vertrag erweise sich vielmehr bezüglich des bloßen Erwerbs und der Lieferung von Leuchtmitteln als reiner Kaufvertrag gemäß § 433 Abs. 1 BGB. Mit Blick auf die Installation und Montage von Elektrokleinbauteilen handele es sich um einen Kaufvertrag mit Montageverpflichtung gemäß § 433 Abs. 4 BGB. Das Landgericht habe diesen typengemischten Vertrag fehlerhaft insgesamt als Werkvertrag angesehen. Richtigerweise seien aber die miteinander kombinierten Vertragstypen jeweils getrennt zu betrachten und unterfielen den jeweilig geltenden Regelungen. Die Lieferung von Beleuchtungsanlagen und Niederspannungsgeräten mache einen Anteil von 1.104.824,70 EUR und mithin über die Hälfte des Pauschalpreises von 1.950.000,- EUR aus. Die Umlage wegen Baustellenkoordination sei keine AGB, weil sie zwischen den Parteien ausgehandelt worden sei. Dies ergäbe sich aus den handschriftlichen Eintragungen im Verhandlungsprotokoll. Ferner unterliege die Regelung gemäß § 307 Abs. 3 BGB keiner Inhaltskontrolle. Darüber hinaus sei die Regelung für die Klägerin nicht nachteilig. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten habe das Landgericht nicht zusprechen dürfen, weil die Klägerin eine Zahlung nicht nachgewiesen habe und die Beklagte nicht in Verzug gewesen sei.

Die Beklagte beantragt in der Berufungsinstanz,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin II vom 7. März 2024 zum Az. 28 O 127/23 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat von einer näheren Berufungserwiderung abgesehen, nachdem der Senat mit Beschluss vom 17.07.2024 darauf hingewiesen hat, dass er die Berufung zurückzuweisen beabsichtige.

Der Senat hat die Beklagte durch Beschluss vom 17. Juli 2024 nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO unter Einräumung einer Gelegenheit zur Stellungnahme binnen sechs Wochen nach Zustellung darauf hingewiesen, dass und aus welchen Gründen er beabsichtigt, die Berufung zurückzuweisen. Der Beklagten ist auf ihren Antrag hin eine Fristverlängerung bis zum 16. September 2024 bewilligt worden. Sie hat durch ihre Prozessbevollmächtigten mit Schriftsätzen vom 16. September 2024 und vom 09. Oktober 2024, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, zu dem Hinweis des Senats Stellung genommen.

II.

Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Berlin II vom 07.03.2024, Aktenzeichen 28 O 127/23, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

A.

Zur Begründung wird auf den Hinweis des Senats vom 17.07.2024 Bezug genommen, in dem unter anderem heißt:

1. Rechtliche Einordnung des Vertrags

Das Landgericht hat den streitgegenständlichen Vertrag zutreffend als Bauvertrag gemäß § 650a Abs. 1 BGB eingeordnet.

a. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Abgrenzung zwischen Kauf-, Werklieferungs-, Kaufvertrag mit Montageverpflichtung und Werkvertrag nach dem Schwerpunkt der geschuldeten Leistung vorzunehmen.

Für die Abgrenzung von Kauf- und Werklieferungsverträgen einerseits und Werkverträgen andererseits ist maßgeblich, auf welcher der Leistungen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Schwerpunkt liegt. Liegt der Schwerpunkt des Vertrags auf der mit dem Warenumsatz verbundenen Übertragung von Eigentum und Besitz, liegt ein Kauf- oder Werklieferungsvertrag vor. Liegt der Schwerpunkt des Vertrags dagegen nicht auf dem Warenumsatz, sondern schuldet der Unternehmer die Herstellung eines funktionstauglichen Werks, ist ein Werkvertrag anzunehmen (BGH, Urteil v. 30.08.2018 – VII ZR 243/17 – Rn. 25). Je mehr die mit dem Warenumsatz verbundene Übertragung von Eigentum und Besitz der zu montierenden Sache auf den Vertragspartner im Vordergrund steht und je weniger dessen individuelle Anforderungen und die geschuldete Montage- und Bauleistung das Gesamtbild des Vertragsverhältnisses prägen, desto eher ist die Annahme eines Kaufvertrags mit Montageverpflichtung geboten (BGH, Urteil v. 19.07.2018 – VII ZR 19/18 – Rn. 19). Dass der Warenwert einem Vielfachen der Montagekosten entspricht, steht der Annahme eines Werkvertrags bei der gebotenen Gesamtbetrachtung aber nicht entgegen (BGH, Urteil v. 30.08.2018, a.a.O., Rn. 30: Werkvertrag, auch wenn Warenwert dem Vierfachen der Montagekosten entspricht).

Nach diesen Maßgaben ist hier im Rahmen einer Gesamtwürdigung von einem Werkvertrag auszugehen wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat. Nach dem Vertragsinhalt lag der Schwerpunkt des Vertrags nicht in einem Warenumsatz, sondern in der funktionstauglichen Errichtung der Elektroinstallation unter Lieferung der Einzelteile inklusive der Beleuchtungsmittel. Der Einbau der Elektroinstallation stellt sich auch nicht als bloße Ergänzung zu der geschuldeten Lieferung der Endgeräte dar. Denn die Beklagte hatte die den Vertrag prägende Aufgabe, die Elektroinstallation funktionsfähig und vollständig in dem Neubau vom Erdgeschoss bis zum 4. OG zu errichten. Laut Leistungsverzeichnis (nachstehend: LV; Anlage K2, Seite 12) betrifft die Elektroinstallation den Mietbereich x und enthält alle Leistungen, um die weiteren Mietbereiche y und z zu einem späteren Zeitpunkt mit einzubinden, so dass die gesamte Einheit als Ganzes funktionsfähig ist. Das LV geht weit über die bloße Lieferung und Eigentumsverschaffung von Einzelteilen hinaus.

Eine Aufsplittung des Vertrags mit der Folge einer partiellen Anwendung der Regelungen zum Kaufvertrag, ggf. mit Montageverpflichtung einerseits und Werkvertragsrecht andererseits, ist auch bei einer wertmäßigen Betrachtung der jeweiligen Positionen des Leistungsverzeichnisses (im Folgenden: LV) nicht veranlasst. Gegenüber der erfolgsorientierten Verpflichtung treten die kaufvertraglichen Elemente des Vertrags zurück, auch wenn die hierauf bezogenen Angebotspreise mit einem nicht unbeträchtlichen Anteil in den Pauschalpreis von 1.950.000,- EUR eingeflossen sein mögen. So entfiel auf die Lieferung von Stehlampen ein Angebotspreis von 506.530,- EUR, auf Beleuchtungsanlagen (Tisch-, Decken, Feuchtraumleuchten) ein Angebotspreis von 770.257,35 EUR und auf die die zu liefernden und zu montierenden Niederspannungsgeräte (Bodentanks, Steckdosen, Bewegungsmelder) ein Angebotspreis von 404.567,43 EUR. Bei dem wertmäßigen Vergleich der jeweiligen Positionen des LVs ist jedoch zu beachten, dass die Eventualpositionen für besondere Arbeitsleistungen im unverpreisten LV (Anlage K 2, Seite 84) mit “NEP” – nur Einheitspreis – und im verpreisten LV (Anlage K2a, Seite 5) nicht wertmäßig in das Pauschalangebot eingeflossen sind. Der Anteil für Personalkosten im Zuge der Herstellung des Werks ist deshalb bereits in den Einheitspreisen inkludiert. Dies betrifft auch die in die Gesamtleistung zu integrierenden Einzelteile, so dass allein aus dem Wert von Positionen des verpreisten LVs nicht auf den Charakter des Vertrags geschlossen werden kann.

Der Senat folgt der Ansicht der Beklagten nicht, dass die Klägerin mit dem Hinweis in ihrem Angebot, wonach die aktuellen Starkstrompläne x beizulegen sind, ihre Leistung auf die reine Lieferung bzw. Lieferung und Montage von Komponenten beschränkt hat. Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag erweist sich eindeutig als Werkvertrag, weil die Klägerin gerade eine funktionsfähige Elektroinstallation als Gesamtleistung schuldete.

b. Völlig zu Recht ist das Landgericht bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung des maßgeblichen Gepräges des Vertrags von einem Bauvertrag gemäß § 650 a BGB ausgegangen. Auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung wird Bezug genommen.

2. Keine Abzüge

Die Beklagte ist nicht berechtigt, Abzüge wegen der Umlage für die Baustellenkoordination vorzunehmen, weil Ziff. IV.3 des Vertrags gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB verstößt. Der Senat hat die Ausführungen der Beklagten in der Klageerwiderung vom 10.08.2023 (Seite 5) sowie im Schriftsatz vom 22.09.2023 (Seite 6 ff) bei dieser Würdigung berücksichtigt.

a. Die streitgegenständliche Umlageregelung stellt eine AGB im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Das Landgericht hat ausführlich begründet, weshalb die AGB als von der Beklagten gestellt anzusehen ist (Seite 9 ff des Urteils). Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.

Die Darlegungs- und Beweislast, dass die vertraglichen Regelungen zwischen den Parteien inhaltlich und der Höhe nach individuell verhandelt wurden, trägt die Beklagte als Verwenderin (vgl. BGH, Urteil v. 20.03.2014 – VII ZR 248/13 – Rn. 27).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert Aushandeln gemäß § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB mehr als Verhandeln. Von einem Aushandeln in diesem Sinne kann nur dann gesprochen werden, wenn der Verwender zunächst den in seinen AGB enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt, also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen, inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Er muss sich also deutlich und ernsthaft zur gewünschten Änderung einzelner Klauseln bereit erklären. In aller Regel schlägt sich eine solche Bereitschaft auch in erkennbaren Änderungen des vorformulierten Textes nieder. Allenfalls unter besonderen Umständen kann eine Vertragsklausel auch dann als Ergebnis eines Aushandelns gewertet werden, wenn es schließlich nach gründlicher Erörterung bei dem gestellten Entwurf verbleibt (BGH, Urteil v. 22.11.2012 – VII ZR 222/12 – Rn. 10).

Dass die Höhe der Pauschale für eine Kostenbeteiligung an der Beseitigung von Bauschutt durch eine handschriftliche Ergänzung des vorgedruckten Textes festgelegt wurde, nimmt der Klausel nicht ihren Charakter als AGB (vgl. OLG Brandenburg, Urteil v. 20.08.2020 – 12 U 34/20 -).

So liegt der Fall hier. Zwar können nachträgliche Änderungen im Vertragstext ein Indiz für eine Individualvereinbarung sein. Vorliegend sind in Ziff. 11.2-4 auch handschriftliche Streichungen und Änderungen eingetragen (Anlage B 1, Seite 7). Die in Rede stehende Umlage für Baustellenkoordination ist aber gerade nicht handschriftlich verändert. Vor diesem Hintergrund vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass die Beklagte diese Regelung vollumfänglich zur Disposition gestellt und mit der Klägerin ausverhandelt hat. Dies erscheint zwar möglich, weil die benachbarten Regelungen abgeändert wurden. Hierauf lässt sich aber nicht zwingend schließen. Den handschriftlichen Änderungen an anderer Stelle kann ebenso gut die indizielle Bedeutung zukommen, dass die unveränderten Textpassagen zwischen den Parteien gar nicht angesprochen wurden. Weitergehenden Tatsachenvortrag, auf dessen Grundlage ein Aushandeln gemäß den höchstrichterlichen Vorgaben festzustellen wäre, hat die Beklage nicht gehalten. Sie hat über die Vorlage des Verhandlungsprotokolls hinaus auch keinen Beweis angetreten.

b. Die Regelung ist als AGB auch inhaltlich gemäß §§ 307 ff. BGB überprüfbar.

Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB sind nur Bestimmungen in AGB, die keine von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen enthalten, von der Inhaltskontrolle ausgenommen. Das gilt insbesondere für vertragliche Vereinbarungen betreffend Leistung und Gegenleistung, die von den Vertragsparteien nach dem im Bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie frei bestimmt werden können. Allerdings führt nach der Rechtsprechung des BGH die bloße Einstellung einer Klausel in ein Regelwerk, das Preise für Einzelleistungen bei der Vertragsabwicklung festlegt, noch nicht dazu, dass die einzelne Klausel als unselbständiger Bestandteil einer “Gesamtpreisabsprache” jeder Kontrolle entzogen ist. Der klare Wortlaut des Gesetzes (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB) verlangt auch dann eine Prüfung, ob die Klausel lediglich deklaratorische Wirkung hat oder ob sie Rechtsvorschriften ergänzt, indem sie etwa ein Entgelt festlegt, obwohl eine Leistung für den Vertragspartner nicht erbracht wird. Der Begriff der Leistung steht nicht zur Disposition des Verwenders von AGB. Daher ist ohne Rücksicht auf die Preisstruktur insgesamt und die Beschaffenheit der sonstigen Einzelpreise zu überprüfen, ob der streitigen Klausel eine echte (Gegen-)Leistung zugrunde liegt oder ob es sich um eine kontrollfähige (Preisneben-)Abrede handelt, die zwar (mittelbare) Auswirkungen auf Preis und Leistung hat, an deren Stelle aber, wenn eine wirksame vertragliche Regelung fehlt, dispositives Gesetzesrecht treten kann (BGH, Urteil v. 22.11.2012 – VII ZR 222/12 – Rn. 16 m.w.N.; BGH, Urteil v. 11.07.2019 – VII ZR 266/17 – Rn. 19; BGH, Urteil v. 18.01.2017 – VIII ZR 263/15 – Rn. 27 f).

Bei Anwendung dieser Grundsätze unterliegt die Klausel der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle. Auf die Ausführungen der angefochtenen Entscheidung wird Bezug genommen.

c. Die Regelung der Kostenbeteiligung in Ziffer IV.3. des Verhandlungsprotokolls hält einer Inhaltskontrolle nicht stand, vielmehr ist eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin anzunehmen. Auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung wird verwiesen. Die pauschale Behauptung der Beklagten in der Berufungsbegründung, die Klägerin erhielte durch die Regelung wirtschaftliche Vorteile, kann der Senat nicht nachvollziehen. Denn die Regelung weicht von den wesentlichen Grundgedanken aus § 634 BGB bzw. § 13 Abs. 5 VOB/B ab und belastet die Klägerin mit einem Pauschalabzug unabhängig von ihrem Verursachungsbeitrag (vgl. OLG Brandenburg, Urteil v. 20.08.2020 – 12 U 34/20 -).

d. Zu dem in erster Instanz streitigen Abzug wegen nicht vorgelegter Bautenstandsberichte verhält sich die Berufungsbegründung nicht. 

3. Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte auch zur Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt, §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB.

Gegen die Würdigung der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme durch das Landgericht ist nichts zu erinnern. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausgesagt hat, von S bezahlt worden zu sein, ist dies in Anbetracht des Beweisthemas “Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten durch die Klägerin” nur als Zahlung der Klägerin zu verstehen. Denn S ist der Geschäftsführer der Klägerin. Aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage des Klägervertreters im Rahmen seiner Vernehmung als Zeuge ergibt sich, dass es ausschließlich um eine Zahlung für die Klägerin ging.

Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt für die Frage des Verzugs nicht auf das Datum der Schlussrechnung an. Die Klägerin konnte die Sicherheit gemäß § 650f BGB jederzeit nach Vertragsschluss beanspruchen. Die Klägerin hatte die Beklagte hierzu unter Fristsetzung bis zum 16.05.2023 aufgefordert. Nach fruchtlosem Fristablauf befand sich die Beklagte in Verzug.”

B.

Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung mit Schriftsätzen vom 16. September 2024 sowie vom 9. Oktober 2024 geben zu einer Änderung der rechtlichen Würdigung keinen Anlass.

Der Senat führt insoweit aus:

1. Der Senat hält nach erneuter Prüfung unter Einbeziehung der von der Beklagten herangezogenen Argumentation an der rechtlichen Einordnung des Vertrages fest. § 650f BGB findet auf den Vertrag insgesamt Anwendung.

Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt der Beklagten, wonach der vorliegende Vertrag als typengemischter Vertrag anzusehen ist.

Sofern in einem Vertrag unterschiedliche Leistungen vereinbart sind, ist die Frage, welche Rechtsnormen auf die aufgrund selbständiger Verpflichtungen erbrachten Leistungen anzuwenden sind, nach den Grundsätzen für gemischte oder zusammengesetzte Verträge zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil v. 13.09.2007 – I ZR 207/04 -). Haben die Vertragsparteien keine ausdrückliche Abrede darüber getroffen, welche Rechtsvorschriften auf die einzelnen Teile ihrer vertraglichen Abreden anzuwenden sind, ist bei der Beurteilung maßgeblich auf die besonderen Umstände des Einzelfalls, auf die Interessenlage der Vertragsparteien sowie auf Sinn und Zweck der vertraglichen Vereinbarungen abzustellen (BGH, a.a.O.; vgl. BGH, Urteil v. 21.11.1985 – VII ZR 366/83 -; BGH, Urteil v. 05.04.1979 – VII ZR 308/77 -; vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v. 26.11.2019 – 21 U 4/19 -; BeckOK BGB/Gehrlein 71. Ed. 1.8.2024, BGB § 311 Rn. 21). Nichts anderes besagt die von der Beklagte herangezogene Entscheidung des OLG München (Urteil v. 09.04.2024 – 9 U 4221/23 Bau -).

Die Würdigung dieser Aspekte führt im vorliegenden Fall dazu, dass auf den gesamten Vertrag Werkvertragsrecht anzuwenden ist.

a. Die Vereinbarungen der Vertragsparteien sind hier nicht so zu verstehen, dass es sich bei der Verpflichtung, die Elektroinstallation im Neubau für die gesamte Einheit funktionsfähig und vollständig zu erstellen, und der Verpflichtung zur Lieferung von Leuchtmitteln um abgrenzbare und selbstständig zu behandelnde Vertragsteile handelt. Aus dem Vertrag lässt sich gerade nicht herleiten, dass die Klägerin unabhängig von ihrer Werkleistung eine weitere selbstständige Hauptleistung übernahm. Vielmehr war die Lieferung von Material und Leuchtmitteln lediglich die Voraussetzung dafür, dass die Klägerin ihren werkvertraglichen Pflichten nachkommen konnte, die in der funktionsfähigen Neuerrichtung der Elektroinstallation in einem Neubau vom Erdgeschoss bis zum 4. OG bestand. Um zu bestimmen welche der beiden Leistungen – Neuerrichtung der Elektroinstallation einerseits und die Lieferung von Leuchtmitteln andererseits – entscheidend für die Vertragsnatur ist, kommt es nicht auf eine quantitative Bewertung der unterschiedlichen Vertragsbestandteile an (soweit sie anhand der Preisvereinbarung überhaupt möglich ist), sondern auf eine qualitative Beurteilung. Bei dieser hat die Erreichung des funktionalen Werkerfolgs den Vorrang. Denn die Klägerin verpflichtete sich zur Erstellung der Elektroinstallation nicht unabhängig von der Lieferung der Leuchtmittel. Vielmehr war die Neuerrichtung der Elektroinstallation so auszurichten, dass die Einbindung der zu liefernden Leuchtmittel in der ganzen Einheit funktionstüchtig gewährleistet war. Der Schwerpunkt der Leistung liegt deshalb in der Herstellung eines funktionstüchtigen Werks.

Nach Auffassung des Senats entspricht es deshalb im vorliegenden Einzelfall nach dem Sinn und Zweck der vertraglichen Vereinbarung der Parteien ihrem mutmaßlichen Willen, den Vertrag als einheitliches Ganzes dem Werkvertragsrecht zu unterstellen. Es besteht nicht ein einziger objektiver Anknüpfungspunkt dafür, dass die Parteien auf die jeweiligen Leistungspflichten unterschiedliche Rechtsvorschriften anwenden wollten.

b. Die Interessen der Klägerin als Auftragnehmerin sind vorliegend nicht gewahrt, wenn kaufvertragliche Elemente aus dem einheitlichen Vertrag herausgelöst und insoweit die Anwendung werkvertraglicher Regelungen versagt werden. Hierdurch würden die Interessen der beklagten Auftraggeberin einseitig in nicht angemessener Weise privilegiert. Denn nach den Vereinbarungen der Parteien ist die gesamte Zahlung dem Werkvertragsrecht und der VOB/B unterstellt, so dass eine Zahlung – auch für die kaufvertraglichen Bestandteile des Vertrags – erst mit der Abnahme bzw. der Erteilung einer prüffähigen Schlussrechnung fällig wird, §§ 641, 650g Abs. 4 BGB, §§ 14, 16 VOB/B. Eine Teilabnahme haben die Parteien gerade nicht vereinbart. Im Gegensatz dazu sehen die Regelungen des Kaufvertragsrechts gemäß § 433 Abs. 1 und 2 BGB eine Zahlungspflicht Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung sowie die Möglichkeit eines Eigentumsvorbehalts gemäß § 449 BGB vor. Es ist nach dem Vertrag nicht ersichtlich, dass die Parteien für irgendeinen Leistungsteil abweichende Zahlungsmodalitäten zu den im Übrigen geltenden Regelungen vereinbaren wollten. Es entspricht nach den vertraglichen Regelungen ganz offenbar nicht dem Interesse des Auftragnehmers, auf die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts und den Schutz des § 650f BGB hinsichtlich eines wertmäßig beträchtlichen Teils des Pauschalpreises zu verzichten. Bei der Abwägung der wechselseitigen Interessenlagen wird auch durch die vereinbarte Vorauszahlung in Höhe von 10 % der Nettoauftragssumme und die Möglichkeit von Abschlagszahlungen kein angemessener Ausgleich zugunsten des Auftragnehmers hergestellt, weil diese Zahlungen im Gegensatz zu einer Kaufpreiszahlung lediglich vorläufig sind. Das Interesse des Auftraggebers, für die Vergütung der kaufvertraglichen Elemente des Vertrags keine Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB leisten zu müssen ist nicht schutzwürdig, wenn es sich wie hier um einen einheitlichen Pauschalfestpreis handelt, bei dem die Personalkosten im Zuge der Herstellung des Werks in den Einheitspreisen enthalten sind. Beide Teile des Vertrages sind schon aus kalkulatorischen Gründen untrennbar. Das Gesamtgepräge des Vertrags stellt ein einheitliches Ganzes dar und kann deshalb bei der rechtlichen Beurteilung nicht in seine verschiedenen Bestandteile zerlegt werden.

c. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass die Lieferung und der Erwerb der Stehlampen für die Herbeiführung des Werkerfolgs im Übrigen nicht erforderlich gewesen sei, trifft dies nicht zu. Denn die Parteien haben gerade vereinbart, dass die Leistungspflicht der Klägerin in der Elektroinstallation unter Einbindung dieser Leuchtmittel bestand. Das von der Klägerin geschuldete funktionstüchtige Elektroinstallationssystem war auf die Integration dieser Bestandteile ausgerichtet.

2. Das Landgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung die Vorgaben des § 286 Abs. 1 ZPO beachtet. Es ist nicht festzustellen, dass das Landgericht die Zeugenaussage des Klägervertreters in unzulässiger Weise umgedeutet oder ausgelegt hat, vielmehr ist die Beweiswürdigung von der protokollierten Zeugenaussage gedeckt.

§ 286 ZPO verpflichtet das Gericht zu einer umfassenden Würdigung der Ergebnisse der Beweisaufnahme, wobei es die erforderliche Überzeugung aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung zu schöpfen hat und nicht durch die Art und Weise der Protokollierung begrenzt ist (vgl. BGH, Urteil v. 14.10.1981 – IVa ZR 152/80 -; vgl. BGH, Urteil v. 18.12.1984 – VI ZR 56/83 -).

Nach dieser Maßgabe geht die Annahme der Beklagten, das Landgericht habe nicht protokollierte Umstände der Zeugenaussage bei seiner Beweiswürdigung nicht berücksichtigen dürfen, bereits im Ansatz fehl. Das Landgericht hat die Aussage des Zeugen ausweislich der Urteilsgründe dahin verstanden, dass die Klägerin die geltend gemachten Rechtsanwaltskosten gezahlt hat. Ein Widerspruch zu der protokollierten Zeugenaussage ist nicht ersichtlich. Ausgehend von der Beweisfrage, ob die Rechnung vom 24.05.2023 von der Klägerin beglichen worden sei, hat der Zeuge zunächst allgemein ausgeführt, wie er die Rechnungslegung gegenüber seinen Mandanten handhabe. Die protokollierte Passage “Ich habe dann eine Rechnung gelegt. Und mir ist aufgefallen, dass das Angenehme an S ist, dass die Rechnungen dann auch zeitnah beglichen werden. Hier war es ebenfalls so.” ist nicht anders zu verstehen, als dass eine Rechnungslegung an die Mandantin, hier die Klägerin, erfolgt ist und nicht an deren Geschäftsführer S persönlich. Gleiches gilt für das Verständnis des Landgerichts, dass die Zahlung dieser an die Klägerin gerichteten Rechnung auch für die Klägerin erfolgte. Das Landgericht hielt die Aussage des Zeugen im Sinne der Bestätigung der Beweisfrage ganz offensichtlich für ausreichend. Dieses Verständnis des Inhalts der Zeugenaussage lässt sich auch auf deren Niederschrift stützen, ohne dass Zweifel oder Interpretationsspielräume verbleiben. Eine vom Wortsinn abweichende Auslegung der Zeugenaussage durch die Beklagte hat sich zudem keine der Parteien zu eigen gemacht.

Eine erneute Vernehmung des Zeugen durch den Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht veranlasst. Gemäß § 529 Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen schon dann vor, wenn aus Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (BGH, Urteil v. 15.07.2003 – VI ZR 361/02 -). Die erneute Vernehmung eines Zeugen ist unter anderem eröffnet, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders beurteilen will als die Vorinstanz oder wenn es die protokollierten Angaben eines Zeugen für zu vage und präzisierungsbedürftig hält oder die protokollierte Aussage eines Zeugen anders verstehen will als der Richter der Vorinstanz (BGH, Urteil v. 29.01.1991 – XI ZR 76/90 -, m.w.N; BGH, Urteil v. 17.07.2002 – VIII ZR 151/01 -, m.w.N.; vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 529, Rn. 12; vgl. BGH, Urteil v. 24.04.2001 – VI ZR 258/00 -). Der Senat hat indes keinen Anlass, die protokollierte Aussage des Zeugen in einem vom Verständnis des Landgerichts abweichenden Sinn aufzufassen.

Die von der Beklagten gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage und die Glaubwürdigkeit des Zeugen herangezogenen Indizien vermögen die vom Landgericht getroffene Beurteilung nicht zu erschüttern. Der Zeuge hat sich auf Nachfrage des Beklagtenvertreters auch zu dem Thema eines urkundlichen Zahlungsnachweises geäußert. Der Umstand, dass der Beklagtenvertreter bei einer Einsicht in die Geschäftsunterlagen der Beklagten keine Unterlagen aufgefunden hat, die eine Zahlung der Klägerin an ihren Bevollmächtigten belegen, reicht nicht aus, um die Voraussetzungen für eine Wiederholung der Beweisaufnahme anzunehmen. Es kann deshalb dahinstehen, ob dieses neue Vorbringen gemäß § 531 Abs. 2 ZPO überhaupt zulässig ist. Die Richtigkeit und Zulässigkeit dieser Behauptung unterstellt, stellt dies keinen Anknüpfungspunkt dar für die Annahme, die erstinstanzlichen Feststellungen hätten keinen Bestand.

OLG Brandenburg zu der Frage, dass die Abnahmefiktion nach § 12 Abs. 5 VOB/B jedenfalls bei Verbraucherverträgen der Inhaltskontrolle nicht standhält und dass die Vertretung durch einen Architekten bei Vertragsschluss nichts an der Verbrauchereigenschaft ändert

OLG Brandenburg zu der Frage, dass die Abnahmefiktion nach § 12 Abs. 5 VOB/B jedenfalls bei Verbraucherverträgen der Inhaltskontrolle nicht standhält und dass die Vertretung durch einen Architekten bei Vertragsschluss nichts an der Verbrauchereigenschaft ändert

vorgestellt von Thomas Ax

1. Enthält ein Angebot zum Abschluss eines Bauvertrags die Bedingung, dass ihm “die VOB neuester Fassung” zugrunde liegt, ist dies weder intransparent noch überraschend, sondern führt zur wirksamen Einbeziehung der VOB/B in der bei Vertragsschluss aktuellen Fassung, wenn der Auftraggeber bei Vertragsschluss durch einen Architekten vertreten wird.
2. Da mit der vereinbarten Vergütung alle Leistungen abgegolten sind, die nach der Baubeschreibung der Leistung innerhalb des Bauvertrages zur vertraglichen Leistung gehören, muss für eine zusätzliche Vergütung eine vom Auftraggeber veranlasste Leistungsänderung vorliegen. Maßgeblich ist die Bestimmung der vertraglichen Verpflichtung des Auftragnehmers, somit die Ermittlung des Bau-Solls, im Vergleich zu der (behaupteten) Änderung. Unklarheiten gehen zu Lasten des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Auftragnehmers.
3. Legt der Auftragnehmer ein Nachtragsangebot vor und fordert der Architekt des Auftraggebers diesen daraufhin zur Leistungserbringung auf, liegt darin nicht ohne weiteres eine Beauftragung im Sinne einer einvernehmlichen Vertragsänderung.
4. Der Auftraggeber ist nach erfolglosem Ablauf der dem Auftragnehmer gesetzten Mängelbeseitigungsfrist nicht mehr verpflichtet, die angebotene Mängelbeseitigung anzunehmen oder ihm nochmals eine Frist zur Nacherfüllung einzuräumen, denn das Recht (nicht die Pflicht) zur Nacherfüllung des Auftragnehmers erlischt, wenn der Auftraggeber ihm eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat
5. Mängel stehen einer konkludenten Abnahme nur dann entgegen, wenn sie den Vertragsparteien bekannt bzw. durch den Auftraggeber gerügt sind.
6. Die Abnahmefiktion nach § 12 Abs. 5 VOB/B hält jedenfalls bei Verbraucherverträgen der Inhaltskontrolle nicht stand. Die Vertretung durch einen Architekten bei Vertragsschluss ändert nichts an der Verbrauchereigenschaft.
7. Nach § 213 BGB gilt die Verjährungshemmung auch für Ansprüche, die aus demselben Grunde wahlweise neben dem Anspruch oder an seiner Stelle gegeben sind. Alle Gewährleistungsansprüche, die auf demselben Mangel beruhen, sind als solche aus demselben Grund anzusehen. Die Hemmung eines von ihnen erstreckt sich demnach auch auf die anderen Gewährleistungsansprüche und zwar unabhängig davon, in welcher Höhe sie geltend gemacht werden.
OLG Brandenburg, Urteil vom 15.08.2024 – 10 U 100/23
vorhergehend:
LG Cottbus, 20.03.2023 – 6 O 182/16

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 20. März 2023, Az. 6 O 182/16, abgeändert und insgesamt unter Berücksichtigung der Klageerweiterung in dem Berufungsverfahren wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin wird verurteilt, an den Beklagten einen Betrag in Höhe von 7.927,83 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27. Mai 2024 zu zahlen. Die weitergehende Hilfswiderklage wird abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Klägerin.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 26.063,37 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um gegenseitige Ansprüche aus einem Werkvertrag über die Herstellung einer sogenannten Trespa-Verkleidung des Eingangsbereiches eines Einfamilienhauses in L…, Ortsteil S… .

Die vom Beklagten beauftragte Architektin, die Zeugin K…-N…, bei der es sich um die Ehefrau des Beklagten handelt, wandte sich mit E-Mail vom 17. Juni 2015 unter Beifügung einer Zeichnung (Anlage B1) an die Klägerin und erbat für ein privates Bauvorhaben die Verkleidung einer Wandscheibe an der Außenfassade mit Trespa.

Die Parteien führten zunächst einen ersten Ortstermin durch, woraufhin die Klägerin das Angebot vom 3. Juli 2015 erstellte, die Trespa-Verkleidung des Eingangsbereiches zu einem Einheitspreis von 210,00 Euro netto je Quadratmeter herzustellen. Die Architektin erklärte mit E-Mail vom 13. August 2015, das Angebot anzunehmen.

Es fand ein weiterer Ortstermin statt, bei dem sich die Fassadenoberfläche in dem Zustand befand, in dem die Montage der Oberflächenkonstruktion erfolgt ist, und bei dem der Zeuge B… den Baukörper aufmaß.

Die Klägerin stellte nach Beginn ihrer Arbeiten und bei Montage der Unterkonstruktion fest, dass es Abweichungen zu der Zeichnung gibt. Die Architektin übermittelte der Klägerin daraufhin mit E-Mail vom 4. November 2015 eine weitere Zeichnung (Anlage B 2).

Am 1. Dezember 2015 übersandte die Klägerin dem Beklagten ein Nachtragsangebot wegen der Überarbeitung der Konstruktionszeichnungen und zusätzlicher Aufwendungen über 1.202,00 Euro netto. Dies wies die Architektin mit Schreiben vom 14. Dezember 2015 zurück und forderte die Klägerin gleichzeitig auf, die vereinbarte Leistung bis zum 31. Dezember 2015 zu erbringen.

Die Klägerin beendete ihre Arbeiten im Januar 2016 und legte am 25. Januar 2016 Schlussrechnung über 7.048,86 Euro netto / 8.388,14 Euro brutto auf der Grundlage des Angebotes vom 3. Juli 2015, welche der Beklagte mit Schreiben vom 25. Februar 2016 zurückwies.

Die Klägerin legte am 14. März 2016 Rechnung über weitere 1.102,00 Euro netto / 1.311,38 Euro brutto auf der Grundlage eines Nachtragsangebotes vom 1. Dezember 2015.

Die außergerichtliche, auch anwaltliche Aufforderung des Beklagten zur Zahlung des nach Ansicht der Klägerin ausstehenden restlichen Werklohns in Höhe von insgesamt 9.699,52 Euro brutto blieb erfolglos.

Der Beklagte forderte die Klägerin in seiner Klageerwiderung vom 5. Dezember 2016 zur Mängelbeseitigung bis zum 22. Dezember 2016 auf. Mit Schreiben vom 15. April 2021 erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten, die gerügten Mängel teilweise beseitigen zu wollen und forderte den Beklagten mit außergerichtlichem Schreiben vom 10. Mai 2021 auf, das Angebot zur Mängelbeseitigung bis zum 20. Mai 2021 anzunehmen.

Der Beklagte erklärte mit Schreiben vom 19. Mai 2021 den Rücktritt vom Werkvertrag und kündigte diesen vorsorglich fristlos aus wichtigem Grund.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der Beklagte sei zur Bezahlung des Werklohnes einschließlich des Nachtrags verpflichtet. Sie hat behauptet, dass Hintergrund der Abweichungen zwischen der tatsächlichen Ausführung ihrer Arbeiten und den Zeichnungen eine zusätzliche Dämmung des zu bearbeitenden Fassadenteils gewesen sei. Nach den daraufhin von der Architektin mit E-Mail vom 4. November 2015 übersandten korrigierten Zeichnungen habe der Bereich oberhalb als auch unterhalb des Vordaches in zwei identische Platten aufgeteilt werden sollen, was vorher anders gewesen sei und deshalb eine Umplanung und folglich auch den Nachtrag erfordert habe. Das Werk sei insgesamt mangelfrei und abnahmefähig.

Die Klägerin hat zudem die Auffassung vertreten, die VOB/B sei wirksam in den Vertrag der Parteien einbezogen worden, da der Beklagte durch die von ihm beauftragte Architektin vertreten worden sei. Die Zusendung einer Schlussrechnung enthalte die Erklärung über die Fertigstellung der Leistung, so dass hier die Voraussetzungen einer fiktiven Abnahme gemäß § 12 Abs. 5 Ziffer 1 VOB/B vorliegen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 9.699,52 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. April 2016 zu zahlen sowie

2. den Beklagten zu verurteilen, an sie 745,40 Euro vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. August 2016 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Widerklagend hat der Beklagte beantragt,

die Klägerin zu verurteilen, 18 Stück Trespa-Platten nebst dazugehöriger Unterkonstruktion vollständig vom Eingangsbereich der Fassade des im …weg …, L…-S…, gelegenen Wohnhauses des Beklagten zu entfernen und die in der Außenfassade nach Entfernung der Unterkonstruktion zurückbleibenden Öffnungen mit dem gleichen Material und in der gleichen Art sowie Güte wie die umgebende Außenfassade zu verschließen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, dass es keiner Umplanung bedurft habe, da von vornherein die tatsächlichen Maße vor Ort zu berücksichtigen gewesen seien, die die Klägerin bei dem Aufmaßtermin genommen habe und welche die Architektin der Klägerin lediglich nochmals mit E-Mail vom 4. November 2015 übermittelt habe. In der Rechnung vom 25. Januar 2016 sei nicht die Mitteilung über die Fertigstellung der Leistung zu sehen, denn erst mit Rechnung vom 14. März 2016 habe die Klägerin alles abgerechnet, was ihrer Meinung nach erbracht worden sei. Mit Schreiben vom 25. Februar 2016 habe der Beklagte zudem einen Vorbehalt geäußert. Die Abnahmefiktion greife auch deshalb nicht, weil er und seine Ehefrau vom 25. Januar 2016 bis zum 28. April 2016 durchgängig nicht in Deutschland gewesen seien und sie daher die Leistungen der Klägerin nicht hätten prüfen können.

Der Beklagte hat weiter behauptet, die klägerische Leistung sei mangelhaft und nicht verwendbar. An der Verkleidung würden die Abschlüsse zur Wand fehlen, so dass verschieden große (ca. 6-7 cm breite) Spalte zwischen Platte und Wand bestünden. Die Spaltmaße der Platten zueinander seien unterschiedlich breit und außerdem schief zueinander ausgebildet. Alle Platten der Verkleidung seien in sich nicht lotgerecht und an den Kanten zueinander bzw. zu den Wandkanten nicht gerade abschließend montiert. Die Platten würden auch über andere Platten an den Kanten hinüberragen, so dass kein sauberer und einheitlicher Kantenabschluss bestehe. Die Platten hätten ausgefranzte Kanten und bei der Montage sei die Dämmung zerstört worden. Eine Befestigungsschraube durchbohre über der Hauseingangstür eine Platte. Die Musterrichtung der im Laibungsbereich der Tür und an der Seite angeschlagenen Platten verlaufe nicht in horizontaler Ausrichtung und anders als bei den anderen Platten.

Das Landgericht hat zur Mangelhaftigkeit des klägerischen Werks Beweis erhoben durch Einholung des schriftlichen Sachverständigengutachtens des Dipl.-Ing. K… M… vom 12. Januar 2021. In der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2022 hat das Landgericht den Sachverständigen Dipl.-Ing. K… M… ergänzend angehört.

Mit dem am 20. März 2023 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Klage – mit Ausnahme eines Betrages in Höhe von 610,06 Euro nebst Zinsen – abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Rücktritt des Beklagten wegen der vom Sachverständigen bestätigten Mängel wirksam sei. Infolge dessen sei der Werklohnanspruch der Klägerin aus dem hier vorliegenden BGB-Werkvertrag erloschen und der Vertrag rückabzuwickeln. Das Landgericht hat den Beklagten deshalb zur Zahlung von Wertersatz in Höhe von 610,06 Euro verurteilt, da die tatsächliche Rückgewähr der Verkleidung ausgeschlossen sei, weil die Platten auf das Bauwerk des Beklagten zugeschnitten und nach einer Demontage nahezu unbrauchbar seien. Mit derselben Begründung hat es die auf Entfernung der Trespa-Verkleidung gerichtete Widerklage abgewiesen.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird ergänzend auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.

Dagegen wenden sich die Parteien mit ihren wechselseitig eingelegten Berufungen.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass der von dem Beklagten am 19. Mai 2021 erklärte Rücktritt aus mehreren Gründen unwirksam ist. Die Rückabwicklung des Vertrages richte sich nach den dem BGB vorrangigen Regelungen in §§ 8, 9 VOB/B, da entgegen der Auffassung des Landgerichts die VOB/B wirksam zwischen den Parteien vereinbart worden sei. Die Bezugnahme des klägerischen Angebots auf die “VOB neuster Fassung” könne für den hiesigen Vertrag denklogisch nur die VOB/B und VOB/C gemeint haben. Dementsprechend sei für die Abnahme auch § 12 Abs. 5 VOB/B anzuwenden, dessen Voraussetzungen, insbesondere eine Fertigstellungsmitteilung durch die Übersendung der Schlussrechnung, vorliegen. Jedenfalls sei eine konkludente Abnahme erfolgt. Der Beklagte habe das Vertragsverhältnis außerdem bereits mit Schreiben vom 15. Februar 2016, also vor dem erklärten Rücktritt, frei gekündigt. Der Umstand, dass zwischen der Mangelbeseitigungsaufforderung und der Rücktrittserklärung ca. 5 Jahre liegen, mache den Rücktritt ebenfalls unwirksam. Im Übrigen seien die Mängel der Klägerin infolge der von der Architektin des Beklagten ausgesprochenen Leistungsänderung nicht zurechenbar; dies auch deshalb, weil im Hinblick auf die Spaltmaße davon auszugehen sei, dass die ursprünglich völlig einwandfrei verlegten Platten von einem anderen Gewerk später abgenommen und unsachgemäß wieder montiert worden seien. Ein gewisses Ausfransen im hinteren Bereich der Trespaplatten sei wegen deren Zuschnitts üblich. Die abweichende Musterrichtung der im Laibungsbereich der Tür und auf der Seite angeschlagenen Platten sei infolge der Leistungsänderung durch den Beklagten erforderlich geworden und angesichts der sachverständig geschätzten Kosten für den Austausch in Höhe von 800 Euro als unerheblich anzusehen. Insoweit habe die Klägerin auch stets Nachbesserungsbereitschaft gezeigt. Die Kosten der Mangelbeseitigung seien vom Sachverständigen deutlich zu hoch geschätzt worden. Die lotgerechte Verlegung der Platten erfordere lediglich einen Kostenaufwand von 500 Euro, was hätte sachverständig ergänzend festgestellt werden müssen.

Die Klägerin erhebt im Hinblick auf einen im Wege der Aufrechnung/Hilfswiderklage geltend gemachten Kostenvorschussanspruch des Beklagten die Einrede der Verjährung und ist der Auffassung, dass ein Abrechnungsverhältnis nicht erst durch die Rücktrittserklärung bzw. Kündigung des Beklagten im Jahr 2021 entstanden sei, sondern spätestens mit Ablauf der in der Klageerwiderung vom 5. Dezember 2016 gesetzten Mangelbeseitigungsfrist bzw. sei das Werk der Klägerin ohnehin bereits zuvor konkludent abgenommen worden. Gewährleistungsansprüche seien daher spätestens im Dezember 2021 verjährt, ohne dass der Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt einen Vorschussanspruch geltend gemacht hat.

Die Klägerin meint, dass der vom Beklagten vorgelegte Kostenvoranschlag vom 24. Mai 2024 (Anlage BB1) mit der ursprünglichen Leistung, die sie zu erbringen hatte, nicht vergleichbar sei. Es handele sich nicht um eine Mangelbeseitigung, sondern um die Neuverlegung von ganz anderen Platten. Die veranschlagten Kosten der Mangelbeseitigung, die mehr als das Doppelte des ursprünglichen Werklohns betragen, seien bei dem hier vorliegenden leichten optischen Mangel unverhältnismäßig. Die Platten können ohne weiteres mit einfachen Mitteln wieder ins Lot gebracht werden. Ebenso sei der Austausch der in unterschiedlicher Verlegerichtung verbauten Platten ohne Probleme in relativ kurzer Zeit möglich. Die acht Trespaplatten, die der Sachverständige gerügt hat, stellten im Verhältnis zur Gesamtfläche untergeordnete Bauteile gegenüber den Hauptplatten dar. Es erschließe sich auch nicht, warum die Unterkonstruktion aus statischen Gründen erneuert werden müsse, da die entsprechende Statik vorliege und die Platten abgenommen und wieder angebracht werden können. Die Klägerin bestreitet hilfsweise, dass Kostenvorschussansprüche in entsprechender Höhe berechtigt sind. Dies gelte insbesondere für Kostenvorschussansprüche, die die Kostenschätzung des Sachverständigen, die ohnehin schon sehr üppig sei, übersteigen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Entscheidung des Landgerichts Cottbus vom 20. März 2023, Az.: 6 O 182/16 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen

1. an sie weitere 9.089,46 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 9.699,52 Euro vom 3. April 2016 bis 20. Mai 2021 sowie auf 9.089,46 Euro seitdem 21. Mai 2021 zu zahlen,

2. an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 745,40 Euro zuzügliche Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. August 2016 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt zuletzt sinngemäß,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen

und

die Entscheidung des Landgerichts Cottbus vom 20. März 2023, Az.: 6 O 182/16 wie folgt abzuändern:

1. die Klage insgesamt abzuweisen.

2. Die Klägerin widerklagend zu verurteilen, an ihn 847,68 Euro netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

3. hilfsweise, für den Fall, dass nach der hilfsweise erklärten Aufrechnung Kostenvorschussansprüche zu Gunsten des Beklagten aus dem Angebot vom 24. Mai 2024 (Anlage BB 1) zur Beseitigung der festgestellten Mängel verbleiben, die Klägerin widerklagend weiterhin zu verurteilen an den Beklagten den sich ergebenen Betrag (maximal 15.516,17 Euro netto) zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten einschl. Widerklage und Hilfswiderklage zurückzuweisen.

Hinsichtlich der Berufung der Klägerin ergänzt der Beklagte seinen erstinstanzlichen Vortrag dahingehend, dass das Vorbringen der Klägerin zum Schreiben vom 25. Februar 2016 als neues Angriffsmittel und damit als unzulässig zu bewerten sei und aus dem genannten Schreiben ohnehin keine Kündigungserklärung des Beklagten hervorgehe. Eine Abnahme sei nicht erfolgt. Die Bestimmung des § 12 Abs. 5 VOB/B sei jedenfalls gegenüber Verbrauchern unwirksam. Die Klägerin habe sich zudem unzureichend mit den vom Sachverständigen eindeutig festgestellten Mängeln auseinandergesetzt. Eine Bearbeitung des Werks nach Beendigung der klägerischen Arbeiten durch andere Gewerke habe sachverständig nicht festgestellt werden können. Die Behauptung der Klägerin, dass wegen der Notwendigkeit geänderter Ausführung bzw. der vorgegebenen Plattenmaße sich eine geänderte Musterrichtung zwingend ergeben habe, sei unzutreffend. Darauf sei der Beklagte von der Klägerin auch nicht hingewiesen worden. Für den Fall der Unwirksamkeit des Rücktritts stehe dem Beklagten jedenfalls ein Zurückbehaltungsrecht bis zur Beseitigung der Mängel zu.

Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen den der Klägerin zugesprochenen Wertersatzanspruch und die diesem zugrunde liegende Annahme des Landgerichts, eine Rückgewähr oder eine Herausgabe der streitgegenständlichen Platten sei nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen. Die Demontage der Trespa-Verkleidung sei nach den sachverständigen Feststellungen grundsätzlich zerstörungsfrei möglich. Deshalb habe das Landgericht auch der Widerklage stattgeben müssen, mit der der Beklagte seinen auf Entfernung der Trespa-Verkleidung gerichteten Antrag in der Berufungsinstanz zunächst weiterverfolgt hat.

Der Beklagte stützt den Widerklagebetrag in Höhe von 847,68 Euro auf die Pos. 02 des Angebotes vom 24. Mai 2024 (Anlage BB 1) für den ursprünglich widerklagend beantragten Rückbau der Fassade gemäß S. 22, Pos. 06 des Sachverständigengutachtens, vorsorglich auf die sachverständig festgestellten Mängelbeseitigungskosten. Im Übrigen erklärt der Beklagte bezüglich des verbleibenden Betrages des Angebotes vom 24. Mai 2024 (Anlage BB 1) in der Reihenfolge der dort aufgeführten Positionen, aber ohne Pos. 02, in Höhe von 15.516,17 Euro, vorsorglich in Höhe der sachverständig festgestellten Mängelbeseitigungskosten, mit den sich insoweit ergebenden Kostenvorschussansprüchen die hilfsweise Aufrechnung gegenüber der Werklohnforderung der Klägerin. Den überschießenden Betrag macht er im Wege der Hilfswiderklage geltend.

II.

1. Die nach §§ 511 Abs. 1, 301 Abs. 1 Satz 1, 304 Abs. 2 ZPO statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Die Berufung hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Der zunächst entstandene Werklohnanspruch der Klägerin in Höhe von 8.388,14 Euro (a) ist durch die hilfsweise erklärte Aufrechnung des Beklagten mit Kostenvorschussansprüchen zur Mängelbeseitigung erloschen (c).

a) Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines Werklohns in Höhe von 8.388,14 Euro aus § 8 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 VOB/B i. V.m. dem am 3. Juli 2015 geschlossenen Vertrag ist zunächst entstanden.

Nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 VOB/B kann der Auftragnehmer im Falle einer Vertragskündigung durch den Auftraggeber die vereinbarte Vergütung beanspruchen.

aa) Die Parteien haben vorliegend einen Einheitspreisvertrag über die Herstellung einer sogenannten Trespa-Verkleidung geschlossen. Grundlage war das Angebot der Klägerin vom 3. Juli 2015, das der Beklagte vertreten durch die von ihm beauftragte Architektin mit E-Mail vom 13. August 2015 angenommen hat.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts haben die Parteien bei Vertragsschluss die als allgemeine Geschäftsbedingung nach § 305 Abs. 1 BGB anzusehenden VOB/B 2009 nach § 305 Abs. 2 BGB wirksam in ihren Vertrag einbezogen.

Allgemeine Geschäftsbedingungen werden gemäß § 305 Abs. 2 BGB nur dann Bestandteil eines Vertrags, wenn der Verwender bei Vertragsschluss die andere Vertragspartei ausdrücklich auf sie hinweist und der anderen Vertragspartei die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen und wenn die andere Vertragspartei mit ihrer Geltung einverstanden ist.

Diese Voraussetzungen liegen vor.

(1) Das verbindliche Angebot der Klägerin vom 3. Juli 2015 zur Errichtung der Trespa-Verkleidung enthält den Zusatz, dass dem “Angebot […] die VOB neuster Fassung” zugrunde liegt. Was im einzelnen Inhalt des Angebotes ist, ist durch Auslegung zu ermitteln, §§ 133, 157 BGB (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 18. Juni 1998 – 5 U 1678-97, NJW-RR 1999, 748, beck-online). Ersichtlich bezieht sich der Wortlaut auf die zur Zeit des Vertragsschlusses der Parteien im Jahre 2015 geltende Fassung der VOB (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 18. Juni 1998 – 5 U 1678-97, NJW-RR 1999, 748, beck-online; Werner/Pastor, 18. Auflage 2023, Rn. 1185) und zwar hier auf die VOB/B. Auch wenn der Wortlaut des Angebots nicht zwischen den einzelnen Teilen A, B und C der VOB differenziert, war für den Beklagten, vertreten durch seine Architektin, erkennbar, dass im vorliegenden Fall die VOB/B zur Anwendung kommen sollte. Es ist davon auszugehen, dass nur die Teile der VOB vereinbart werden sollten, die vertragsrechtliche Bedeutung gewinnen (vgl. Werner/Pastor, a.a.O., Rn. 1197). Die VOB untergliedert sich in den Teil A (Vergabe der Bauleistungen), Teil B (Ausführung von Bauleistungen) und Teil C (Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen). Für das hiesige Bauvorhaben, welches die Durchführung eines Vergabeverfahrens nicht erforderte, konnte nur die VOB/B maßgebend sein, denn das Angebot der Klägerin bezog sich – wie vom Beklagten erbeten und aus der Angebotsbezeichnung “Bauvorhaben: Ersatzneubau EFH L…, […] Trespa Verkleidung” ersichtlich – eindeutig auf einen Werkvertrag zur Herstellung einer Trespa-Verkleidung mit Bezug zu einem Einfamilienhaus. Soweit die VOB/C die allgemeinen anerkannten Regeln der Technik wiedergibt, muss der Unternehmer diese ohnehin beachten.

Insoweit begegnet die von der Klägerin gewählte Formulierung der Geltung der “VOB neuster Fassung” im vorliegenden Fall auch keinen Bedenken nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB (klare und verständliche Bestimmung) oder nach § 305 c BGB (überraschende oder mehrdeutige K…el). Für den Beklagten war der Bezug auf die VOB/B 2009 ohne Weiteres erkennbar.

(2) Die Möglichkeit für den Beklagten, vom Inhalt der VOB/B Kenntnis zu nehmen (§ 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB), musste die Klägerin im vorliegenden Fall ausnahmsweise nicht schaffen, weil der Beklagte bei Vertragsschluss durch die von ihm beauftragte Architektin vertreten wurde.

Grundsätzlich muss der Auftragnehmer als Verwender seinen im Bausektor nicht tätigen oder sonst im Baubereich nicht bewanderten Vertragspartner in die Lage versetzen, sich vor Vertragsschluss in geeigneter Weise Kenntnis von der VOB zu verschaffen (vgl. BGH, NJW 1994, 2547; 1992, 913). Keine Kenntnisverschaffung ist aber erforderlich, wenn der Verbraucher bei Vertragsschluss von einem Architekten vertreten wird. Dann genügt der bloße Hinweis auf die VOB, denn bei einem Architekten ist – wie bei einem gewerblich tätigen Unternehmer – grundsätzlich anzunehmen, dass er aufgrund seiner Ausbildung die Bestimmungen der VOB/B hinreichend kennt (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 8 U 627/04, NZBau 2006, 787, beck-online; OLG Hamm, Urteil vom 14. Juni 1995 – 12 U 142/94, NJW-RR 1996, 593, beck-online). Schließlich gehört es zu den Grundpflichten des Architekten, den Bauherren bei Vertragsschluss über die Bedeutung der Einbeziehung der VOB/B in den Bauvertrag hinreichend aufzuklären. Dieses Wissen muss sich der Bauherr zurechnen lassen (§ 166 BGB; vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 6 März 2008 – 12 U 45/06, BeckRS 2008, 5011).

Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Der Beklagte hat unstreitig seine als Architektin tätige Ehefrau mit den Vertragsverhandlungen und dem Vertragsabschluss mit der Klägerin beauftragt. Das Angebot der Klägerin nahm der Beklagten dementsprechend vertreten durch seine Architektin mit E-Mail vom 13. August 2015 an, ohne Einwände gegen die Einbeziehung der VOB/B zu erheben, § 305 Abs. 2, letzter HS BGB.

bb) Diesen zwischen den Parteien bestehenden Werkvertrag hat der Beklagte mit Schreiben vom 19. Mai 2021 gekündigt. Da die Werkleistung der Klägerin zu diesem Zeitpunkt unstreitig fertiggestellt war, denn der Beklagte beruft sich hier lediglich auf die Mangelhaftigkeit der Leistung nicht auf deren Unvollständigkeit und auch die Klägerin hat die Fertigstellung des Werks durch Übersendung ihrer Schlussrechnungen zu erkennen gegeben, kann dahinstehen, ob es sich bei der Kündigung des Beklagten um eine freie Kündigung nach § 8 Abs. 1 VOB/B oder um eine außerordentliche Kündigung nach § 8 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 7 VOB/B handelt, denn für den Fall der bereits erfolgten Fertigstellung des Werks – wie hier – ergeben sich für den Vergütungsanspruch des Werkunternehmers keine maßgebenden Unterschiede. In beiden Fällen – freie und außerordentliche Kündigung – kann der Unternehmer die Vergütung für die von ihm bis zur Vertragsbeendigung erbrachten Leistungen beanspruchen (vgl. BGH, BauR 1995, 545; 1987, 689; Kapellmann/Messerschmidt/Lederer, 8. Aufl. 2023, VOB/B § 8 Rn. 101 m.w.N.).

Den Werklohn für diese erbrachten Leistungen in Höhe von 8.388,14 Euro hat die Klägerin schlüssig dargelegt, indem sie ihre durch ein Aufmaß (Bl. 22 LG) belegte Leistung nach den im Vertragsangebot vom 3. Juni 2015 niedergelegten Positionen nachvollziehbar mit Schlussrechnung vom 25. Januar 2016 (K5, Bl. 20) abrechnete, § 2 Abs. 2 VOB/B. Dagegen hat auch der Beklagte keine Einwände erhoben.

cc) Der Werklohn in Höhe von 8.388,14 Euro ist auch fällig.

Die Klägerin hat ihre Schlussrechnung vom 25. Januar 2016 gelegt, hinsichtlich deren Prüfbarkeit keine Bedenken bestehen, § 8 Abs. 7 VOB/B.

Ob eine als Voraussetzung der Fälligkeit erforderliche Abnahme des klägerischen Werks erfolgt ist, kann an dieser Stelle dahinstehen, da jedenfalls ein Abrechnungsverhältnis zwischen den Parteien besteht. Ein Abrechnungsverhältnis setzt voraus, dass der Besteller ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer, der ihm das Werk als fertiggestellt zur Abnahme angeboten hat, zusammenarbeiten zu wollen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 – VII ZR 301/13, BGHZ 213, 349-361). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin hat ihr Werk mit Übersendung der Schlussrechnung vom 25. Januar 2016 als fertig gestellt angeboten. Der Beklagte hat durch seinen erklärten Rücktritt vom 19. Mai 2021 und durch die Erhebung der auf die Rückabwicklung des Werkvertrages gerichteten Widerklage zu erkennen gegeben, dass er kein Interesse mehr an der Leistung der Klägerin hat. Dies hat die Prozessbevollmächtigte des Beklagten so in der mündlichen Verhandlung des Landgerichts am 27. Oktober 2022 nochmals ausdrücklich zu Protokoll erklärt (Bl. 332R LG).

b) Die Zahlung eines weiteren Werklohns in Höhe von 1.311,38 Euro konnte die Klägerin dagegen zu keinem Zeitpunkt beanspruchen. Die Klägerin hat nicht hinreichend darzulegen vermocht, dass die Parteien einen dahingehenden Nachtrag vereinbart haben oder die Voraussetzungen des § 2 Abs. 5 oder 6 VOB/B erfüllt sind.

Es fehlt an einer dafür erforderlichen vertraglichen Leistungsänderung durch den Beklagten.

(1) In der E-Mail der Architektin vom 4. November 2015 unter Übersendung des Plans Anlage B 2 (Bl. 54 LG) ist ein rechtsgeschäftliches Angebot zur Änderung des ursprünglichen Vertrags an die Klägerin nicht zu sehen. Es ist nicht erkennbar, dass diese E-Mail eine Änderung des Vertrages beinhaltete.

Da mit dem vereinbarten Werklohn alle Leistungen abgegolten sind, die nach der Baubeschreibung der Leistung innerhalb des Bauvertrages zur vertraglichen Leistung gehören (vgl. § 2 Abs. 1 VOB/B), muss für die gesonderte Vergütung eine vom Beklagten veranlasste Leistungsänderung vorliegen. § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B sind ebenfalls nicht anwendbar, wenn die geänderte Leistung bereits vom bestehenden vertraglichen Leistungsumfang erfasst ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 1992 – VII ZR 129/91, juris; Werner/Pastor, Rn. 1405). Maßgeblich für die Beurteilung einer Leistungsänderung ist die Bestimmung der vertraglichen Verpflichtung des Auftragnehmers, somit die Ermittlung des Bau-Solls, im Vergleich zu der (behaupteten) Änderung.

Die Klägerin behauptet eine Leistungsänderung dergestalt, dass nach der Planaktualisierung der Architektin mit E-Mail vom 4. November 2015 und gleichzeitiger Übermittlung der Zeichnung Anlage B 2 (Bl. 54 LG) oberhalb und unterhalb des Vordaches jeweils zwei identische Trespa-Platten angebracht werden sollten, was vorher anders gewesen sein soll. Insoweit trägt auch der Beklagte vor, dass ursprünglich vier identische Platten geplant waren (vgl. Schriftsatz vom 6. Januar 2017, Bl. 81 LG), was sich so auch aus der Zeichnung Anlage B1 (Bl. 53, Bl. 53 LG = K11, Bl. 107) ergibt, welche bereits der E-Mail der Architektin vom 17. Juni 2015 beigefügt war.

Gleichwohl kann hier eine Leistungsänderung im genannten Sinn nicht angenommen werden, denn es ist unklar geblieben, ob die aus dem Plan B2 ersichtliche Änderung von vier identischen Platten zu jeweils zwei identischen Platten bereits zum ursprünglichen Leistungssoll der Klägerin gehört hat, wie es auch der Beklagte vorträgt. Denn der von der Klägerin zur Akte gereichte Zuschnittplan (Anlage K10, Bl. 105 f. LG) als Bestandteil der klägerischen Ursprungskalkulation enthält bereits zwei große Platten (die oberen) mit einer vertikalen Breite von je 1690 cm und zwei (teilweise für die Tür zugeschnittene) untere Platten mit einer vertikalen Breite von je 1590 cm. Diese Maße stimmen mit denjenigen aus dem Plan B 2 ersichtlichen Angaben überein. Darüber hinaus gab es einen ersten Ortstermin vor Erstellung des klägerischen Angebots und einen zweiten Ortstermin nach der Auftragsbestätigung vom 13. August 2015. Während des zweiten Ortstermins hat der Zeuge B… für die Klägerin den Baukörper bemessen, der sich zu diesem Zeitpunkt unstreitig in dem Zustand befand, in dem die Oberflächenkonstruktion montiert wurde. Mithin ist nicht beurteilbar, auf welchem Umstand und insbesondere auf welchem Zeitpunkt die aus den Plänen B1 und B2 ersichtliche Änderung beruht, zumal nach dem Hinweis auf dem Plan B1 alle Maße durch die Klägerin zu prüfen und am Bau zu nehmen waren. Dazu hat die Klägerin – trotz Hinweises des Landgerichts auf das Erfordernis von weiteren Vortrags zur behaupteten Leistungsänderung (vgl. Protokoll vom 12. Januar 2017, Bl. 85 LG) – nicht weiter vorgetragen. Die Klägerin hat nicht erläutert, welche Maße sie beim ersten und zweiten Ortstermin genommen hat und in welchen Bereichen und in welcher Größenordnung dann Abweichungen im Rahmen der Vornahme ihrer Arbeiten festgestellt worden sein sollen. Die von der Klägerin angestellten Berechnungen zur Begründung der Leistungsänderung sind für den Senat nicht nachvollziehbar, wie im Termin vom 28. März 2024 erörtert. Dahingehende Unklarheiten gehen zu Lasten der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 2. März 2021 – 10 U 57/14; Werner/Pastor, Rn. 1425).

(2) Die Vereinbarung eines Nachtrags ergibt sich auch nicht aus dem auf das Nachtragsangebot der Klägerin vom 1. Dezember 2015 folgende Schreiben der Architektin vom 7. Dezember 2015, mit dem sie die Klägerin zur zeitnahen Leistungserbringung aufgefordert hat, auch wenn zuvor zwischen den Parteien Korrespondenz über die Abweichungen von den Zeichnungen geführt worden war. Denn aus (hier vermeintlich) veränderten Umständen kann nicht ohne weiteres geschlussfolgert werden, dass der Auftraggeber deren wirtschaftliche Konsequenzen in Gestalt einer Vertragsänderung tragen will, insbesondere dann nicht, wenn die Ursachen der veränderten Umstände nicht unmittelbar von ihm selbst gesetzt worden sind (vgl. BeckOK VOB/B/Kandel, 54. Ed. 30.4.2023, VOB/B § 2 Abs. 5 Rn. 54).

(3) Das Nachtragsangebot der Klägerin vom 1. Dezember 2015 hat der Beklagte vertreten durch seine Architektin mit Schreiben vom 14. Dezember 2015 schließlich ausdrücklich abgelehnt.

c) Der der Klägerin zustehende Anspruch auf Zahlung des Werklohns in Höhe von 8.388,14 Euro ist durch die hilfsweise erklärte Aufrechnung des Beklagten mit seinem Mängelkostenvorschussanspruch vollständig erloschen, 389 BGB.

Die mit Schriftsatz vom 24. Mai 2024 erklärte Aufrechnung des Beklagten ist nach § 533 ZPO zulässig. Sie ist sachdienlich, da die zur Aufrechnung gestellte Forderung auf Mängelkostenvorschuss unmittelbar mit der Werklohnforderung der Klägerin zusammenhängt. Die Aufrechnung kann zudem auf die Tatsachen gestützt werden, die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat bzw. die nach dem Hinweis des Senats vom 28. März 2024 in den Rechtsstreit eingeführt worden sind. Die Aufrechnung mit einem Kostenvorschuss zur Mängelbeseitigung ist ebenfalls zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1970 – VII ZR 176/68, NJW 1970, 2019, beck-online; BGH, Urteil vom 8. Dezember 1988 – VII ZR 139/87, juris).

aa) Der Beklagte hat einen Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses zur Mängelbeseitigung jedenfalls in Höhe von 8.388,14 Euro aus § 13 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B, der infolge des bestehenden Abrechnungsverhältnisses der Parteien hier unabhängig von einer erfolgten Abnahme der klägerischen Werkleistung anwendbar ist (vgl. BGH, NZBau 2017, 211; BGH, NZBau 2017, 216; BauR 2017, 879; Kapellmann/Messerschmidt/Langen, 8. Aufl. 2023, VOB/B, § 13, Rn. 231).

Nach § 13 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B kann der Auftraggeber bestehende Mängel auf Kosten des Auftragnehmers beseitigen lassen und dafür Kostenvorschuss verlangen, wenn der Auftragnehmer der Aufforderung zur Mängelbeseitigung in einer vom Auftraggeber gesetzten angemessenen Frist nicht nachkommt.

(1) Der Vorschussanspruch erfordert zunächst, dass der Auftraggeber nach § 13 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B zur Ersatzvornahme berechtigt ist, mithin dass ihm ein fälliger und durchsetzbarer Mängelbeseitigungsanspruch gegen den Auftragnehmer zusteht (vgl. Kapellmann/Messerschmidt/Langen, 8. Aufl. 2023, VOB/B § 13, Rn. 321, 349). Dies ist der Fall.

(a) Das Werk der Klägerin ist mangelbehaftet.

Die Leistung ist nach § 13 Abs. 1 S. 2 VOB/B frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat und den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Ist die Beschaffenheit nicht vereinbart, so ist die Leistung zur Zeit der Abnahme frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte (Nr. 1), sonst für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Auftraggeber nach der Art der Leistung erwarten kann (Nr. 2).

Nach den für den Senat nachvollziehbaren und plausiblen Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. K… M…, die auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, sondern rechtlich lediglich anders bewertet, weist die von der Klägerin hergestellte Trespa-Verkleidung mehrere Mängel auf.

Es bestehen hinsichtlich der Spaltmaße (aa) und der vertikalen/horizontalen Ausrichtung (dd) Abweichungen von der vertraglichen Vereinbarung der Parteien zur Beschaffenheit, im Übrigen von der üblich zu erwartenden Beschaffenheit.

(aa) Nach den Feststellungen des Sachverständigen liegen die Spaltmaße signifikant unterhalb der gemäß dem zwischen den Parteien vertraglich vereinbarten Ausführungsplan geplanten Fugenbreite (Spaltmaß) von 10 mm und sind nicht gleichmäßig breit sowie zum Teil schief ausgebildet, was auch auf den dem Gutachten beigefügten Lichtbildern zu erkennen ist.

Hinsichtlich des Einwands der Klägerin, bei Fertigstellung seien diese Spaltmaße nicht vorhanden gewesen, hat der Sachverständige ausgeführt, anhand der Lichtbilder auf S. 55 bis 66 der Akte keine Hinweise auf eine nachträgliche Veränderung der Werkleistung der Klägerin gefunden zu haben. Diese Feststellung ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keine Anhaltspunkte aufgezeigt, die an der Feststellung des Sachverständigen zweifeln lassen. Insbesondere sind auf dem von der Klägerin zur Akte gereichte Lichtbild K12 (Bl. 255 LG), das den Zustand bei Fertigstellung der Trespa-Verkleidung zeigen soll, die bei Fertigstellung des Werks vermeintlich noch nicht vorhandenen Putzarbeiten und die fehlende Elektroinstallation nicht erkennbar.

(bb) Die Platten 4 und 5 der Verkleidung sind nach den sachverständigen Feststellungen nicht lotgerecht angebracht. Der Grenzwert der Winkelabweichung wird ausweislich des Sachverständigengutachtens an zwei Stellen deutlich überschritten. An den Platten 10, 11 und 12 und an der Laibung der Haustür wird der Grenzwert der Winkelabweichung an vier Messstellen geringfügig überschritten. An 21 Stellen sind Überstände (Kantenabschluss) vorhanden. Die Platten ragen auch über andere Platten an den Kanten hinüber, so dass kein sauberer und einheitlicher Kantenabschluss besteht. Dies veranschaulichen schließlich auch die im Gutachten vorhandenen Lichtbilder.

(cc) Die Platten weisen gemäß dem Gutachten teilweise ausgefranzte Kanten auf. Der Sachverständige hat dies gerade nicht als “üblich” beurteilt, wie die Klägerin behauptet, sondern als optischen Mangel eingestuft. Der Senat folgt den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen M…, zumal die auch auf den Lichtbildern des Gutachtens erkennbaren ausgefranzten Kanten das äußere Erscheinungsbild der Trespa-Verkleidung nicht nur unerheblich beeinträchtigen.

(dd) Mangelbehaftet ist auch die Musterrichtung der im Laibungsbereich der Tür und an der Seite angeschlagenen Platten (Platten Nr. 1, 4, 7, 10, 3, 6, 9 und 13), welche nicht in horizontaler Ausrichtung, sondern in vertikaler Ausrichtung verlaufen. Diese Leistung widerspricht der zwischen den Parteien vereinbarten Beschaffenheit und ist schon deshalb als erheblich anzusehen. Ausweislich der E-Mail der Architektin vom 13. August 2015 (Anlage K 1, Bl. 11 LG) hat der Beklagte ausschließlich die Verlegung in horizontaler Ausrichtung beauftragt. Eine wie von der Klägerseite eingewandte unterschiedliche Ausrichtung der Platten als Stilmittel/Gestaltungselement ist dagegen zwischen den Parteien zu keiner Zeit thematisiert worden, wie der zur Akte gereichte Schriftverkehr der Parteien belegt. Wie bereits dargelegt, gab es auch keine vom Beklagten veranlasste Leistungsänderung, aufgrund derer die Klägerin gezwungen gewesen wäre, die Laibungen an der Seite vertikal zu verbauen. Aber selbst bei Vorliegen einer Leistungsänderung würde die Klägerin mangels Mitteilung von bestehenden Bedenken gegen den vertikalen Verbau nach § 4 Abs. 3 VOB/B gemäß § 13 Abs. 3 VOB/B für diesen Mangel haften. Nach den Feststellungen des Sachverständigen ist es zudem üblich, alle Platten entweder horizontal oder vertikal auszurichten.

(b) Der mit dem Beseitigungsverlangen des Beklagten vom 5. Dezember 2016 nach § 13 Abs. 5 Nr. 1 S. 1 VOB/B entstandene und mangels anderweitiger Regelungen gemäß § 271 Abs. 1 BGB sofort fällige Nacherfüllungsanspruch des Beklagten scheidet auch nicht wegen bestehender Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Nacherfüllung aus (§ 275 BGB bzw. § 13 Abs. 6 VOB/B, vgl. KMG PrivBauR-HdB/Merl/Hummel § 15 Rn. 786; Beck VOB/B/Kohler § 13 Abs. 5 Rn. 85; Kapellmann/Messerschmidt/Langen, 8. Aufl. 2023, VOB/B § 13, Rn 321). Die Nacherfüllung war für die Klägerin weder unmöglich noch unzumutbar. Sie selbst trägt vor, dass die Mängel, jedenfalls die unterschiedliche Ausrichtung, die Fugenbreiten und die monierten Spaltmaße ohne größeren Aufwand durch zwei Mitarbeiter in relativ kurzer Zeit zu beheben gewesen wären.

(2) Die Klägerin ist der Aufforderung des Beklagten in der Klageerwiderung vom 5. Dezember 2016, die dort dezidiert dargestellten und vom Sachverständigen M… letztlich auch im Wesentlichen festgestellten Mängel bis zum 22. Dezember 2016 zu beseitigen, nicht nachgekommen. Erstmals mit Schreiben vom 15. April 2021 erklärte die Klägerin, die gerügten Mängel jedenfalls teilweise beheben zu wollen. Der Auftraggeber ist nach erfolglosem Ablauf der dem Auftragnehmer gesetzten Mängelbeseitigungsfrist aber nicht mehr verpflichtet, die angebotene Mängelbeseitigung anzunehmen (vgl. BGH, NJW 2003, 1526; BGH, NZBau 2004, 153; Kapellmann/Messerschmidt/Langen, 8. Aufl. 2023, VOB/B § 13 Rn. 322) oder dem Schuldner nochmals eine Frist zur Nacherfüllung einzuräumen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2006 – V ZR 124/05, NJW 2006, 1198, beck-online), denn das Recht (nicht die Pflicht) zur Nacherfüllung des Werkunternehmers erlischt, wenn der Besteller ihm eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat (vgl. BGH, NZBau 2004, 153; NZBau 2003, 267).

(3) Darüber hinaus setzt der Anspruch auf Kostenvorschuss den Willen des Auftraggebers voraus, die Mängel tatsächlich beseitigen zu lassen (vgl. BGH NJW 1984, 2456; NJW-RR 1999, 813; OLG Düsseldorf BauR 1988, 607; Kapellmann/Messerschmidt/Langen, 8. Aufl. 2023, VOB/B, § 13, Rn. 349), denn die zugrunde liegende Billigkeitsüberlegung, dass der Auftraggeber von der Last der Vorfinanzierung befreit werden soll, greift nur, wenn er die Ersatzvornahme durchführen will. Der Beklagte hat zwar vor dem Landgericht zu Protokoll erklärt, dass er kein Interesse mehr an der Trespa-Verkleidung habe und hat zunächst im Wege der Widerklage (nur) deren Rückbau geltend gemacht. Von dem Willen zur Mängelbeseitigung des Beklagten ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt deshalb auszugehen, weil in der nach dem Hinweis des Senats nunmehr gestellten Forderung nach einem Kostenvorschuss die jedenfalls stillschweigende Erklärung des Auftraggebers erkennbar ist, die Mängelbeseitigung zu beabsichtigen (vgl. Kapellmann/Messerschmidt/Langen, 8. Aufl. 2023, VOB/B, § 13, Rn. 349).

bb) Die Kostenvorschussforderung des Beklagten ist auch nicht gemäß § 390 BGB einredebehaftet. Die zur Aufrechnung gestellte Forderung stand dem Werklohnanspruch der Klägerin zwar vor der mit Schriftsatz vom 24. Mai 2024 erklärten Aufrechnung nicht aufrechenbar gegenüber, so dass insoweit nach § 215 BGB auch kein früherer Zeitpunkt maßgebend sein kann.

Der Anspruch war am 24. Mai 2024 jedoch noch nicht verjährt, wie es die Klägerin einwendet. Der Ablauf der frühestens mit der Rücktrittserklärung des Beklagten vom 19. Mai 2021 in Gang gesetzten zweijährigen Verjährungsfrist ist durch die am 1. September 2021 beim Landgericht eingegangene und der Klägerin am 15. September 2021 zugestellte Widerklage des Beklagten nach §§ 204 Abs. 1 Nr. 1, 209 BGB i.V.m. § 167 ZPO fortlaufend gehemmt worden.

Die hier maßgebende zweijährige Verjährungsfrist des § 13 Abs. 4 Nr. 1 VOB/B beginnt entweder mit der Abnahme der Werkleistung zu laufen, § 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/B, oder mit deren endgültiger Ablehnung (vgl. BGH, NJW 1970, 421; 1981, 822; 2000, 133; 2010, 3573, Rn. 23).

(1) Zu einer Abnahme der Werkleistungen der Klägerin durch den Beklagten ist es nicht gekommen. Die Abnahme setzt die körperliche Entgegennahme des vom Unternehmer hergestellten Werkes voraus, soweit diese möglich ist, und die damit verbundene Erklärung des Bestellers, dass er das Werk als im Wesentlichen vertragsgerecht erbracht anerkennt (vgl. BGH NJW 1973, 1792; MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2023, BGB, § 640, Rn. 3 m.w.N.).

(a) Der Beklagte hat die Bauleistungen der Klägerin zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich als im Wesentlichen vertragsgemäß entgegengenommen. Mangels Fristsetzung der Klägerin zur Abnahme scheidet eine auch im Rahmen des VOB/B-Vertrages in Betracht kommende Abnahmefiktion nach § 640 Abs. 2 BGB a.F. sowie eine förmliche Abnahme nach § 12 Abs. 4 VOB/B aus.

(b) Der Beklagte hat die Bauleistungen der Klägerin auch nicht konkludent als vertragsgemäß gebilligt. Eine konkludente Abnahme kommt in Betracht, wenn das Werk jedenfalls nach den Vorstellungen des Auftraggebers im Wesentlichen mangelfrei fertiggestellt ist und der Auftragnehmer das Verhalten des Auftraggebers als Billigung seiner erbrachten Leistung als im Wesentlichen vertragsgerecht verstehen darf (vgl. Jurgeleit in: Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., 3. Teil Rn. 54). Dabei stehen Mängel einer konkludenten Abnahme nur dann entgegen, wenn der Unternehmer wegen ihres Vorliegens oder des vom Besteller behaupteten Vorliegens nicht davon ausgehen kann, der Besteller würde das Werk als im Wesentlichen vertragsgemäß hergestellt hinnehmen. Hiervon kann regelmäßig nur ausgegangen werden, wenn die Mängel den Vertragsparteien bekannt bzw. durch den Besteller gerügt sind (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 2. Juni 2022 – 8 U 205/21, Rn. 49, juris).

Zuzugeben ist der Klägerin zwar, dass der Beklagte nach Fertigstellung der Trespa-Verkleidung im Januar 2016 die streitgegenständlichen Mängel jedenfalls schriftlich erstmals in der Klageerwiderung vom 5. Dezember 2016 gerügt hat. Angesichts der augenscheinlich vorhandenen Mängel – insbesondere der dem ausdrücklich geäußerten Wunsch des Beklagten widersprechenden vertikalen Anbringung von insgesamt 8 Platten – konnte die Klägerin aber nicht davon ausgehen, dass der Beklagte ihr Werk als vertragsgemäß billigen würde. Dementsprechend hat der Beklagte die erste Schlussrechnung der Klägerin vom 25. Januar 2016 mit Schreiben vom 25. Februar 2016 unmittelbar zurückgewiesen und damit zum Ausdruck gebracht, das Werk der Klägerin als nicht vertragsgemäß anzusehen.

Eine konkludente Abnahme durch Ingebrauchnahme des Werks scheidet bereits deshalb aus, weil der Beklagte nach seinem unbestrittenen Vortrag (vgl. Schriftsatz vom 6. Januar 2017, Bl. 82 LG) das Haus jedenfalls bis zum Januar 2017 noch nicht bezogen hatte. Soweit sich der Beklagte sodann auf Mängel berufen hat, kommt eine konkludente Abnahme durch Weiterbenutzung des Werks nicht in Betracht (vgl. BGH, NJW-RR 2004, 591; BGH NJW 2006, 3275 Rn. 42, beck-online).

(c) Im vorliegenden Fall greift zu Gunsten der Klägerin auch nicht die Abnahmefiktion des § 12 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B ein, da sie im vorliegenden Fall unwirksam ist. § 12 Abs. 5 VOB/B hält im Verbrauchervertrag der Inhaltskontrolle gemäß § 308 Nr. 5 BGB nicht stand (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 9. Dezember 1994- 12 U 41/94, juris; BGH, Urteil vom 27. Juli 2006 – VII ZR 276/05, NZBau 2006 zur vertraglich geregelten Abnahmefiktion; Kniffka/Koeble, Teil 3 Die Abnahme der Bauleistung, Rn. 79, beck-online).

Zwar kommt eine isolierte Inhaltskontrolle einzelner VOB/B-Vorschriften auf Grundlage der §§ 305ff. BGB nicht in Betracht, wenn die VOB/B in Bauverträgen als Ganzes vereinbart ist (vgl. BGH, NJW 1983, 816; § 310 Abs. 1 S. 3 BGB). Dies gilt aber nur für Verträge zwischen Unternehmern und findet bei Verwendung gegenüber Verbrauchern keine Anwendung, § 310 Abs. 1 S. 3, S. 1 BGB. Der Beklagte ist Verbraucher i.S.d. § 13 BGB, denn er ist gegenüber der Klägerin persönlich als Auftraggeber eines Bauprojekts aufgetreten, das sich auf die Errichtung eines Werks an seinem Einfamilienhaus bezogen hat. Dass der Beklagte bei Vertragsschluss und im Übrigen von seiner Architektin vertreten wurde, ändert an der Verbrauchereigenschaft nichts (vgl. BGH NJW 2015, 3228, Rn. 53), denn gemäß § 164 Abs. 1 BGB wirkt die Willenserklärung unmittelbar für und gegen den Vertretenen, sodass die rechtlichen Folgen des Vertreterhandelns allein den Vertretenen treffen. Der Rechtsgedanke des § 166 Abs. 1 BGB ist dabei weder direkt noch analog anwendbar (vgl. BeckOGK/Alexander, 1.5.2024, BGB, § 13, Rn. 183 m.w.N.).

Die Bestimmung des § 12 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B beinhaltet eine Abnahmefiktion und fällt deshalb unter § 308 Nr. 5 BGB. Nach § 12 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B gilt eine Bauleistung als von dem Auftraggeber abgenommen, wenn keine Abnahme verlangt worden ist, der Auftragnehmer dem Auftraggeber schriftlich Mitteilung von der Fertigstellung der Bauleistung gemacht hat und der Auftraggeber innerhalb von zwölf Werktagen keine Beanstandungen erhoben hat. Weder weist diese K…el besonders auf die rechtlichen Folgen des Untätigbleibens hin, wie es § 308 Nr. 5 BGB verlangt, noch ist sie – mangels Anknüpfens an die Abnahmereife des Werks – mit dem Leitbild des Werkvertragsrechts zu vereinbaren (vgl. MüKoBGB/Wurmnest, 9. Aufl. 2022, BGB, § 308 Nr. 5, Rn. 9; Havers, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 2. Aufl. (2007), § 12 VOB/B Rn. 28 m.w.N.). Sie ist gegenüber dem Beklagten deshalb als unwirksam zu betrachten.

(2) Auch hat der Beklagte die Abnahme bis zum 19. Mai 2021 nicht endgültig verweigert.

(a) Soweit sich der Beklagte in der Klageerwiderung vom 5. Dezember 2016 auf Mängel berufen hat, war die darin womöglich zu sehende Abnahmeverweigerung nicht endgültig, da der Beklagte lediglich von seinem Recht aus § 12 Abs. 3 VOB/B Gebrauch gemacht und die Abnahme bis zur Beseitigung wesentlicher Mängel verweigert hat. Es handelt sich in diesem Fall daher nur um eine vorläufige Verweigerung der Abnahme bis zur Vertragserfüllung (vgl. BeckOK VOB/B/Koenen, 55. Ed. 1.5.2024, VOB/B, § 13 Abs. 4, Rn. 68, 69 m.w.N.). Eine endgültige Abnahmeverweigerung kann zwar in einer unter Androhung einer Ersatzvornahme gesetzten Nachbesserungsfrist und deren fruchtlosen Ablaufs zu sehen sein (vgl. OLG Brandenburg, NZBau 2013, 700, beck-online). Der Beklagte hat für den Ablauf der von ihm zur Mangelbeseitigung bis zum 22. Dezember 2016 gesetzten Frist jedoch weder die Ablehnung der Nachbesserung der Klägerin noch eine Ersatzvornahme noch einen Rücktritt oder eine Kündigung angedroht.

(b) Ebenso wenig ist der Vortrag der Klägerin, dass durch das (bereits erstinstanzlich in den Rechtsstreit eingeführte) Schreiben des Beklagten vom 25. Februar 2016, in dem es heißt: “Ihnen ist der Auftrag bereits entzogen worden”, eine Kündigung seitens des Beklagten erfolgt sei, nicht geeignet, eine endgültige Abnahmeverweigerung des Beklagten zu begründen. Unabhängig davon, dass die unklaren Hintergründe dieses Schreiben von keiner der Parteien erläutert worden sind, wird der Bauvertrag durch eine Kündigung lediglich für die Zukunft beendet. Der Auftragnehmer bleibt bezüglich der bis zur Kündigung erbrachten Bauleistungen zur Mängelbeseitigung verpflichtet und muss dazu weiterhin Gelegenheit erhalten (vgl. BGH, NJW 1988, 140; NJW-RR, 1988, 208; NJW, 2000, 2988). Auch nach Kündigung beginnt die Verjährung von Mängelansprüchen daher erst mit der Abnahme oder ihrer endgültigen Verweigerung (vgl. BGH, NJW 2003, 1450 f; Messerschmidt/Voit/Voit, 4. Aufl. 2022, VOB/B, § 13, Rn. 22), die in dem Schreiben des Beklagten vom 25. Februar 2016 nicht zu erkennen ist.

(c) Der Beklagte hat erstmals durch Erklärung seines Rücktritts bzw. der hilfsweisen außerordentlichen Kündigung am 19. Mai 2021 – unabhängig von deren Wirksamkeit – zu erkennen gegeben, dass er an der Leistung der Klägerin kein Interesse mehr hat. Er hat deren Angebot zur Mängelbeseitigung vom 15. April 2021 und vom 10. Mai 2021 durch die Erklärung vom 19. Mai 2021, sich vom Vertrag lösen und diesen rückabwickeln zu wollen, endgültig abgelehnt und damit auch eine Abnahme endgültig verweigert.

Die dadurch in Gang gesetzte Verjährung der Mängelansprüche des Beklagten ist aber durch die am 1. September 2021 beim Landgericht eingegangene Widerklage des Beklagten nach §§ 204 Abs. 1, 209 BGB fortwährend gehemmt worden.

Dass der Beklagte seine Widerklage zunächst auf die Rückabwicklung des mit der Klägerin geschlossenen Bauvertrages gerichtet hat, steht der Hemmung nicht entgegen. Die Hemmung der Verjährung beschränkt sich zwar grundsätzlich auf denjenigen Anspruch oder Anspruchsteil, auf den sich die Klage bezieht. Hierbei ist entscheidend für § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB grundsätzlich der prozessuale Anspruch und damit der Streitgegenstand, wie er durch Klageantrag und den zu seiner Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalt bestimmt wird. Nach § 213 BGB gilt die Hemmung, die Ablaufhemmung und der erneute Beginn der Verjährung aber auch für Ansprüche, die aus demselben Grunde wahlweise neben dem Anspruch oder an seiner Stelle gegeben sind. Verlangt wird dabei im Kern eine Identität von Klagegrund und/oder verfolgtem Interesse trotz divergierender Klageanträge (vgl. BGH NJW 1996, 1743; MüKoBGB/Grothe, 9. Aufl. 2021, BGB § 204, Rn. 10 m.w.N.). Ein Mangel – wie hier – ist derselbe Grund. Alle in § 634 BGB und auch in § 13 VOB/B geregelten Gewährleistungsansprüche, die auf demselben Mangel beruhen, sind deshalb als solche aus demselben Grund anzusehen. Die Hemmung eines von ihnen erstreckt sich also auch auf die anderen Gewährleistungsansprüche (vgl. BGH, ZfBR 2021, 151; ZIP 2016, 625; BeckRS 2015, 9790; 2010, 2414) und zwar unabhängig davon, in welcher Höhe sie geltend gemacht werden (vgl. BGH, BeckRS 2015, 9790 Rn. 35 ff.; BeckOGK/Meller-Hannich, 1.7.2024, BGB, § 213, Rn. 9).

Der nunmehr mit Widerklageantragsänderung vom 24. Mai 2024 geltend gemachte Kostenvorschuss für die Beseitigung der streitgegenständlichen Mängel weist eine solche Identität zum Klagegrund der ursprünglichen Widerklage auf, da sowohl die geänderte Widerklage als auch die ursprüngliche Widerklage auf denselben Mängeln sowie den übrigen bereits in den Rechtsstreit eingeführten Tatsachen beruhen. Schließlich war der Beklagte erst gehalten, unter Beachtung der VOB/B, die die ursprünglich vom Beklagten angestrebte und vom Landgericht vertretene Vertragsrückabwicklung entsprechend den §§ 346 ff. BGB nicht kennt, sein Rechtsschutzziel und seinen Antrag umzustellen, als der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 28. März 2024 auf seine Auffassung zur Anwendung der VOB/B auf den vorliegenden Bauvertrag hingewiesen hat.

bb) Dem Beklagten steht ein Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses zur Mängelbeseitigung jedenfalls in Höhe von 8.388,14 Euro zu.

Der Vorschussanspruch berechnet sich nach den voraussichtlichen oder mutmaßlichen Kosten (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2001 – VII ZR 115/99, NJW-RR 2001, 739; BGH, Urteil vom 24. Oktober 1996 – VII ZR 98/94, NJW-RR 1997, 339 (340); BGH, Urteil vom 5. Mai 1977 – VII ZR 36/76, NJW 1977, 1336, 1338). Der Anspruch richtet sich auf den Geldbetrag, der die Mangelbeseitigung aus Sicht eines vernünftigen, wirtschaftlichen denkenden Menschen abdecken wird (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 7. Februar 2020 – I-22 U 548/19, BeckRS 2020, 7833, Rn. 184 m.w.N.). Der Vorschuss kann dabei – aufgrund seiner vorläufigen Natur und der ggf. geschuldeten Rückzahlung eines Überschusses durch den Auftraggeber oder auch etwaiger Nachforderungen durch den Auftraggeber – im Wege einer groben Schätzung zuerkannt werden (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 – VII ZR 251/02, NJW-RR 2003, 878 (879); OLG Düsseldorf, Urteil vom 7. Februar 2020 – I-22 U 548/19, BeckRS 2020, 7833 Rn. 184 mwN). Eine Schätzung nach § 287 ZPO darf aber nur vorgenommen werden, wenn und soweit die festgestellten Umstände hierfür eine genügende Grundlage abgeben. Sie hat zu unterbleiben, wenn greifbare Anhaltspunkte fehlen (vgl. BGH, NJW-RR 1988, 410; BGH, NJW-RR 2004, 1023, beck-online).

Hier bietet das erstinstanzliche Gutachten des Sachverständigen M… vom 12. Januar 2021 in Verbindung mit dem vom Beklagten zur Akte gereichten Kostenvoranschlag der Bauservice O… GmbH vom 24. Mai 2024 dem Senat eine geeignete Schätzungsgrundlage. Denn als Schätzgrundlage können auch nachvollziehbare Angebote von Fachunternehmen herangezogen werden (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 25. Mai 2011 – 9 U 122/10, NZBau 2011, 617; Messerschmidt/Voit/Moufang/Koos, 4. Aufl. 2022, BGB § 637, Rn. 38). Einer ergänzenden sachverständigen Beurteilung bedarf es daher nicht.

Der Sachverständige M… hat in seinem schriftlichen Gutachten zunächst erläutert, welche Maßnahmen zur Beseitigung der von ihm festgestellten Mängel erforderlich sind und die dafür entstehenden Kosten überschlägig für den Zeitpunkt der Gutachtenerstellung am 12. Januar 2021 berechnet (vgl. S. 21 – 23 GA). Das Angebot der Bauservice O… GmbH entspricht im Wesentlichen den sachverständigen Feststellungen zu den für die Mängelbehebung erforderlich werdenden Baumaßnahmen.

(1) So hat der Sachverständige M… für die Baustelleneinrichtung, einen Container, eine Miettoilette, die Schutzabdeckung und das Fassadengerüst insgesamt 1.182 Euro veranschlagt. Das Angebot der Bauservice O… GmbH fasst diese Maßnahmen unter der Position 01 zusammen und führt dazu im Vergleich zum Gutachten einen weitaus geringeren Preis in Höhe von 650 Euro an.

(2) Unter Position 07 hat der Sachverständige zur Mängelbeseitigung die Plattenbekleidungen inkl. erforderlicher Unterkonstruktion, Wärmedämmung und Randabschlussprofilen mit pauschal “ca. 20 m² x 170Euro/m²” angesetzt. Auch der Kostenvoranschlag vom 24. Mai 2024 beinhaltet diese erforderlichen Baumaßnahmen unter Position 03 (Liefern und Anbauen einer Aluminium-Unterkonstruktion), 04 (Liefern und Einbau einer Dämmung) sowie 05 (Trespa liefern und einbauen, Zuschnitt gemäß vorliegender Planung). Dass das Angebot vom 24. Mai 2024 dabei für die genannten Positionen jeweils eine Menge von 28,50 m² berücksichtigt, ist insoweit nicht zu beanstanden, als dass es sich bei der Angabe des Sachverständigen von “ca. 20 m²” ersichtlich um eine Schätzung handelt und die Menge von 28,50 m² die vom ursprünglichen Angebot der Klägerin erfassten 31,12 m² (Bl. 12 LG) und mit der Schlussrechnung vom 25. Januar 2016 abgerechneten 33,56 m² (Bl. 20 LG) nicht überschreitet.

Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass die bereits vorhandene Unterkonstruktion und auch die Platten nach ihrer Auffassung wiederverwendet werden können, da der Sachverständige M… deren Prüfung und Ersatz jedenfalls für erforderlich gehalten (S. 21 GA) und im Rahmen der Kosten auch berücksichtigt hat (S. 23 GA). Bei dem Austausch lediglich einzelner Platten der Trespa-Verkleidung wären schließlich auch nachteilig wirkende Farbunterschiede in der Maserung zu berücksichtigen, die die Klägerin selbst zur Begründung des vertikalen Verbaus der Laibungsplatten angeführt hat.

Dass die im Kostenvoranschlag der Bauservice O… GmbH genannten Positionen der Höhe nach von den überschlägig für die Mängelbeseitigung ermittelten Kosten des Sachverständigen M… und vom ursprünglichen Angebot der Klägerin abweichen, steht dem Mängelkostenvorschuss nicht entgegen, denn eine Vorschussklage deckt spätere, denselben Mangel betreffende Erhöhungen unabhängig davon ab, worauf die Erhöhungen zurückzuführen sind (vgl. BGH, NJW-RR 1994, 785; NJW 2009, 60 (61); OLG Köln, Urteil vom 29. Juni 2022 – 11 U 33/20, NZBau 2022, 593, beck-online). Schon aus diesem Grund kann sich die Klägerin nicht auf die Unverhältnismäßigkeit des später abzurechnenden Kostenvorschusses berufen.

(3) Der Beklagte hat (ohne Berücksichtigung der mit der Widerklage geltend gemachten Position 02 des Angebots vom 24. Mai 2024) einen Anspruch auf Leistung eines Kostenvorschusses für die Mängelbeseitigung entsprechend der Positionen 01, 03, 04 und 05 des Kostenvoranschlags der Bauservice O… GmbH in Höhe von insgesamt 15.468,29 Euro, mit dem der Beklagte die Aufrechnung gegen die bestehende Werklohnforderung der Klägerin in Höhe von 8.388,14 Euro erklärt hat. Die Aufrechnung umfasst folglich die Position 01, 03, 04 sowie die Position 05 in Höhe von 1.401,45 Euro.

Die Werklohnforderung der Klägerin ist mithin erloschen, § 389 BGB.

d) Mangels Hauptanspruch hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren.

2. Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache Erfolg und führt mangels bestehenden Werklohnanspruchs der Klägerin zur Abweisung der Klage sowie in dem zuerkannten Maße zur Verurteilung der Klägerin, nachdem der Beklagte seine nach § 33 ZPO zulässige Widerklage im Hinblick auf den in der mündlichen Verhandlung vom 28. März 2024 erteilten Hinweis des Senats in gemäß § 264 Nr. 3 ZPO zulässiger Weise mit Schriftsatz vom 24. Mai 2024 geändert (a) und nach § 533 ZPO hilfsweise erweitert (b) hat.

a) Die Widerklage ist begründet. Dem Beklagten steht nach den unter Ziffer 1. c) aa) und bb) getätigten Ausführungen, auf die verwiesen wird, gegen die Klägerin ein Anspruch aus § 13 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B auf Zahlung eines Kostenvorschusses in Höhe von 847,68 Euro für den Rückbau der vorhandenen Trespa-Verkleidung zu. Der Rückbau der vorhandenen “Verkleidung” ist in dem Sachverständigengutachten M… vom 12. Januar 2021 als zur Mängelbeseitigung erforderliche Maßnahme festgestellt (S. 21 f. GA) und entspricht der Position 02 des Angebots der Bauservice O… GmbH, wobei die zum Gutachten vorhandene Kostensteigerung – wie dargelegt – dem Anspruch nicht entgegensteht.

b) Die hilfsweise erhobene Widerklage ist zulässig. Sie steht unter der zulässigen innerprozessualen Bedingung der gerichtlichen Bewertung der Höhe der Kostenvorschussansprüche des Beklagten und ist durch Angabe des Maximalbetrages in Höhe von 15.516,17 Euro netto hinreichend bestimmt, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

Die Widerklage ist im zuerkannten Umfang begründet und lediglich in. H. v. 47,88 Euro unbegründet. Der Beklagte kann weitere 7.080,15 Euro aus § 13 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B vom Beklagten beanspruchen. Dieser Betrag ergibt sich aus den unter Ziffer 1. c) bb) angestellten Erwägungen. Dem Beklagten steht – ohne Berücksichtigung der mit der unbedingten Widerklage geltend gemachten Position 02 des Angebots vom 24. Mai 2024 in Höhe von 847,68 Euro – ein Kostenvorschussanspruch in Höhe von insgesamt 15.468,29 Euro zu, der die Positionen 01, 03, 04 und 05 des Kostenvoranschlags erfasst. Abzüglich des im Wege der Aufrechnung berücksichtigten Betrages in Höhe von 8.388,14 Euro verbleibt dem Beklagten ein Anspruch in Höhe von 7.080,15 Euro.

Ein weiterer Kostenvorschussanspruch steht dem Beklagten dagegen nicht zu. Es ist davon auszugehen, dass der Beklagte, der seinen Ansprüchen auf Kostenvorschuss die im Kostenvoranschlag der Bauservice O… GmbH vom 24. Mai 2024 ausgewiesenen 16.363,85 Euro netto zugrunde legt, die Zahlung der 1.593,75 Euro für die Position 06 des Kostenvoranschlags schon nicht geltend macht und ihm diese deshalb auch nicht zuzuerkennen sind, §§ 528, 308 Abs. 1 ZPO. Der im Angebot vom 24. Mai 2024 unter Position 06 aufgelistete “Statische Nachweis für max. 5 Positionen, inkl. Positionsplan aus Teilanschichtflächen” für 1.593,75 Euro ist bei der im Kostenvoranschlag genannten Netto-Endsumme in Höhe von 16.363,85 Euro nicht berücksichtigt worden, denn lediglich die Summe aus den Positionen 01 bis 05 und die Position 07 ergibt 16.363,85 Euro. Des Weiteren ist die für den Senat nicht nachvollziehbare Position 07 des Kostenvoranschlages vom 24. Mai 2024 in Höhe von 47,88 Euro für “Arbeiten die nicht im Angebot erfasst sind” im Rahmen des Kostenvorschusses nicht zu berücksichtigen, denn Zweifel an der Höhe der zur Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten gehen nicht zu Lasten des Schädigers. Es darf nur derjenige Betrag ausgeurteilt werden, der im Rahmen der vorzunehmenden Schätzung für die Mängelbeseitigung sicher anfällt (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 – VII ZR 251/02, NJW-RR 2003, 878, beck-online).

Deshalb ist dem Beklagten auf die Widerklage ein Kostenvorschuss in Höhe von insgesamt 7.927,83 Euro (847,68 Euro + 7.080,15 Euro) zuzusprechen.

Der Zinsanspruch des Beklagten ergibt sich aus § 291 BGB ab Zustellung der geänderten Widerklage am 27. Mai 2024.

LG Paderborn zu der Frage, dass durchfeuchtete Wände mit Salzausblühungen und zerbröselndem Putz in Wohnungen einen Mangel darstellen, auch wenn die Durchfeuchtung bis max. 1 m geht

LG Paderborn zu der Frage, dass durchfeuchtete Wände mit Salzausblühungen und zerbröselndem Putz in Wohnungen einen Mangel darstellen, auch wenn die Durchfeuchtung bis max. 1 m geht

vorgestellt von Thomas Ax

1. Der Mieter einer Wohnung kann nach der allgemeinen Verkehrsanschauung erwarten, dass die von ihm angemieteten Räume einen Wohnstandard aufweisen, der bei vergleichbaren Wohnungen üblich ist. Dabei sind insbesondere das Alter, die Ausstattung und die Art des Gebäudes, aber auch die Höhe der Miete und eine eventuelle Ortssitte zu berücksichtigen. Gibt es zu bestimmten Anforderungen technische Normen, ist jedenfalls deren Einhaltung geschuldet. Dabei ist nach der Verkehrsanschauung grundsätzlich der bei Errichtung des Gebäudes geltende Maßstab anzulegen.
2. Durchfeuchtete Wände mit Salzausblühungen und zerbröselndem Putz in Wohnungen stellen einen Mangel dar, auch wenn die Durchfeuchtung bis max. 1 m geht.
3. Dies würde sogar dann gelten, wenn hierdurch der bestimmungsgemäße Gebrauch der Wohnung nicht erheblich beeinträchtigt wäre.
4. Die Verpflichtung des Vermieters zur Beseitigung eines Mangels endet dort, wo der dazu erforderliche Aufwand die “Opfergrenze” überschreitet.
5. Eine Überschreitung der Opfergrenze liegt jedenfalls nahe, wenn die Reparaturkosten den Zeitwert des Mietobjekts erheblich übersteigen.
6. Als weiterer Orientierungspunkt für die Beurteilung der Zumutbarkeit dient der Gesichtspunkt, ob die aufzuwendenden finanziellen Mittel innerhalb eines Zeitraums von ca. 10 Jahren durch eine erzielbare Rendite aus dem Mietobjekt ausgeglichen werden können.
LG Paderborn, Urteil vom 06.03.2024 – 1 S 72/22

Gründe:

I.

Von den gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu treffenden Feststellungen zur Tatsachengrundlage wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache teilweise Erfolg.

Anders als das Amtsgericht mit am 30.09.2022 verkündeten Urteil ausgeführt hat, steht der Klägerin sowohl gem. § 535 Abs. 1 S. 2 BGB ein Anspruch auf Beseitigung der von ihr geltend gemachten Feuchteerscheinungen in den betroffenen Wänden in Schlafzimmer, Flur und Wohnzimmer als auch gem. § 536 Abs. 1 BGB ein Feststellungsanspruch hinsichtlich eines auf die Feuchteerscheinungen in der Wohnung gestützten Minderungsrechts zu. Die vom Amtsgericht vorgenommene Beurteilung, die streitgegenständliche Wohnung sei trotz feuchter Wände mit zerbröselndem Putz und Salzausblühungen mangelfrei, da der bestimmungsgemäße Gebrauch der Wohnung hierdurch nicht beeinträchtigt sei, hält insofern rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht jedoch einen Anspruch auf Beseitigung der im von der Klägerin angemieteten Kellerraum bestehenden Feuchtigkeit in den Wänden verneint.

1. Soweit die Klägerin mit ihrer Klage einen Feststellungsantrag dahingehend gestellt hat, dass die Warmmiete wegen der von ihr geltend gemachten Mängel um 50% gemindert sei, bestehen hinsichtlich der Zulässigkeit keine Bedenken. Insbesondere liegt das gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse vor. Dieses richtet sich darauf, dass zwischen den Parteien die Minderung der Miete rechtsverbindlich festgestellt wird, weil dies einerseits im Hinblick auf künftige Mietzahlungen und andererseits – auch soweit zurückliegende Mietzeiträume betroffen sind – als Vorfrage im Fall einer etwaigen Zahlungsverzugskündigung von Bedeutung ist. Diese rechtsverbindliche Feststellung kann durch eine Leistungsklage nicht erreicht werden, weil insoweit die Minderung der Miete nur eine nicht in Rechtskraft erwachsende Vorfrage darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2018 – VIII ZR 271/17; BGH NJW-RR 2022, 381).

2. Die Klage ist – in Abweichung von den amtsgerichtlichen Ausführungen – auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

a) Die Klägerin hat gegen den Beklagten gem. § 535 Abs. 1 S. 2 BGB einen Anspruch auf Beseitigung der Feuchtigkeit, die sich in der streitgegenständlichen Mietwohnung im Schlafzimmer in der Außenwand zur Terrasse hin, im Flur in der Außenwand links von der Haustür zur Terrasse hin und im Wohnzimmer in der Außenwand im Bereich zum Wohnungseingang befindet.

Denn die in den genannten Wänden bestehende Feuchtigkeit, die vorliegend u.a. zu sichtbaren Salzausblühungen und zerbröselndem Putz führte, stellt einen Mangel der Mietwohnung dar, der einen Beseitigungsanspruch der Klägerin zur Folge hat. Dies gilt entgegen der Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Gerichts sogar dann, wenn hierdurch der bestimmungsgemäße Gebrauch der Wohnung nicht erheblich beeinträchtigt wäre, wobei eine solche erhebliche Beeinträchtigung hier vorliegt. Die Erfüllung des Instandsetzungsanspruchs stellt sich schließlich auch nicht für den Beklagten als wirtschaftlich unzumutbar dar.

aa) Gem. § 535 Abs. 1 S. 2 BGB hat der Vermieter die Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten. Ihm obliegt insofern eine Instandhaltungs- und Instandsetzungspflicht in Bezug auf das Mietobjekt mit der Folge, dass dem Mieter bei Auftreten eines Mangels ein entsprechender Erfüllungsanspruch zusteht. Erweist sich hiernach die Mietsache als mangelhaft, muss der Vermieter tätig werden, selbst wenn der Mangel eine nur unerhebliche Gebrauchsbeeinträchtigung nach sich zieht und kein Minderungsrecht des Mieters auslöst (vgl. BeckOK MietR/Specht, 35. Ed. 1.11.2023, BGB § 535 Rn. 4400 ff.).

Ein Mangel, der die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder mindert, ist eine für den Mieter nachteilige Abweichung des tatsächlichen Zustandes der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich in erster Linie nach den Vereinbarungen der Mietvertragsparteien. Soweit Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache fehlen, wird der in § 535 Abs. 1 S. 2 BGB gesetzlich vorgesehene “zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand” durch den vereinbarten Nutzungszweck, hier die Nutzung als Wohnung, bestimmt. Der Mieter einer Wohnung kann nach der allgemeinen Verkehrsanschauung erwarten, dass die von ihm angemieteten Räume einen Wohnstandard aufweisen, der bei vergleichbaren Wohnungen üblich ist. Dabei sind insbesondere das Alter, die Ausstattung und die Art des Gebäudes, aber auch die Höhe der Miete und eine eventuelle Ortssitte zu berücksichtigen. Gibt es zu bestimmten Anforderungen technische Normen, ist jedenfalls deren Einhaltung geschuldet. Dabei ist nach der Verkehrsanschauung grundsätzlich der bei Errichtung des Gebäudes geltende Maßstab anzulegen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2018 – VIII ZR 271/17).

In Bezug auf die streitgegenständliche Wohnung liegt eine solche für die Klägerin nachteilige Abweichung des tatsächlichen Zustandes der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand und demnach ein Mangel vor.

(1) Anders als die Klägerin meint, ergibt sich ein solcher Mangel aber nicht bereits aus einer Abweichung von einer zwischen den Parteien ausdrücklich geschlossenen Beschaffenheitsvereinbarung hinsichtlich einer trockenen – für Rheumatiker geeigneten – Wohnung. Denn die Klägerin ist für eine derartige Beschaffenheitsvereinbarung beweisfällig geblieben. Sie hat zwar behauptet, dass sie den Beklagten bei der Besichtigung ausdrücklich gefragt habe, ob die Wohnung trocken sei, was der Beklagte bejaht habe. Eine solche Unterhaltung bzgl. der Trockenheit der Wohnung hat der Beklagte aber substantiiert bestritten. Er hat insofern im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 16.08.2023 nachvollziehbar dargelegt, dass es bei der Besichtigung beispielsweise um den Hund der Klägerin gegangen sei, aber nicht um etwaige Feuchtigkeit in der Wohnung selbst. Die Kammer vermag nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung der Parteien letztlich nicht zu beurteilen, inwieweit tatsächlich über eine Trockenheit der Wohnung gesprochen und ob diese vom Beklagten ausdrücklich zugesichert worden ist. Diese Unsicherheit wirkt sich zu Lasten der Klägerin aus. Gegen die von der Klägerin behauptete Beschaffenheitsvereinbarung kann aber angeführt werden, dass sich diese nicht im Ansatz aus dem Mietvertrag oder dem Übergabeprotokoll ergibt, sodass auch die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Urkunde gegen eine solche Absprache spricht. Soweit die Klägerin zudem vortragen lässt, dass der Beklagte aufgrund ihrer mitgeteilten Rheuma-Erkrankung habe wissen müssen, dass es ihr auf eine trockene Wohnung angekommen sei, geht diese Auffassung fehl, da nicht nachvollzogen werden kann, worauf sie diese Schlussfolgerung stützt.

(2) Auf das Vorliegen der behaupteten ausdrücklichen Beschaffenheitsvereinbarung kommt es aber letztlich nicht an. Auch unabhängig von einer solchen ist die Kammer von der Mangelhaftigkeit der Wohnung überzeugt.

Denn aus dem erstinstanzlich eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. C. vom 24.02.2022 und seinen mündlichen Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2022 ergibt sich, dass die streitgegenständlichen Wände in der Wohnung erheblich durchfeuchtet sind; hierin ist – entgegen den amtsgerichtlichen Ausführungen – ein Mangel zu sehen, der einen Beseitigungs- bzw. Instandsetzungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten gem. § 535 Abs. 1 S. 2 BGB zur Folge hat.

Der Sachverständige Dipl.-Ing. C. hat im Rahmen seines Gutachtens hinsichtlich der Wohnung nachvollziehbar, detailreich und widerspruchsfrei ausgeführt, dass von ihm im Schlafzimmer im Wandsockelbereich hinter der Fußleiste ein äußerst hoher Feuchtewert von 186,1 Digits gemessen worden sei.

Bei “normal” trockenen Wänden würden die Werte in etwa im Bereich um ca. 50 Digits liegen. Auch seien in diesem von ihm begutachteten Bereich erheblich sichtbare Feuchtespuren zum Vorschein getreten. Erst ab einer Höhe von ca. 30 cm bewegten sich die gemessenen Feuchtewerte der Innenwand ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen in einem Niveau “normal” trockener Wände vergleichbarer Wohnungen.

Auch im Sockelbereich Außenwand im Schlafzimmer seien ca. 10 cm über dem Boden durchgehend erheblich sehr hohe Feuchtewerte von 135,5 Digits gemessen worden. Am unteren Sockel der Außenwand sei außerdem die Putzoberfläche stellenweise bereits bei leichter Berührung zerbröselt, zudem seien Salzausblühungen erkennbar. Auch im Flur und im Wohnzimmer ließen sich an der Außenwand vergleichbare Feuchtewerte feststellen – oberhalb der Sockelleisten sehr hohe Werte, die im weiteren Verlauf nach oben abnehmen würden. Die Außenwände der Erdgeschosswohnung an der Ostseite des Gebäudes, die im erdberührten Sockelbereich sehr feucht seien, würden erst ab einer Höhe von ungefähr 1,00 m über dem Fußboden “normal” trockene Werte erreichen.

Zum Grund der durchfeuchteten Wände hat der Sachverständige Folgendes ausgeführt:

Die in der Wohnung im Erdgeschoss festgestellten hohen Feuchtewerte im Sockelbereich der Außenwände würden durch kapillaren Feuchtetransport im Mauerwerk verursacht. Aus dem Kellergeschoss dringe Feuchtigkeit in das EG-Mauerwerk ein, da diese Altbauten bauzeitbedingt keine Horizontalabdichtungen und in aller Regel keine ausreichende Vertikalabdichtung aufwiesen. Über den erdberührten Sockelbereich im Erdgeschoss dringe voraussichtlich ebenfalls Feuchtigkeit ein, da auch hier keine ausreichende Abdichtung vorhanden sei.

Verstärkend komme hier hinzu, dass das Gelände ein Gefälle in Richtung des Gebäudes aufweise und auch der Grundwasserstand voraussichtlich relativ hoch sei. Das Pflaster der angrenzenden Terrasse habe zwar ein leichtes Gefälle im Anschlussbereich an das Gebäude, doch darunter befinde sich laut Aussage des Beklagten eine Betonbodenplatte, durch die das anfallende Niederschlagswasser nicht im Boden versickern könne. Unter Umständen würde über diese Platte Oberflächenwasser sogar direkt an die Gebäudeaußenwand geführt. Durch die bauzeitbedingt ungenügende Abdichtung ergebe sich so eine hohe Feuchtelast im erdberührten Bereich der Gebäudeostseite.

Aufgrund der über die gesamte Höhe sichtbar feuchten Außenkellerwände sei erkennbar, dass von kapillar aufsteigender Feuchtigkeit, verbunden mit einem Transport von Salzen, bis in das Erdgeschoss auszugehen sei. Die Feuchtigkeit gelange im Erdgeschoss an die Wandoberfläche, wo sie verdunste. Dabei komme es zur Kristallisation der zuvor gelösten Salze. Die Laboranalysen zeigten dies deutlich, denn beide in der Wohnung entnommene Proben enthielten hauptsächlich (“sehr viel“) kristalline Partikel (hier: Salze).

Die Ausführung des Wohnungseingangs trage nach den Darlegungen des Sachverständigen ebenfalls zur besonders hohen Feuchtebelastung dieses Sockelbereichs bei, da hier eine annähernd bodengleiche Schwelle ohne Gefälle erstellt worden sei, durch die dort anfallendes Niederschlagswasser nahezu ungehindert eindringen könne. Aus seiner Sicht sei insofern zweifelsfrei die Feuchtigkeit auf bauseitsbedingte Ursachen zurückzuführen.

Diesen detailreichen und schlüssigen Erklärungen des Sachverständigen, die dieser mittels im Rahmen des durchgeführten Ortstermins gefertigten Lichtbilder ergänzte, schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung vollumfänglich an. Anhaltspunkte dafür, an der Sachkunde des Sachverständigen Dipl.-Ing. C. zu zweifeln, bestehen nicht. Erhebliche Einwendungen gegen die sachverständigen Erläuterungen haben die Parteien im Übrigen nicht vorgebracht. Soweit der Beklagte bzgl. des schriftlichen Gutachtens bemängelt hat, dass lediglich Oberflächenmessungen und keine Bohrungen vorgenommen worden seien und insofern das Messergebnis von feuchten Tapeten oder feuchtem Putz beeinflusst worden sei, sodass hieraus kein zuverlässiger Schluss darauf gezogen werden könne, woher die Feuchtigkeit herrühre, geht dieser Einwand fehl. Der Sachverständige hat zwar zugegeben, dass seine Messmethode in der Tat nicht den Verlauf im gesamten Wandquerschnitt wiedergebe. Die Indizien, die für seine Feststellungen zur Feuchtigkeitsursache sprächen, seien aber so eindeutig, dass dies nicht erforderlich sei. Denn die von ihm aufgefundenen Salzausblühungen könnten nur entstehen, wenn die Feuchtigkeit aus dem Mauerwerk komme; durch externe Feuchtigkeit aus den Räumen sei dies nicht möglich. Die Salzausblühungen entstünden nämlich durch Salze aus den Baumaterialien, die dann durch Feuchtigkeit durch Diffusion und Kapillarwirkung an die trockene Seite getragen würden.

Dort trockne die Feuchtigkeit ab und an der Oberfläche würden sich derartige Salzausblühungen bilden.

Insofern hat der Sachverständige überzeugend begründet, warum seine gewählte Messmethode zur eindeutigen Beantwortung der Beweisfragen geeignet und ausreichend war.

Dass die Klägerin durch ihr Wohnverhalten zur Feuchtigkeit in den Wänden der Wohnung beigetragen hat, vermochte die Kammer aufgrund der Erläuterungen des Sachverständigen nicht festzustellen. Vielmehr folgt aus diesen, dass die Klägerin durch ihr Lüftungsverhalten eine hohe Raumluftfeuchtigkeit und Schimmelbildung – die der Sachverständige trotz der von ihm ermittelten hohen Feuchtewerte zu seiner Überraschung nicht ausmachen konnte – vermieden hat. Er hat dabei ausgeschlossen, dass die Feuchtigkeit in den Wänden auf Feuchtigkeit in der Raumluft beruhe. Die niedrigen Feuchtigkeitswerte in der Raumluft seien nach Auffassung des Sachverständigen letztlich sogar nur so erklären, dass die Klägerin über die geöffnete Haustür lüfte. Daher geht auch der Einwand fehl, der Sachverständige habe bei der Ursachenermittlung das Lüftungsverhalten der Klägerin nicht ausreichend berücksichtigt.

In der insofern vom Sachverständigen festgestellten bauseitsbedingten Durchfeuchtung der genannten Wohnungswände liegt trotz des Umstandes, dass die Abdichtung des Gebäudes gemäß den Darlegungen des Sachverständigen den üblichen Ausführungen zur Zeit der Gebäudeerstellung entspricht, ein Mangel. Dabei wird nicht verkannt, dass zur Beurteilung eines Mangels der bei Errichtung des Gebäudes geltende Maßstab anzulegen ist. Ein anderer Maßstab bei der Beurteilung des Vorliegens eines möglichen Mangels des vermieteten Wohnraums würde dazu führen, auch für eine nicht sanierte oder nicht grundlegend modernisierte Altbauwohnung und unabhängig von entsprechenden konkreten Vereinbarungen der Mietvertragsparteien einen Neubaustandard zugrunde zu legen, was in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des BGH stehen würde (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2018 – VIII ZR 271/17).

Die fehlende Abdichtung an sich stellt dabei aber auch nicht die eigentliche negative Abweichung der Soll- von der Ist-Beschaffenheit dar. Diese Abweichung besteht vielmehr in der durch mehrere Ursachen (fehlende Abdichtung, bodengleiche Schwelle ohne Gefälle etc.) entstandene Feuchtigkeit in den von der Klägerin genannten Wohnungswänden. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass eine Bauteildurchfeuchtung als Sachmangel anzusehen ist (vgl. BGH, a.a.O.). Diese Ansicht hat ebenfalls der Sachverständige Dipl.-Ing. C. in seinem Gutachten vertreten und hierzu ausgeführt, dass Wände mit derart hohen Feuchtewerten wie von ihm gemessen, die innenseitig Salzausblühungen aufweisen und bei denen der Mieter die Feuchtigkeit durch sein Verhalten kaum bzw. nur unwesentlich reduzieren könne, im Mietwohnungsbereich nicht hinnehmbar seien. Dass bei Altbauwohnungen im Wohnraumbereich derart feuchte Wände dem bei Errichtung des Gebäudes geltenden Standard entsprechen, ergibt sich auch nicht aus seinen Darlegungen. Im Gegenteil hat dieser ausgeführt (s.o.), dass sich beispielsweise im Schlafzimmer erst in einer Höhe von ca. 30 cm die Feuchtewerte der Innenwand in einem Niveau “normal” trockener Wände vergleichbarer Wohnungen bewegten. Die angemieteten Räume weisen nach den Ausführungen des Sachverständigen, denen sich die Kammer anschließt, insofern keinen Wohnstandard auf, der bei vergleichbaren Wohnungen üblich ist, sodass hierin ein Mangel zu sehen ist.

Durch die Durchfeuchtung der Wände ist ferner die Tauglichkeit der Mietsache gemindert. Dies ist schon deshalb der Fall, weil sich nach den nachvollziehbaren Erläuterungen des Sachverständigen durch die nassen Wände der Putz in der Wohnung zersetze und teilweise schon bei leichter Berührung im Sockelbereich zerbrösele. Dies passiere, so der Sachverständige, wenn Salze kristallisieren, weil sich deren Volumen dann vergrößere. Auch die sichtbaren Feuchtigkeitsflecken sowie die ebenfalls erkennbaren Salzausblühungen stellen jedenfalls merkliche optische Beeinträchtigungen dar, die vom Mieter nicht hinzunehmen sind.

Darauf, ob es sich hierbei um erhebliche Beeinträchtigungen handelt, was seitens der Kammer bejaht wird, kommt es im Rahmen des § 535 Abs. 1 S. 2 BGB im Übrigen nicht an, sodass schon aus diesem Grund den Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts nicht zu folgen ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Wohnungseigentumsrecht (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 2018 – V ZR 203/17) haben zudem massive Durchfeuchtungen von Innen- und Außenwänden von zu Wohnzwecken vermieteten Wohnungen erhebliche nachteilige Auswirkungen auf Wohnkomfort, Gesundheit und – wie bereits ausgeführt – den optischen Eindruck. Massive Durchfeuchtungen der Innen- und Außenwände – wie sie hier vorliegen – müssten deshalb weder in Wohnungs- noch in Teileigentumseinheiten hingenommen werden, und zwar auch dann nicht, wenn gesundheitsschädlicher Schimmel (noch) nicht aufgetreten ist (vgl. BGH, a.a.O.). Diese Ansicht teilt die Kammer in Bezug auf Mietwohnungen vollumfänglich (so z.B. auch LG Kiel, Urteil vom 23-10-1985 – 1 S 8/85); sie entspricht zudem der Einschätzung des Sachverständigen Dipl.-Ing. C., der dargelegt hat, dass aus fachlicher Sicht zum bestimmungsgemäßen Gebrauch einer Wohnung trockene Wände erforderlich seien.

Trotz des Umstandes, dass im Schlafzimmer auch an einer Innenwand am Sockel hohe Feuchtewerte feststellbar waren, hat die Klägerin aber lediglich einen Beseitigungsanspruch im Hinblick auf die von ihr genannte Außenwand. Die Kammer war insofern an den ausdrücklichen Wortlaut des klägerischen Antrags gebunden (vgl. § 308 Abs. 1 ZPO).

Soweit die Klägerin ferner bzgl. der Beseitigung der Feuchtigkeit im Wohnzimmer keine Angaben zur betroffenen Wand gemacht hat, war ihr Antrag dahingehend auszulegen, dass die Außenwand im Bereich zum Wohnungseingang gemeint war, da der Sachverständige in dieser erhöhte Feuchtewerte festgestellt hat.

bb) Der Zustand der Wohnung mit durchfeuchteten Wänden ist auch nicht deshalb vertragsgemäß, weil die Klägerin ihn in Kenntnis des Mangels bei Vertragsabschluss akzeptiert hätte. Ein solches Einverständnis ist vorliegend nicht erkennbar. Der Beklagte hat selbst vorgetragen, von feuchten Wänden in der Wohnung bei Vertragsschluss nichts gewusst zu haben. Die Wohnung war außerdem zum Zeitpunkt des Einzugs der Klägerin frisch renoviert. Woher die Klägerin aber sichere Kenntnis hinsichtlich in die Wohnungswände aufsteigender Feuchtigkeit hätte haben sollen und dass sie diese auch noch als vertragsgemäß akzeptiert hat, ist nicht ersichtlich. Der Klägerin kann auch nicht vorgeworfen werden, dass sie aus einem feuchten Keller nicht auch auf feuchte Wohnungswände geschlossen hat.

cc) Der Beklagte kann sich schließlich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass eine grundsätzlich bestehende Instandsetzungspflicht aufgrund der damit verbundenen Kosten für ihn wirtschaftlich unzumutbar sei. Eine solche wirtschaftliche Unzumutbarkeit hat der Beklagte bereits nicht schlüssig dargelegt.

(1) Zwar endet in der Tat die sich aus § 535 Abs. 1 S. 2 BGB ergebene Verpflichtung des Vermieters zur Beseitigung eines Mangels dort, wo der dazu erforderliche Aufwand die “Opfergrenze” überschreitet. Nach der Rechtsprechung des BGH und der wohl überwiegenden Ansicht in der Literatur folgt dies aus § 275 Abs. 2 S. 1 BGB. Wann die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten ist, muss von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der beiderseitigen Parteiinteressen, des Vertragszwecks und der Gebote von Treu und Glauben wertend ermittelt werden, wobei die Beurteilung dem Tatrichter obliegt. Doch darf kein krasses Missverhältnis entstehen zwischen dem Reparaturaufwand einer- und dem Nutzen der Reparatur für den Mieter sowie dem Wert des Mietobjekts und den aus ihm zu ziehenden Einnahmen andererseits. Bei der Interessenabwägung kann auch mit einzustellen sein, auf welcher Ursache der Mangel beruht und ob der Vermieter den Mangel zu vertreten hat (BGH, Hinweisbeschl. v. 22.1.2014 – VIII ZR 135/13; BGH, Urteil vom 21.4. 2010 – VIII ZR 131/09; BGH, Urteil vom 20.7.2005 – VIII ZR 342/03; Blank/Börstinghaus/Siegmund/Siegmund, 7. Aufl. 2023, BGB § 535 Rn. 328-330).

Bei der Bewertung aber grundsätzlich auszuklammern ist die mangelnde Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzes.

Ein Wegfall der Wiederherstellungspflicht kommt zudem selbst dann nicht zwingend in Betracht, wenn aufgrund der Reparaturkosten eine angemessene Verzinsung des im Grundstück steckenden Eigenkapitals nicht mehr gesichert ist. Ein Überschreiten der “Opfergrenze” ist aufgrund der gesetzlichen Risikoverteilung insgesamt auf enge Ausnahmen beschränkt (vgl. Hirsch, ZMR 2007, 81 ff.).

Für die Beurteilung der Frage, wann ein Instandsetzungsaufwand jenseits aller Abwägungskriterien aus finanziellen Gründen unzumutbar ist, gibt es insofern keine feste Obergrenze. Insbesondere lässt sich eine Überschreitung der “Opfergrenze” nicht aus einer bloßen Gegenüberstellung zwischen Sanierungskosten und Verkehrswert herleiten. Es besteht jedoch ein Zusammenhang zwischen der Frage, wie sich etwa die Sanierungskosten und der Verkehrswert “rechnerisch” zueinander verhalten, und der Frage, ob dem Vermieter die Beseitigung des Mangels unter Berücksichtigung der beiderseitigen Parteiinteressen und Würdigung der Gesamtumstände zugemutet werden kann. Je ungünstiger sich das Verhältnis zwischen Sanierungskosten und Verkehrswert darstellt, desto gewichtiger müssen die entgegenstehenden Umstände sein, die es dem Vermieter trotz bestehendem Missverhältnis zwischen Sanierungskosten und Verkehrswert verwehren sollen, sich auf den Einwand der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit (§ 275 Abs. 2 BGB) zu berufen (vgl. BGH, Urteil vom 21.4. 2010 – VIII ZR 131/09). Eine Überschreitung der Opfergrenze liegt jedenfalls nahe, wenn die Reparaturkosten den Zeitwert des Mietobjekts erheblich übersteigen (vgl. OLG Karlsruhe Urt. v. 30.12.1994 – 19 U 113/94, BeckRS 1995, 1841).

Als weiterer Orientierungspunkt für die Beurteilung der Zumutbarkeit wird in der Rechtsprechung der Gesichtspunkt herangezogen, ob die aufzuwendenden finanziellen Mittel innerhalb eines Zeitraums von ca. zehn Jahren durch eine erzielbare Rendite aus dem Mietobjekt ausgeglichen werden können, wobei sich auch hier eine schematische Anwendung verbietet, sondern vielmehr die Aspekte des einzelnen Mietvertrages ebenfalls mit zu berücksichtigen sind (vgl. hierzu Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 6. September 2000 – 4 U 15/00).

(2) Dass vorliegend die Zumutbarkeitsgrenze für den Beklagten überschritten ist, hat dieser aber schon nicht substantiiert dargelegt. Dies wirkt sich zu seinen Lasten aus. Denn als derjenige, der sich auf die Leistungsbefreiung nach § 275 Abs. 2 S. 1 BGB beruft und hieraus eine ihm günstige Rechtsfolge herleitet, trägt er die Darlegungs- und Beweislast für das Überschreiten der Opfergrenze, der er jedoch nicht nachgekommen ist (vgl. hierzu BeckOK BGB/Lorenz, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 275 Rn. 74). Das gilt selbst dann, wenn seine Angaben zur voraussichtlichen Höhe der Sanierungskosten zutreffen sollten.

Im Einzelnen:

Der Beklagte hat zwar auf den am 11.10.2023 verkündeten Hinweisbeschluss der Kammer seinen ursprünglichen Vortrag, dass zur Beseitigung der Feuchtigkeit erhebliche Kosten und wohl auch ein Teilabriss des Gebäudes erforderlich seien durch die Vorlage einer Kostenschätzung des Gutachters Dipl.-Ing. N. vom 21.11.2023 sowie durch schriftsätzliche Erläuterungen vom 27.11.2023 und 28.12.2023 näher präzisiert.

Die Kammer vermag aber selbst bei Wahrunterstellung der vorgelegten Kostenschätzung zur Beseitigung der Feuchtigkeitsschäden eine von ihm behauptete wirtschaftliche Unzumutbarkeit i.S.d. Überschreitens der “Opfergrenze” im Hinblick auf den Mängelbeseitigungsaufwand nicht festzustellen. Vor diesem Hintergrund bedurfte es auch nicht der Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens zu den vorgetragenen Sanierungskosten.

Der Beklagte hat unter Bezugnahme auf die von ihm beauftragte Kostenschätzung des Dipl.-Ing. N. vom 21.11.2023 ausführen lassen, dass sich die Sanierungsaufwendungen zur Beseitigung von Feuchtigkeitsschäden am Objekt X 10 in Q auf ca. 133.000,00 Euro brutto beliefen. Angesichts der jährlichen Mieteinnahmen für die von der Klägerin angemietete Wohnung in Höhe von knapp 6.000,00 Euro sei deshalb die Sanierung der Wohnung für ihn wirtschaftlich unzumutbar. Aus der Gegenüberstellung der Kostenschätzung von 133.000,00 Euro und der Mieteinnahmen für die gegenständliche Wohnung von knapp 6.000,00 Euro (konkret: 5.976,00 Euro ohne Nebenkostenvorauszahlungen) kann ein solcher Rückschluss aber nicht gezogen werden. Denn die vorgelegte Kostenschätzung enthält nicht nur Maßnahmen und Kosten, die die Wohnung der Klägerin betreffen.

In der vom Beklagten vorgelegten Kostenschätzung wird vielmehr zu Beginn des Gutachtens ausgeführt, dass es aus sachverständiger Sicht zwingend notwendig sei, dass wenn schon im Keller außen und innen sowie in den Erdgeschossräumen eine Sanierung durchgeführt werden müsse, dies im ganzen Gebäude zu tun sei. Aus den sodann aufgeführten, für erforderlich erachteten Leistungen ergibt sich, dass der Gutachter auch Arbeiten und Kosten aufgeführt hat, die nicht nur den Keller und die streitgegenständliche Wohnung der Klägerin betreffen, sondern mindestens auch solche, die sich auf die weitere im Erdgeschoss befindliche Mietwohnung beziehen (vgl. S. 2 “Wohnungen“, S. 6, S. 16 ff. der Kostenschätzung).

Soweit der Beklagte zudem dargelegt hat, dass die jährliche Mieteinnahme für den Altbau, in welchem sich die Mietwohnung der Klägerin befindet und welcher als separates Objekt mit einer Wohnfläche von 473 m² zu betrachten sei, nach Abzug der laufenden Erhaltungsaufwendungen ca. 20.000,00 Euro betrage, so ergibt sich auch hieraus keine Überschreitung der Opfergrenze. Denn bei einem jährlichen Ertragswert von 20.000,00 Euro können die für die Beseitigung der im Altbau bestehenden Feuchtigkeitsmängel aufzuwendenden finanziellen Mittel bereits innerhalb eines Zeitraums von weniger als 7 Jahren durch die erzielbare Rendite aus dem Objekt wieder ausgeglichen werden, sodass der o.g. Orientierungspunkt für die Beurteilung der Grenze der Zumutbarkeit von 10 Jahren gerade nicht überschritten ist.

Auch aus dem Verhältnis der vorgetragenen Sanierungskosten und dem Verkehrswert des Objekts lässt sich vorliegend ein Überschreiten der Opfergrenze nicht festzustellen. Denn der Beklagte hat trotz des am 11.10.2023 verkündeten Hinweises der Kammer, in welchem die Abwägungskriterien für die Beurteilung einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit aufgezeigt worden sind (vgl. S. 4 des Kammerbeschlusses, 1. Abschnitt) keine konkreten Angaben zum Verkehrswert des Mietobjekts gemacht. Der diesbezügliche Vortrag des Beklagten erschöpft sich lediglich darin, generell anzugeben, dass sich der Verkehrswert eines Mietobjekts an der jährlichen Kaltmiete und der Bereitschaft, welchen Vervielfältigungsfaktor der Käufermarkt bereit sei zu zahlen, bemesse. Zu berücksichtigen sei weiter, dass Altbauten mit Gas- oder Ölheizung wegen neuer GEG-Vorgaben aktuell erheblich an Wert verlieren würden und die aufwendige Sanierung der Mietwohnung der Klägerin wegen einer begrenzen Steigerungsbandbreite der Miete von nur 0,50 Euro / m² zu keiner wesentlichen Wertsteigerung führe. Welchen konkreten Wert er aber dem gegenständlichen Objekt zuschreibt, hat er nicht angeführt. Der Kammer erschließt sich ein solcher Wert auch nicht aus den dargestellten, allgemein gehaltenen Angaben des Beklagten, sodass ein etwaiges Missverhältnis zwischen Instandsetzungskosten und Zeitwert des Mietobjekts – welches der Beklagte schon so nicht behauptet hat – für die Kammer nicht ersichtlich ist.

Soweit der Beklagte zudem bzgl. der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit der Sanierung darauf hinweist, dass mit einer weiteren Verschärfung der gesetzlichen Vorgaben für ältere Bestandsimmobilien zu rechnen sei und insofern ein Abriss des Hauses nicht auszuschließen sei, handelt es sich dabei lediglich um Behauptungen ins Blaue hinein, die im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung mangels Konkretisierung nicht miteinzustellen waren. Gleiches gilt für den Vortrag des Beklagten, dass er hinsichtlich der Sanierungskosten ein Darlehen aufzunehmen hätte und die Mieteinnahmen aus dem Objekt für seine Familie den wesentlichen Teil seines Lebensunterhaltes darstellten. Unabhängig von der Frage, ob derartige persönliche Umstände überhaupt im Rahmen der Abwägung berücksichtigungsfähig sind, hat der Beklagte weder dargelegt, in welchem Rahmen eine Kreditfinanzierung erforderlich wäre noch wie groß der Anteil der Mieteinnahmen an seinen Gesamteinnahmen zur Bestreitung des Lebensunterhalts tatsächlich ist. Aus der Beschreibung, dass die Mieteinnahmen den “wesentlichen Teil” des Lebensunterhalts ausmachten, vermag die Kammer ohne Bezifferung keine Erkenntnisse zu ziehen, die für eine Unzumutbarkeit für den Beklagten sprächen. Im Übrigen ist – wie oben ausgeführt – die mangelnde Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzes bei der Interessenabwägung grundsätzlich auszuklammern.

Hinzu kommt, dass der Beklagte selbst noch mit Schriftsatz vom 23.08.2023 ausführte, zum damaligen Zeitpunkt Vermieter von insgesamt 32 Wohnungen zu sein, sodass an seinem Vortrag zum Lebensunterhalt in Bezug auf das streitgegenständliche Mietobjekt doch erhebliche Zweifel bestehen.

Schließlich verfängt auch der Einwand des Beklagten, dass der Klägerin kein weiterer Nutzen durch die Sanierung zukomme – außer einer Beseitigung der geringen äußeren Erscheinungen der aus dem Keller aufsteigenden Feuchtigkeit – nicht. Wie oben bereits dargestellt entsprechen durchfeuchtete Wände, die nur durch ein entsprechendes Lüftungs- und Heizverhalten des Mieters nicht zu einer erhöhten Raumfeuchte und Schimmelbildung führen, gerade nicht dem vertragsgemäßen Zustand einer Wohnung. Sie beeinträchtigen insbesondere den Wohnkomfort und das Wohnklima. Durch die Sanierung würde dieser Umstand vollumfänglich beseitigt.

Hierdurch würde ebenfalls das Entstehen weiterer Salzausblühungen verhindert und erreicht, dass der durchnässte Putz nicht bei bloßer Berührung fortwährend zerbröselt.

Das Überschreiten der Opfergrenze vermag die Kammer dementsprechend aufgrund des Vortrags des Beklagten insgesamt nicht festzustellen.

b) Neben dem aus § 535 Abs. 1 S. 2 BGB folgenden Instandsetzungsanspruch steht der Klägerin ebenfalls ein Anspruch auf Feststellung einer Mietminderung i.S.d. § 536 Abs. 1 BGB wegen der dargestellten Mängel, namentlich der durchfeuchteten Wände und den damit einhergehenden Erscheinungen des zerbröselnden Putzes, der Salzausblühungen und der sichtbaren Feuchteflecken, welche die Tauglichkeit der Wohnung zum vertragsgemäßen Gebrauch erheblich beeinträchtigen, zu. Dass die Klägerin wörtlich mit ihrem Feststellungsantrag lediglich eine Minderung wegen der feuchten Wände beantragte, hindert die Kammer nicht daran, die zuletzt genannten Erscheinungen ebenfalls im Rahmen der Minderung zu berücksichtigen.

Denn diese sind unmittelbare Folge der von der Klägerin gerügten feuchten Wände.

Das Feststellungsbegehren der Klägerin ist dabei dahingehend auszulegen, dass dieses auf Feststellung der Mietminderung ab Rechtshängigkeit des entsprechenden Klageantrages bis zur Beseitigung der Mängel gerichtet ist. Denn einen anderweitigen – früheren – Zeitpunkt hat die Klägerin mit ihrem Klagebegehren gerade nicht vorgebracht.

Vorliegend wurde die Feststellungsklage mit Schriftsatz vom 06.04.2022, eingegangen bei Gericht am selben Tag, erhoben. Da der Beklagtenvertreter auf diese mit Schriftsatz vom 14.04.2022 erwiderte, ist von einer Zustellung der Feststellungsklage spätestens an diesem Tag auszugehen.

Die Feststellung eines Minderungsrechts ab dem 15.04.2022 steht der Klägerin auch zu. Der Sachverständige hat insofern nachvollziehbar ausgeführt, dass die Wände bereits seit mehreren Jahren durchfeuchtetet sein müssten. Es sei ausgeschlossen, dass dieses Problem erst seit dem Jahre 2019 – dem Einzug der Klägerin in die streitgegenständliche Mietwohnung – bestünde. Dem Beklagten war auch bereits im November 2019 die Feuchtigkeitsproblematik gemeldet worden; das Ausmaß war ihm zudem spätestens ab Erhalt des Sachverständigengutachtens am 03.03.2022 bekannt. Die Klägerin hat außerdem dem Beklagten im Jahr 2020 über den Mieterbund mitteilen lassen, dass ihre Mietzahlung wegen der Feuchteerscheinungen lediglich unter Vorbehalt erbracht werde.

Die Kammer erachtet eine Minderungsquote von 20% – und nicht wie von der Klägerin begehrt von 50% – für angemessen.

Die Minderungsquote richtet sich nach dem Ausmaß der durch die Feuchtigkeit bedingten Beeinträchtigung des Mietgebrauchs. Haben sich infolge der Feuchtigkeit etwa Schimmelpilze gebildet, so ist dies bei der Höhe der Minderung zugunsten des Mieters zu berücksichtigen (vgl. Blank/Börstinghaus/Siegmund/Siegmund, 7. Aufl. 2023, BGB § 536 Rn. 14-133).

Vorliegend ist bei der Minderungsquote in Ansatz zu bringen, dass insgesamt drei Räume der streitgegenständlichen Wohnung und damit fast jeder Raum von einer durchfeuchteten Wand betroffen ist. Zur Feuchtigkeit in den Wänden, welche die Wohnqualität der Klägerin beeinträchtigt, kommen ferner die sichtbaren Nachteile wie der Putzschaden und die Salzausblühungen hinzu. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen sowie der Tatsache, dass sich aber noch kein Schimmel gebildet hat und die Raumluftfeuchte nicht zu hoch ist, war eine Minderungsquote von 20% auszusprechen (vgl. hierzu etwa AG Osnabrück WuM 2014, 137; LG Kiel, Urteil vom 23-10-1985 – 1 S 8/85; AG Brühl, 9. Januar 1981, 2 C 632/79; OLG Naumburg, Urteil vom 31.05.2000 – 6 U 97/99; AG Hamburg-Altona, Urteil vom 12.12.2002 – 317 C 363/02).

Da sich nach einhelliger Rechtsprechung die Minderung, soweit sie gerechtfertigt ist, auf die Gesamtmiete einschließlich aller Nebenkosten bezieht (vgl. BGH, Urt. v. 13. 4. 2011 – VIII ZR 223/10), war wie beantragt auszusprechen, dass die Warmmiete gemindert ist.

Das Minderungsrecht der Klägerin ist auch nicht gem. § 536b BGB ausgeschlossen. Soweit der Beklagte vorträgt, dass die Feuchtigkeit im Keller erkennbar gewesen sei, betrifft diese Behauptung lediglich den Kellerraum. Im Hinblick auf die feuchten Wände in der Wohnung hat der Beklagte selbst solche Erscheinungen bestritten und sodann – nach Gutachtenerstattung des Sachverständigen Dipl.-Ing. C. – dargelegt, dass er hiervon keine Kenntnis gehabt habe. Insofern kann erst Recht bei der Klägerin keine Kenntnis angenommen werden.

Da ein der Klägerin vorzuwerfendes Lüftungs- und Heizverhalten, welches die Feuchtigkeit in der Wand negativ beeinflusst hat, ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. C. (s.o.) nicht festgestellt werden konnte, scheidet ein Recht zur Minderung auch aus diesem Grund nicht aus.

3. Der Klägerin steht jedoch – wie das Amtsgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung dargelegt hat – kein Anspruch auf Beseitigung der in den Kellerwänden des gegenständlichen Mietobjekts bestehenden Feuchtigkeit zu.

Denn im Hinblick auf den von der Klägerin mitgemieteten Kellerraum (Kellerraum 2A) liegt hierin kein Mangel, der einen Anspruch gem. § 535 Abs. 1 S. 2 BGB begründet.

Zwar hat der Sachverständige Dipl.-Ing. C. im Rahmen seines schriftlichen Gutachtens vom 24.02.2022 dargestellt, dass bei der Durchführung von Feuchtemessungen mit einem Kugelkopfmessgerät sowohl sich innerhalb des Kellerraums 2A als auch auf der Wandrückseite im unteren Wandbereich sehr hohe Feuchtewerte gezeigt hätten und erst ab einer Höhe von ca. 1,50 m durchschnittlich trockene Werte bestanden hätten. An der Außenwand im Kellergeschoss habe er beispielsweise einen Feuchtewert von 200 Digits gemessen, was einem Feuchtewert von 100% entspreche. Auch seien an der Putzoberfläche bereits Salzausblühungen erkennbar gewesen. Bei den ermittelten Werten handele es sich nach den Darstellungen des Sachverständigen aber um bauzeit- und bauarttypische Werte, die nicht verwunderten, da die Bodenplatten aus dieser Zeit häufig aus Ziegel oder Magerbeton erstellt worden und daher nicht wasserdicht seien, z.T. sogar eine kapillare Saugfähigkeit hätten. Ebenso sei davon auszugehen, dass weder bei den Außen- noch bei den Innenwänden eine Horizontalsperre gegen aufsteigende Feuchtigkeit eingebaut worden sei, da diese erst ab ca. 1930 ausgeführt worden sei. Zum Errichtungszeitpunkt des Gebäudes hätten auch keine verbindlichen Abdichtungsvorschriften vorgelegen. Da insofern bis in die 1960er Jahre keine hochwertigen und dauerhaften Abdichtungssysteme zur Verfügung gestanden hätten, würden die Außenwände dieser Altbaukeller sehr häufig hohe Feuchtewerte aufweisen. Kellerräume seien früher auch lediglich zum Lagern von z.B. Lebensmitteln und Kohle und keinesfalls zur Aufbewahrung feuchteempfindlicher Gegenstände vorgesehen gewesen. Da eine solche Lagerung im vorliegenden Keller möglich sei – die im Keller abgestellten Gegenstände hätten mit Ausnahme der auf der Bodenplatte abgestellten Kartons keine Feuchtigkeitsschäden aufgewiesen – liege aus Sicht des Sachverständigen auch keine Tauglichkeitsminderung vor. Diesen durchweg überzeugenden Erläuterungen folgt die Kammer. Denn ein Mieter einer Altbauwohnung kann nicht ohne weiteres erwarten, dass der zur Wohnung gehörende Keller trocken und auch zur Lagerung feuchtigkeitsempfindlicher Gegenstände geeignet ist (vgl. LG Osnabrück Urt. v. 11.4.2001 – 6 S 1247/00, BeckRS 2010, 10164). Kellerfeuchte im Altbau stellt gerade keinen Mangel dar, wenn sich der Keller in einem Zustand befindet, der – wie hier – zur Zeit der Errichtung des Gebäudes typisch ist (vgl. LG Dresden, Urt. v. 17.6.2014 – 4 S 4/14).

Im Übrigen hat der Beklagte unstreitig bei Besichtigung der Wohnung inkl. des Kellers mitgeteilt, dass der Keller feucht sei und darauf hingewiesen, dass dort keine feuchteempfindlichen Gegenstände gelagert werden könnten. Ein solcher Hinweis ergibt sich auch aus dem Übergabeprotokoll. Da dieses ferner die Unterschrift der Klägerin ausweist, liegt hierin bereits eine Parteivereinbarung hinsichtlich der im Protokoll genannten Eigenschaft des Kellers, die einen dahingehenden Mangel bereits deshalb ausschließt.

Ein Beseitigungsanspruch in Bezug auf die feuchten Kellerwände folgt schließlich nicht daraus, dass der Sachverständige im Rahmen seiner erstinstanzlichen Gutachtenerstattung dargelegt hat, dass die Feuchtigkeit aus dem Kellergeschoss in das EG-Mauerwerk eindringe. Denn wie der Vermieter letztlich seiner Mängelbeseitigungspflicht in Bezug auf die Feuchtigkeit in den Wänden der Wohnung sach- und fachgerecht nachkommt, ist ihm überlassen (vgl. Hirsch, ZMR 2007, 81 ff.).

4. Über den ursprünglich ebenfalls mit der Berufung angegriffenen Zahlungsanspruch des Beklagten in Höhe von 177,04 Euro, welchen dieser im Rahmen der Widerklage geltend gemacht hat, war in der Sache nicht mehr zu entscheiden, da die Widerklage diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung am 16.08.2023 durch den Beklagten zurückgenommen worden ist.

OVG Thüringen zu der Frage, dass wenn sich der vorliegende Fall nicht von sonstigen typischen Fällen unterscheidet, in denen wegen einer formellen Illegalität ein Baustopp verfügt wird, auch auf eine gruppentypisierte Begründung zurückgegriffen werden darf

OVG Thüringen zu der Frage, dass wenn sich der vorliegende Fall nicht von sonstigen typischen Fällen unterscheidet, in denen wegen einer formellen Illegalität ein Baustopp verfügt wird, auch auf eine gruppentypisierte Begründung zurückgegriffen werden darf

vorgestellt von Thomas Ax

1. Das Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 VwGO ist rein formeller Art. Daher kommt es nicht darauf an, dass die von der Behörde angegebenen Gründe inhaltlich richtig sind und die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts tatsächlich rechtfertigen. Entscheidend ist vielmehr die Darlegung, warum aus der Sicht der Behörde das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung zurückzutreten hat.
2. Unterscheidet sich der Fall einer Baueinstellungsverfügung nicht von sonstigen typischen Fällen, in denen wegen einer formellen Illegalität ein Baustopp verfügt wird, darf die Behörde auf eine gruppentypisierte Begründung zurückgreifen.
3. Ein atypischer Einzelfall liegt nicht schon dann vor, wenn der Bauherr der Auffassung ist, dass sein Handeln materiell rechtmäßig ist.
4. Ist die Baugenehmigung mit einer Auflage zur Vorababstimmung mit den Fachdiensten vor Baubeginn versehen worden und ist die Baugenehmigung insoweit bestandskräftig geworden, ist der Bauherr im Eilverfahren mit seinen Einwendungen gegen diese Auflage präkludiert.

OVG Thüringen, Beschluss vom 23.07.2024 – 1 EO 236/24

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar, mit dem sein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen eine von der Antragsgegnerin für sofort vollziehbar erklärte Baueinstellungsverfügung abgelehnt wurde.

Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks T… in Erfurt (Flurstück a…, Flur 137 in der Gemarkung Erfurt-Mitte), das im räumlichen Geltungsbereich der Ortsgestaltungssatzung der Antragsgegnerin liegt. Die Antragsgegnerin erteilte dem Antragsteller für den Umbau und die Nutzungsänderung des sich auf diesem Grundstück befindlichen Gebäudes zu einem Wohngebäude mit sechs Wohneinheiten unter dem 9. September 2020 eine Baugenehmigung. Als Anlage fügte sie ihrem Bescheid den denkmalschutzrechtlichen Bescheid vom 14. August 2020 bei und erklärte die darin enthaltenen Nebenbestimmungen/Auflagen zum Bestandteil der Baugenehmigung. Der denkmalschutzrechtliche Bescheid enthielt die Auflage, die nordseitige breite dreifenstrige Gaube in ihrer Größe auf eine Gaube mit zwei Fenstern zu reduzieren, da sie mit drei Fenstern und einer Länge von 3,6 m für das Denkmalensemble atypisch und zu breit sowie unverhältnismäßig in Bezug auf das Gebäude sei. Als weitere Auflage wurde darin die maximal mögliche Breite der südseitigen Gaube auf bis zu 2,5 m festgelegt. Die Baugenehmigung selbst enthielt unter der Nr. 6 die Auflage, die Gauben straßen- und hofseitig in ihrer Breite zu minimieren und entsprechend der Ortsgestaltungssatzung auszubilden. Zudem wurde der Antragsteller darin verpflichtet, vor der Bauausführung eine entsprechend der Ortsgestaltungssatzung überarbeitete Variante der Gauben bei der Antragsgegnerin erneut zur Genehmigung einzureichen. Mit der Auflage Nr. 7 gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller auf, die geneigten Dachflächen mit keramischen Dachziegeln in den Farben ziegelrot bis rotbraun und matt herzustellen (§ 3 Abs. 2 der Ortsgestaltungssatzung). In der Nr. 8 verfügte die Antragsgegnerin, dass für die Gesamtfassade rechtzeitig vor der Bauausführung die Gestaltung aller Fassaden- und Dachelemente anhand eines Material- und Farbkonzeptes genauer mit dem Amt für Stadtentwicklung und Stadtplanung, Abt. Stadterneuerung, sowie mit dem Bauamt und der unteren Denkmalschutzbehörde abzustimmen sei. In der Auflage Nr. 9 wurde dem Antragsteller aufgegeben, alle öffnungsschließenden Elemente in Holz auszuführen und in ihrer Teilung und Profilierung vor der Bauausführung genauer mit dem Amt für Stadtentwicklung und Stadtplanung, Abt. Stadterneuerung, abzustimmen.

Gegen die in den Auflagen Nrn. 6 und 7 verfügten Anordnungen hinsichtlich der Gestaltung der Gauben erhob der Antragsteller am 22. Oktober 2020 unter Hinweis auf die seiner Auffassung nach funktionslos gewordene Ortsgestaltungssatzung Widerspruch.

Das Thüringer Landesverwaltungsamt hob mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2022 die Auflage Nr. 6 in der Baugenehmigung auf und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Hinsichtlich der Auflage Nr. 6, die Gauben straßen- und hofseitig in ihrer Breite zu minimieren und entsprechend der Ortsgestaltung auszubilden, führte die Widerspruchsbehörde aus, dass der Zweck der Baugenehmigung die Baufreigabe sei. Dieser Zweck werde mit der Auflage Nr. 6 jedoch nicht erreicht, da die Baufreigabe ungewiss bleibe und in die Zukunft verschoben werde. Insoweit lasse die Auflage die Entscheidung über den Bauantrag völlig offen. Demgegenüber sei jedoch die Auflage Nr. 7, geneigten Dachflächen mit keramischen Dachziegeln in den Farben ziegelrot bis rotbraun und matt gemäß § 3 Abs. 2 der Ortsgestaltungssatzung herzustellen, rechtmäßig. Gegen den Widerspruchsbescheid ging der Antragsteller anschließend rechtlich nicht vor.

Nachdem die Antragsgegnerin am 19. Januar 2023 festgestellt hatte, dass die Gauben abweichend von der Baugenehmigung errichtet worden waren, das Dach bereits gedeckt und begonnen worden war, die Fenster einzubauen sowie die Fassade zu gestalten, wurde noch vor Ort mündlich ein Baustopp ausgesprochen. Eine entsprechende schriftliche Verfügung erging gegenüber dem Antragsteller mit Bescheid vom 27. Januar 2023 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung, wonach alle Baumaßnahmen in und am Dachgeschoss (insbesondere an den Gauben) sowie an der Fassade, einschließlich des Einbaus der Fenster, einzustellen seien. Zur Begründung verwies die Antragsgegnerin darauf, dass die Gauben abweichend von der Ortsgestaltungssatzung errichtet worden seien und für die Abweichungen keine Genehmigungen vorlägen. Darüber hinaus beinhalteten der denkmalschutzrechtliche Bescheid (mit Auflagen) vom 14. August 2020, der ausdrückliche zum Bestandteil der Baugenehmigung gemacht worden sei) sowie die Auflagen in den Nrn. 8 und 9 der Baugenehmigung allesamt die Notwendigkeit einer Detailabstimmung mit den Fachbehörden noch vor der Bauausführung. Der denkmalschutzrechtliche Bescheid besage zudem, dass für die südliche Gaube zur Gewährleistung der Entfluchtung eine Breite bis zu 2,5 m möglich und die nördliche Gaube in ihrer Breite zu reduzieren sei. Diesen Nebenbestimmungen sei der Antragsteller nicht nachgekommen, so dass sein Vorhaben formell illegal sei.

Dagegen erhob der Antragsteller am 3. März 2023 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist.

Am 21. März 2023 hat der Antragsteller auch um einstweiligen Rechtsschutz bei dem Verwaltungsgericht Weimar nachgesucht und beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruches vom 3. März 2023 gegen die Baueinstellungsverfügung vom 27. Januar 2023 wiederherzustellen.

Zur Begründung hat er vorgetragen, dass die Baueinstellungsverfügung offensichtlich rechtswidrig sei, da die in den Auflagen Nrn. 8 und 9 festgelegte Pflicht zur Detailabstimmung vor Bauausführung aus denselben Gründen rechtswidrig sei wie die Auflage Nr. 6, die von der Widerspruchsbehörde bereits aufgehoben worden sei. Wie bei der Auflage Nr. 6 werde die Baufreigabe auch bezüglich der Auflagen in den Nrn. 8 und 9 in die Zukunft verschoben und bleibe daher ungewiss. Außerdem sei im Hinblick auf die Ausgestaltung der Dachgauben angesichts der in der Umgebung festzustellenden heterogenen Ausgestaltung der Gauben mittlerweile eine Funktionslosigkeit der Ortsgestaltungssatzung eingetreten, so dass deren Durchsetzung nunmehr rechtswidrig sei.

Am 17. Juli 2023 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Abweichung von der Ortsgestaltungssatzung.

Mit Beschluss vom 29. April 2024 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag abgelehnt und ausgeführt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung den formell-rechtlichen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genüge und das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Sicherungsanordnung das private Interesse des Antragstellers, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens vom Vollzug der angegriffenen Verfügung verschont zu bleiben, überwiege. Die Baueinstellungsverfügung stelle sich nach summarischer Prüfung im Eilverfahren als offensichtlich rechtmäßig dar. Die Voraussetzungen für einen Baustopp gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 ThürBO lägen vor, da die betroffenen Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden seien. Die Bautätigkeiten im Bereich des Daches sowie der Fenster und Fassade verstießen gegen die Auflagen Nrn. 8 und 9 der Baugenehmigung sowie gegen Punkt 3 der Auflagen in dem denkmalschutzrechtlichen Bescheid vom 14. August 2020, die von der Antragsgegnerin in der Baugenehmigung vom 9. September 2020 zu deren Bestandteil erhoben worden seien. Gegen diese Auflagen habe der Antragsteller keinen Widerspruch erhoben, sodass die Auflagen Nrn. 8 und 9 wie auch die entsprechende Auflage im denkmalschutzrechtlichen Bescheid bestandskräftig geworden seien. Sie begründeten eine Pflicht des Antragstellers zur Abstimmung der Ausführungsdetails für Fenster, Fassaden und Dachgestaltung mit den Fachbehörden vor der Bauausführung, die der Antragsteller unbestritten nicht befolgt habe. Angesichts der Bestandskraft der Auflagen komme es auf eine mögliche Rechtswidrigkeit der denkmalschutzrechtlichen Auflage sowie der Auflagen Nrn. 8 und 9 im vorliegenden Verfahren nicht an. Dass die Auflagen nichtig sein könnten, sei weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Insbesondere sei nach der im Eilverfahren nur allein möglichen summarischen Prüfung die Ortsgestaltungssatzung auch nicht mittlerweile funktionslos geworden.

Gegen diesen ihm am 6. Mai 2024 zugestellten Beschluss richtet sich die vorliegende, bei dem Verwaltungsgericht Weimar am 21. Mai 2024 erhobene und am 6. Juni 2024 beim Oberverwaltungsgericht begründete Beschwerde, mit der der Antragsteller sein erstinstanzliches Rechtsschutzbegehren weiterverfolgt.

Der Antragsteller beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Weimar vom 29. April 2024 die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 3. März 2023 gegen die Baueinstellungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27. Januar 2023 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen und beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- sowie und die Behördenvorgänge (1 Ordner und 1 Hefter) Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung waren.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Die innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, bieten keinen Anlass, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern.

Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag des Antragstellers im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Das Vorbringen des Antragstellers ist nicht geeignet, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in Frage zu stellen. Soweit der Antragsteller die Anordnung der sofortigen Vollziehung im streitgegenständlichen Bescheid als nicht ausreichend begründet (1.) und sein privates Interesse daran, vorläufig von der Vollziehung des Baustopps verschont zu bleiben, als überwiegend erachtet (2.), teilt der Senat diese Auffassungen nicht.

1. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den formell-rechtlichen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

Das Verwaltungsgericht hat zu dem formalen Begründungserfordernis ausgeführt, dass in den Fällen der Anordnung des Sofortvollzugs nach Maßgabe des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen sei. Die Pflicht zur Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO solle der Behörde den auch von Verfassungs wegen bestehenden Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordere. Dem genüge die im Bescheid vom 27. Januar 2023 gegebene Begründung der Antragsgegnerin, wonach die sofortige Durchsetzbarkeit des Baustopps eine Vorbildwirkung für andere Bauherrn verhindere und es nicht gerechtfertigt sei, wenn der Antragsteller aus einem rechtwidrigen Zustand Vorteile erlange, die ein rechtstreuer Bürger nicht genieße. Die Baueinstellungsverfügung könne ihre Funktion daher nur dann hinreichend erfüllen, wenn sie für sofort vollziehbar erklärt werde. Da es sich um eine Formvorschrift handele, habe das Gericht an dieser Stelle nicht zu prüfen, ob die Begründung im Einzelnen richtig sei oder nicht. Bei gleichartigen Tatbeständen könnten gleiche oder gruppentypisierte, gegebenenfalls formblattmäßige Begründungen genügen. Es müsse aber stets gewährleistet sein, dass auch die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigt werden, die hier von dem Antragsteller jedoch nicht geltend gemacht worden seien.

Dem kann der Antragsteller nicht mit Erfolg entgegenhalten, es lägen sehr wohl Besonderheiten des Einzelfalls vor, die eine gruppentypisierte, formblattmäßige Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht genügen ließen, sondern zwingend eine einzelfallbezogene Begründung erforderten. Weder im Hinblick darauf, dass die Auflage Nr. 6 von der Widerspruchsbehörde aufgehoben wurde (a.), noch darauf, dass der Antragsteller die Ortsgestaltungssatzung der Antragsgegnerin als funktionslos erachtet (b.), sind hier atypische Umstände des Einzelfalls gegeben, die ausnahmsweise eine individuelle Begründung erfordern.

a. Soweit der Antragsteller solche Einzelfallaspekte darin sieht, dass seiner Auffassung nach die Auflagen Nrn. 8 und 9 in gleicher Weise wie die Auflage Nr. 6 rechtswidrig seien, da auch sie letztlich eine Baufreigabe verhinderten, vermag diese Argumentation nicht zu überzeugen.

Das Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist rein formeller Art. Daher kommt es nicht darauf an, dass die von der Behörde angegebenen Gründe inhaltlich richtig sind und die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts tatsächlich rechtfertigen. Entscheidend ist vielmehr die Darlegung, warum aus der Sicht der Behörde das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung zurückzutreten hat (Senatsbeschluss vom 28. Juli 2011 – 1 EO 1108/10; BVerwG, Beschluss vom 18. September 2001 – 1 DB 26.01; OVG NRW, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 20 B 117/18). Diese Grundsätze gelten jedenfalls solange, wie die von der Behörde angeführten Gründe nicht offenkundig unzutreffend sind (vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 5. Juli 2011 – 1 EO 1128/10 – amtlicher Abdruck S. 7).

Diesen Anforderungen wird die Begründung in dem streitgegenständlichen Bescheid – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – vollumfänglich gerecht. Auf die von dem Antragsteller thematisierten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Auflagen Nrn. 8 und 9 kommt es auf der Ebene der Prüfung, ob die Antragsgegnerin hier ihrer formalen Begründungspflicht nachgekommen ist, nach den obigen Darlegungen nicht an. Entscheidend für den Umfang der Begründungspflicht war vorliegend der Umstand, dass der Antragsteller vorzeitig – das heißt ohne die im Bescheid verfügte vorherige Abstimmung mit den Fachbehörden – die Umbaumaßnahmen begonnen hat. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall nicht von sonstigen typischen Fällen, in denen wegen einer formellen Illegalität ein Baustopp verfügt wird. Daher durfte die Antragsgegnerin auch auf eine gruppentypisierte Begründung zurückgreifen. Ein atypischer Einzelfall liegt dagegen nicht schon dann vor, wenn der Bauherr – wie hier – der Auffassung ist, dass sein Handeln materiell rechtmäßig sei. Denn die Prüfung, ob die in der Baugenehmigung verfügten Auflagen rechtmäßig sind, kann erst im Rahmen der materiellen Interessenabwägung Berücksichtigung finden. Erst in diesem Rahmen ist zu prüfen, ob eine gegebenenfalls rechtswidrige Verfügung ein überwiegendes öffentliches Interesse rechtfertigen kann.

b. Ebenso wenig stellt die nach Auffassung des Antragstellers evident gegebene Funktionslosigkeit der Ortsgestaltungssatzung einen Umstand des Einzelfalles dar, der einer lediglich formelhaften Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs entgegensteht.

Da es sich bei diesem Argument ebenfalls um einen materiell-rechtlichen Einwand handelt, gelten insoweit die obigen Ausführungen, so dass ein Verstoß gegen das Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hier ausscheidet. Die Frage, ob die Ortsgestaltungssatzung tatsächlich funktionslos geworden ist, betrifft somit ebenfalls allein die materiell-rechtliche Abwägung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Interesse des Antragstellers.

Unabhängig davon ist allerdings darauf hinzuweisen, dass allein der Umstand, dass die baulichen Anlagen im Satzungsgebiet nicht homogen gestaltet sind, für sich allein genommen noch kein Argument für eine Funktionslosigkeit der Ortsgestaltungssatzung ist (Senatsurteil vom 14. August 2023 – 1 KO 243/20).

2. Die von dem Verwaltungsgericht vorgenommene materiell-rechtliche Interessenabwägung begegnet entgegen der Auffassung des Antragstellers keinen rechtlichen Zweifeln.

a. Soweit der Antragsteller von einem Überwiegen seines privaten Interesses, vorläufig von dem Baustopp verschont zu bleiben, ausgeht, weil am Sofortvollzug einer nichtigen Nebenbestimmung kein überwiegendes öffentliches Interesse bestehen könne, verhilft dieser Vortrag seiner Beschwerde nicht zum Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss ausgeführt, dass eine mögliche Rechtswidrigkeit der denkmalschutzrechtlichen Auflage sowie der Auflagen Nrn. 8 und 9 der Baugenehmigung unerheblich sei, weil die Auflagen bestandskräftig geworden seien, und dass diese Auflagen nicht nichtig seien.

Dem kann der Antragsteller nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die Widerspruchsbehörde für die Auflage Nr. 6 eine schwerwiegende Fehlerhaftigkeit festgestellt habe und dies in gleicher Weise auf die Nrn. 8 und 9 zutreffe. Denn zum einen hat die Widerspruchsbehörde lediglich die Rechtswidrigkeit der Auflage Nr. 6 festgestellt und nicht deren Nichtigkeit. Zum anderen aber fehlt es vorliegend auch an einer inhaltlichen Vergleichbarkeit der in den Nrn. 8 und 9 getroffenen Anordnungen mit den in der Auflage Nr. 6 verfügten Anordnungen. Denn mit den Auflagen Nrn. 8 und 9 ist der Antragsteller zu einer Abstimmung mit den Fachbehörden vor Bauausführung verpflichtet worden, während die Auflage Nr. 6 den Antragsteller zur Einholung einer (gesonderten) Genehmigung für eine überarbeitete Variante der Gauben (und damit zu einer neuen Antragstellung) verpflichtete. Während mit der Auflage Nr. 6 keine Baufreigabe verbunden war, da zuvor noch ein neuer Genehmigungsantrag gestellt werden musste, umfasst die Baugenehmigung vom 9. September 2020 dagegen die Baufreigabe für die von den Auflagen umfassten baulichen Anlagen und verpflichtet den Antragsteller insoweit lediglich zu einer Abstimmung hinsichtlich der Material- und Farbwahl vor der Bauausführung. Insoweit bleibt die Baufreigabe nicht ungewiss, sondern wird insoweit vielmehr vorausgesetzt.

Darüber hinaus legt der Antragsteller auch nicht überzeugend dar, inwieweit hier die Voraussetzungen für eine Nichtigkeit nach § 44 Abs. 1 ThürVwVfG vorliegen sollten. Besonders schwerwiegende Fehler im Sinne dieser Vorschrift sind solche, die in einem schwerwiegenden Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung bzw. deren tragenden Zweck- und Wertvorstellungen stehen. Dabei kommt es nicht entscheidend auf den Rang der betreffenden Rechtsvorschrift an, gegen die der Verwaltungsakt verstößt (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl., § 44, Rn. 8). Insbesondere stellt auch eine völlige Unbestimmtheit eines Verwaltungsakts einen solchen besonders schwerwiegenden Fehler dar (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl., § 44, Rn. 10).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Auflagen Nrn. 8 und 9 sind inhaltlich nicht unbestimmt, sondern geben dem Antragsteller konkret auf, sich vor Baubeginn über die Gestaltung aller Fassaden- und Dachelemente anhand eines Material- und Farbkonzeptes genauer mit dem Amt für Stadtentwicklung und Stadtplanung, Abt. Stadterneuerung, sowie mit dem Bauamt und der unteren Denkmalschutzbehörde abzustimmen (Auflage Nr. 8). In der Auflage Nr. 9 wurde dem Antragsteller aufgegeben, alle öffnungsschließenden Elemente in Holz auszuführen und in ihrer Teilung und Profilierung vor der Bauausführung genauer mit dem Amt für Stadtentwicklung und Stadtplanung, Abt. Stadterneuerung, abzustimmen. Beide Auflagen sind für den Kläger als Adressaten des Bescheides hinreichend konkret gefasst und legen ihm auf, ein Material- und Farbkonzept zu erstellen und – ebenso wie die Verwendung von Holzelementen – mit den Fachämtern der Antragsgegnerin vor der Bauausführung abzustimmen.

b. Der Antragsteller dringt auch nicht mit seiner Argumentation durch, dass sich der streitgegenständliche Bescheid selbst bei unterstellter fehlender Nichtigkeit der Auflagen bei summarischer Prüfung zumindest hinsichtlich der Auflagen Nrn. 8 und 9 als offensichtlich rechtswidrig darstellen würde.

Die Beschwerdebegründung verkennt, dass die Baugenehmigung mit den Auflagen Nrn. 8 bis 9 bereits bestandskräftig geworden ist, so dass der Antragsteller wirksam zu einer Vorababstimmung mit den Fachdiensten der Antragsgegnerin verpflichtet worden ist. Mit seinen nunmehr vorgebrachten Einwendungen ist der Antragsteller somit präkludiert, so dass sie in dem noch durchzuführenden Widerspruchsverfahren nicht mehr zu berücksichtigen sein werden. Auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Auflagen kommt es somit ebenso wenig an wie auf die Rechtmäßigkeit der denkmalschutzrechtlichen Auflage, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat.

c. Gleiches gilt hinsichtlich der Ausführungen des Antragstellers hinsichtlich der seiner Auffassung nach mittlerweile funktionslos gewordenen Ortsgestaltungssatzung.

Auch insoweit ist der Antragsteller mit seinen Einwendungen angesichts der Bestandskraft der Auflagen Nrn. 8 und 9 präkludiert. Unabhängig davon verhält sich die Beschwerdebegründung in diesem Zusammenhang aber auch lediglich zu der Problematik der Gauben, ohne jedoch auf die ebenfalls in der Ortsgestaltungssatzung geregelten Material- und Farbvorgaben einzugehen, die von den Auflagen Nrn. 8 und 9 betroffen sind. Für eine auch insoweit funktionslos gewordene Ortsgestaltungssatzung streitet hier – insbesondere auch angesichts der sich in der Gerichtsakte sowie in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Lichtbildaufnahmen – nach summarischer Prüfung nichts. Allein eine fehlende Homogenität der Gestaltung reicht nach den obigen Darlegungen zu der Rechtsprechung des Senats jedenfalls nicht aus.

OLG Zweibrücken zu der Frage, dass bei der gebotenen Gesamtbetrachtung beim Einbau einer Küche für den bestimmungsgemäßen Gebrauch eines neu errichteten Wohnhauses ein Bauvertrag vorliegt

OLG Zweibrücken zu der Frage, dass bei der gebotenen Gesamtbetrachtung beim Einbau einer Küche für den bestimmungsgemäßen Gebrauch eines neu errichteten Wohnhauses ein Bauvertrag vorliegt

vorgestellt von Thomas Ax

1. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung liegt beim Einbau einer Küche für den bestimmungsgemäßen Gebrauch eines neu errichteten Wohnhauses ein Bauvertrag vor. Aus Sicht des Kunden rechtfertigt die Bestellung der Einbauküche bei einem Küchenstudio den im Vergleich zum Discounter-Möbelhaus deutlich höheren Gesamtpreis, da der “Profi” sicherstellen soll, dass Planung und Montage aufeinander abgestimmt sind, wodurch die Funktionsfähigkeit der professionell geplanten und entsprechend montierten Küche gewährleistet werden (zur Berücksichtigung planerischer Elemente vgl. Retzlaff, in: Grüneberg, 82. Aufl. 2023, § 650 BGB, Rn.7). Aus Sicht des Küchenstudios gilt nichts anderes, da branchenüblich diese Aspekte beworben und eingepreist werden.
2. Eine formularmäßige Skontoklausel, nach der der gesamte Zahlbetrag “fällig bis zum Tage der Lieferung und Rechnungsstellung” sein soll, ist wegen unzulässiger Einschränkung des Zurückbehaltungsrechts des Kunden unwirksam.
3. Erklärt eine Skontoklausel die Rechnungsstellung als maßgeblich für die Fälligkeit, benachteiligt dies den Kunden ebenfalls unangemessen.
4. Die zeitliche Einschränkung der Zahlung “am Tage der Lieferung und Rechnungsstellung” benachteiligt den Kunden unangemessen, da hierdurch die Notwendigkeit einer Mahnung entfällt. Dies gilt unabhängig davon, dass eine Bar- oder Sofortzahlung dem Kunden auch nicht zumutbar ist, wobei sich die faktische Einschränkung der Zahlungsmethode sowohl als eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB darstellt als auch – selbst bei Individualabreden – nach § 312 a Abs. 4 Nr. 1 BGB unwirksam ist.
5. Die Vereinbarung der Zahlung eines “Skontobetrags”, der mehr als 20 % des “Küchengesamtpreises” ausmacht, ist als Vertragsstrafe zu werten und aufgrund dieses Umfangs unwirksam.
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25.06.2024 – 5 U 38/23

Gründe

I.

Der Kläger fordert als Inhaber eines Küchenstudios restliche Zahlung für eine Einbauküche im neu zu errichteten Einfamilienhaus der in … wohnhaften Beklagten. Die Parteien streiten insbesondere darum, ob die Voraussetzungen für die Gewährung eines sog. “Skontos” i.H.v. 15.567,40 Euro (entspricht über 20 % des zunächst aufgerufenen Küchengesamtpreises von über 70.000,- Euro) gemäß Rechnung vom 27.11.2020 vorliegen und ob hinsichtlich des am 03.03.2021 zusätzlich in Rechnung gestellten Frontmaterials in Höhe von 1.134,07 Euro brutto eine separat zu vergütende Zusatzbeauftragung vorliegt.

Widerklagend fordern die Beklagten u.a. die Durchführung von diversen Nachbesserungsarbeiten in Bezug auf den Öffnungsmechanismus des Mülleimerschranks, den Sicherheitsablauf der Spülbecken, die Belastbarkeit der Küchenarbeitsplatte, die Funktionsfähigkeit der großen Schubladen bei Beladung mit 50 kg, das Spaltmaß der Türen und Schubladenauszüge und die push-to-open Funktion der Vitrinenaufsatzschränke.

In der Auftragsbestätigung vom 20.02.2018 (Anlage K1, eA I 6) wird im Anschluss an die Artikelbezeichnung der Preis wie folgt ausgewiesen:

“Preis für hochwertige Manufakt-Küche Euro 43.500,00 + Preis für Elektrogeräte Euro 10.075,00 + Preis für weitere Elektrogeräte, Arbeitsplatten und Zubehör Euro 17.895,00 = Küchengesamtpreis Euro 71.470,00 Gesamtskonto bei genannten Zahlungsbedingungen Euro15.970,00.”

Die zunächst fälschlicherweise 19 % MWSt ausweisende Rechnung vom 27.11.2020 wurde auf Hinweis des Beklagten (Mail vom 05.12.2020, Anlage B 1) auf eine reduzierte MWSt von 16 % geändert (Mail der Zeugin …, Tochter und Mitarbeiterin des Klägers, vom 07.12.2020, Anlage B 2), wodurch sich in der modifizierten Rechnung der noch zu zahlende Betrag entsprechend reduzierte.

Zum Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht – Einzelrichter – hat die Klage nach persönlicher Anhörung des Beklagten 1) und Vernehmung dreier Zeugen als unbegründet abgewiesen und der Widerklage nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen für Einbauküchen … weitestgehend stattgegeben. Wegen der Begründung wird auf das angegriffene Urteil verwiesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit welcher er sein Klagebegehren vollständig weiterverfolgt und die Abweisung der Widerklage begehrt. Dies begründet er im Wesentlichen wie folgt: Das Landgericht sei bezüglich des Skontobetrags rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, bei Zahlung der Beklagten sei die Forderung noch nicht fällig gewesen. Es handele sich um eine echte Skontovereinbarung; als reine Preisabsprache unterliege diese nicht der AGB-rechtlichen Kontrolle. Die Montage des Quookers in Form eines Anschlusses an das Stromnetz sei nicht vom Ursprungsauftrag umfasst, sondern erst nachträglich erfolgt und im Übrigen nach den in der Auftragsbestätigung genannten Preisen gesondert zu vergüten, weswegen nunmehr eine weitere (nicht streitgegenständliche) Rechnung über 141,97 Euro (Anlage BB1) gestellt werde. Einen Anspruch aus der Zusatzrechnung vom 03.03. 2021 für die Deckenblenden habe das Landgericht aufgrund fehlerhafter Beweiswürdigung ohne Glaubwürdigkeitsabwägung verneint. Die Zeugin … habe den Vortrag des Klägers über eine Vergütungsvereinbarung bestätigt; der Zeuge … sei bei diesem Gespräch überhaupt nicht anwesend gewesen. Hinsichtlich der Widerklage sei das Landgericht rechtsfehlerhaft von Mängeln ausgegangen. Der Mülleimerschrank sei entsprechend der Montageanleitung des Schrankherstellers Simatic mit nur einem Auslöser pro Seite montiert worden. Neben dem vorhandenen Mittelsteg sei ein weiterer “Sicherheitsablauf” nicht erforderlich, da nur Sorge getragen werden müsse, dass eben nicht beide Becken verschlossen sind.Im Übrigen hätten die Beklagten aus optischen Gründen auf einen Sicherheitsablauf verzichtet, wobei die Unergiebigkeit der Zeugenangaben zu Lasten der Beklagten gehen müssten, da die Beweislast für das Vorliegen eines Mangels die Beklagten treffe. Bezüglich der Arbeitsplatte sei das “Merkblatt” nicht verbindlich, eine Traglast oberhalb der vorhandenen 37,9 kg nicht nachvollziehbar; eine solch hohe Druckbelastung sei ohnehin nur durch Fehlgebrauch zu erreichen.

Der Kläger beantragt mit seiner Berufung:

das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 24.03. 2023, Az.: 9 O 45/21, abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger Euro 16.701,47 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.05. 2021 zu zahlen sowie

die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagten beantragen:

1. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichtes Frankenthal vom 24.03.2023, Az. 9 O 45/21 teilweise abgeändert und der Kläger verurteilt, die Türen und Schubladenauszüge horizontal und vertikal so einzustellen, dass diese flächenbündig und mit gleichem Spaltmaß schließen, sowie die Türen vor den Vitrinenaufsatzschränken mit Tablettauszügen so zu installieren, dass diese nach dem Öffnen der Türen bestimmungsgemäß herausgezogen werden können, ohne an die Türen zu stoßen bzw. sich daran zu verklemmen.

Der Kläger beantragt ferner,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagten greifen mit ihrer Berufung das erstinstanzliche Urteil insoweit an, als ihre Widerklage in Bezug auf das Nachbesserungsbegehren für die behaupteten Mängel Spaltmaß und Vitrinenschränkchen abgewiesen wurde. Bezüglich der Spaltmaße habe das Landgericht, welches eine Veränderung der Spaltmaße durch Gebrauch für möglich hielt, nicht hinreichend gewürdigt, dass erstinstanzlich mehrfach Beweis dafür angeboten wurde, dass die Spaltmaße seit dem Aufbau der Küche zu keinem Zeitpunkt korrekt gewesen seien. Bezüglich der Vitrinenschränke mit Tablettauszügen habe der Privatsachverständige … (Anlage B 9) festgestellt, dass für eine echte “push-to-open”-Funktion die falschen Scharniere mit Rückholfeder verbaut worden seien. Im Übrigen verteidigen die Beklagten die angefochtene Entscheidung.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf die dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

I. Die nach § 511 ZPO statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig, bietet in der Sache indes offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das angefochtene Urteil hält berufungsrechtlicher Prüfung offensichtlich stand (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), denn die Kammer hat die Klage zu Recht abgewiesen und der Widerklage im tenorierten Umfang zu Recht stattgegeben. Auch die übrigen Voraussetzungen für eine Beschlusszurückweisung des Rechtsmittels iSd § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 ZPO liegen vor.

1. Das Landgericht hat einen Zahlungsanspruch in Höhe des beklagtenseits in Abzug gebrachten “Skontobetrags” iHv 15.567,40 Eurozu Recht verneint. Zum einen hält die Klausel AGB-rechtlicher Kontrolle nicht stand und verstößt darüber hinaus gegen allgemeine Verbraucherschutzvorschriften. Schließlich ist die Klausel in Verbindung mit der übrigen Vorgehensweise des Klägers als treuwidrig anzusehen.

a. Anders als das Landgericht wertet der Senat den am 20.02.2018 geschlossenen Vertrag zur Planung, Lieferung und Montage der Einbauküche samt Elektrogeräten (Auftragsbestätigung K 1, eA I 6 ff.) bei der gebotenen Gesamtbetrachtung (vgl. bereits BGH, Urteil vom 15. Februar 1990 – VII ZR 175/89 -, ) nicht als Kaufvertrag mit Montageverpflichtung nach § 434 Abs. 2 BGB, sondern als gemischten Vertrag mit dem Schwerpunkt Bauvertrag iSd § 650 a BGB (zu einer Einbauküche BGH, Urt. v. 19.07.2018 – VII ZR 19/18). Aus Sicht des Kunden rechtfertigt die Bestellung der Einbauküche bei einem Küchenstudio den im Vergleich zum Discounter-Möbelhaus deutlich höheren Gesamtpreis, da der “Profi” sicherstellen soll, dass Planung und Montage aufeinander abgestimmt sind, wodurch die Funktionsfähigkeit der professionell geplanten und entsprechend montierten Küche gewährleistet werden (zur Berücksichtigung planerischer Elemente vgl. Retzlaff, in: Grüneberg, 82. Aufl. 2023, § 650 BGB, Rn.7). Aus Sicht des Küchenstudios gilt nichts anderes, da branchenüblich diese Aspekte beworben und eingepreist werden. Der Kläger schuldete nicht nur die Lieferung einzelner typisierter Möbelstücke und Geräte, sondern zunächst Beratung und Planung (Beratungstermin am 31.08.2017, Erstellen des Anforderungsprofils am 08.12.2017, erste Angebotspräsentation am 17.01.2018, Übergabe der Visualisierung gemäß Anlage B 13, eA I 101, und Auftragserteilung am 20.02.2018) sowie alsdann Lieferung und Zusammensetzen der Möbel sowie den plangerechten Einbau (im Herbst/Winter 2020). Damit war unter Verwendung von vertretbaren Sachen ein unvertretbares, gerade für die Bedürfnisse und Zwecke der Beklagten geeignetes, in deren neu zu errichtenden Wohnhaus passgenau zu integrierendes Werk herzustellen (vgl. BGH, aaO, Rn 8 mwN; für einen an die Räumlichkeiten angepassten Treppenlifter OLG Hamm, Urteil vom 10. Dezember 2020 – I-4 U 81/20 -). Da der Einbau einer Küche für den bestimmungsgemäßen Gebrauch eines neu errichteten Wohnhauses von wesentlicher Bedeutung ist, liegt ein Bauvertrag iSd § 650 a Abs. 1 S.1, Abs. 2 BGB vor. Dagegen begründet der (Ein-)Bau eines Teils eines Gebäudes keinen Verbraucherbauvertrag iSd § 651 i Abs. 1 BGB. Nach alledem liegt ein (einfacher) Verbrauchervertrag (§§ 13,14, 312 BGB) in Form eines Bauvertrags (§ 650 a BGB) vor.

b. Die “Skontovereinbarung” ist aus mehreren, voneinander unabhängigen Gründen unzulässig. Die nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten (§ 138 Abs. 3 ZPO) vom Kläger in einer Vielzahl von Fällen verwendeten und hier mit der Auftragsbestätigung wirksam in den Vertrag einbezogene, als “Zahlungsvereinbarung” bzw. als “Skonto” bezeichnete Klausel stellt eine Geschäftsbedingung nach §§ 305 ff. BGB dar, welche sich nach §§ 307 ff. BGB als unwirksam erweist.

aa. Zunächst einmal schränkt die Klausel das dem Kunden nach § 320 BGB zustehende Zurückbehaltungsrecht in unzulässiger Weise ein, was einen Verstoß gegen § 309 Nr. 2 lit. b BGB (Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit) darstellt. Indem der gesamte Zahlbetrag “fällig bis zum Tage der Lieferung und Rechnungsstellung” erklärt wird, besteht für den Kunden keine Möglichkeit, die Zahlung aufgrund von Mängeln zurückzuhalten oder nur zum Teil zu zahlen, möchte er sich nicht der Forderung des (wesentlich) höheren Preises aussetzen. Dem reinen Wortlaut zufolge, auf welchen sich der Kläger hier stützt, würde die Regelung bedeuten, dass der Kunde nur die Wahl hätte, unabhängig von der Vollständigkeit der geschuldeten Leistung (Montage), der Mangelfreiheit und der Abnahme der Leistung den vom Kläger in Rechnung gestellten “Sonderpreis” zu zahlen oder auf den Preisnachlass verzichten zu müssen. Dies ist angesichts des Umfangs der in Aussicht gestellten Vergünstigung keine freie Wahlmöglichkeit, weder in Bezug auf den nominal hier über 15.000 Euro betragenden Wert noch im Verhältnis zu dem weit über 20 % des “Küchengesamtpreis” und damit deutlich über dem brachenüblich bei 1 bis 3 % liegenden echten “Skonto” betragenden Anteil. Durch die somit entstehende Drucksituation wird das Zurückbehaltungsrecht des Kunden unzulässigerweise eingeschränkt (vgl. LG Darmstadt, Urteil vom 6. April 2011 – 25 S 162/10).

bb. Soweit der Wortlaut der Klausel die Rechnungsstellung als maßgeblich für die Fälligkeit erklärt, benachteiligt dies den Kunden ebenfalls unangemessen (vgl. ebenfalls LG Darmstadt, aaO, Rn.26 ff). Eine Rechnung unabhängig von deren Zugang zahlen zu müssen, ist gleichzusetzen mit der Fiktion des Zugangs der Rechnung und verstößt damit gegen § 308 Nr. 6 BGB. Eine mangels angemessener Prüfzeit oder aus sonstigen Gründen nicht prüffähige Rechnung als fällig zu betrachten, trägt das Risiko der Begleichung unberechtigter Forderungen in sich und stellt eine unangemessene Benachteiligung iSd § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB dar. Auch die zeitliche Einschränkung der Zahlung “am Tage der Lieferung und Rechnungsstellung” benachteiligt den Kunden unangemessen, da hierdurch die Notwendigkeit einer Mahnung entfällt, § 309 Nr. 4 BGB. Dies gilt unabhängig von dem Umstand, dass eine Bar- oder Sofortzahlung dem Kunden auch nicht zumutbar ist, wobei sich die faktische Einschränkung der Zahlungsmethode sowohl als eine unangemessene Benachteiligung iSd § 307 Abs. 1 BGB darstellt als auch – selbst bei Individualabreden – nach § 312 a Abs. 4 Nr. 1 BGB unwirksam ist. Aufgrund der Ratio dieser Norm hiermit gleichzusetzen ist es, wenn dem Verbraucher vertraglich ein höherer Preis abverlangt wird für den Fall, dass er eine Zahlungsbedingung (Zahlung am Tage der Lieferung und Rechnungsstellung iHv über 27.000 Euro) nicht durch eine gängige und zumutbare Zahlungsmöglichkeit erfüllen kann (vgl. LG Darmstadt, aaO, Rn. 27). Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, die Beklagten hätten den Betrag durch Sofortüberweisung zahlen können, wenden die Beklagten unbestritten ein, über eine solche Möglichkeit nicht zu verfügen; im Übrigen ist diese bei Verbrauchern nicht als gängig anzusehen und stellt wiederum eine unangemessene Benachteiligung des Kunden dar.

cc. Ferner ist die Zahlung des “Skontobetrags” aufgrund ihres Umfangs (hier über 15.000,-Euro, was mehr als 20 % des “Küchengesamtpreises” ausmacht, branchenüblich ist ein Skonto von 1-3 %) als Vertragsstrafe zu werten und damit nach § 309 Nr. 6 BGB unzulässig bzw. als kurzfristige Preiserhöhung iSd § 309 Nr. 1 BGB verboten (ausführlich dazu OLG Karlsruhe, Urteil vom 14. April 2015 – 8 U 144/14 -; OLG Karlsruhe, Urteil vom 22. Juli 2015 – 7 U 20/15 -).

c. Angesichts der Unwirksamkeit der genannten Klausel stellt der als “Sonderpreis” gewährte Zahlbetrag (“Gesamtpreis” abzüglich “Skontobetrag”) die wirksam zwischen den Parteien vereinbarte Vergütung dar, §§ 133,157 BGB.

Nachdem der so vereinbarte Sonderpreis vollständig bezahlt wurde und damit erfüllt ist (§ 362 BGB), steht dem Kläger kein weiterer Vergütungsanspruch mehr zu.

d. Nach alledem kann dahinstehen, ob – wie das Landgericht meint – die hier als unzulässig anzusehenden Zahlungsbedingungen von den Beklagten sogar eingehalten wurden, weil der unstreitig erst zwischen den Jahren eingebaute Quooker als Teil eines einheitlichen Vertrags anzusehen ist. Hierfür spricht jedenfalls, dass dieser in der modifizierten, am 07.12.2024 übersandten Rechnung mit aufgeführt wird.

2. Auch der mit der weiteren Rechnung vom 03.03.2021 geltend gemachte Betrag iHv 1.134,07 Euro brutto für die Frontverkleidung des Hochschranks steht dem Kläger nicht zu.

a. Die nach § 286 ZPO freie Würdigung des Landgerichts, wonach dem Kläger der Beweis für einen vergütungspflichtigen Zusatzauftrag nicht gelungen ist, ist nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger moniert, das Erstgericht hätte die Aussage der Zeugin Philipps nicht aufgrund der entgegenstehenden Angaben des Beklagten in seiner persönlichen Anhörung als entkräftet ansehen dürfen, lässt der Kläger unberücksichtigt, dass – seinen eigenem Vortrag zufolge – es sich um ein Vierausgengespräch gehandelt habe, an dem der beklagtenseits benannte Zeuge … nicht anwesend gewesen sei. Ungeachtet dessen ist der Senat aufgrund der Gesamtumstände, wozu auch die angeblich wegen eines Versehens in der Buchhaltung erst im Laufe des Berufungsverfahrens erfolgte Nachforderung für den Einbau des Quooker zählt, zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger bzw. die für diesen die Vertragsgespräche führende Zeugin … bei der Festlegung des Materials in dem im Herbst 2020 geführten Gespräch selbst nicht von einer Vergütungspflicht ausging. Denn die vom Zeugen … in seiner Vernehmung vor der Kammer bekundete Aussage, die Zeugin … habe ihm gegenüber eingeräumt, man hätte die Blende nicht gesondert berechnet, wenn man sich nicht über die Beklagten geärgert hätte, wertet der Senat dahingehend, dass der Kläger im Nachgang einseitig eine vertraglich nicht vereinbarte Zusatzvergütung festzusetzen sucht. Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der erstinstanzlichen Verhandlung und Beweisaufnahme sowie der zu den Akten gereichten Unterlagen hält der Senat es für nahezu ausgeschlossen, dass der Kläger die Berechnung zunächst lediglich aus Kulanz unterlassen hat, ohne die angebliche zusätzliche Zahlungspflicht zu verschriftlichen bzw. eine etwaige Kulanzleistung ausdrücklich als “Gutschrift” oder “Sonderpreisvereinbarung” auszuweisen.

c. Eine Zahlungsverpflichtung scheitert schließlich an daran, dass nach § 632 Abs. 1 BGB eine Vergütung nur dann als stillschweigend vereinbart gilt, wenn die Herstellung des Werks den Umständen nach nur gegen eine (Zusatz-)Vergütung zu erwarten ist. Dies ist bei einer hochwertigen und hochpreisigen Küche für die Verblendung der Hochschränke indes nicht der Fall. Vielmehr ist aufgrund der vorangegangenen Planungsleistung des Küchenstudios davon auszugehen, dass Verblendungen im Gesamtpreis inbegriffen sind, es sei denn, die Parteien treffen insofern eine ausdrücklich abweichende Vereinbarung. Dies gilt umso mehr, wenn die im Zuge der Planung den Kunden vor der Auftragserteilung ausgehändigte Visualisierung (Anlage B 13) die Hochschränke – wie hier – ohne optische Lücke oder Versatz als deckenbündig darstellt. Das (von Anfang an) geschuldete Bausoll ist auch Plänen oder Zeichnungen zu entnehmen.

3. Auch soweit der Kläger mit seiner Berufung die auf die Widerklage erfolgte Verurteilung zur Mängelbeseitigung bezüglich der Positionen Mülleimerschrank, Spülbeckenablauf und Verstärkung der Arbeitsplatte angreift, hat seine Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

a. Zunächst einmal wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffende, ausführliche Begründung der Kammer (S. 12 ff. des angegriffenen Urteils) verwiesen, die sich der Senat ausdrücklich zu eigen macht. Gleiches gilt für die Ausführungen des Gerichtssachverständigen für Einbauküchen … in seinem schriftlichen Gutachten vom 10.08.2022 (zum Mülleiner S. 7 ff, eA I 130 ff; zum Spülbeckenablauf S. 24 ff, eAI 148 und zur Arbeitsplatte S. 26 f., eA I 149 f.) nebst mündlicher Erläuterung (Protokoll vom 07.02.2023, S. 7 ff., eA I 188 ff.). Die Berufung des Klägers zeigt keine Gründe auf, die für eine fehlerhafte Beweiswürdigung durch das Erstgericht sprechen, sondern setzt lediglich seine eigene Beweiswürdigung mit einem für ihn günstigeren Ergebnis an deren Stelle:

b. Die Notwendigkeit, sich zum Betätigen des Mechanismus für das automatisierte Öffnen des Mülleimerschrankes bücken zu müssen, ist als funktionaler Mangel zu qualifizieren. Wie der Sachverständige ausführt, wird der Mechanismus nur aktiviert, wenn man die Front in der unteren Hälfte andrückt, was nicht der üblichen Nutzung einer Küche mit ausziehbarem Mülleimer entspricht.

Unerheblich ist daher, ob die Firma S. als Herstellerin der Küchenmöbel je Seite nur einen Auslöser für ausreichend erachtet, wohingegen dieser Grundsatz nach den Vorgaben der Herstellerin des Auslösemechanismus, der Firma Grass, nur für Fronthöhen bis 28 cm gilt, wohingegen für die hier verbaute Fronthöhe zwei Auslöser pro Seite mit einem Materialpreis von ca. 5 Euro pro Stück notwendig sind, selbst wenn dem Gerichtssachverständigen und ihm folgend dem Landgericht zuzustimmen ist, dass es zur Beurteilung, was Stand der Technik ist, insofern auf die (differenzierten) Vorgaben der Herstellerin des verbauten Mechanismus ankäme.

c. Ebenso stellt das Fehlen eines Spülbeckenablaufs einen Mangel dar, da nach der einschlägigen DIN jede Küchenspüle gegen ein Überlaufen gesichert sein muss. Entgegen der Auffassung des Klägers kann zur Verhinderung eines Überlaufs vom Kunden auch nicht verlangt werden, durchgehend zumindest eines seiner mit einem Steg verbundenen beiden Spülbecken offen zu halten.

Hinsichtlich eines klägerseits vorgetragenen Verzichts der Beklagten auf einen Überlauf hat das Landgericht die Beweislast entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht falsch bewertet. Richtig daran ist lediglich, dass die Beklagten im Falle einer vorherigen Abnahme das Vorhandensein des Mangels zu beweisen hätten. Dies hat die Kammer indes zutreffend bejaht. Dagegen hat der Kläger eine vom ursprünglichen Leistungssoll abweichende anderweitige Absprache als eine für ihn günstige Tatsache nachzuweisen. Dies ist ihm aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht gelungen.

d. Auch die Qualifizierung der vorhandenen Arbeitsplattenstärke als Mangel ist nicht zu beanstanden. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die vom Sachverständigen als für den Stand der Technik maßgeblich erachtete Vorgabe einer Mindesttraglast von 50 kg einer DIN oder dem BIV Merkblatt 2.02 des Bundesverbands Deutscher Steinmetze entstammt. Die unstreitig vorliegende Bruchlast von 37,9 kg wird diesen Vorgaben nicht gerecht. Maßgeblich ist auch nicht, wie der Kläger meint, dass eine höhere Belastung nur durch Fehlgebrauch zu erwarten sei oder diese Vorgaben einem inhaltlich nicht gerechtfertigten Standard entsprechen. Bleibt die konkrete Ausführung hinter dem Stand der Technik zurück, ist sie mangelhaft.

Ungeachtet dessen liegt ein Mangel bereits in dem Umstand, dass die Arbeitsplatte – wie der Sachverständige und ihm folgend die Kammer ausführt – sich durch relativ leichten Druck nach unten durchbiegen lässt. Dies kann offenkundig dazu führen, dass die Arbeitsplatte zum einen nicht mehr ganz waagerecht verläuft und zum anderen an den seitlichen Anschlussstellen “spiel” bekommt, was der zweckbestimmten Verwendung bzw. der Stabilität abträglich wäre.

II. Die Berufung der Beklagten ist mangels Erreichen des Beschwerdewerts lediglich in Form einer Anschlussberufung statthaft. Als solche verliert sie nach § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung, sobald die Berufung des Klägers zurückgenommen oder durch Senatsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird.

Der nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO notwendige Beschwerdewert von über 600,-Euro wird nicht erreicht. Die Kammer hat den Wert der Widerklage durch Beschluss vom 23.03.2023 (eA I 206) auf insgesamt 2.500,- Euro festgesetzt. Davon abweichend beabsichtigt der Senat, den Wert der Widerklage auf insgesamt 800,-Euro festzusetzen. Dabei schätzt er den durch das Landgericht zugesprochenen Teil der Widerklage auf 500,-Euro, nachdem der Sachverständige … die Kosten der Mängelbeseitigung im Termin vom 07.02.2023 (Protokoll S. 11, eA I 192) bzgl. der Positionen Mülleimer, Spülbecken und Arbeitsplatte mit einheitlicher Anfahrt mit 2*5,-Euro + 369,-Euro + 11,-Euro (in Summe 390,-Euro) angibt, wobei der Senat von Nettopreisen ausgeht, was zuzüglich 19 % MWSt einen Betrag von 464,10 Euro bzw. aufgerundet 500,-Euro ergibt. Den Wert des von der Kammer nicht zugesprochenen Teils der Widerklage (bezüglich der Positionen Funktionalität bei einer Schubladenbeladung mit bis zu 50 kg, Spaltmaße der Fronten und Auszugfunktion der Vitrinenaufsatzschränke) schätzt der Senat – ohne gesonderte Anfahrtskosten – auf weitere 300,-Euro. Da der Berufungsantrag der Beklagten (die entgegen der Sollvorschrift des § 520 Abs. 4 Nr. 1 ZPO den Wert des Beschwerdegegenstandes in ihrer Berufung nicht angeben, obwohl die Zulässigkeit ihrer Berufung hiervon abhängt) lediglich die beiden zuletzt genannten Positionen betrifft, geht der Senat von einer Beschwer in der Größenordnung von 200,- Euro aus.

III. Da die Berufung des Klägers keine Aussicht auf Erfolg bietet, legt der Senat ihm aus Kostengründen die Rücknahme seines Rechtsmittels nahe. Im Fall der Rücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

LG Kempten zu der Frage, dass Anordnungen zur Bauzeit auch keine “anderen Anordnungen” i.S.v. § 2 Abs. 5 VOB/B sind

LG Kempten zu der Frage, dass Anordnungen zur Bauzeit auch keine "anderen Anordnungen" i.S.v. § 2 Abs. 5 VOB/B sind

vorgestellt von Thomas Ax

1. Anordnungen zur Bauzeit sind keine Änderungen des Bauentwurfs i.S.v. § 1 Abs. 3 VOB/B. Denn der Bauentwurf beschreibt die erfolgsorientierte Komponente des Werkvertrags. Die Bauzeit gehört nicht dazu.
2. Anordnungen zur Bauzeit sind auch keine “anderen Anordnungen” i.S.v. § 2 Abs. 5 VOB/B (entgegen KG, IBR 2024, 504). Derartige andere Anordnungen setzen eine gesonderte Vereinbarung voraus.
3. Der Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren. Sie beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Der Anspruch aus § 642 BGB entsteht grundsätzlich mit Abschluss des Jahres, in dem die jeweiligen Kosten angefallen sind.
LG Kempten, Urteil vom 27.09.2024 – 11 O 1705/23 Bau (nicht rechtskräftig)

Tatbestand

Mit der am 22.11.2023 eingereichten Klage macht die Klägerin gegen die Beklagte Entschädigungsansprüche wegen nutzloser Vorhaltung von Leitungspersonal und Zinsforderungen geltend.

Die Klägerin betreibt ein Unternehmen zur Montage, Programmierung, Anschluss und Einrichtung von Medientechnik. Sie hat für die Beklagte die Einrichtung des Projekts ###-Halle ### mit Medientechnik wahrgenommen.

Das Projekt umfasste die Sanierung und bedarfsgerechte Erweiterung der ###-Halle ###. Dabei sollte das Bestandsgebäude der ###-Halle erhalten und mit weiteren Gebäudeteilen umbaut werden, welche zusätzliche Räumlichkeiten für Versammlungen enthalten sollten.

Der Auftrag zur Wahrnehmung des Gewerks Audiovideo-Medientechnik ist der Klägerin am 25.04.2016 erteilt worden.

Wegen des weiteren Inhalts des abgeschlossenen Vertrags wird auf die Anlagen K1 – 3 Bezug genommen.

Mit der Klage macht die Klägerin Entschädigung wegen Bauzeitverzögerung für die Zeiträume vom 19.06.2017 bis zum 31.12.2017 (135 Arbeitstage) und vom 01.04 bis 30.06.2018. (60 Arbeitstage) geltend.

Mit Schriftsatz vom 02.04.2024 erhob die Beklagte die Einrede der Verjährung.

Die Klägerin behauptet, dass sich für die Zeiträume vom 19.06.2017 bis zum 31.12.2017 und vom 01.04 bis 30.06.2018 insgesamt 2.270 Stunden nutzloser Vorhaltung für ihr Leitungspersonal ergeben hätten. Insgesamt sei der Klägerin unter Berücksichtigung eines ebenfalls geltend gemachten Zinsschadens ein Gesamtschaden in Höhe von Euro 258.834,19 entstanden.

Anspruchsgrundlage für die Forderung der Klägerin seien § 642 BGB und § 2 Abs. 5 VOB/B.

Die Forderung sei auch entgegen der Auffassung der Beklagten nicht verjährt, da die Parteien im Zeitraum vom 15.11.2017 bis zum 17.10.2022 Verhandlungen geführt hätten, aufgrund derer die Verjährung gehemmt worden sei.

Die Klägerin beantragt daher:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Euro 258.834,19 nebst 9 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird zur Zahlung eines Verzugsschadensersatzes in Höhe von Euro 3.509,19 nebst 9 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit verurteilt.

Die Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass sich Ansprüche der Klägerin jedenfalls nicht aus § 2 Abs. 5 VOB/B ergeben würden. Im Übrigen entspreche die von der Klägerin vorgetragene Berechnung der Entschädigung gemäß § 642 BGB nicht den Vorgaben der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 30.01.2020, Az.: VII ZR 33/19).

Schließlich seien die Ansprüche der Klägerin verjährt. Die Einrede der Verjährung sei insoweit zu erheben. Ausreichende Hemmungstatbestände ergäben sich aus der von der Klägerin vorgelegten Kommunikation nicht.

Das Gericht hat am 31.07.2024 mündlich zur Sache verhandelt. Beweis wurde nicht erhoben. Wegen des Inhalts der durchgeführten Verhandlung wird auf das zur Sitzung vom 31.07.2024 gefertigte Protokoll Bezug genommen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 31.07.2024 gingen noch Schriftsätze der Klagepartei vom 13.08.24, 28.08.24 und 25.09.2024 sowie ein Schriftsatz der Beklagtenpartei vom 20.08.2024 bei Gericht ein.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Ansprüche der Klägerin aus § 642 BGB sind verjährt, da die für diesen Anspruch maßgebliche dreijährige Verjährungsfrist bei Einreichung der Klage am 23.11.2023 bereits abgelaufen war.

Der Einwand der Klägerin, dass zwischen den Parteien während des Laufs der Verjährungsfrist Verhandlungen über den geltend gemachten Anspruch iSv § 203 BGB mit der Folge stattgefunden hätten, dass die Verjährungsfrist zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage noch nicht abgelaufen war, ändert nichts daran, dass die geltend gemachten Ansprüche bei Einreichung der Klage bereits verjährt waren.

1. Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der Kosten für unproduktiv vorgehaltenes Leitungspersonal ist § 642 BGB (vgl. BGH NJW 2020, 1293 ff.).

Entgegen der Auffassung des Klägervertreters stehen der Klägerin daneben keine Ansprüche aus § 2 Abs. 5 VOB/B zu, da Anordnungen zur Bauzeit weder als Änderung des Bauentwurfs noch als sonstige andere Anordnungen im Sinne von § 2 Abs. 5 VOB/B anzusehen sind.

a. Anspruchsgrundlage für die klägerseits geltend gemachten Kosten für unproduktiv vorgehaltenes Leitungspersonal ist § 642 BGB.

b. Daneben stehen der Klägerin wegen der geltend gemachten Kosten keine Ansprüche aus § 2 Abs. 5 VOB/B zu, da das darin geregelte Anordnungsrecht des Auftraggebers die vorliegend ausgesprochenen bauzeitlichen Anordnungen grundsätzlich nicht erfasst. Denn der Bauentwurf beschreibt die erfolgsorientiere Komponente des Werkvertrags. Die Bauzeit gehört dazu nicht.

Das gilt auch, soweit die den Bauentwurf ändernden Anordnungen zu einer Änderung der Bauzeit zwingen. Es besteht keine Notwendigkeit, insoweit Werkerfolg und Bauzeit zu verknüpfen. Die notwendige Anpassung findet auch ohne eine Anordnung des Auftraggebers statt. Ist keine Bauzeit vereinbart, gilt nach geänderter Leistung die dafür erforderliche Zeit, § 271 BGB. Ist eine Bauzeit vereinbart, muss diese in ergänzender Vertragsauslegung an die geänderten Verhältnisse angepasst werden, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben (Kniffka/Koeble, Teil 4 Der Werklohnanspruch des Auftragnehmers Rn. 167, beck-online; vgl. auch BeckOK VOB/B/Kandel, 55. Ed. 1.5.2024, VOB/B § 2 Abs. 5 Rn. 46, beck-online).

Anordnungen, die den Bauinhalt unberührt lassen und nur die Bauumstände regeln, sind lediglich als sonstige Anordnung denkbar (Thode ZfBR 2004, 214; Kapellmann/Messerschmidt/Lederer § 1 Rn. 54; aA lngenstau/Korbion Rn. 20, § 1 Abs. 3 Rn. 7). Sie setzen daher zu Ihrer Wirksamkeit, da von § 1 Abs. 3 nicht gedeckt, eine gesonderte Vereinbarung voraus (BeckOK VOB/B/Kandel, 55. Ed. 1.5.2024, VOB/B § 2 Abs. 5 Rn. 44, beck-online).

2. Die dreijährige Verjährungsfrist für Ansprüche aus § 642 BGB beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 BGB).

Für die geltend gemachten Kosten für den Zeitraum vom 09.06.2017 bis 31.12.2017 ist der Anspruch aus§ 642 BGB danach am 01.01.2018 entstanden.

Für die geltend gemachten Kosten für den Zeitraum vom 01.04 bis 30.06.2018 ist der Anspruch aus § 642 BGB am 01.01.2019 entstanden.

a. Der Entschädigungsanspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB von drei Jahren (Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 4. Auflage 2022 § 642 BGB Rn. 51)

b. Dieser Anspruch aus § 642 BGB entsteht grundsätzlich mit Abschluss des Jahres, in dem die jeweiligen Kosten angefallen sind.

aa. Bei § 642 BGB handelt es sich um einen eigenständigen Entschädigungsanspruch der unabhängig von der Fälligkeit der Werklohnforderung entsteht.

Der Begriff “angemessene Entschädigung” in § 642 1 BGB macht deutlich, dass es sich bei dem Anspruch aus§ 642 BGB nicht um einen umfassenden Schadensersatzanspruch, sondern um einen verschuldensunabhängigen Anspruch sui generis handelt, auf den die Vorschriften der§§ 249 ff. BGB zur Berechnung von Schadensersatz nicht anwendbar sind (BGH, NJW 2020, 1293 Rn. 42, beck-online).

Diese Einstufung hat zur Konsequenz, dass es sich bei diesem nicht um einen vergütungsähnlichen Anspruch handelt, der als unselbständiger Rechnungsposten gemeinsam mit der Werklohnforderung fällig wird (a.A. Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch 82. Auflage 2023 § 642 Rn. 6a.). Es gibt auch keinen vernünftigen Grund, die Entstehung des Anspruchs aus§ 642 BGB von der Stellung der Werklohnforderung abhängig zu machen, die ihrerseits eine Abnahme erfordert.

§ 642 BGB setzt nach seinem Wortlaut nur voraus, dass der Besteller durch das Unterlassen einer Handlung, die bei der Herstellung des Werks erforderlich ist, in Annahmeverzug gerät. Dass für diesen Anspruch die Erstellung einer Schlussrechnung erforderlich ist, die ihrerseits eine Abnahme erfordert, ist dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmen.

Gegen die Annahme, dass es sich bei § 642 BGB um einen unselbständigen Rechnungsposten handelt, der gemeinsam mit der Werklohnforderung fällig wird, spricht auch der in § 642 BGB verwendete Begriff “Entschädigung”. Für die Kammer wäre auch nicht erklärlich warum für einen Anspruch aus § 642 BGB, dessen Grundlage gerade die bestellerseitig veranlasste Untätigkeit des Unternehmers ist, eine Abnahme sein sollte, die unbeschadet etwaiger Abnahmesurrogate zwingende Voraussetzung für die Fälligkeit einer Schlussrechnung ist. Es geht insoweit hin­ sichtlich des unproduktiv vorgehaltenen Leitungspersonals gerade nicht darum, die Werkleistung des Unternehmers auf dessen Mangelfreiheit hin zu überprüfen. § 642 BGB gewährt nach seinem Sinn und Zweck dem Unternehmer eine angemessene Entschädigung dafür, dass er während des Annahmeverzugs des Bestellers infolge Unterlassens einer diesem obliegenden Mitwirkungshandlung Personal, Geräte und Kapital, also die Produktionsmittel zur Herstellung der Werkleistung, bereithält (vgl. BGH NJW 2020, 1293).

Gegen die Annahme eines unselbständigen Rechnungsposten spricht auch nicht, dass für die zu gewährende Entschädigung gern. § 642 Abs. 2 BGB die “Höhe der vereinbarten Vergütung” zu berücksichtigen ist, da diese Regelung lediglich für die Höhe des Anspruchs gemäß § 642 BGB maßgeblich ist.

bb. Dieser Entschädigungsanspruch entsteht spätestens mit Beendigung des für die geltend gemachten Kosten maßgeblichen Annahmeverzugs.

Die Verjährung beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den, den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (Kleine-Möller/Merl/Glöckner, PrivBauR-HdB, § 17. Behinderung Rn. 103, beck-online).

Nachdem der Bundesgerichtshof als zeitliches Kriterium für die Bemessung der Entschädigungshöhe aufgrund des Wortlauts des § 642 Abs. 2 BGB auf die Dauer des Annahmeverzugs abgestellt hat, mithin eine Entschädigung nach § 642 BGB auch nur für diesen Zeitraum beansprucht werden kann (BGHZ 216, 319 = NJW 2018, 544 Rn. 28), entsteht der Anspruch aus § 642 BGB spätestens mit Beendigung des für die geltend gemachten Kosten maßgeblichen Annahmeverzugs.

cc. Die Verjährungsfrist für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB beginnt daher aufgrund der obigen Ausführungen für den klägerseits genannten Zeitraum vom 19.06.2017 bis zum 31.12.2017 mit dem 01.01.2018. Für den klägerseits benannten Zeitraum vom 01.04 bis 30.06 beginnt die Verjährungsfrist für den diesbezüglichen Anspruch aus § 642 BGB mit dem 01.01.2019 zu laufen.

3. Zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage am 22.11.2023 war die dreijährige Verjährungsfrist für die geltend gemachten Ansprüche bereits abgelaufen.

a. Die ab 01.01.2018 laufende Verjährungsfrist für die geltend gemachten Ansprüche für den Zeitraum vom 19.06.2017 bis zum 31.12.2017 lief grundsätzlich am 31.12.2020 ab.

Die ab 01.01.2019 laufende Verjährungsfrist für die geltend gemachten Ansprüche für den Zeit­ raum vom 01.04.2018 bis 30.06.2018 lief grundsätzlich am 31.12.2021 ab.

Die am 22.11.2023 eingereichte Klage konnte die bereits zuvor eingetretene Verjährung nicht unterbrechen. Insbesondere konnte die Klägerin nicht darlegen, dass für den maßgeblichen Zeit­ raum bis zur Klageeinreichung ausreichende Verhandlungen im Sinne von § 203 BGB geführt worden sind, die die Verjährung der geltend gemachten Ansprüche bis zur Einreichung der Klage gehemmt haben.

b. Der Einwand der Klägerin, dass zwischen den Parteien während des Laufs der Verjährungsfrist Verhandlungen über den geltend gemachten Anspruch iSv § 203 BGB mit der Folge stattgefunden hätten, dass die Verjährungsfrist zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage noch nicht abgelaufen war, ist unzutreffend.

Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB hat die Klägerin mit der Beklagten nur für die Zeiträume vom 01.01.2018 bis 19.02.2018, dem 02.03.2020 bis 20.05.2020, dem 10.08.2021 bis

29.09.2021 und 07.10.2022 bis 28.11.2022 geführt.

Im Übrigen sind Verhandlungen zwischen den Parteien aufgrund des bis 31.07.2024 (Schluss der mündlichen Verhandlung) unterbreiteten Sachvortrags nicht gegeben.

aa. Der Begriff von Verhandlungen im Sinne des § 203 Satz 1 BGB ist verwirklicht, wenn der Gläubiger klarstellt, dass er einen Anspruch geltend machen und worauf er ihn stützen will. Anschließend genügt jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen, sofern der Schuldner nicht sofort und erkennbar die Leistung ablehnt. Verhandlungen schweben schon dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen Seite die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein (BGH, ZfBR 2017, 253, beck-online).

Hierbei ist zu berücksichtigten, dass nicht schon die Anfrage der einen oder anderen Seite genügt, sondern dass es auf die Einlassung des Gegners auf den Meinungsaustausch ankommt. Erfolgt diese freilich, ist der Beginn der Verhandlungen auf das Einleitungsschreiben zurückzudatieren (BGH ZIP 2014, 687 Rn 2; vgl BGHZ 213, 213 = ZIP 2017, 236 Rn 20). Dabei genügt aber keine bloße formularmäßige Eingangsbestätigung (Palandt/Ellenberger Rn 2), wohl aber der Hinweis auf eine spätere Antwort. Dabei kommt es darauf an, dass sich die andere Seite tatsächlich auf Verhandlungen einlässt. Es genügt nicht, dass sie dazu – etwa auf Grund einer Verhandlungs- oder Mediationspflicht – verpflichtet ist (Staudinger/Peters/Jacoby (2019) BGB§ 203, Rn. 9).

Nach § 203 Satz 1 BGB ist die Verjährung im Fall schwebender Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände gehemmt, bis der eine oder andere Teil die Fortsetzung der Verhandlung verweigert. Für eine Beendigung der Hemmung reicht es auch aus, wenn die Verhandlungen beidseits nicht fortgesetzt werden, sie – bildlich gesprochen – einschlafen. Dies hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zu § 852 Abs. 2 BGB aF entschieden (BGH, Urteil vom 6. März 1990 – VI ZR 44/89, VersR 1990, 755, 756; vom 5. November 2002 – VI ZR 416/01, BGHZ 152, 298, 303; vom 1. März 2005 – VI ZR 101/04, NJW-RR 2005, 1044, 1047). Diese Grundsätze haben auch im Anwendungsbereich des§ 203 Satz 1 BGB Geltung. Dies war nicht nur der eindeutige Wille des Gesetzgebers, sondern diese Auslegung entspricht Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften, innerhalb angemessener Fris­ten für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu sorgen (BGH, Urteil vom 6. November 2008 – IX ZR 158/07, NJW 2009, 1806 Rn. 12). Die Verhandlungen sind in diesem Sinne zu dem Zeitpunkt “eingeschlafen”, in dem spätestens eine Erklärung der anderen Seite zu erwarten gewesen wäre (BGH, ZfBR 2017, 253, beck-online)

Feste Fristen, wann Verhandlungen einschlafen, bestehen nicht. Der Zeitraum, den man dem einen Teil zur Reaktion auf die Äußerung des anderen Teils einräumen muss, hängt von dem Gegenstand der Verhandlung und der Verhandlungssituation ab (vgl. Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 14. Aufl., § 203 Rn. 6; BGH, ZfBR 2017, 253, beck-online).

Als grober Anhaltspunkt findet sich in der Rechtsprechung mehrfach die Äußerung, dass im Regelfall eine einmonatige Untätigkeit ausreichend sei (OLG Dresden Urt. v. 23.2.2010 – 9 U 2043/08, BeckRS 2010, 29433; OLG Hamm Urt. v. 4.12.2008 – 28 U 25/08, BeckRS 2009, 19107; OLG Koblenz ZGS 2006, 117, 119; OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2018, 25352, Rn. 149).

Im vorliegenden Fall hat die Kammer eine 2-monatige Untätigkeit für das Einschlafen der Verhandlungen als ausreichend angesehen. Hierbei hat die Kammer berücksichtigt, dass die Parteien ausweislich des vorliegenden Schriftverkehrs in den Fällen, in denen konkrete Verhandlungen stattgefunden hatten, regelmäßig innerhalb der angenommenen Frist von 2 Monaten zusammenhängend kommuniziert hatten. Bei der Bemessung dieser Frist hat die Kammer auch die zeitweiligen coronabedingte Einschränkungen in der persönlichen Kommunikation berücksichtigt. Zudem hat die Kammer berücksichtigt, dass die Verhandlungen über abgrenzbare Ansprüche aus § 642 BGB für zwei überschaubare Zeiträume im Jahr 2017 und 2018 geführt wurden. Schließlich hat das Gericht bei der Bemessung der Frist berücksichtigt, dass auf beiden Seiten bereits von Beginn an Rechtsanwälte eingeschaltet waren, so dass die bemessene Frist von 2 Monaten auch vor dem Hintergrund etwaiger zu bewältigender rechtlicher Problemstellungen angemessen erscheint.

bb. Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB hat die Klägerin mit der Beklagten aufgrund des bis 31.07.2024 unterbreiteten Sachvortrags nur für die Zeiträume vom 01.01.2018 bis 08.03.2018, dem 02.03.2020 bis 08.06.2020, dem 10.08.2021 bis 18.10.2021 und 07.10.2022 bis

17.12.2022 geführt.

(1) Verhandlungen wurden zwischen der Klägerin und der Beklagten für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 08.03.2018 (= 66 Tage) geführt.

Die Beklagte lies über ihren Prozessbevollmächtigten am 28.12.2017 mitteilen, dass bisher betreffend die Verzögerungsschäden keine Einigung gefunden worden sei und dass die Beklagte zur Führung weiterer Gespräche nach den Feiertagen ab Anfang Januar 2018 mit dem Ziel einer möglichst umfassenden Einigung bereit sei. Indem die Klägerin mit Schreiben vom 08.01.2018 an die in Aussicht gestellte Aufnahme der Gespräche über den Ersatz der bisherigen Verzögerungskosten erinnerte, haben die Parteien Verhandlungen im Sinne von § 203 BGB geführt. Da die Beklagte ausweislich des klägerischen Vortrags weder auf dieses Schreiben vom 08.01.2018 noch auf die Erinnerungsschreiben vom 22.01.2018, 09.03.2018 in angemessener Zeit reagiert hatte, waren die Verhandlungen spätestens nach Ablauf von 2 Monaten seit dem Schreiben vom 08.01.2018 mithin am 08.03.2018 beendet.

(2) Weitere Verhandlungen wurden zwischen der Klägerin und der Beklagten für den Zeitraum vom 02.03.2020 bis 08.06.2020 (= 98 Tage) geführt.

Weitere Verhandlungen hat die Klägerin erst für den Zeitraum ab 02.03.2020 dargelegt. Mit Schreiben vom 08.04.2020 (K24) hat die Beklagte mitteilen lassen, dass Ansprüche auf Ersatz eines Verzögerungsschadens bisher nicht schlüssig dargelegt worden seien und sich die Beklagte derzeit nicht in der Lage sehe auf Grundlage eines Schreibens der Klägerin vom 02.03.2020 die Höhe eines berechtigten Anspruchs festzustellen. Sofern die Klägerin ihre Darlegung entsprechend anpasse, sei die Beklagte selbstverständlich bereit sich um eine einvernehmliche Lösung zu kümmern. Da die Klägerin ausweislich des klägerischen Vortrags auf dieses Schreiben vom 08.04.2020 nicht in angemessener Zeit reagierte waren die Verhandlungen spätestens nach Ab­ lauf von 2 Monaten mithin am 08.06.2020 beendet.

(3) Auf Grundlage der Schreiben der Klägerin vom 18.12.2020 und 02.03.2021 an die Beklagte sind keine Verhandlungen zwischen den Parteien geführt worden.

Auf die Schreiben der Klägerin vom 18.12.2020 und 02.03.2021 hat die Beklagte aufgrund des bis 31.07.2024 unterbreiteten Sachvortrags offensichtlich nicht innerhalb eines Zeitraumes von 2 Monaten reagiert, so dass aufgrund der beiden Schreiben der Klägerin vom 18.12.2020 und 02.03.2021 keine Verhandlungen zwischen den Parteien im Sinne von§ 203 BGB geführt worden sind.

(4) Weitere Verhandlungen wurden zwischen der Klägerin und der Beklagten für den Zeitraum vom 10.08.2021 bis 18.10.2021 (= 69 Tage) geführt.

Weitere Verhandlungen wurden ausweislich des klägerischen Vortrags aufgrund des zwischen den Parteien wechselseitig geführten Emailverkehrs, in dem die Parteien die Durchführung eines Gesprächstermins wegen der klagegegenständlichen Forderung erörtern beginnend mit der Email vom 10.08.2021 geführt (vgl. hierzu den Inhalt der Emails gemäß Anlage K 38). Da das in diesem zeitlichen Zusammenhang versandte Schreiben der Beklagten vom 18.08.2021 über mehr als 10 Monate unbeantwortet blieb enden die mit Email vom 10.08.2021 initiierten Verhandlungen spätestens mit Ablauf von 2 Monaten seit dem 18.08.2021 mithin am 18.10.2021.

(5) Weitere Verhandlungen wurden zwischen der Klägerin und der Beklagten für den Zeitraum vom 07.10.2022 bis 17.12.2022 (= 71 Tage) geführt.

Da die Beklagte auf das das Schreiben der Klägerin vom 13.06.2022 ausweislich des klägerischen Vortrags nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums von 2 Monaten reagiert hatte, wurden zwischen den Parteien erst mit Schreiben der Klägerin vom 07.10.2022 und der Antwort der Beklagten vom 17.10.2022 weitere Verhandlungen geführt. Im Schreiben der Klägerin vom 07.10.2022 hatte diese der Beklagten eine letzte Frist bis 19.10.2022 zur Rückmeldung eingeräumt um eine “Weiterführung der Verhandlungen” zu erreichen. Die Beklagte beantwortete dieses Schreiben mit Schreiben vom 17.10.2022. In diesem teilte sie mit, dass sie aufgrund der bisherigen Angaben nicht “halbwegs belastbar” beurteilen könne, ob der Klägerin ein Anspruch auf Entschädigung zustehe, so dass ein Gespräch aus Sicht der Beklagten “derzeit” keinen Sinn mache.

Da die Klägerin auf dieses Schreiben der Beklagten vom 17.10.2022 vor Einreichung der Klage am 22.11.2023 nicht mehr geantwortet hatte, enden die Verhandlungen zwischen den Parteien mit Ablauf von 2 Monaten seitdem 17.10.2022 mithin am 17.12.2022.

(6) Die Wiederaufnahme der eingeschlafenen Verhandlungen – die Verhandlungen wurden gemäß den Ausführungen unter Ziffern (2), (4) und (5) wieder aufgenommen – hat nicht eine Hemmung rückwirkend ab dem 01.01.2018 bzw. den 01.01.2019 zur Folge.

Werden beidseits nicht fortgesetzte und deswegen als abgebrochen anzusehende Verhandlungen wieder aufgenommen, kommt eine rückwirkende Hemmung durch die neuen Verhandlungen auf den Zeitpunkt der ersten Verhandlung nicht in Betracht. Für eine Rückwirkung der Hemmung unter wertenden Gesichtspunkten oder bei einem engen zeitlichen Zusammenhang besteht schon kein Bedarf, weil bei Vorliegen besonderer Umstände auch bei längeren Zeiträumen zwischen den Kontakten zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten nicht von einem das Verhandlungsende bewirkenden Einschlafen auszugehen ist (BGH, ZfBR 2017, 253 unter Hinweis auf BeckOGK-BGB/Meller-Hannich, 2016, § 203 Rn. 54).

Solche besonderen Umstände, die gegen das unter den Ziffern (1), (2), (4) und (5) jeweils dargestellte Einschlafen der Verhandlungen sprechen könnten, wurden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.

Im Übrigen muss die Frage, wie die Zeiträume zwischen beendeten und wiederaufgenommenen Verhandlungen verjährungsrechtlich zu bewerten sind, in beiden Fällen des Verhandlungsendes aus systematischen Gründen gleich beantwortet werden, also sowohl in dem Fall, dass Verhandlungen endgültig abgelehnt werden, als auch in dem Fall, dass sie einschlafen. Ein nachvoll­ ziehbarer Grund, eingeschlafene und ausdrücklich abgebrochene Verhandlungen bei der Bewertung ihrer Wiederaufnahme unterschiedlich zu behandeln, ist nicht ersichtlich. Der Gesetzgeber wollte eingeschlafene und abgelehnte Vergleichsverhandlungen im Rahmen des § 203 BGB gleichbehandeln. Dies ergibt sich aus dem Gesetzgebungsverfahren (vgl. ST-Drucks. 14/6857 S. 43; BGH, Urteil vom 6. November 2008- IX ZR 158/07, NJW 2009, 1806 Rn. 12). Hat aber der Verpflichtete die Fortsetzung der Verhandlungen ausdrücklich abgelehnt, würde es ihn unzumutbar belasten, wenn die Hemmung nur deshalb zurückwirkte, weil er später wieder gesprächsbereit ist (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 1. Juli 2013 – 5 U 44/13, nv; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, § 203 Rn. 12; BeckOGK-BGB/Meller-Hannich, 2016, § 203 Rn. 56). Entsprechendes gilt aber auch, wenn der Berechtigte die Verhandlungen einschlafen lässt (BGH, ZfBR 2017, 253).

cc) Auf Basis dieser dargestellten Hemmungszeiträume die einen Zeitraum von insgesamt 304 Tagen umfassen, war festzustellen, dass die Verjährungsfrist für beide Ansprüche vor Einreichung der Klage am 22.11.2024 bereits abgelaufen war.

Der Zeitraum vom 01.01.2021 (Verjährungsbeginn für die geltend gemachten Kosten für den Zeit­ raum vom 09.06.2017 bis 31.12.2017) bis zur Einreichung der Klage am 22.11.2023 beträgt 1055 Tage.

Der Zeitraum vom 01.01.2022 (Verjährungsbeginn für die geltend gemachten Kosten für den Zeit­ raum vom 01.04 bis 30.06.2018) bis zur Einreichung der Klage am 22.11.2023 beträgt 690 Tage.

Vor diesem Hintergrund war die Verjährungsfrist zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage abgelaufen.

5. Weitere Angriffs- und Verteidigungsmittel in den nicht nachgelassenen Schriftsätzen des Klägervertreters vom 13.08.2024 und 28.08.2024 und 25.09.2024 waren nach Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, nicht mehr zu berücksichtigen (§ 296a ZPO).

a. Zwar hat der Klägervertreter in der Sitzung vom 31.07.2024 die Gewährung einer Schriftsatzfrist zum neuen Vorbringen im Schriftsatz der Gegenseite vom 25.07.2024 beantragt. Diese Schriftsatzfrist war jedoch nicht zu bewilligen, da die Voraussetzungen des § 283 ZPO nicht vorgelegen haben.

Soweit die Problematik der Verjährung der klägerischen Ansprüche vor dem Hintergrund etwaiger Hemmungstatbestände betroffen ist, hat der Beklagtenvertreter diesbezüglich keine neuen Tatsachen vorgetragen, sondern lediglich seine Rechtsauffassung zum Vorliegen der Verjährung auf Basis des klägerischen Vortrags dargelegt, so dass bezüglich neuer Tatsachen die Gewährung einer Schriftsatzfrist nicht veranlasst war.

Soweit die im Schriftsatz vom 25.07.2024 vertretene Rechtsauffassung des Beklagtenvertreters zum Vorliegen ausreichender Hemmungstatbestände betroffen ist, handelte es sich diesbezüglich ebenfalls nicht um neue Rechtsausführungen. Vielmehr hatte sich der Klägervertreter bereits mit Schriftsatz vom 10.06.2024 auf dessen Seite 17 und 18 mit den Voraussetzungen des § 203 BGB auseinandergesetzt und die Auffassung vertreten, dass Verhandlungen zwischen den Parteien vom 15.11.2017 bis zum 17.10.2022 geführt worden seien. Dem Klägervertreter war danach bewusst, dass es für Frage, ob Verjährung eingetreten ist, auf die Frage ankommen konnte, ob ausreichenden Verhandlungen zwischen den Parteien geführt worden sind.

b. Die Wiederaufnahme der Verhandlungen ist nicht veranlasst, da ein die Wiederaufnahme recht­ fertigender Grund gemäß § 156 Abs.1, 2 ZPO nicht gegeben ist.

Unbeschadet dessen hätten die Ausführungen der Klagepartei in den nicht nachgelassenen Schriftsätzen nach Schluss der mündlichen Verhandlung keine Auswirkung auf das dargestellte Ergebnis, wonach Verjährung eingetreten ist.

Bei der Behauptung im Schriftsatz der Klägerin vom 13.08.2024, die Beklagte habe im Schriftsatz vom 25.07.2024 neuen Sachvortrag unterbreitet, da sie geäußert habe, dass im Austausch zwischen den Parteien mehrere größeren Unterbrechungen vorhanden gewesen seien, handelt es sich nicht um neuen Sachvortrag der Beklagtenpartei, sondern lediglich um die Bewertung des bisherigen Sachvortrags im Sinne einer Schlussfolgerung, mithin um eine Meinung.

Soweit die Klägerin in beiden Schriftsätzen neue außergerichtliche Schreiben benennt aufgrund derer Verhandlungen geführt worden seien, können diese Schreiben den Eintritt der Verjährung nicht hindern.

Zwar lassen die weiteren nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätze vom 13.08.2024 und 28.08.2024 nebst den als Anlagen vorgelegten Schreiben Rückschlüsse darauf zu, dass die Verjährung gemäß§ 203 BGB auch im Zeitraum vom 18.12.2020 bis 29.05.2021 gehemmt war und dass in dem unter Ziffer (2) abgehandelten Zeitraum die Verhandlungen bereits am 03.02.2020 begonnen haben und bis 08.06.2020 andauerten und dass die Verjährung in dem unter (4) abgehandelten Zeitraum vom 10.08.2021 bis einschließlich 08.11.2021 gemäß § 203 BGB gehemmt war. Schließlich wäre aufgrund des nach Schluss der mündlichen Verhandlung unterbreiteten Vortrags in dem unter Ziffer (5) abgehandelten Zeitraum ein weitergehender Zeitraum vom 30.08.2022 bis 17.12.2022 gemäß§ 203 BGB zu berücksichtigen. Zum Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift war die Verjährungsfrist dennoch abgelaufen.

aa. Soweit das Schreiben der Klägerin vom 18.12.2020 gemäß Anlage K 45 und die Mails der Beklagten vom 19.02.2021, 09.03.2021 und 16.03.2021 und das korrespondierende Schreiben der Klägerin vom 25.02.2021 betroffen sind, kann auf Basis dieses Schriftverkehrs die erneute Aufnahme von Verhandlungen zwar begründet werden vgl. zum Ablauf der Hemmung bei Fristsetzung BGH NJW 2003, 895, 897). Diese erstrecken sich aufgrund der dargestellten Korrespondenz vom 18.12.2020 bis 16.03.2020. Eine Reaktion der Beklagten war aufgrund der Email vom 16.03.2021 bis spätestens 29.05.2021 zu erwarten. Für dieses Ende der Verhandlungen hat die Kammer berücksichtigt, dass der Beklagtenvertreter in der Email vom 16.03.2021 mitgeteilt hatte, dass der zuständige Sachbearbeiter bei der Beklagten bis einschließlich 28.03.2021 im Urlaub war, so dass bis zu diesem Zeitpunkt keine Reaktion erwartet werden konnte. Die Kammer hat ab dem ersten Arbeitstag dieses Mitarbeiters (29.03.2021) unter Berücksichtigung von etwaiger erforderlicher Abstimmungen einen weiteren großzügig bemessenen Zeitraum von 2 Monaten berücksichtigt, nach dessen fruchtlosen Ablauf (29.05.2021) mit einer Reaktion der Beklagten nicht mehr gerechnet werden konnte. Der Hemmungszeitraum umfasste danach 162 Tage.

bb. Soweit der Emailverkehr gemäß Anlage K 49 betroffen ist, ergibt sich aus diesem, dass die Parteien nach dem letzten bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung bekannten Schreiben der Beklagten vom 18.08.2021 (vgl. die Ausführungen unter Ziffer 4) tatsächlich erst aufgrund der Emails der Klägerin und des Beklagten jeweils vom 08.09.2021 endete, so dass die mit Email vom 10.08.2021 initiierten Verhandlungen spätestens mit Ablauf von 2 Monaten seit dem 08.09.2021 mithin am 08.11.2021 endeten. Der Hemmungszeitraum umfasste danach 90 Tage

cc. Soweit die Anlage K 44 betroffen ist, ergibt sich aus dieser, dass der Zeitraum der Verhandlungen gemäß Ziffer (02) aufgrund des in dieser Anlage mitgeteilten Schreibens der Beklagten vom 03.02.2020 bis 08.06.2020 dauerte. Der Hemmungszeitraum umfasste danach 126 Tage.

Auch aus der Anlage K 50 ergibt sich nicht, dass die Parteien zu konkret benennbaren Zeiträumen weitere Verhandlungen geführt haben. Soweit die Email der Klägerin an die Beklagte vom 30.06.2022 betroffen ist, ist bereits nicht erkennbar, dass die Beklagte auf Basis dieser Nachricht die Verhandlungen innerhalb von 2 Monaten wieder aufgenommen hat.

dd. Soweit die Anlage K51 betroffen ist, ist bereits nicht ersichtlich, wieso der Meinungsaustausch der Klägerin mit einem Sachverständigen weitere Verhandlungen zwischen der Klägerin und der Beklagten begründen soll, zumal nicht ersichtlich ist, dass sich die Beklagte des Sachverständigen zur Führung von Verhandlungen bedient hatte/bedienen wollte.

ee. Soweit die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 28.08.2024 auf ein Schreiben vom 30.08.2022 verweist, ist der Inhalt dieses Schreibens nicht bekannt. Sollte die Klägerin tatsächlich mit Schreiben vom 30.08.2022 an die Angelegenheit erinnert haben, wären aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 17.10.2022 Verhandlungen geführt worden. Da ausweislich des klägerischen Vortrag auf dieses Schreiben vom 17.10.20222 nicht in angemessener Zeit reagiert wurde, wären die Verhandlungen spätestens nach Ablauf von 2 Monaten mithin am 17.12.2022 beendet. Der Hemmungszeitraum würde danach weitere 111 Tage umfassen.

c. Anhaltspunkte für ein im Schriftsatz vom 13.08.2024 behauptetes Stillhalteabkommen fehlen. Aus den als Anlage vorgelegten Schriftsätzen geht ein solches durch Angebot und Annahme geschlossene Vereinbarung nicht hervor. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass die Beklagte mit ihrer Bereitschaft, Verhandlungen über die klägerischen Ansprüche zu führen, diese bis zur Klärung der offenen Fragen der Hemmung unterwerfen wollte.

d. Soweit der Beklagtenvertreter schließlich im Schriftsatz vom 28.08.2024 behauptet hat, die Kammer habe in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, dass die Verjährung der Ansprüche aus§ 642 BGB erst nach Stellung der Schlussrechnung eintrete, ist dies unzutreffend, da die Kammer die ihr unterstellte Auffassung in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten hat.

e. Im Ergebnis sind zwar aufgrund der weiteren Schriftsätze der Klägerin vom 13.08.2024 und 28.08.2024 und 25.09.2024 unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen unter Ziffer (1) ff. Verhandlungen für einen Zeitraum von insgesamt 555 Tagen dargestellt worden. Berücksichtigt wurden hierbei die dargestellten Zeiträume vom 01.01.2018 bis 19.02.2018, dem 03.02.2020 bis 08.06.2020, dem 18.12.2020 bis 29.05.2024, dem 10.08.2021 bis 08.11.2021 und dem 28.08.2022 bis 17.12.2022.

An der bei Klageeinreichung bereits eingetreten Verjährung ändert dies jedoch nichts.

OVG NW zu der Frage, dass eine auf Gefahrenbeseitigung gerichtete Ordnungsverfügung auch bei einem durch eine gültige Baugenehmigung gedeckten Gebäude grundsätzlich möglich ist, und zwar insbesondere dann, wenn sie – wie beim Brandschutz – dem Schutz von Leben und Gesundheit dient und dass an die für das Vorliegen einer konkreten Gefahr erforderliche Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts in Bezug auf Leben oder Gesundheit als geschützte Rechtsgüter keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen sind

OVG NW zu der Frage, dass eine auf Gefahrenbeseitigung gerichtete Ordnungsverfügung auch bei einem durch eine gültige Baugenehmigung gedeckten Gebäude grundsätzlich möglich ist, und zwar insbesondere dann, wenn sie - wie beim Brandschutz - dem Schutz von Leben und Gesundheit dient und dass an die für das Vorliegen einer konkreten Gefahr erforderliche Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts in Bezug auf Leben oder Gesundheit als geschützte Rechtsgüter keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen sind

vorgestellt von Thomas Ax

Eine auf Gefahrenbeseitigung gerichtete Ordnungsverfügung ist auch bei einem durch eine gültige Baugenehmigung gedeckten Gebäude grundsätzlich möglich, und zwar insbesondere dann, wenn sie – wie beim Brandschutz – dem Schutz von Leben und Gesundheit dient.
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.08.2024 – 7 B 486/24

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Anträge auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 23 K 951/24 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 18.1.2024, mit der unter Androhung eines Zwangsgelds die Schließung von Öffnungen in Wänden zwischen der Tiefgarage und Treppen ins Freie angeordnet wurde, sowie auf Aufhebung der Vollziehung der zwischenzeitlich getroffenen Brandschutzmaßnahmen abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Ordnungsverfügung vom 18.1.2024 erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Sie finde ihre Rechtsgrundlage in § 58 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW. Sie sei hinreichend bestimmt. Ihr stehe die formelle Legalität der Tiefgarage aufgrund der Baugenehmigung vom 15.1.2019 einschließlich des Brandschutzkonzepts vom 6.9.2017 nicht entgegen, im Übrigen komme ein Einschreiten aus Gründen des Brandschutzes ausnahmsweise auch bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen in Betracht. Die Voraussetzungen hierfür seien gegeben, da ein Verstoß gegen § 35 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i. V. m. § 35 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW vorliege und eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit der Nutzer der Tiefgarage bestehe. Auf der Rechtsfolgenseite habe die Antragsgegnerin ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt und insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt. Auch unabhängig von der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Ordnungsverfügung falle eine allgemeine, vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens losgelöste Interessenabwägung zum Nachteil der Antragstellerin aus. Die Zwangsgeldandrohung sei rechtmäßig. Ein Anspruch auf Aufhebung der Vollziehung bestehe ebenfalls nicht.

Das dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen führt nicht zur Änderung der angefochtenen Entscheidung.

1. Das Beschwerdevorbringen erschüttert nicht die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Öffnungen in den Wänden zwischen der Tiefgarage und den Treppen nicht gegen § 35 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i. V. m. § 35 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW verstoßen.

Die Antragstellerin beruft sich zunächst ohne Erfolg darauf, § 35 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BauO NRW seien auf eingeschossige Tiefgaragen nicht anwendbar. Dies ergibt sich nicht schon aus der Formulierung “aus den Geschossen” in § 35 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW. Daraus folgt nicht, dass die Norm nur auf mehrgeschossige Gebäude anwendbar wäre. Vielmehr zeigt die Bezugnahme auf die Regelung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW durch die Verwendung des Begriffs der “notwendigen Treppe“, dass Anknüpfungspunkt des § 35 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW das Vorhandensein einer Treppe aus einem nicht zu ebener Erde liegenden Geschoss ist.

Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Antragstellerin in Bezug genommenen Zweck der Regelung, die Feuerwehr im Brandfall zu schützen und eine Fluchtmöglichkeit aufrechtzuerhalten. Diese Ziele erfordern auch bei einer Treppe, die unmittelbar aus einem eingeschossigen Gebäude ins Freie führt, grundsätzlich die Einhaltung der Anforderungen an einen notwendigen Treppenraum, da nur so der Wegfall der Treppe als Flucht- bzw. Rettungsweg und Angriffsweg der Feuerwehr verhindert werden kann.

Ebenso wenig dringt die Antragstellerin mit ihrer Annahme durch, die streitgegenständlichen Treppen seien als “atypische Außentreppen” gemäß § 35 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 BauO NRW ohne eigenen Treppenraum zulässig, sie seien nicht überdacht und lägen daher im Freien, auch wenn sie seitlich von Erdreich umschlossen seien, damit sei der Sinn der Privilegierung erfüllt, da im Brandfall keine Gefährdung durch die Wandöffnungen drohe. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass Außentreppen solche Treppen sind, die sich außerhalb eines Gebäudes bzw. an dessen Außenwänden befinden. Darunter fallen die streitgegenständlichen Treppen nicht. Sie grenzen jeweils mit mindestens drei Seiten an die Tiefgarage an und sind damit nicht – wie die Antragstellerin vorträgt – von Erdreich umschlossen. Weshalb und unter welchen Voraussetzungen § 35 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 BauO NRW auch “atypische Außentreppen” umfassen sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf, insbesondere nicht mit dem Verweis auf die Planungsfreiheit des Bauherrn oder dem Vergleich mit einer “oberirdischen Außentreppe” in der Nähe einer Fensteröffnung.

2. Die Beschwerdebegründung legt ferner nicht dar, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht von einer konkreten Gefahr für Leben und Gesundheit ausgegangen wäre.

a) Ohne Erfolg bemängelt die Antragstellerin, das Verwaltungsgericht sei dem Vorgehen der Antragsgegnerin gefolgt, ohne eine fachliche Begutachtung im Einzelfall einen Brandmangel anzunehmen und daraus auf eine konkrete Gefährdung zu schließen.

Damit legt sie nicht dar, dass eine solche “Einzelfallprüfung” für die Durchbrechung des Bestandsschutzes einer Baugenehmigung generell oder im vorliegenden Einzelfall erforderlich gewesen wäre. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus dem in Bezug genommenen Beschluss des OVG Sachsen-Anhalt vom 8.3.2017 – 2 L 78/16 -. Danach “kann im Einzelfall geboten sein“, dass die Bauaufsichtsbehörde das Gefährdungspotential durch eine fachliche Begutachtung ihres Bausachverständigen ermittelt und bewertet. Dass und weshalb dies vorliegend angezeigt gewesen wäre, ist weder mit dem Verweis auf die Baugenehmigung vom 15.1.2019 dargelegt noch sonst ersichtlich.

b) Die Antragstellerin zeigt nicht auf, dass das Verwaltungsgericht hinsichtlich des Vorliegens einer konkreten Gefahr für Leib und Leben von einem unzutreffenden, dem Gewicht des Bestandsschutzes nicht ausreichend Rechnung tragenden Maßstab ausgegangen wäre.

Nach der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ist eine auf Gefahrenbeseitigung gerichtete Ordnungsverfügung auch bei einem durch eine gültige Baugenehmigung gedeckten Gebäude grundsätzlich möglich, und zwar insbesondere dann, wenn sie – wie beim Brandschutz – dem Schutz von Leben und Gesundheit dient.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 10.7.2024 – 7 B 469/24 -, und vom 28.4.2021 – 2 A 833/20 -, sowie Urteil vom 25.8.2010 – 7 A 749/09 -, NVwZ-RR 2011, 47.

Ebenso hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass an die für das Vorliegen einer konkreten Gefahr erforderliche Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts in Bezug auf Leben oder Gesundheit als geschützte Rechtsgüter keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen sind,

vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 30.10.2023- 10 B 1023/23 -, sowie Urteil vom 16.6.2023 – 7 A 2635/21 -, BauR 2023, 1490,

und dass der Umstand, dass in vielen Gebäuden jahrzehntelang kein Brand ausgebrochen ist, nicht beweist, dass keine Gefahr besteht, sondern dass vielmehr mit dem Entstehen eines Brandes jederzeit gerechnet werden muss,

vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 10.7.2024 – 7 B 469/24 -, Urteil vom 25.8.2010 – 7 A 749/09 -, NVwZ-RR 2011, 47.

Dass dies den Bestandsschutz – wie von der Antragstellerin angenommen – leerlaufen lassen könnte, ist nicht ersichtlich, vielmehr wird der hohen Bedeutung der von den Brandschutzvorschriften geschützten Rechtsgüter Rechnung getragen.

c) Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich ferner nicht, dass das Verwaltungsgericht ausgehend von diesem Maßstab das Vorliegen einer konkreten Gefahr zu Unrecht bejaht hätte.

Es hat insoweit ausgeführt, aufgrund der Öffnungen in den Wänden, die um die als Rettungswege dienenden Treppen angeordnet seien, sei es nicht unwahrscheinlich, dass die Treppen und die umliegenden Räume im Brandfall durch Feuer beaufschlagt würden, dort Hitze aufsteigen und Rauch in die Treppenbereiche eindringen werde, durch die Konvektion strömten Brandrauch und Brandgase nach oben, wodurch die offenen Treppenräume wie Schornsteine wirkten und als Rettungs- bzw. Löschangriffswege für Schutzsuchende bzw. Feuerwehrkräfte je nach Ausbreitung eines Brandes nicht gefahrenfrei nutzbar oder gänzlich unbenutzbar würden.

Die Antragstellerin verweist zunächst ohne Erfolg auf ein “Ergänzendes brandschutztechnisches Gutachten” der F. R. PartGmbB vom 7.6.2024, dem “ein kalibrierter Rauchversuch” vom 3.6.2024 zugrunde liege. Dieser habe gezeigt, dass durch die Wand- und Türöffnungen keine Schäden zu erwarten seien. Die Treppenräume bzw. die Wand- und Türöffnungen wirkten – anders als vom Verwaltungsgericht angenommen – im Brandfall nicht wie Schornsteine, es seien keine Rauchansammlungen in den Treppenräumen zu erwarten, der Rauch ziehe nach dem Passieren der Öffnungen vertikal nach oben ab, selbst nach 12 Minuten hätten sich nur kaum zu erkennende Rauchschwaden angesammelt, zudem ströme der Rauch auch aus den dafür bestimmten 13 Deckenöffnungen und Lichtschächten ins Freie.

Insoweit weist die Antragsgegnerin zutreffend unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des Brandschutzingenieurs P. vom 5.8.2024 darauf hin, dass die Gefährdung für Leben und Gesundheit bei einem Brand in einer unterirdischen Großgarage nicht (nur) aus der Rauchausbreitung als solcher, sondern (auch) aus den Auswirkungen der Wärmestrahlung und der Toxizität der Brandgase auf den menschlichen Organismus sowie aus der Gefahr einer Feuerbeaufschlagung bei einem Brand in der Nähe der Wandöffnungen resultiert. Dies berücksichtigt das Ergänzende Brandschutzgutachten vom 7.6.2024 nicht. Die von der Antragsgegnerin ferner aufgezeigten Zweifel an dem “kalibrierten Rauchversuch” sind ggf. im Hauptsacheverfahren aufzuklären.

Die in Rede stehende konkrete Gefahr entfällt auch nicht – wie die Beschwerdebegründung annimmt – aufgrund der Ergebnisbaumanalyse des Ergänzenden Brandschutzgutachtens vom 7.6.2024. Unabhängig davon, ob die darin enthaltenen Annahmen zutreffen, ist die Frage, wann eine für eine Gefahr ausreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadens an einem hochrangigen Rechtsgut wie Leib oder Leben vorliegt, einer rein quantitativen Betrachtung nicht zugänglich.

Ohne Erfolg verweist die Antragstellerin schließlich auf die Sicherheitsschleusen und die Zufahrtsrampe als alternative Flucht- bzw. Rettungswege. Das Verwaltungsgericht hat in Bezug auf die Schleusen zutreffend angenommen, dass deren Existenz mit Blick auf die insoweit eingeschränkte Schlüsselgewalt der Tiefgaragennutzer sowie auf die im Brandschutzkonzept vorgesehene Nutzung der streitgegenständlichen Treppen als Löschangriffsweg eine Gefahr nicht auszuschließen vermögen. Dass die Zufahrtsrampe den Anforderungen an den (ersten) Rettungsweg nicht genügt, hat die Antragsgegnerin mit der Beschwerdeerwiderung aufgezeigt.

Gegen das Vorliegen einer Gefahr spricht schließlich auch nicht der Vortrag, eine Verrauchung der Treppen sei von untergeordneter Bedeutung, da die Feuerwehr Atemschutzgeräte nutze und die Zufahrtsrampe als Rettungsweg zur Verfügung stehe. Das ergibt sich schon daraus, dass eine Verrauchung die Treppen als Fluchtweg für Nutzer der Tiefgaragen einschränkt oder ausschließt und die Rampe im Brandfall schon aufgrund der Größe der Tiefgarage nicht für jeden Nutzer hinreichend sicher zu erreichen ist.

3. Schließlich zeigt die Beschwerdebegründung auch nicht auf, dass das Verwaltungsgericht unzutreffend von der Verhältnismäßigkeit der Ordnungsverfügung vom 18.1.2024 ausgegangen wäre.

Die Antragstellerin wendet insoweit ein, es liege nur eine geringe Schadenswahrscheinlichkeit vor, die keine Durchbrechung des Bestandsschutzes rechtfertige, die geforderte Schließung der Öffnungen führe ggf. zu einer unzureichenden Belüftung der Tiefgarage, die eine kostenintensive Belüftungsanlage erforderlich machen könne. Dies greift nicht durch.

Dem öffentlichen Interesse an der Minimierung von Brandrisiken und der damit bezweckten Vermeidung von Schäden an Leben und Gesundheit der Bewohner von Gebäuden kommt grundsätzlich ein höheres Gewicht zu als finanziellen Interessen des betroffenen Eigentümers.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.7.2024 – 7 B 469/24 -.

Zudem ist weder mit der Beschwerdebegründung dargelegt noch sonst ersichtlich, dass es im Falle der Schließung der Wandöffnungen tatsächlich der Installation einer kostenintensiven Belüftungsanlage bedürfte.

Vielmehr ergibt sich aus dem “Gutachten über die natürliche Lüftung der Garage” des TÜV Rheinland vom 12.9.2023, dass zwar auch mit den vorhandenen Öffnungen die Anforderungen aus § 136 Abs. 2 SBauVO an eine natürliche Lüftung nicht eingehalten werden, aber dennoch im Sinne des § 136 Abs. 3 SBauVO mit einer ausreichenden natürlichen Lüftung gerechnet werden könne und auch bei einer – infolge der geforderten Schließung der Wandöffnungen gegebenen – Halbierung des Lüftungsquerschnitts mit einem Überschreiten des zulässigen CO-Grenzwert eher nicht zu rechnen sei. Dem schließt sich auch das von der Antragstellerin selbst beauftragte Brandschutztechnische Gutachten der F. R. PartGmbB vom 22.3.2024 an, wenn es ausführt, dass eine ausrechende Belüftung bzw. die Einhaltung eines zulässigen CO-Halbstundenmittelwertes auch ohne den Ansatz der zu den drei Außentreppen orientierten Öffnungen prognostiziert werden könne.

4. Auf die Einwände der Antragstellerin gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene allgemeine Interessenabwägung kommt es schon deshalb nicht an, weil das Verwaltungsgericht die Ablehnung der Anträge selbstständig tragend auf die nach summarischer Prüfung gegebene Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung vom 18.1.2024 gestützt hat; diese Begründung hat die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde aus den dargelegten Gründen nicht substantiiert in Zweifel gezogen.

5. Danach hat die Antragstellerin auch keinen Anspruch auf Aufhebung der zwischenzeitlich getroffenen Brandschutzmaßnahmen an den Stellplätzen.

LG Hildesheim zu der Frage des Arbeitsschutzes im Hochbau und den strafrechtlichen Implikationen der Verletzung von Arbeitsschutzpflichten

LG Hildesheim zu der Frage des Arbeitsschutzes im Hochbau und den strafrechtlichen Implikationen der Verletzung von Arbeitsschutzpflichten

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die gesetzlichen Arbeitsschutzpflichten des Arbeitgebers werden durch die BaustellV nicht berührt.
2. Wer entgegen der Arbeitsstättenrichtlinie ASR A2.1 keine Absturzsicherung vorsieht, verletzt seine Verkehrssicherungspflicht.
3. Grundsätzlich entfällt die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Arbeitgebers für die Unfallfolgen bei einem von ihm begangenen Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften, der zur Verletzung eines in seinem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmers führt, nicht deshalb, weil dem Arbeitnehmer die Nichteinhaltung der Unfallverhütungsvorschriften bekannt war und er in Kenntnis der hieraus entspringenden Gefahren für Leib und Leben seine Arbeitsleistung erbrachte. Etwas anderes kann in Fällen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung gelten (hier verneint).
4. Sicherungspflichten können grundsätzlich an andere Personen übertragen oder delegiert werden, jedoch geht damit nicht zwingend einher, dass der ursprünglich Verantwortliche gänzlich von seinen Pflichten frei würde. Im Fall einer vertikalen Arbeitsteilung (hier: zwischen Arbeitgeber und Polier) sind durch den ursprünglich Pflichtigen organisatorische Maßnahmen zu treffen.
5. Ein Polier ist auf der Baustelle – zumindest sekundär – sicherungspflichtig. Einer ausdrücklichen Übertragung der Pflichten bedarf es insoweit nicht. Regelmäßig begründet bereits die tatsächliche Übernahme eines entsprechenden Pflichtenkreises diesbezügliche Sorgfaltspflichten.
LG Hildesheim, Beschluss vom 14.05.2024 – 20 Qs 55/23
vorhergehend:

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Hildesheim hat am 13.09.2022 Anklage gegen die Angeschuldigten wegen des Vorwurfs einer am 31.08.2020 in A. begangenen fahrlässigen Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 229 StGB erhoben. In der Anklageschrift wurde folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

Obwohl den in Folge ihrer Stellung als Bauunternehmer und Polier für die Arbeitssicherheit auf der Baustelle verantwortlichen Angeschuldigten K. und S. bewusst war, dass auf der Baustelle “W.-Durchlass” in der H. Straße in A. weder eine erforderliche Gefährdungsbeurteilung für den Höhenarbeitsplatz zur Montage der anzubringenden Stahlträger vorgenommen, noch eine ausreichende Absturzsicherung angebracht worden war, ließen sie die Arbeiten trotz jeweiliger Kenntnis über die Gefahrensituation fortlaufen und stoppten diese im Hinblick auf den einzuhaltenden Terminplan auf der Baustelle nicht. Auch wies der Angeschuldigte S. den Angeschuldigten K. nicht auf das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Absicherung hin.

In der Folge der unterbliebenen gebotenen Absicherungsmaßnahmen, welche durch beide Angeschuldigten in ausreichendem Maße jeweils hätten veranlasst werden können, kam es im Rahmen der Montage eines Stahlträgers zu einem Absturz des Geschädigten E., was die Angeschuldigten im Hinblick auf ihre berufliche Erfahrung und Qualifikation hätten erkennen können und müssen.

Der Geschädigte E. wurde bei dem Sturz von mehreren Moniereisen durchstoßen. Er erlitt eine Perforation des Beckenbodens, eine knöcherne Absprengung am vorderen Schambeinast, eine Abscherverletzung des vorderen Beckenrings, Perforationen des Dünndarms sowie intraperitonealen Rektums, eine Weichteilperforation im Oberschenkel sowie eine akute Belastungsstörung.

Mit der angefochtenen Entscheidung vom 09.08.2023 hat das Amtsgericht Alfeld (Leine) – nach Beteiligung der Angeschuldigten – die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen abgelehnt, da die Angeschuldigten der ihnen zur Last gelegten Tat nicht hinreichend verdächtig seien. Auf die weiteren Ausführungen des Beschlusses wird Bezug genommen.

Gegen die ihr am 15.08.2023 zugegangene Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 17.08.2023, eingegangen bei dem Amtsgericht Alfeld (Leine) am selben Tage. Die Staatsanwaltschaft begehrt darin die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens. Auf die Ausführungen der Rechtsmittelschrift wird ebenfalls Bezug genommen.

Die Kammer hat den Angeklagten und ihren Verteidigern vor der Entscheidung der Kammer gem. § 308 Abs. 1 StPO Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Beschwerdeschrift der Staatsanwaltschaft Hildesheim gegeben.

II.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens ist zulässig und führt in der Sache auch zum Erfolg.

1. Das Amtsgericht Alfeld (Leine) hat den Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens zu Unrecht aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen abgelehnt. Die angefochtene Entscheidung war aufzuheben, weil die Angeschuldigten nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens hinreichend verdächtig sind, die ihnen vorgeworfene Tat begangen zu haben (§ 203 StPO). Ein hinreichender Tatverdacht besteht bei vorläufiger Tatbewertung in der Wahrscheinlichkeit der späteren Verurteilung, es genügt also ein schlichtes Überwiegen der Verurteilungswahrscheinlichkeit (vgl. BGHSt 54, 275, 281; BGH StV 2001, 579, 580; BGH NStZ-RR 2004, 227; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl. 2023, StPO § 203 Rn. 4 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 203 Rn. 2 m.w.N.). Diese ist nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis gegeben.

Das Amtsgericht vertritt in der angefochtenen Entscheidung die Auffassung, dass eine Überführung der Angeschuldigten anhand der zur Verfügung stehenden Beweismittel nicht gelinge. Die Kammer teilt diese Auffassung bei Bewertung des bisherigen Akteninhalts nicht. Für den Grundsatz in dubio pro reo ist bei dem Wahrscheinlichkeitsurteil im Zwischenverfahren ohnehin noch kein Raum (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 203 Rn. 2 m.w.N.). Zwar kann der hinreichende Verdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende wahrscheinlich das Gericht nach dem Grundsatz freisprechen wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. m.w.N.), allerdings drängen sich im vorliegenden Fall nach dem aktuellen Ermittlungsergebnis Indizien in einem Maße auf, die der Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt entgegenstehen.

2. Nach dem bisherigen Beweisergebnis ist in einer Gesamtschau jedenfalls derzeit eine spätere Verurteilung der Angeschuldigten wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen gem. §§ 229, 13 Abs. 1 StGB wahrscheinlich.

Eine derartige Strafbarkeit der Angeschuldigten würde insbesondere erfordern, dass sie rechtlich – zumindest auch – dafür einzustehen hatten, dass die infolge des Sturzes hervorgerufene Körperverletzung des Geschädigten E. nicht eintritt. Das ist vorliegend der Fall.

a) Vorauszuschicken sind zunächst die anerkannten Rechtsgrundsätze, die der Bundesgerichtshof unter anderem in seinem Urteil vom 13. November 2008 (4 StR 252/08 -, BGHSt 53, 38-45, Rn. 16) dargestellt hat und denen sich die Kammer anschließt:

“Jeder, der Gefahrenquellen schafft oder unterhält, (hat) die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen (st. Rspr.; BGHZ 103, 338, 340; BGHR BGB § 823 Abs. 1 Verkehrssicherungspflicht 18). Diese Sicherungspflicht wird indes nicht bereits durch jede bloß theoretische Möglichkeit einer Gefährdung ausgelöst; da eine absolute Sicherung gegen Gefahren und Schäden nicht erreichbar ist und auch die berechtigten Verkehrserwartungen nicht auf einen solchen absoluten Schutz ausgerichtet sind, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Haftungsbegründend wirkt demgemäß die Nichtabwendung einer Gefahr erst dann, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (st. Rspr.; vgl. BGHR BGB § 823 Abs. 1 Verkehrssicherungspflicht 31). Diese in der zivilrechtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind maßgebend auch für die Bestimmung der strafrechtlichen Anforderungen an die im Einzelfall gebotene Sorgfaltspflicht. Ausgangspunkt dafür ist jeweils das Maß der Gefahr mit der Folge, dass die Sorgfaltsanforderungen umso höher sind, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (zur Abhängigkeit zwischen dem Maß der Gefahr und der Sorgfaltspflicht BGHSt 37, 184, 187; 47, 224, 230 f.; Landau, Das strafrechtliche Risiko der am Bau Beteiligten, wistra 1999, 47, 49).”

b) Hiernach besteht zunächst ein hinreichender Tatverdacht gegen den Angeschuldigten K. in seiner Funktion als Arbeitgeber des Zeugen E., weil er mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegen die ihm aus der Baustellenverordnung und dem Arbeitsschutzgesetz obliegende Sorgfaltspflicht zur Sicherung der Arbeitsstätte des Mitarbeiters E. verstoßen und somit seine sich aus § 618 Abs. 1 BGB folgende Garantenstellung, die durch die speziellen Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften konkretisiert wird (vgl. OLG Rostock, Urteil vom 10. September 2004 – 1 Ss 80/04 I 72/04 -, Rn. 8, juris), verletzt hat.

aa) Aus den oben dargestellten, allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen zu Verkehrssicherungsplichten folgt, dass aus der Zuständigkeit des Unternehmens des Angeschuldigten K. für die konkret beauftragten Arbeiten die Verpflichtung resultiert, Dritte vor den durch die Arbeiten drohenden Gefahren zu schützen und die hierzu erforderlichen Vorkehrungen zu treffen. Diese Pflicht bestand grundsätzlich nicht nur gegenüber Außenstehenden, wie etwa befugten Besuchern der Baustelle, sondern auch gegenüber den an dem Bau tätigen Arbeitnehmern, solange sie nicht selbst sicherungspflichtig sind (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08 -, BGHSt 53, 38-45, Rn. 17 m.w.N.; Palandt-Sprau, BGB, 83. Auflage 2024, § 823 Rn. 201).

Die allgemeinen Regelungen erfahren darüber hinaus durch spezielle Vorschriften noch eine Konkretisierung. Insbesondere hat ein Arbeitgeber zum Schutz seiner Beschäftigten gem. § 5 Abs. 1 BaustellV – unabhängig von den nach der Baustellenverordnung den Bauherren treffenden Pflichten – bei der Ausführung von Arbeiten die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen und – soweit vorhanden – den Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan bzw. die Hinweise des Koordinators zu berücksichtigen.Die Regelung stellt eine spezielle Ausprägung der allgemeinen Grundsätze der §§ 4, 5 ArbSchG dar und grenzt die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der Arbeitgeber gegenüber dem Bauherrn als Verpflichteten aus der BaustellV ab (vgl. BeckOK ArbSchR/Meyer, 17. Ed. 1.1.2024, BaustellV § 5 Rn. 3-5). Der Arbeitgeber bleibt damit verpflichtet, im Rahmen des Arbeitsschutzes die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben oder die Gesundheit seiner Arbeitnehmer möglichst vermieden sowie die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird (§ 4 Nr. 1 ArbSchG). Hierfür hat er gem. § 5 ArbSchG durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Diese erforderlichen Maßnahmen bedürfen dann der Umsetzung.

In diesem Zusammenhang kommt es demnach auch nicht darauf an, ob seitens der Bauherrin ein gem. § 2 Abs. 3 Satz 2 BaustellV erforderlicher Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan erstellt wird. Die Verpflichtungen des Arbeitgebers enden dadurch gerade nicht, denn schon nach der BaustellV selbst hat der Arbeitgeber bei der Ausführung der Arbeiten die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen (vgl. OLG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 28. Februar 2017 – 2 U 89/16 -, Rn. 48, juris). Der Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan ist bei Wahrnehmung der Arbeitgeberpflichten zwar zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 1 letzter Halbsatz BaustellV), jedoch geht die BaustellV in ihrem Wortlaut nicht von einer solchen Verbindlichkeit des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplans aus, dass alle Inhalte bzw. auch etwaige fehlenden Inhalte für den Arbeitgeber verbindlich sind (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 9. November 2012 – I-9 U 7/11 -, Rn. 27, juris; Kollmer/Klindt/Schucht/G. Kollmer, 4. Aufl. 2021, BaustellV § 5 Rn. 2). Die gesetzlichen Arbeitsschutzpflichten des Arbeitgebers werden demnach nicht durch einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan maßgeblich abgeändert. Die auf der Baustelle tätig werdenden Arbeitgeber haben sich nach den Vorgaben der BaustellV nur Kenntnis von den Festlegungen des Sicherheits- und Gesundheitsplans zu verschaffen und diese in die eigene Arbeitsschutzplanung einfließen zu lassen, was mit der in § 5 Abs. 3 BaustellenVO getroffenen Regelung korrespondiert, wonach die Verantwortlichkeit der Arbeitgeber für die Erfüllung ihrer Arbeitsschutzpflichten durch die Maßnahmen nach den §§ 2 und 3 BaustellenVO nicht berührt werden (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 9. November 2012, a.a.O.).

Demnach hat der Umstand, dass es einen Sicherheits- und Gesundheitsplan gab, der am Tag des Vorfalls von dem Zeugen H. fortgeschrieben wurde und das Erfordernis eine Absturzsicherung an der Absturzstelle nicht vorsah, auch keinen durchgreifenden Einfluss auf die für den Angeschuldigten K. bestehenden Arbeitgeberpflichten. Der mit der Erstellung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplans Beauftragte ist ohnehin schon nicht verpflichtet, an jedem Tag sämtliche denkbaren Gefahrenstellen abzugehen, weil Sicherheitskontrollen, die zu allen denkbaren Zeiten an allen denkbaren Gefahrenstellen einer Baustelle gleichzeitig erfolgen, unmöglich sind (vgl. LG Erfurt, Urteil vom 18. August 2011 – 10 O 1961/10 -, Rn. 27, juris). Ansonsten würde jede zu beginnende Einzelbaumaßnahme von einer Freigabe durch den Sicherheits- und Gesundheitsplan abhängig gemacht werden, was gerade nicht gewollt ist. Der Zeuge H. hatte aber darüber hinaus nach seinen Angaben auch gar keine Information dazu erhalten, dass die vorgenommenen Arbeiten wie erfolgt noch durchgeführt werden sollten. Er hat in seiner Vernehmung vom 07.09.2021 bekundet, dass ihm nicht bekannt gewesen sei, dass an der späteren Absturzstelle gearbeitet werde. Demnach kann dem Fehlen eines entsprechenden Eintrags in dem Plan keine durchgreifende Bedeutung zukommen. Vielmehr ist aufgrund der Angaben des Zeugen davon auszugehen, dass er einen entsprechenden Passus zu einer Absturzsicherung aufgenommen hätte, wäre ihm die geplante Durchführung der Arbeiten bekannt gewesen. So hat der Zeuge erklärt, dass ein Arbeiten ohne Absturzsicherung an der Stelle gar nicht zulässig sei. Aus dem Fehlen kann demnach eine vollständige Befreiung des Arbeitgebers nicht abgeleitet werden. Soweit das Amtsgericht ausführt, dass dem Zeugen H. bekannt gewesen sein muss, wo, wie und unter welchen Bedingungen auf der Baustelle gearbeitet werden muss, entspricht diese – den Angaben des Zeugen H. widersprechende – Vermutung aus Sicht der Kammer zwar der Einlassung des Angeschuldigten K., nicht jedoch dem für die Eröffnungsentscheidung wesentlichen Aktenbestand, dessen Hintergründe im Rahmen der Hauptverhandlung einer weiteren Aufklärung bedürfen.

Der ebenfalls in der angefochtenen Entscheidung erwähnte Umstand, dass in der Dokumentation zum Begehungsprotokoll Nr. 13 vom 31.08.2020 zu Nr. 2. das Lichtbild einer in die Baugrube führenden Leiter mit dem Zusatz “Leiterkopf ragt über die Austrittsstelle hinaus” und “keine Maßnahmen notwendig” enthält, steht aus Sicht der Kammer nicht im entscheidungserheblichen Zusammenhang mit dem eingetretenen Sturzgeschehen. Die abgebildete Leiter steht am Rand der Baugrube und dient offensichtlich als Ein- und Ausstiegshilfe für Arbeiten in der Baugrube und nicht – jedenfalls nicht vorrangig – als Arbeitsmittel für konkrete Baumaßnahmen. Sie steht nach dem Ermittlungsergebnis auch nicht an der Stelle, an der die dem Sturzgeschehen vorausgegangenen Arbeiten durchgeführt worden sind. Allein das Vorhandensein einer – für den Einstieg in die Baugrube wohl notwendigen – Leiter lässt für den Zeugen nicht erkennen, dass spätere Arbeiten an anderer Stelle in gewisser Höhe vorgesehen waren.

bb) Der Angeschuldigte K. ist seiner sich aus dem Arbeitsschutzgesetz ergebenden Pflicht zur Erstellung einer (wirksamen) Gefährdungsbeurteilung bzw. jedenfalls seiner Pflicht zur Handlung nach den darin als notwendig angesehen Maßnahmen zum Schutz seiner Beschäftigten nicht nachgekommen.

Nach Angaben des Zeugen Kr. vom Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt hat der Angeschuldigte K. ihm gegenüber erklärt, eine Gefährdungsbeurteilung gar nicht durchgeführt zu haben. Soweit der Angeschuldigte selbst – so seine spätere Einlassung – eine von seinem Mitarbeiter H. gefertigte Gefährdungsbeurteilung für die maßgebliche Baustelle in A. mit dem Erstellungsdatum 10.08.2020 vorgelegt hat, trägt diese – anders als andere zugleich vorgelegte Gefährdungsbeurteilungen – nicht die Unterschrift des Angeschuldigten K., mit der die Gefährdungsbeurteilung Gültigkeit erlangen sollte. Inwieweit das Dokument demnach über den Entwurfstatus hinaus überhaupt wirksam zur Kenntnis des Angeschuldigten K. gelangt ist, lässt sich nicht nachprüfen. Aufgrund der Angaben des Zeugen Kr. erscheint eine wirksam fertiggestellte Gefährdungsbeurteilung in dieser Konstellation jedoch zweifelhaft. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ist demnach bereits von einer nicht ordnungsgemäß erstellten Gefährdungsbeurteilung auszugehen. Würde man hingegen mit der angefochtenen Entscheidung die Auffassung vertreten, eine Gefährdungsbeurteilung sei erstellt worden, so wird durch das Amtsgericht verkannt, dass der Angeschuldigte K. den aufgestellten Anforderungen an den Arbeitsschutz nicht gerecht geworden ist. Das als Gefährdungsbeurteilung vorgelegte Papier hält nämlich als technische Schutzmaßnahmen Absturzsicherungen an Absturzkanten, Seitenöffnungen und Bodenöffnungen für erforderlich. Der Angeschuldigte K. hätte demnach aufgrund der Gefährdungsbeurteilung Veranlassung gehabt, insoweit tätig zu werden. Entsprechende Absturzsicherungen waren hingegen an der verfahrensgegenständlichen Absturzstelle nicht vorhanden.

cc) Für die vorgenommenen Arbeiten der Verschraubung eines Stahlträgers in mindestens 2,75 m Höhe sind die in der konkreten Konstellation erforderlichen Schutzmaßnahmen durch den Angeschuldigten K. nicht getroffen worden.

(1) Allgemein gilt, dass die nach den Umständen des Einzelfalls aus Sicht eines umsichtig Handelnden notwendigen Vorkehrungen zum Schutze anderer zu treffen sind (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 2 StR 418/19 -, BGHSt 66, 270-294, Rn. 30). Eine Verkehrssicherungspflicht beschränkt sich demnach auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15 -, BGHSt 61, 21-28, Rn. 9). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungspflicht besteht, bestimmt sich daher nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für eine Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16 mwN).

(2) Diese allgemeinen Anforderungen an den Träger von Sicherungspflichten werden durch konkret formulierte Unfallverhütungsvorschriften für eine Vielzahl gleichgelagerte Fälle konkretisiert. Für den vorliegenden Fall gilt nach Ziffer 8.2 Abs. 7 Nr. 3 der Technischen Regel für Arbeitsstätten ASR A2.1 (Schutz vor Absturz und herabfallenden Gegenständen, Betreten von Gefahrenbereichen), dass an allen Arbeitsplätzen mit mehr als 2,00 m Absturzhöhe entsprechende Schutzvorrichtungen vorhanden sein müssen, die ein Abstürzen von Beschäftigten verhindern (sog. Absturzsicherungen). Dies war bei dem Arbeitsplatz auf dem Stahlträger in mindestens 2,75 m Höhe nicht der Fall. Soweit der Arbeitsort möglicherweise auch mit einer Leiter hätte angegangen werden können und dieses Vorgehen nach der Technischen Regel für Betriebssicherheit TRBS 2121 Teil 2 (Ziffer 4.2.4) mutmaßlich aufgrund einer Standhöhe von unter zwei Metern hätte zulässig sein können, hat die Kammer darüber nicht zu entscheiden, weil diese Vorgehensweise im konkret vorliegenden Fall nach dem bisherigen Beweisergebnis durch die ausführenden Personen nicht gewählt worden ist und es demnach auf hypothetisch zulässige, aber tatsächlich nicht genutzte Arbeitsweisen nicht ankommt.

(3) Ein Verstoß gegen die Arbeitsstättenrichtlinie ASR A2.1 ist grundsätzlich auch geeignet, eine Sorgfaltspflichtverletzung zu begründen. Die von einer zuständigen Behörde kraft öffentlicher Gewalt festgesetzten Weisungen zur Feststellung von Inhalt und Umfang von Verkehrssicherungspflichten sind grundsätzlich bindend, sodass ein Verstoß auch geeignet ist, die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht zu begründen (vgl. OLG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 28. Februar 2017 – 2 U 89/16 -, Rn. 25, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2001 – VI ZR 142/00 -, Rn. 10, juris). Das ist bei der Arbeitsstättenrichtlinie ASR A2.1 der Fall. Die Arbeitsstättenrichtlinien werden durch den gem. § 7 ArbStättV beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingerichteten Ausschuss für Arbeitsstätten erarbeitet und im Gemeinsamen Ministerialblatt bekannt gemacht. In dem jeweiligen Bereich konkretisieren die jeweiligen Arbeitsstättenrichtlinien die Anforderungen an die Arbeitgeber. Es handelt sich demnach um eine Vorgabe an die Arbeitgeber, bei der im Falle eines Verstoßes entweder eine anderweitige Schutzmaßnahme sichergestellt sein muss oder aber von einem Sorgfaltspflichtverstoß ausgegangen werden kann. Eine anderweitige Schutzvorrichtung als die erforderliche Absturzsicherung ist indes nicht vorgehalten worden.

dd) Der Arbeitsbereich auf dem Stahlträger war auch Teil der Baustelle im Sinne von § 1 Abs. 3 BaustellV. Hiernach ist eine Baustelle der Ort, an dem ein Bauvorhaben ausgeführt wird. Demnach galten für diesen als Arbeitsstätte anzusehenden Bereich wie auch die für den gesamten Baustellenbereich die Regelungen der Arbeitsstättenrichtlinie ASR A2.1. Soweit dort in Ziffer 8.2 Abs. 1 beschrieben wird, dass ein Arbeitsplatz auf einer Baustelle der zur Durchführung der Arbeiten erforderliche räumlich begrenzte Bereich sei, der einer bestimmten Anzahl von Beschäftigten von ihrem jeweiligen Arbeitgeber zum Tätigwerden zugewiesen werde, bedarf schon aus Gründen der Praktikabilität denklogisch nicht einer Einzelzuweisung jeden Arbeitsschrittes. Für die Begründung eines hinreichenden Tatverdachts bedarf es demnach auch somit nicht einer ausdrücklich ausgesprochenen oder gar schriftlich fixierten Zuweisung zum Betreten des Stahlträgers, vielmehr genügt – gerade bei langjährig gemeinsam arbeitenden Personen – die konkludente Billigung des jeweiligen Vorgehens. Soweit das Amtsgericht demnach unter Hinweis auf die Aussage des Zeugen E. ausführt, dass E. “von dem Angeschuldigten K. selbst noch einige Tage vor dem Unfall darauf hingewiesen worden” sei, “dass sie niemand an die Spundwandkante zu stellen habe, und insoweit auch Absperrbalken aufgestellt werden sollen, damit dort niemand herunterfällt”, vermischt die angefochtene Entscheidung die Einlassung des Angeschuldigten im Verteidigerschriftsatz vom 27.10.2022 und das dortige Zitat aus der Vernehmung des Zeugen E. (Bl. 41, 42 Bd. II), gibt jedoch die tatsächliche Aussage des Zeugen E. falsch wieder. Eine konkrete Anweisung wird demnach von dem Zeugen E. nicht vorgetragen. Die vom Amtsgericht angenommene aktive Zuwiderhandlung gegen eine Anweisung entspricht demnach nicht dem bisherigen Ermittlungsergebnis. Das Tätigwerden des Zeugen E. auf dem “Arbeitsbereich Stahlträger” ist vielmehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit jedenfalls durch den Angeschuldigten S. als vorgesetztem Polier aktiv gebilligt worden, was aus dem arbeitsteiligen – nachfolgend unter ee) beschriebenen – Tätigwerden der beiden Personen während der Arbeit an dem Stahlträger zum Zeitpunkt des Absturzes deutlich wird.

ee) Es handelt sich zudem mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht um einen Fall der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Zeugen E., die eine Verantwortlichkeit entfallen lassen könnte. Grundsätzlich entfällt die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Arbeitgebers für die Unfallfolgen bei einem von ihm begangenen Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften, der zur Verletzung eines in seinem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmers führt, nicht deshalb, weil dem Arbeitnehmer die Nichteinhaltung der Unfallverhütungsvorschriften bekannt war und er in Kenntnis der hieraus entspringenden Gefahren für Leib und Leben seine Arbeitsleistung erbrachte (Heinrich in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 222 StGB, Rn. 65). Die Kammer hat aber bedacht, dass ein Arbeitgeber nicht für die Verletzung seiner sich in voller Kenntnis der mit dem Verstoß verbundenen Gefahr selbst schädigenden Arbeitnehmer verantwortlich wäre, wenn er ihre Willensbildung insoweit nicht beeinflusst hat (vgl. OLG Rostock, Urteil vom 10. September 2004 – 1 Ss 80/04 I 72/04 -, juris). So liegt der Fall jedoch hier nicht, eine bewusste Selbstschädigung des Zeugen E. liegt – zumindest nach dem derzeitigen Ermittlungsstand – nicht vor. Soweit mit dem Schriftsatz des Verteidigers des Angeschuldigten S. vom 31.03.2022 ausgeführt wird, der Zeuge E. habe selbständig die Spundwand überstiegen und sei auf den Stahlträger geklettert, obwohl der Angeschuldigte S. mit seiner Unterstützung bei der Verschraubung des Stahlträgers gar nicht gerechnet habe, ist vielmehr nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis hinreichend wahrscheinlich, dass diese Einlassung nicht den tatsächlichen Abläufen vor Ort entspricht.

(1) Der Zeuge E. hat in seiner Vernehmung vom 10.09.2020 ausgeführt, dass er zum Vorfallszeitpunkt auf dem Stahlträger gestanden habe, um dort einige Stangen anzuschrauben. Der Angeschuldigte S. habe währenddessen unten auf der Bodenplatte gestanden und in einer Materialkiste nach Schraubmuttern geschaut, die er ihm, E., habe anreichen sollen. Diese von dem Zeugen E. geschilderte Zusammenarbeit in Kenntnis der Position und Aufgabe des jeweils anderen entspricht auch den zunächst getätigten Angaben des Angeschuldigten S. selbst. Dieser hat in einer ersten Befragung am Unfallort am 01.09.2020 gegenüber KHK M. angegeben, dass er gerade Schrauben aus der Materialkiste habe holen wollen, als der Absturz passiert sei. Konkretisiert hat der Angeschuldigte dies nach der Belehrung als Zeuge sowie nach der Belehrung gem. § 55 StPO in seiner Zeugenvernehmung vom 22.10.2020. Hier gab der Angeschuldigte S. an, dass er eine Mutter habe holen und seinem Kollegen E. anreichen wollen. Der Kollege E. habe diese entgegennehmen und aufschrauben wollen, um den Querriegel zu sichern. Insoweit ergibt sich bei den zeitnah zum Vorfallstag getätigten Vernehmungen eine Übereinstimmung der – inzwischen unvereinbar gegenüberstehenden – Angaben der beiden Personen. Demnach könnte die erst nach Akteneinsicht, anwaltlicher Beratung und einigem Zeitablauf in der über seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 31.03.2022 getätigten Einlassung des Angeschuldigten S., der Zeuge E. habe lediglich aus einem ungefährlichen Bereich den Träger sichern sollen, während der Zeuge T. mit S. den Träger hätte verschrauben wollen, als Schutzbehauptung zu werten sein.

(2) Einer Verwertung der damaligen Angaben des Angeschuldigten S. steht auch nichts entgegen, weil sich ein gegen ihn gerichteter Tatverdacht zum Zeitpunkt seiner zeugenschaftlichen Vernehmung aufgrund einer etwaigen Verantwortlichkeit vor Ort noch nicht in einem Maß verdichtet hat, dass er ernstlich als Täter oder Beteiligter der untersuchten Straftat in Betracht kam (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 – 4 StR 455/08 -, BGHSt 53, 112-118, Rn. 9). Welche konkreten Angaben letztlich getätigt worden und wie sich dadurch das Bild zum Zeitpunkt des Absturzes dargestellt hat, bleibt insoweit der Aufklärung des Sachverhaltes in der Hauptverhandlung vorbehalten.

ff) Die erforderliche, aber fehlende Schutzvorrichtung war schließlich auch ursächlich für die eingetretenen Verletzungen des Zeugen E.. Hätte eine Absturzsicherung bestanden, wäre es mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht zu dem Sturzgeschehen und dem Verletzungsbild des Zeugen E. gekommen.

Das Erfordernis einer Absturzsicherung hätte der noch am Vorfallstag auf der Baustelle anwesende Angeschuldigte K. auch erkennen können und müssen. Als langjährig tätiger Bauunternehmer und Arbeitgeber darf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass er über hinreichende Kenntnis der geltenden Sorgfaltsnormen verfügte und sein Verhalten daran ausrichten konnte (vgl. Parigger/Helm/Stevens-Bartol, Arbeits- und Sozialstrafrecht, StGB § 229 Rn. 4, beck-online). Dass es zu einem Absturz kommen kann, lag nicht außerhalb der Lebenserfahrung und war auch nicht auf die Verkettung mehrerer atypischer Umstände zurückzuführen.

Soweit nach dem allgemeinen Vertrauensgrundsatz zur Ausgestaltung von Sorgfaltspflichten gilt, dass grundsätzlich jeder auf sorgfaltsgemäßes Verhalten anderer und die Einhaltung seiner Sorgfaltspflichten vertrauen darf, so ist der Vertrauensgrundsatz jedenfalls dann erschüttert, wenn ein triftiger Anlass besteht, mit dem Fehlverhalten anderer zu rechnen, wenn also dem Vertrauen erkennbar die Grundlage entzogen ist (vgl. OLG Hamm 3. Strafsenat, Beschluss vom 12.01.2016 – II-3 RVs 91/15 und 3 RVs 91/15 m.w.N.). Das ist gerade auch dann der Fall, wenn man – wie oben dargestellt – gegen bestehende Sorgfaltspflichten aus dem Bereich des Arbeitsschutzes verstößt. Wer sich nämlich über für ihn geltende Unfallverhütungsvorschriften hinwegsetzt, die gerade zur Vermeidung des eingetretenen Erfolgs dienen, kann sich, abgesehen von außergewöhnlichen Kausalverläufen in aller Regel nicht darauf berufen, für ihn sei ein durch die Verletzung der Vorschriften verursachter Unfall nicht vorhersehbar gewesen. Das Zuwiderhandeln gegen derartige gesetzliche oder behördliche Vorschriften stellt mithin ein Beweisanzeichen für die Voraussehbarkeit des Erfolges dar, welches diese regelmäßig indiziert (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 16. Dezember 1999 – 3 Ss 43/99 -, juris).

Da dem Angeschuldigten K. als verantwortlichem Unternehmer, der noch am Vorfallstag vor Ort war, die konkrete Durchführung der Arbeiten und somit auch das grundsätzliche Erfordernis einer Absturzsicherung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bekannt war, kann er sich mithin nicht auf ein Vertrauen darauf berufen, seine Mitarbeiter würden ohne die erforderliche Absturzsicherung die Arbeiten ordnungsgemäß oder gar nicht durchführen.

gg) Schließlich dringt auch die Einlassung des Angeschuldigten K. in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 26.10.2020 nicht durch. Soweit er darin vorträgt, seine Mitarbeiter seien grundsätzlich auch selbst für ihre Sicherheit verantwortlich und er erwarte, dass sie selbst erkennen, welche Sicherungen erforderlich seien, befreit ihn diese Einlassung nicht von einer Verantwortung. Eine pauschale Übertragung des Arbeitsschutzes in Eigenverantwortung führt im Fall des Unterlassens von den Arbeitgeber treffenden Sicherungsmaßnahmen nicht zum Wegfall des Fahrlässigkeitsvorwurfs (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13. Juli 2021 – I-7 U 41/20 -, juris).

hh) Der hinreichende Tatverdacht hinsichtlich des Angeschuldigten K. entfällt schließlich auch nicht aufgrund einer möglichen Übertragung der ihn treffenden Sorgfaltspflichten auf seinen auf der Baustelle tätigen Polier, den Angeschuldigten S..

(1) Sicherungspflichten können grundsätzlich an andere Personen übertragen oder delegiert werden, jedoch geht damit nicht zwingend einher, dass der ursprünglich Verantwortliche gänzlich von seinen Pflichten frei würde (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 2 StR 418/19 -, BGHSt 66, 270-294, Rn. 31 m.w.N.). Bei der Art der verbleibenden Pflichten kommt es auf die Art der Übertragung an, wobei zwischen einer Aufgabenverteilung auf gleicher Ebene (horizontale Arbeitsteilung) und die Delegation an untergeordnete Personen (vertikale Arbeitsteilung) unterschieden wird. Im hier zwischen den – in einem Über- und Unterordnungsverhältnis tätigen – Angeschuldigten vorliegenden Fall der vertikalen Arbeitsteilung sind durch den ursprünglich Pflichtigen organisatorische Maßnahmen zu treffen. Für ihn besteht vorab die Pflicht zu einer sorgfältigen Auswahl und Instruktion zur Erfüllung der übertragenen Aufgabe und im Nachgang der Übertragung die Pflicht zu einer allgemeinen – jedenfalls stichprobenartigen – Überwachung, die dabei umso strenger ist, desto höher die drohende Gefahr ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1964 – 1 StR 72/64, BGHSt 19, 286, 288 f.; LK-StGB/Weigend, 13. Aufl., § 13 Rn. 60; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Gaede, StGB, 5. Aufl., § 13 Rn. 41; SSW-StGB/Momsen, 5. Aufl., § 13 Rn. 33; Esser/Keuten, NStZ 2011, 314, 320; OLG Karlsruhe, NJW 1977, 1930 f.). Im Rahmen der Überwachung wird man sich jedenfalls nicht bloß auf das ordnungsgemäße Handeln des Delegaten verlassen dürfen. Der Umfang solcher Kontrollpflichten hängt im Einzelfall davon ab, inwieweit dem Delegaten bei der Ausführung seiner Tätigkeit Eigenverantwortlichkeit zukommt. Hiernach verbleiben umso mehr Pflichten – und damit einhergehend Verantwortung für das gefährdete Rechtsgut – bei dem Delegierenden, desto weniger demjenigen, dem eine Aufgabe übertragen worden ist, Handlungsspielraum zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2021 a.a.O., Rn. 36; OLG Celle, Beschluss vom 7. September 2023 – 2 Ws 244/23 -, juris). Soweit im Einzelfall auch die ursprünglich mit der Überwachungsaufgabe betraute Person eine eigene Sorgfaltspflicht zur Gefahrenbeseitigung treffen kann, ist das insbesondere dann der Fall, wenn die überwachende Person ohnehin am selben Ort ist (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 2002 – 4 StR 289/01 -, BGHSt 47, 224-233, Rn. 25). In diesen Fällen ist von einer Einschränkung der Eigenverantwortlichkeit des Sicherungspflichtigen auszugehen, sodass erhöhte Pflichten des Überwachenden bestehen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 7. September 2023, a.a.O.).

(2) Gemessen an diesen Grundsätzen kommt im vorliegenden Fall eine vollständige Übertragung der den Angeschuldigten K. treffenden Pflichten nicht in Betracht. Der nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis regelmäßig auf der Baustelle anwesende Angeschuldigte K. hat sich offenbar in hohem Maße im organisatorischen Bereich zur Durchführung der konkreten Baumaßnahme am W.-Durchlass eingebracht, sodass die Eigenverantwortlichkeit auch im Bereich der konkreten Umsetzung der Maßnahme bei dem Angeschuldigten S. als Polier vor Ort eingeschränkt war. Der Angeschuldigte K. durfte sich demnach gerade nicht darauf verlassen, dass der Angeschuldigte S. die notwendigen Absturzsicherungen installieren lässt. Doch selbst dann hätte der regelmäßig anwesende Angeschuldigte K. das Erfordernis der Sicherungsmaßnahmen aus den oben dargestellten Gründen erkennen und aufgrund der Untätigkeit des Angeschuldigten S. im Rahmen seiner Überwachungspflichten handeln müssen. Erkennt eine überwachungspflichtige Person, dass die mit den Verkehrssicherungspflichten betraute Person in bestimmter Weise nachlässig arbeitet, so darf die überwachungspflichtige Person nicht untätig bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1964, a.a.O., Rn. 4).

c) Es besteht ferner ein hinreichender Tatverdacht gegen den Angeschuldigten S. in seinen Funktionen als Polier auf der Baustelle und Vorarbeiter des Zeugen E., weil er mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegen die ihm mitübertragenen Sorgfaltspflichten verstoßen hat. Der Angeschuldigte S. war in seiner Funktion als Polier auf der Baustelle – zumindest sekundär – sicherungspflichtig und insoweit jedenfalls durch eine faktische Mitübernahme der Sicherungspflichten zusammen mit dem Angeschuldigten K. verantwortlich.

Die Kammer nimmt zunächst zur Vermeidung von Wiederholung auf die unter b) bezüglich des Angeschuldigten K. erfolgten Ausführungen Bezug, soweit sie – insbesondere im Hinblick auf das Bestehen von Verkehrssicherungspflichten und deren Verletzung – auch für den Angeschuldigten S. von Bedeutung sind.

aa) Nach der Stellungnahme der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) vom 10.08.2022 ist die Aufgabe eines Poliers das Leiten der Arbeitsprozesse auf Baustellen und die Überwachung der fachgerechten Ausführung nach den Vorgaben des Unternehmers. Im Bereich des Arbeitsschutzes hat er demnach die festgelegten Maßnahmen auf der Baustelle umzusetzen. Gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 der DGUV Vorschrift 38 (“Bauarbeiten) haben von einem Unternehmen als Vorgesetzte eingesetzte Personen zu gewährleisten, dass bei der Durchführung der Bauarbeiten die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften eingehalten und die Gefährdungen für die Sicherheit und Gesundheit der Versicherten minimiert werden. Dass der als Polier für das Unternehmen des Angeschuldigten K. tätige Angeschuldigte S. diese regelmäßigen Aufgaben eines Poliers auch tatsächlich übernommen hat, lässt sich dem bisherigen Ermittlungsergebnis unschwer entnehmen. Der Angeschuldigte S. ist nach seinen eigenen Angaben als gelernter Maurer seit dem Jahr 1994 in dem Unternehmen des Angeschuldigten K. tätig und übt etwa seit dem Jahr 2014 die hervorgehobene Tätigkeit des Poliers aus. Der Angeschuldigte K. hat hierzu in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 26.10.2020 ausgeführt, dass der Angeschuldigte S. als Polier nach ihm für die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften zuständig sei.

bb) Der Angeschuldigte S. war demnach in seiner Funktion als Polier aufgrund einer insoweit erfolgten Übertragung auf der konkreten Baustelle des Absturzortes neben dem Angeschuldigten K. für die Einhaltung der diesem originär obliegenden Sicherungspflichten zuständig.

Einer ausdrücklichen Übertragung der Pflichten bedarf es insoweit nicht. Regelmäßig begründet bereits die tatsächliche Übernahme eines entsprechenden Pflichtenkreises diesbezügliche Sorgfaltspflichten (vgl. BGH, Urteile vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08 – und vom 31. Januar 2002 – 4 StR 289/01 -, juris; OLG Celle, Beschluss vom 7. September 2023 – 2 Ws 244/23 -, Rn. 22, juris). Die Übernahme von Verantwortung und Ausübung der Sicherungspflichten vor Ort anstelle des nicht ständig vor Ort auftretenden Angeschuldigten K. folgt bereits aus der hervorgehobenen Tätigkeit als Polier. Der Angeschuldigte S. war nach dem Ermittlungsergebnis auf der Baustelle in A. als Vorarbeiter eingesetzt und durchgehend anwesend, während der Angeschuldigte K. lediglich zeitweise aber dennoch regelmäßig die Arbeiten vor Ort überwacht und die Ausführung und Überwachung ansonsten seinem Polier übertragen hat.

Die beiden Angeschuldigten waren demnach gemeinschaftlich in unterschiedlicher Ausprägung verpflichtet, die Einhaltung der oben dargestellten Pflichten sicherzustellen. Eine solche gemeinschaftliche Wahrnehmung von Verkehrssicherungspflichten ist auch möglich. Ein Arbeitnehmer eines Unternehmers, der einen Bau zumindest weitgehend in eigener Verantwortung leitet, ist neben dem primär Sicherungspflichtigen ebenfalls verkehrssicherungspflichtig, da die Trägerschaft einer Verkehrssicherungspflicht nicht auf eine Person beschränkt ist (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 12. März 1999 – 2 U 74/98 -, juris; BGH, Urteil vom 31. Januar 2002 – 4 StR 289/01 -, BGHSt 47, 224-233, Rn. 22 – 23 m.w.N.). Im Rahmen des Arbeitsschutzes können daher auf der Baustelle neben dem Arbeitgeber auch dessen Bauleiter, Polier oder Vorarbeiter verpflichtet sein, Arbeitsschutzmaßnahmen zu treffen (vgl. Kollmer/Klindt/Schucht/G. Kollmer, 4. Aufl. 2021, BaustellV § 5 Rn. 1).

Der Angeschuldigte K. hat die ihn originär treffenden Pflichten insoweit zumindest faktisch auf den Angeschuldigten S. übertragen, ohne dass er – aus den oben dargestellten Gründen – gänzlich frei von einer eigenen Verantwortung wurde. Der Angeschuldigte S. selbst hatte als Polier auf der Baustelle durch seine zumindest faktische Übernahme der Verkehrssicherungspflichten dafür Sorge zu tragen, dass die vorzunehmenden Arbeiten ordnungsgemäß nach den geltenden Arbeitsschutzvorschriften durchgeführt werden.

cc) Dieser Pflicht ist der Angeschuldigte S. ebenso wie der Angeschuldigte K. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht nachgekommen. Dem Angeschuldigten S. oblag insoweit auch eine eigene Prüfungspflicht, bei der er sich nicht auf eine anderslautende Einschätzung des Angeschuldigten K. verlassen durfte. Sind erkennbar Sicherungsmaßnahmen erforderlich, die vor Beginn der eigentlichen gefahrträchtigen Handlung durchgeführt werden müssen, muss sich der für die Gefahrenquelle Verantwortliche im Rahmen des ihm Zumutbaren vergewissern, dass der für die notwendige Sicherung Verantwortliche seine Aufgabe erfüllt hat, und darf nicht blindlings darauf vertrauen, dass dies auch zutrifft (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08 -, BGHSt 53, 38-45, Rn. 18).

Hinsichtlich der an der konkreten Baumaßnahme erforderlichen Schutzmaßnahmen kann die Kammer zur Vermeidung von Wiederholung zunächst auf die bezüglich des Angeschuldigten K. erfolgten Ausführungen Bezug nehmen. Der Angeschuldigte S. hätte demnach selbst die notwendigen Maßnahmen ergreifen oder zumindest den Angeschuldigten auf das Erfordernis hinweisen müssen.

dd) Die erforderliche, aber fehlende Schutzvorrichtung war – wie bereits ausgeführt – auch ursächlich für die eingetretenen Verletzungen des Zeugen E.. Das Erfordernis eines Gerüsts als Absturzsicherung hat der Angeschuldigte S. nach seinen Angaben in der Vernehmung vom 22.10.2020 auch erkannt. Darin hat er ausgeführt, dass man die Baugrube theoretisch komplett mit einem Gerüst hätte einrüsten müssen und dass dies auch passiert wäre, wenn das erforderliche Gerüstmaterial vorhanden gewesen wäre. Das sei aber nicht der Fall gewesen, weil man speziellere Gerüstteile benötigt hätte. Gleichwohl war der Angeschuldigte S. – als langjährig tätiger Bauarbeiter und Polier – grundsätzlich in der Lage, sein Handeln an die bestehende Gefahrenlage anzupassen und dementsprechend die Arbeiten entweder nicht durchzuführen oder aber die Organisation entsprechender Schutzmaßnahmen zu veranlassen. Dass es zu einem Absturz kommen kann, lag auch für den Angeschuldigten S. nicht außerhalb der Lebenserfahrung und war auch nicht auf die Verkettung mehrerer atypischer Umstände zurückzuführen.

3. Angesichts der vorstehenden Ausführungen unterliegt die angefochtene Nichteröffnungsentscheidung des Amtsgerichts Alfeld (Leine) vom 09.08.2023 insgesamt der Aufhebung.

Soweit die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde grundsätzlich zutreffend die Doppelbegründung der Nichteröffnung aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen rügt, ist dieser eher dogmatische Streitpunkt aufgrund der fehlenden Folgen nicht von Bedeutung (vgl. Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 204 StPO, Rn. 14).

Im Übrigen aber greifen die Ausführungen der Beschwerdeschrift im Hinblick auf die unter Ziffer 2. dargestellten Umstände durch. Die angefochtene Entscheidung verkennt insbesondere, dass zwischen den allein den Arbeitgeber treffenden und nach § 5 BaustellV bei ihm verbleibenden Pflichten sowie den Pflichten der Bauherrin aus der Baustellenverordnung zu unterscheiden ist (siehe oben unter 2. b) aa)). Eine tatsächliche Übernahme der Arbeitgeberpflichten aus dem Arbeitsschutzgesetz durch den mit der Erstellung des Sicherheits- und Gesundheitsplans beauftragten Ingenieurbüros liegt demnach bereits nach dem gesetzgeberischen Willen fern, da die Baustellenverordnung ausdrücklich in § 5 Abs. 3 BaustellV bestimmt, dass die Verantwortlichkeit der Arbeitgeber für die Erfüllung ihrer Arbeitsschutzpflichten durch die Maßnahmen nach den §§ 2 und 3 der Baustellverordnung nicht berührt wird (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 9. November 2012, a.a.O.). Auch in tatsächlicher Hinsicht wird schon aus den Angaben des Zeugen H. deutlich, dass er gar nicht vollständig über die Baumaßnahmen des einzelnen Unternehmens des Angeschuldigten K. unterrichtet war und insoweit seinen Fokus gar nicht auf die konkret für dessen Baumaßnahmen erforderlichen Schutzmaßnahmen, sondern vielmehr auf die Erstellung des Sicherheits- und Gesundheitsplans insgesamt gerichtet hat.

Schließlich ist auch der vom Amtsgericht vorgetragene Aspekt, es seien am Tag des Vorfalls insgesamt sieben Personen, die mit Sicherheitsfragen befasst gewesen seien, auf der Baustelle anwesend gewesen, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen sei, nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu begründen. Ein Arbeitgeber und ein Polier, die keine Schutzmaßnahmen für eine bestimmte – auf diese Art und Weise unzulässige – Art der Ausführung treffen, werden nicht davon befreit, dass dritte Personen, denen die konkrete Art der Ausführung der von einem anderen Unternehmen durchzuführende Arbeiten nicht bekannt ist, insoweit keine Beanstandungen äußern. Selbst wenn das Amtsgericht – entgegen dem bisherigen Aktenbestand – in der Hauptverhandlung feststellen sollte, dass der Zeuge H. und andere mit Sicherheitsfragen betraute Personen in Kenntnis der konkret gewählten Ausführungsform und somit eines Verstoßes gegen Ziffer 8.2 Abs. 7 Nr. 3 der Technischen Regel für Arbeitsstätten ASR A2.1 keine Bedenken geäußert hätten, lässt das einen Verstoß nicht entfallen. Allein der Umstand, dass Dritte keine Bedenken gegen einen Regelverstoß haben, setzt die bestehende Regel nicht außer Kraft.

Nachgefragt bei … Sind diese Kostenvorschussansprüche deswegen ausgeschlossen, wenn der Besteller wegen der Mängel, die zu diesen Ansprüchen führen, zunächst die Minderung der Vergütung erklärte, § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB?

Nachgefragt bei …

Dr. jur. Thomas Ax

Sind diese Kostenvorschussansprüche deswegen ausgeschlossen, wenn der Besteller wegen der Mängel, die zu diesen Ansprüchen führen, zunächst die Minderung der Vergütung erklärte, § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB?

ANTWORT: BGH, Urteil vom 22.08.2024 – VII ZR 68/22:

Diese Kostenvorschussansprüche sind nicht deswegen ausgeschlossen, wenn der Besteller wegen der Mängel, die zu diesen Ansprüchen führen, zunächst die Minderung der Vergütung erklärte, § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Die Gestaltungswirkung der Minderung beschränkt sich auf die Mängelrechte der Nacherfüllung, des Rücktritts und des großen Schadensersatzes in Form der Rückgängigmachung des Vertrags, nimmt dem Besteller, der das mangelhafte Werk behält, jedoch nicht das Recht, sein Leistungsinteresse durch Selbstvornahme mit Kostenerstattung im Wege des Schadensersatzes statt der Leistung (kleiner Schadensersatz), § 634 Nr. 4, § 281 BGB, oder gemäß § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1 BGB in vollem Umfang durchzusetzen.

Eine gesetzliche Regelung, wonach die Geltendmachung eines Kostenvorschussanspruchs ausgeschlossen ist, wenn der Besteller die Minderung des Werklohns erklärt hat, existiert nicht. Weder § 634 BGB noch §§ 637, 638 BGB regeln, in welchem Verhältnis das Recht des Bestellers auf Minderung der Vergütung (§ 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB) und die ihm zustehende Befugnis zur Selbstvornahme sowie sein Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses (§ 634 Nr. 2, § 637 BGB) stehen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist vielmehr davon auszugehen, dass diese Rechte nebeneinander bestehen können.

Aus der Begründung des Gesetzentwurfs zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drucks. 14/6040) ergibt sich nichts Anderes. Es war dem Gesetzgeber in Abgrenzung zum alten Schuldrecht vielmehr ein Anliegen, die Wahrnehmung von Mängelrechten sowohl im Kauf- als auch im Werkvertragsrecht flexibler zu gestalten und Käufer sowie Besteller mehr Möglichkeiten zur Wahrnehmung ihrer berechtigten Interessen einzuräumen (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 226, 263).

Diese gesetzgeberische Absicht spricht grundsätzlich dafür, dass die Geltendmachung eines Mängelrechts andere Mängelrechte nicht ausschließt. So hat der Gesetzgeber nur für den Fall des Schadensersatzes statt der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 281 Abs. 1 BGB) ausdrücklich geregelt, dass der Anspruch auf Nacherfüllung (§ 634 Nr. 1 BGB) erlischt, sobald der Besteller Schadensersatz statt der Leistung verlangt (§ 634 Nr. 4, § 281 Abs. 4 BGB). Diese Regelung dient nach der Absicht des Gesetzgebers dem Schutz des Unternehmers, der sich darauf einstellen können soll, nicht mehr einem Anspruch auf Nacherfüllung ausgesetzt zu sein, nachdem der Besteller Schadensersatz statt der Leistung verlangt hat (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 140). Damit wird dem Unternehmer beispielsweise eine sicherere Einsatzplanung der von ihm vorgehaltenen und auf seinen Baustellen einzusetzenden Produktionsmittel gewährleistet, da er nicht parallel auf Schadensersatz und Nacherfüllung in Anspruch genommen werden kann.

Es ist abzulehnen, diese ausschließlich § 634 Nr. 1 BGB betreffende Rechtsfolge auf die Befugnis zur Selbstvornahme und damit den Anspruch auf Kostenvorschuss nach § 634 Nr. 2, § 637 BGB zu erstrecken (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 Rn. 48 ff., BGHZ 218, 1). Diese Rechtsprechung beruht auf dem Wortlaut von § 281 Abs. 4 BGB, der gesetzgeberischen Absicht und dem Sinn und Zweck des Kostenvorschussanspruchs. Dieser dient dazu, dem Besteller die Nachteile und Risiken abzunehmen, die mit einer Vorfinanzierung der Mängelbeseitigung einhergehen. Wählt der Besteller Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes, kann er den Mangel beseitigen und die damit verbundenen Aufwendungen als Schaden von dem Unternehmer erstattet verlangen. Durch die Wahl des Schadensersatzes statt der Leistung anstelle der Selbstvornahme soll der Besteller aber nicht schlechter gestellt werden. Ein umfassender Ausgleich des verletzten Leistungsinteresses ist deshalb nur gewährleistet, wenn der Besteller – auch nach Wahl des Schadensersatzes statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes – weiterhin Vorschuss verlangen kann (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 Rn. 51, BGHZ 218, 1).

Der Besteller kann daher nach seiner Erklärung, Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes zu verlangen, den Mangel zunächst nicht beseitigen und den Schaden beispielsweise in Anlehnung an die in § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB geregelte Minderung bemessen (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 Rn. 38, 41, 44, BGHZ 218, 1). Das hindert ihn aber nicht, sich noch für eine Beseitigung des Mangels zu entscheiden und deshalb einen Kostenvorschussanspruch hierfür geltend zu machen (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 Rn. 48-51, BGHZ 218, 1).

Diese Erwägungen zum Verhältnis des Schadensersatzes statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes, § 634 Nr. 4, § 281 BGB, zum Kostenvorschussanspruch, § 634 Nr. 2, § 637 BGB, gelten entsprechend für das Verhältnis der Minderung, § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB, zum Kostenvorschussanspruch. Wählt also der Besteller zunächst das Mängelrecht der Minderung, steht es ihm ebenfalls grundsätzlich frei, zu einem späteren Zeitpunkt den Mangel zu beseitigen und zur Finanzierung der Aufwendungen einen Kostenvorschussanspruch geltend zu machen. Die Rechtsnatur der Minderung steht dem nicht entgegen.

Mit der Erklärung, die Vergütung zu mindern, bringt der Besteller zum Ausdruck, keine Beseitigung des Mangels durch den Unternehmer zu wollen. Es entspricht deshalb der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass mit der Erklärung der Minderung der Nacherfüllungsanspruch (§ 634 Nr. 1 BGB) ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 – VII ZR 235/15 Rn. 45, BGHZ 213, 319). Zudem bringt der Besteller zum Ausdruck, das Werk trotz des Mangels behalten zu wollen, so dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Rücktritt vom Vertrag (§ 634 Nr. 3 Fall 1 BGB) wegen des Mangels, auf den die Minderung gestützt wird, grundsätzlich ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 – VII ZR 235/15 Rn. 55, BGHZ 213, 319). Das Gleiche gilt für den Schadensersatzanspruch statt der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 281 BGB) in Form des großen Schadensersatzes, mit dem die Rückgängigmachung des Vertrags verlangt wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2018 – VIII ZR 26/17, BGHZ 218, 320 zum Kaufrecht). Dagegen ist der Besteller nach erklärter Minderung der Vergütung nicht gehindert, Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes (§ 634 Nr. 4, § 281 BGB) geltend zu machen (BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 – VII ZR 235/15 Rn. 49 ff., BGHZ 213, 319; vgl. zudem BGH, Urteil vom 9. Mai 2018 – VIII ZR 26/17 Rn. 43, 62, BGHZ 218, 320).

Ausgehend von dieser Rechtsprechung kann der Besteller auch nach erklärter Minderung den Mangel beseitigen und die dafür getätigten Aufwendungen als Schadensersatz statt der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 281 BGB) von dem Unternehmer erstattet verlangen. Dies ist dem Besteller weder nach der Gesetzessystematik noch aufgrund der Gestaltungswirkung der Minderung verwehrt.

Denn sowohl Minderung als auch Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes sind ihrem Inhalt nach darauf gerichtet, das verletzte Leistungsinteresse des Bestellers, der das mangelhafte Werk behält, auszugleichen. Diese Mängelrechte schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2018 – VIII ZR 26/17 Rn. 62, BGHZ 218, 320). Um einen möglichst umfassenden Ausgleich des Leistungsinteresses zu gewährleisten, ist es gerechtfertigt, dem Besteller ergänzend einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung (kleinen Schadensersatz) zuzubilligen, wenn ein über den Minderungsbetrag hinausgehender Schaden entsteht. Dieser kann auch nach erklärter Minderung in – über den Betrag der durch die Minderung ersparten Vergütung hinausgehenden – aufgewandten Mängelbeseitigungskosten, die der Besteller bei verständiger Würdigung für erforderlich halten durfte (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 Rn. 46, BGHZ 218, 1), bestehen. Er durfte sich zu diesen Aufwendungen aufgrund des Verhaltens des Unternehmers, der die ihm vom Gesetz eingeräumte Möglichkeit, sein mangelhaft abgeliefertes Werk nachzubessern (Nacherfüllung), nicht wahrgenommen hat, nach wie vor herausgefordert fühlen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 Rn. 46, BGHZ 218, 1).

Dem Unternehmer ist kein schützenswertes Interesse zuzubilligen, nach einer einmal erfolgten Minderung der Vergütung nicht mehr auf die Kosten einer Mängelbeseitigung in Anspruch genommen werden zu können. Es besteht nach der Konzeption der Mängelrechte durch die Schuldrechtsreform kein Grund, über das Erlöschen des Nacherfüllungsanspruchs hinaus die Dispositionsfreiheit des Bestellers zugunsten des Unternehmers einzuschränken. Es ist vielmehr der Unternehmer, der in doppelter Weise vertragswidrig gehandelt hat, indem er weder ein mangelfreies Werk herstellte noch seiner Pflicht zur Nacherfüllung nachkam.

Die Gestaltungswirkung der Minderung beschränkt sich – wie dargestellt – auf die Mängelrechte der Nacherfüllung, des Rücktritts und des großen Schadensersatzes in Form der Rückgängigmachung des Vertrags, nimmt dem Besteller, der das mangelhafte Werk behält, jedoch nicht das Recht, sein Leistungsinteresse durch Selbstvornahme mit Kostenerstattung im Wege des Schadensersatzes statt der Leistung (kleiner Schadensersatz), § 634 Nr. 4, § 281 BGB, oder gemäß § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1 BGB in vollem Umfang durchzusetzen.

Steht dem Besteller danach die Befugnis zur Selbstvornahme auch nach erklärter Minderung weiterhin zu, kann er vom Unternehmer gemäß § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 3 BGB einen Kostenvorschuss für die für die Selbstvornahme benötigten Mittel verlangen, die über die durch die Minderung ersparte Vergütung hinausgehen.