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Zur Frage der Drittschadensliquidation

Zur Frage der Drittschadensliquidation

von Thomas Ax

Nach der Rechtsprechung des BGH (zuletzt bspw. Urteil vom 21.04.2023 – V ZR 86/22, Rn. 23 m.w.N.) ist in besonders gelagerten Fällen eine Drittschadensliquidation möglich, bei der der Vertragspartner denjenigen Schaden geltend machen kann, der bei dem Dritten eingetreten ist, der selbst keinen Anspruch gegen den Schädiger hat. Liegen die Voraussetzungen der Drittschadensliquidation vor, wird in einem ersten Schritt der Anspruch dem (schadenslosen) Vertragspartner gewährt, der ihn dann im zweiten Schritt analog § 285 BGB an den Geschädigten abzutreten hat (vgl. Grüneberg/Grüneberg, a.a.O., Vorb. v. § 249 BGB, Rn. 107; BeckOGK/Mäsch, Stand: 01.07.2024, § 328 BGB, Rn. 175). Drittschadensliquidation kommt bei der sog. mittelbaren Stellvertretung in Betracht. In diesen Fällen schließt der mittelbare Stellvertreter im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung einen Vertrag mit dem Schädiger. Maßgebend ist, dass das Geschäft auf Rechnung des Dritten abgeschlossen worden ist (vgl. MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, § 249 BGB, Rn. 296; BeckOK BGB/Johannes W. Flume, 70. Ed., Stand: 01.05.2024, § 249 BGB, Rn. 369).

OLG München zu der Frage, dass eine vierzigjährige “Gewährleistungsgarantie” betreffend die Konstruktion für Außenwände, die Konstruktion für Innenwände, die Deckenkonstruktion sowie die Dachkonstruktion nur die “statische Grundkonstruktion” des Gebäudes umfasst und dass Abdichtungen, Fugen, Schienen und Verblechungen davon nicht umfasst sind

OLG München zu der Frage, dass eine vierzigjährige "Gewährleistungsgarantie" betreffend die Konstruktion für Außenwände, die Konstruktion für Innenwände, die Deckenkonstruktion sowie die Dachkonstruktion nur die "statische Grundkonstruktion" des Gebäudes umfasst und dass Abdichtungen, Fugen, Schienen und Verblechungen davon nicht umfasst sind

vorgestellt von Thomas Ax

OLG München, Urteil vom 11.09.2024 – 27 U 6864/22 Bau

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über Kostenvorschuss- und Schadensersatzansprüche aufgrund behaupteter Werkmängel bei der Errichtung eines Einfamilienhauses.

Die Parteien schlossen am 04.03.2003/14.03.2003 einen Vertrag über die Errichtung eines Einfamilienhauses unter Geltung des Werkvertragsrechts (Anlage K1). Hierbei erkannten die Kläger die Allgemeinen Vertragsbedingungen der Beklagten an.

§ 8 Ziff. 1 der Allgemeinen Vertragsbedingungen regelt zur Gewährleistung der Beklagten:

“Unmittelbar nach Fertigstellung des vertraglich vereinbarten Lieferumfanges findet eine förmliche Abnahme statt. Mit der Abnahme beginnen die Gewährleistungspflichten von … gemäß (Anlage Gewährleistungsgarantie). Ausgenommen sind Gewerke und Materialien, die einem natürlichen Verschleiß unterliegen.”

Die “Anlage Gewährleistungsgarantie” liegt als Anlage K 1 vor und enthält für die Gewerke auszugsweise folgende Regelung zur Gewährleistungsfrist:

“Konstruktion für Außenwände, Innenwände, Deckenkonstruktion Dachkonstruktion: 40 Jahre”

Die Leistungsbeschreibung (zum Vertrag Nr. …) enthielt auf Seite 2 eine Regelung dahingehend, dass die Gewährleistungsfristen betragen sollen (vgl. Klageerwiderung vom 18.07.2018, S.1 = Bl. 24):

“40 Jahre für die statische Grundkonstruktion und

5 Jahre für die Ausgangsgewerke gemäß BGB”

Das Einfamilienhaus wurde am 16.03.2004 abgenommen.

Die Verfugung der Eckbereiche des Wintergartens wurde nicht von der Beklagten, sondern von den Klägern vorgenommen.

Bereits 2007 bemerkten die Kläger Feuchtigkeit im Bereich des Dachs des Wintergartens bzw. der Decke des Wohnzimmers. Anfang 2008 erbrachte die Beklagte Nachbesserungsarbeiten, nach denen sich jedoch immer noch Wasserspuren an der Decke des Wohnzimmers abzeichneten, worüber die Kläger die Beklagte mit E-Mail vom 14.02.2008 informierten (Anlage K3). Im Juli 2008 informierten die Kläger die Beklagte über Wassereintritt unterhalb der inneren Fensterleisten des Wintergartens (Anlage K4). Die Beklagte erbrachte Nachbesserungsarbeiten, indem sie Silikon aufbrachte und an den waagerechten Leisten der Wintergartenverglasung Aluwinkel aufklebte. Die Kläger nahmen die Nachbesserungsarbeiten im Juli 2008 ab.

Im Juni 2017 kam es zu einem erheblichen Feuchtigkeitseintritt an der Decke des Wintergartens. Außerdem hatte die Holzkonstruktion des Wintergartens begonnen, von außen zu verrotten. Die Kläger zeigten dies der Beklagten an. Nach E-Mail-Verkehr mit der Beklagten forderten die Kläger diese schließlich mit E-Mail vom 28.11.2017 unter Berufung auf die vierzigjährige Garantie dazu auf, die Verpflichtung zur Mängelbeseitigung bis 06.12.2017 schriftlich anzuerkennen, bis 20.12.2017 mit der Mängelbeseitigung zu beginnen und die Mängel bis 17.01.2018 zu beseitigen. Mit E-Mail vom 03.12.2017 lehnte die Beklagte eine Nacherfüllung ab und berief sich auf Verjährung.

Die Beklagte behauptet, die Verrottungen am Wintergarten seien nicht auf mangelhafte Arbeiten der Beklagten und auch nicht auf einen Feuchtigkeitseintritt vom Bereich des Flachdachs zurückzuführen, sondern vielmehr darauf, dass die von den Klägern selbst hergestellte Terrasse aus Holz völlig unfachmännisch an das Hauptgebäude angeschlossen worden sei. Die Kläger hätten weder die erforderlichen Abdichtungsmaßnahmen ausgebildet noch die erforderlichen Abstände eingehalten, um den konstruktiven Holzschutz zu gewährleisten.

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Sie ist der Auffassung, die Mängelrechte der Kläger seien verjährt. Die vierzigjährige Gewährleistungsgarantie für die Konstruktion für Außenwände, Innenwände, Deckenkonstruktion und Dachkonstruktion bedeute lediglich, dass die Bauteile für sich genommen 40 Jahre “aushalten” sollten. Dies sei hinsichtlich aller von der Beklagten verwendeter Konstruktionshölzer der Fall. Die Gewährleistungsfrist für den Dachbelag erfasse lediglich die Ordnungsmäßigkeit der verwendeten Baustoffe, nicht jedoch Ausführungsfehler.

Das Erstgericht hat der auf Vorschusszahlung zur Mängelbeseitigung und Feststellung der Ersatzpflicht über den Vorschussbetrag hinausgehenden Schäden gerichteten Klage überwiegend stattgegeben, wobei es die Ansprüche sämtlich auf die Gewährleistungsgarantie gestützt hat, genauer auf die dort enthaltenen Gewährleistungsfristen betreffend die Konstruktion für Außenwände Innenwände Deckenkonstruktion Dachkonstruktion.

Das Erstgericht legte die Gewährleistungsgarantie als Haltbarkeitsgarantie in der Form aus, dass das Werk der Beklagten die vereinbarte Garantiefrist ohne Mängel oder Schäden an den jeweils genannten Gewerken überstehe. Die Beklagte als Herstellerin des Werks habe eine verschuldensunabhängige Einstandspflicht zusätzlich zur gesetzlichen Gewährleistung übernommen.

n den Punkten Konstruktion für Außenwände, Innenwände, Deckenkonstruktion, Dachkonstruktion legt das Erstgericht die Reichweite der Gewährleistungsgarantie dahingehend aus, dass sich diese nicht nur auf die “statische Grundkonstruktion” beziehe, sondern jeweils das gesamte Gewerk (so etwa das gesamte Dach) umfasse.

Das Erstgerichts hat sich vom Vorhandensein folgender Mängel überzeugt:

a) Das Flachdach weist aufgrund von Feuchtigkeit hohle Stellen auf und ist nicht fachgerecht abgedichtet. Zum einen fehle es an einer Abdeckungshochführung entlang dem unteren waagerechten Fensterblendrahmen der auf die Dachterrasse hinausführenden Fenster. Der Anschluss sei dort nicht dicht ausgeführt. Ein Maßstab könne in die unverschlossene Fuge eingeführt werden. Zum anderen werde die Anschlusshöhe der Abdichtungshochführung von mindestens 15 cm weder an den Fenstern noch an den Wandhochführungen erreicht. Darüber hinaus sei das obere Ende der Klemmschienen aus Blech nicht regensicher verwahrt und der maximal zulässige Schraubenabstand von 7,5 cm zum Ende der Klemmschiene werde teilweise überschritten. Für sich allein sei die Klemmschiene nicht hinreichend regensicher.

b) Die Außenwand im Bereich der auf die Dachterrasse hinausführenden Fenster ist nicht fachgerecht abgedichtet. Im Bereich der Rollladenführungsschiene fehle eine Abdichtung sowohl zur Fensterleibung als auch zum Fensterblendrahmen. Zwischen der Führungsschiene und dem WDVS-Oberputz der Fensterleibung bestehe ein etwa 2 cm tiefer Spalt. Zwischen Bordstückoberseiten und dem Aufstand des Fensterleibungsputzes bestehe keine Dichtungseinlage.

c) Die Holzkonstruktion des Wintergartens weist Feuchteschäden auf und ist nicht ausreichend durch konstruktive Maßnahmen gegen Feuchte geschützt. Die tragende Holzkonstruktion des Wintergartens in dem Auflager und der Eck-Konstruktionsfuge sei physikalischen Einwirkungen ungeschützt ausgesetzt. Der Fußpunkt müsse so ausgebildet werden, dass die Konstruktion vor Niederschlagswasser geschützt sei. Eine zwischen Holzkonstruktion und Unterkonstruktion bestehende Fuge müsse überdeckt werden, um Feuchtigkeitseintritt zu verhindern, sowie einen wirksamen Tropfüberstand aufweisen. Dies sei hier nicht erfolgt. Die auf die Kellerdecke auflagernden waagerechten Lagerhölzer wiesen deutliche Feuchteschäden auf, das Ständerholz am Fußende sei aufgerissen, der Dichtstoff in den Fugen aufgelöst und die weiße Farbe rissig und teilweise abgelöst. Auch die Kellerwand sei infolgedessen durchfeuchtet. Im Bereich der Festverglasung fehle es an einer fachgerechten Niederschlagsableitung. Der Tropfüberstand der Leichtmetall-Profile reiche nicht aus, um die Holzkonstruktion vor Niederschlagswasser zu schützen. Die Dichtstofffugen seien weder fachgerecht geplant noch ausgeführt.

Im Termin vom 26.07.2022, auf welchen hin das angefochtene Urteil erging, hatte das Erstgericht der Beklagtenpartei eine Stellungnahme zu den im Termin sachverständigenseits genannten DIN-Normen und Regelwerken bis 15.09.2022 erteilt. Mit Schriftsatz vom 15.09.2022 legte der Beklagtenvertreter das Leistungsverzeichnis (als Anlage B 6) vor. Das Vorbringen der Beklagtenpartei zur Leistungsbeschreibung hat das Erstgericht bei der Auslegung der Reichweite der Gewährleistungsgarantie unter Bezugnahme auf § 296a ZPO insgesamt unberücksichtigt gelassen.

Mit ihrer Berufung beantragt die Beklagte,

das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 25.10.2022, Az. 36 O 656/18 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Dabei wendet sich die Beklagtenpartei in erster Linie gegen die vom Erstgericht vorgenommenen Auslegung der Reichweite der Gewährleistungsgarantie. Die Berufung rügt hier zunächst, dass das Landgericht unstreitigen Parteivortrag zum Inhalt der Garantievereinbarung schlicht übersehen habe. Die Voraussetzungen der Präklusion des Vorbringens zum Leistungsverzeichnis gem. § 296a ZPO seien nicht gegeben. Die Beklagte habe auf Seite 1 ihrer Klageerwiderung den Inhalt der Gewährleistungsgarantie nach den zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen klargestellt. In der Klageerwiderung habe die Beklagte auch vorgetragen, dass sie ausweislich der Leistungsbeschreibung nichts anderes als eine Gewährleistungsgarantie für die “statische Grundkonstruktion” gewährt habe. Demzufolge sei die Feststellung auf Seite 17 der Entscheidungsgründe, die Beklagte habe “mit Schriftsatz vom 15.9.2022 erstmals” vorgetragen, aus dem Leistungsverzeichnis ergebe sich, dass die Gewährleistungsgarantie sich nur auf die “statische Grundkonstruktion” beziehe, in der Sache falsch. Der Inhalt des Leistungsverzeichnisses sei schon durch das erste Vorbringen der Beklagten Bestandteil des der Entscheidung zugrunde zu legenden Streitstoffs geworden. Es handle sich insoweit auch um unstreitiges Vorbringen. Die Kläger seien selbst im Besitz des Leistungsverzeichnisses. Entgegen ihrer Pflicht aus § 138 ZPO zu vollständigem Vortrag hätten sie dieses nicht zusammen mit den anderen Vertragsunterlagen zu den Akten gereicht. An keiner Stelle hätten sie aber den Vortrag der Beklagten zur Leistungsbeschreibung bestritten. Hätte das Landgericht den Vortrag der Beklagten nicht übersehen, sondern lediglich für unsubstantiiert gehalten, hätte es hierauf hinweisen müssen. Nach feststehender Rechtsprechung hat das Gericht gemäß § 139 ZPO darauf hinzuwirken, dass sich ein Verfahrensbeteiligter über alle erheblichen Tatsachen vollständig erklärt. Demzufolge sei ein Berufungsgrund aufgrund Verstoßes gegen die Hinweispflicht gem. § 139 Abs. 2 ZPO gegeben, wenn das Gericht den bisherigen Sachvortrag als nicht hinreichend substantiiert betrachtet und dies den Parteien nicht mitteilt. Selbstverständlich hätte die Beklagte die Leistungsbeschreibung anderenfalls vor der mündlichen Verhandlung vorgelegt.

Aus der eindeutigen Formulierung im Leistungsverzeichnis auf S. 2 unter Ziff. 2 ergebe sich, dass sich die vierzigjährige Gewährleistungsgarantie nur auf die “statische Grundkonstruktion” und damit ausschließlich auf das Tragwerk bezog. Darauf, dass die Leistungsbeschreibung bereits zum Streitstoff gemacht worden war, komme es jedoch noch nicht einmal an. Auch unabhängig davon ergebe sich im Wege der Auslegung, dass sich die von der Beklagten gewährte Gewährleistungsgarantie lediglich auf das Tragwerk bezog. Die Berufung rügt insoweit einen Verstoß gegen die Auslegungsgrundsätze der §§ 157, 133 BGB.

Ohne die Annahme eines Garantiefalles hätte das Landgericht die Klage infolge Verjährung der Gewährleistungsansprüche abweisen müssen. Das Einfamilienhaus wurde am 16.04.2004 abgenommen. Die Klage wurde im Jahr 2018 erhoben und damit ohne jeden Zweifel nach dem Eintritt der Verjährung gemäß § 634a Nr. 2 BGB.

Die Beklagte wendet sich (vorsorglich) zudem gegen die Feststellung der uneingeschränkten Schadensersatzpflicht in Ziff. 2 des angefochtenen Urteils. Insoweit rügt die Beklagte die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Mitverschuldens der Klagepartei sowie die Verkennung des Inhalts der vereinbarten Garantie. Indem es aus der Vereinbarung nicht nur eine Nachbesserungspflicht abgeleitet habe, sondern auch einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch bezüglich sämtlicher Mangelfolgeschäden, weiche das Landgericht ohne Begründung von der feststehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Verwendung des Wortes “Konstruktion” im allgemeinen Sprachgebrauch ergebe, dass damit die sinnvoll geplante Zusammensetzung mehrerer Baustoffe zu einem funktionstüchtigen Bauwerk gemeint sei. Gerade daran fehle es nach den eindeutigen und wiederholt bekräftigten Darlegungen des Sachverständigen. Im Sinne des vorstehend wiedergegebenen Verständnisses werde der Begriff der Konstruktion regelmäßig auch in der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung verwendet (so OLG Dresden vom 28.7.2016, Az. 10 O 1106/14 – NZB mit Beschluss des BGH vom 21.6.2017 zurückgewiesen, IBR 2017, 569).

8Gerade die Kombination dieser Begrifflichkeiten belege, dass eine Begrenzung auf Standsicherheit und Tragwerk gerade nicht gewollt sein kann, denn es sei bereits allgemein bekannt, dass nicht jede Innenwand einen Beitrag zur Standsicherheit des Gebäudes leiste. Die Berufungsklägerin habe das streitgegenständliche Anwesen schlüsselfertig erstellt. Planung und Ausführung lagen in ihrem Verantwortungsbereich. Die Berufungsklägerin sei verpflichtet gewesen, eine Konstruktion der Außenhülle des Gebäudes zu planen und auszuführen, die ein Eindringen von Feuchtigkeit entsprechend der fachlichen Anforderungen verhindere.

Im Übrigen wird gemäß § 540 ZPO auf die Feststellungen des Ersturteils Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat Erfolg und führt zur Abweisung der Klage.

Die nach § 529 ZPO dieser Entscheidung zugrunde zu legenden Feststellungen zu den am Gewerk (Fertighaus) vorhandenen Mängeln rechtfertigen keine Ansprüche aus der beklagtenseits gewährten “Gewährleistungsgarantie”.

1. Die vom Erstgericht erfolgte Auslegung der Reichweite der “Gewährleistungsgarantie” betreffend die “Konstruktion für Außenwände, die Konstruktion für Innenwände, die Deckenkonstruktion sowie die Dachkonstruktion” weist Rechtsfehler auf.

Bei zutreffender Auslegung der “Gewährleistungsgarantie” sind Gewährleistungsansprüche der Kläger in Bezug auf die festgestellten Mängel verjährt, da die “Gewährleistungsgarantie” diese konkreten Mängel nicht umfasst.

a) Zu Unrecht hat das Erstgericht das Vorbringen der Beklagtenpartei zur Leistungsbeschreibung nach § 296 a ZPO unberücksichtigt gelassen. So hätte das Erstgericht das unbestritten gebliebene Vorbringen in der Klageerwiderung berücksichtigen müssen. Die relevante Passage aus der Leistungsbeschreibung ist in der Klageerwiderung wörtlich wiedergegeben (dort S.1 = Bl. 24 d.A.). Unabhängig davon ist das Vorbringen der Beklagtenpartei unter Bezugnahme auf die Leistungsbeschreibung im Schriftsatz vom 15.09.2022 mangels Bestreitens seitens der Klagepartei im Berufungsrechtszug nach § 529 Abs. 2 ZPO zugrunde zu legen (vgl. BGH GS NJW 2008, 3434).

b) Unter Einbeziehung der Leistungsbeschreibung gelangt der Senat im Wege der Auslegung zu dem Ergebnis, dass die vierzigjährige “Gewährleistungsgarantie” betreffend Konstruktion für Außenwände, die Konstruktion für Innenwände, die Deckenkonstruktion sowie die Dachkonstruktion nur die “statische Grundkonstruktion” umfasst.

Was Gegenstand des Bauvertrags bzw. hier des Fertighausvertrages ist, muss im Einzelfall durch Auslegung der Vertragsunterlagen und gegebenenfalls weiterer Absprachen festgestellt werden, wobei nach ständiger Rechtsprechung der Vertrag als sinnvolles Ganzes unter Berücksichtigung aller Vertragsunterlagen nach den §§ 133, 157 BGB auszulegen ist (vgl. BGH, NZBau 2008, 437, 439 m. w. N.; OLG Koblenz, NZBau 2010, 562, 563; KG, NJW 2020, 343 Rn. 24).

Zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehört es, dass die Auslegung in erster Linie den von den Parteien gewählten Wortlaut der Vereinbarung und den diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen zu berücksichtigen hat (vgl. BGH, NJW 2001, 144). Bei der Auslegung dürfen dabei grundsätzlich nur solche Umstände berücksichtigt werden, die bei Zugang der Erklärung dem Empfänger bekannt oder für ihn erkennbar waren (vgl. BGH, NJW 1988, 2878, 2879; BGH, NJW-RR 2007, 529). Zudem darf der Empfänger der Erklärung nicht einfach den für ihn günstigsten Sinn beilegen. Er ist vielmehr nach Treu und Glauben verpflichtet, unter Berücksichtigung aller Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit zu prüfen, was der Erklärende gemeint hat (vgl. BGH, NJW 2008, 2702 Rn. 30; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 84. Auflage 2024, § 133 Rn. 9). Das gilt insbesondere dann, wenn erkennbar eine von zwei möglichen Auslegungen für den Erklärenden wirtschaftlich wenig Sinn macht (vgl. BGH, NJW 2008, 2702 Rn. 30).

Die klägerische Rechtsauffassung, die Verwendung des Wortes “Konstruktion” im allgemeinen Sprachgebrauch “die sinnvoll geplante Zusammensetzung mehrerer Baustoffe zu einem funktionstüchtigen Bauwerk” (vgl. BB S. 3) verbiete ohne eindeutige Erklärung eine Beschränkung dahingehend, nur für die Eignung des Tragwerks bzw. der Statik haften zu wollen, geht am Wortsinn vorbei. So ist ausdrücklich von “statischer Grundkonstruktion” die Rede.

Auch der Einwand, dass gerade die Kombination dieser Begrifflichkeiten (Konstruktion für Außenwände und Innenwände, Dachkonstruktion, Deckenkonstruktion) belege, dass eine Begrenzung auf Standsicherheit und Tragwerk gerade nicht gewollt sein konnte, da es allgemein bekannt sei, dass nicht jede Innenwand einen Beitrag zur Standsicherheit des Gebäudes leistet, greift nicht. Aufgrund der Beschränkung auf die statische Grundkonstruktion scheiden Innenwände ohne entsprechenden statischen Beitrag – wie Innenwände aus Gipskarton – selbstredend aus. Vor allem legt die klägerische Auffassung eine den Klägern einseitig günstige Auslegung zugrunde. Eine solche einseitige Auslegung würde auch zu einer für den Erklärenden (hier Verkäufer/Bauunternehmer) wirtschaftlich wenig sinnhaften überproportionalen Ausdehnung seiner Gewährleistungspflicht führen. So würde die im Vertrag erwähnte reguläre fünfjährige Verjährungsfrist nicht nur um das achtfache auf vierzig Jahre verlängert, sondern inhaltlich bei Lichte besehen nahezu das gesamte Werk umfassen.

Würde man die Sichtweise der Kläger, dass die Beklagte verpflichtet war, eine Konstruktion der Außenhülle des Gebäudes zu planen und auszuführen, die ein Eindringen von Feuchtigkeit entsprechend der fachlichen Anforderungen und eine damit verbundene Beeinträchtigung der Standsicherheit verhindert, weiterverfolgen, so müssten konsequenterweise auch der Dachbelag und die Flachdachfolie, Gesims-, Trauf- und Holzschalung, Fenster samt Rolläden und auch Flaschnerarbeiten einer vierzigjährigen Verjährung unterliegen, da auch diese Gewerke/Bauteile die Grundkonstruktion ebenfalls vor Feuchtigkeit schützen und damit als “bestandserhaltend” anzusehen sind. Eine solche Auslegung wäre aber nicht nur wirtschaftlich bedenklich, sondern findet bereits im Wortlaut keinen Rückhalt. So erfolgte die “Gewährleistungsgarantie” sprachlich betrachtet gerade nicht für die gesamte “Gebäudehülle” o. Ä., sondern wurde auf die “statische Grundkonstruktion” beschränkt. Schon nach dem allgemeinen sprachlichen Verständnis (Grundkonstruktion) liegt insoweit eine einschränkende Konkretisierung vor, die sich auf grundlegende statisch relevante Teile bezieht und damit auf die tragende Grundkonstruktion. Mit einer “Gewährleistungsgarantie” für eine Dachkonstruktion, so wie sie ein Zimmermann herstellt, wird nach einem objektiven Maßstab aus Empfängersicht nichts anderes versprochen als das Einstehenwollen für die Standfestigkeit, die Verwendung der geeigneten Materialien und die fachgerechte Verbindung der Hölzer zu einem belastbaren Tragwerk. Auch der Begriff “Konstruktion für Außenwände” kann nach dem objektiv zu beurteilenden Verständnis auf nichts Anderes als auf das Tragwerk der Holzständerwand bezogen werden. Demgemäß sind bei einer Garantie für die statische Grundkonstruktion gerade nicht die Abdichtung, Fugen oder Schienen und Verblechungen einbezogen.

Auch aus der von den Klägern zitierten Entscheidung des OLG Dresden (Urteil vom 28. Juli 2016 – 10 U 1106/14 -) ergibt sich nichts Gegenteiliges. So stand in dem dortigen Fall die Planung eines Lichtdaches durch einen Architekten im Streit. Der Architekt darf in seiner Planung eines Lichtdaches in der Tat nur eine Konstruktion vorsehen, von der er völlig sicher ist, dass sie den an sie zu stellenden Anforderungen genügt, insbesondere gegen eine – gefahrenträchtige – Abdichtung gegen Feuchtigkeit. Dies ist aber mit der vorliegenden Streitfrage nicht vergleichbar: Die Frage einer mangelhaften Konstruktion des Lichtdachs durch den Architekten kann mit der Frage, wie weit eine Haftung für die statische Grundkonstruktion eines Daches geht, nicht verglichen werden, insbesondere wenn die “Gewährleistungsgarantie” gerade für andere Teilgewerke des Daches – wie ausgeführt – andere Gewährleistungsfristen vorsieht.

c) Die gewährte “Gewährleistungsgarantie” eröffnet darüber hinaus die Frage, ob die Garantiefrist grundsätzlich als Verjährungsfrist, als widerlegliche Vermutung des Vorhandenseins des während der Frist aufgetretenen Mangels bereits bei Gefahrübergang oder aber als Haltbarkeitsgarantie verstanden werden musste.

Diese Frage muss der Senat jedoch angesichts der Feststellungen zu den Mängeln nicht beantworten, weil die Mängel sämtlich bei Gefahrübergang vorlagen und eine Haftung auch bei Auslegung der “Gewährleistungsgarantie” als bloße Regelung zur Verjährungsfrist zu keinem abweichenden Ergebnis käme.

d) Nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen verbleiben keine Zweifel daran, dass die vierzigjährige “Gewährleistungsgarantie” jeweils nur solche Mängel umfasst, die in der statischen Grundkonstruktion des jeweils angeführten Gewerks einschließlich deren Ausführung ihren Ursprung haben.

Hierfür streitet nicht nur der Wortlaut “für die einzelnen Gewerke” in der “Gewährleistungsgarantie, sondern auch die Systematik der Regelung mit einer Abschichtung der Fristen. Andernfalls würde – wie ausgeführt und wiederum den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen folgend – die zeitlich gestaffelte “Garantie” für einzelne Gewerke ihres Sinnes enthoben (so etwa, wenn nach über 30 Jahren eine fehlende Dichtheit des Daches zu Mängeln an der statischen Grundkonstruktion führen würde).

Damit sind die vom Erstgericht festgestellten Mängel betreffend die fehlende Dichtigkeit des Flachdachs ebenso wie diejenigen betreffend die nicht fachgerechte Abdichtung der Außenwand im Bereich der auf die Dachterrasse hinausführenden Fenster nicht von der “Gewährleistungsgarantie” betreffend die Gewerke Konstruktion für Außenwände, Konstruktion für Innenwände, Deckenkonstruktion sowie die Dachkonstruktion erfasst.

Nichts anderes gilt nach Auffassung des Senats für die vom Erstgericht festgestellten Mängel an der Holzkonstruktion des Wintergartens. Diese haben ihre Ursache nicht in einer fehlerhaften bzw. fehlerhaft ausgeführten (statischen) Grundkonstruktion. So beschränken sich die insoweit festgestellten Mängel darauf, dass die Holzkonstruktion des Wintergartens im Bereich des Anschlusspunktes der Außenwand zur Kellerdecke nicht über die baukonstruktiv notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung einer Feuchteeinwirkung im Sockelbereich von Wänden in Holzbauweise (Gutachten vom 26.06.2021 unter Ziff. 2.9.4 = Bl. 182 d.A. bzw. unter Ziff. 2.10.1. = Bl. 183 d.A.) verfügt: Es fehlt ein fachgerechter Feuchteschutz der Holzkonstruktion des Wintergartens außen; stattdessen sind die Fugen zwischen dem waagrechten Konstruktionsholz und der senkrecht aufgehenden Stütze lediglich mit dauerelastischem Material versehen worden. Die bereits eingetretene Holzfäule (Gutachten Ziff. 2.12. = Bl. 185 d.A.) ist mithin (denklogisch) nur der nicht fachgerechten Niederschlagsableitung (Gutachten Abb. 06 = Bl. 180 d.A.) und mitnichten der Konzeption und Ausführung der statischen Konstruktion selbst geschuldet. Dies wird darin offensichtlich, dass der Sachverständige für den Senat überzeugend als Problemlösung für den Schutz der Holzkonstruktion des Wintergartens eine Blechabdeckung als Bauteilschutz vorschlägt (vgl. Ergänzungsgutachten vom 19.01.2022, dort auf S. 23 ff., 24 = Bl. 242 ff. d.A., insbes. Skizze S. 24), mithin ein “Zusatz”-Gewerk (Flaschner/Spengler), das nicht der statischen Grundkonstruktion selbst, sondern dessen Schutz dient.

Dafür, dass die statische Grundkonstruktion des Wintergartens mithin dessen Stand- und Tragfestigkeit in Planung bzw. Ausführung selbst mangelbehaftet wäre, ergeben sich weder auf Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen in Gutachten/Ergänzungsgutachten und dessen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 26.07.2022 greifbare Anhaltspunkte noch wurde die statische Ausführung des Wintergartens selbst klägerseits in Frage gestellt.

Auf die Frage, ob der Wintergarten überhaupt von der statischen Grundkonstruktion des Fertighauses erfasst wird, nachdem es sich schlicht um einen – (wie etwa aus Foto Nr. 01 des Gutachtens vom 26.06.2021 = Bl. 141 d.A. ersichtlich) auch nachträglich anbringbaren – Anbau – in gleicher Weise möglich auch an ein Haus in Massivbauweise – handelt, kann damit offenbleiben. Dagegen spricht jedenfalls, dass das Verkaufsargument einer vierzigjährigen Garantie für die Statik eines Fertighauses aus Empfängersicht nur darauf abzielen kann, die (möglichen) statischen Nachteile eines solchen gegenüber Häusern in Massivbauweise aufzufangen.

2. Die festgestellten Mängel betreffend die fehlende Dichtigkeit des Flachdachs sind auch nicht etwa von der Regelung der “Gewährleistungsgarantie” zur Dichtigkeit von “Dachbelag, Betondachplatten und Flachdachfolie” gedeckt. Die Bezugnahme auf die Herstellerangaben für die Länge der Gewährleistungsfrist (20 bzw. 30 Jahre) lässt auch aus der für die Auslegung maßgeblichen Empfängersicht keine Zweifel daran, dass die “Gewährleistungsgarantie” insoweit nur für das Material und gerade nicht für die Ausführung der Abdichtungsarbeiten greifen sollte.

OLG Oldenburg zu der Frage, dass wenn der Besteller den Unternehmer auffordert, den Mangel “schnellstmöglich, spätestens bis zum …” zu beseitigen, darin eine befristete Mahnung (“schnellstmöglich”) und eine Fristsetzung zur Nacherfüllung (“spätestens bis zum …”) liegen kann

OLG Oldenburg zu der Frage, dass wenn der Besteller den Unternehmer auffordert, den Mangel "schnellstmöglich, spätestens bis zum ..." zu beseitigen, darin eine befristete Mahnung ("schnellstmöglich") und eine Fristsetzung zur Nacherfüllung ("spätestens bis zum ...") liegen kann

vorgestellt von Thomas Ax

1. Nach Abnahme des Werks kommt der Eintritt des Verzugs mit der Herstellungsverpflichtung nicht mehr in Betracht.
2. Der Verzug mit der Nacherfüllungsverpflichtung gem. § 634 Nr. 1, § 635 Abs. 1 BGB setzt grundsätzlich eine Mahnung voraus. Fordert der Besteller den Unternehmer auf, den Mangel “schnellstmöglich, spätestens bis zum …” zu beseitigen, können darin eine befristete Mahnung (“schnellstmöglich”) und eine Fristsetzung zur Nacherfüllung (“spätestens bis zum …”) liegen.
3. Verbindet der Besteller ein solches Nachbesserungsverlangen mit der Maßgabe, Termine unter Einhaltung einer Vorlaufzeit mit ihm abzusprechen, kann dies geeignet sein, die Frist für den Eintritt der Mahnung hinauszuschieben.
4. Zur Frage der Anspruchsgrundlage auf Schadensersatz wegen eines werkmangelbedingten Nutzungsausfallschadens (“erweitertes Leistungsinteresse”).
5. Ein Schadensersatzanspruch wegen werkmangelbedingten Nutzungsausfalls gem. § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB kann wegen eines überwiegenden Mitverschuldens des Bestellers ausgeschlossen sein, wenn der Besteller ihm bekannte Mängel dem Unternehmer nicht anzeigt, die jener vor Schadenseintritt beseitigt hätte.

OLG Oldenburg, Urteil vom 05.11.2024 – 2 U 93/24

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz, weil er eine Fahrsiloanlage mangelbedingt nicht rechtzeitig in Gebrauch nehmen konnte. Deswegen habe er seine Maisernte nicht in diese einbringen können, sondern entsprechend der Anlagen K 8 und K 9 verkaufen und zu höheren Preisen Futtermittelersatz zukaufen müssen.

Der Kläger trug sich bereits 2019 mit dem Gedanken, in seinen Betrieb eine Fahrsiloanlage errichten zu lassen. Für diese beantragte und erhielt er eine Baugenehmigung (Anlage K 18). In dieser war eine Dichtigkeitsprüfung durch einen Sachverständigen gefordert. Im Juli 2020 fand sich auf Aufforderung des Klägers der Gutachter DD bei ihm ein. Gegenstand des Gesprächs war, dass die Fahrsiloanlage unter Mitwirkung des Gutachters hergestellt werden soll. Die Beklagte ist eine Gewerbeunternehmung zum Bau von Fahrsiloanlagen. Mit ihr schloss der Kläger am 9.3.2021 einen Vertrag, in dem die Beklagte sich verpflichtete, für den Kläger eine Fahrsiloanlage herzustellen. Auf die Anlage K 1 sowie Auftragsbestätigung Anlage K 13 und die Baugenehmigung Anlage K 18 wird Bezug genommen. Am 16.9.2021 nahm der Kläger das Bauwerk ab. Auf das Abnahmeprotokoll Anlage B 2 wird verwiesen. Eine Dichtigkeitsprüfung hatte der Gutachter DD bereits vorgenommen. Die Termine hatte er jeweils mit dem Geschäftsführer der Beklagten besprochen, auf dessen Anforderung auch die Rechnung an die Beklagte adressiert und von dieser bezahlt wurde.

Die Beklagte stellte ihre Leistungen mit Schlussrechnung vom 30.9.2021 in Rechnung (Anlage K 5). In dieser war ein Bruttorestbetrag von 5.898,06 Euro offen, der auch die Sachverständigenvergütung umfasste. Darin vermerkte die Beklagte, die “Unterlagen” erst nach Begleichung der Schlussrechnung dem Landkreis zuzustellen, was sie gegenüber dem Kläger nach Ausbleiben der Zahlung am 13.10.2021 (Anlage K 6) wiederholte.

Spätestens am 14.10.2021 stellte der Kläger fest, dass – nach seiner streitigen Behauptung – die Anlage teilweise undicht sei und ihre Abflüsse sich nicht öffnen ließen. Nach einem Telefonat mit der Beklagten am 14.10.2021 rügte der Kläger mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 15.10.2021 andere Mängel an der Anlage, die bereits beseitigt waren. Am 25.10.2021 forderte der Kläger über ein weiteres Schreiben seines Prozessbevollmächtigten, wegen dessen Inhalts die Anlage K3 in Bezug genommen wird, zur Beseitigung der Mängel (teilweise Undichtigkeit, Abflüsse ließen sich nicht öffnen) bis zum 8.11.2021 auf. Unmittelbar darauf veräußerte der Kläger den von ihm Anfang Oktober geernteten Mais. Weder darauf noch auf den Umstand möglicher und nunmehr geltend gemachter Folgekosten durch den dadurch notwendigen Zukauf von Futter wies der Kläger die Beklagte mit dem Schreiben vom 25.10.2021 oder sonst zu irgendeinem Zeitpunkt hin.

Am 8.12.2021 übersandte der Gutachter DD den Prüfbericht der Fahrsiloanlage dem Landkreis.

Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen nebst Anträgen gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Ein Verzugsschadensersatzanspruch käme nicht in Betracht. Die Beklagte habe nicht gegen eine Fertigstellungsfrist aus dem Werkvertrag verstoßen. Zudem sei eine Mahnung erst mit dem 8.11.2021 wirksam geworden und damit zu einem Zeitpunkt, in dem der Schaden wegen des vorherigen Maisverkaufs bereits entstanden war. Selbst wenn sich aus dem Werkvertrag eine Fertigstellungsfrist ergebe, läge wegen der Abnahme kein Verzug vor. Das Zurückhalten des Prüfberichts durch die Beklagte rechtfertige kein anderes Ergebnis, weil eine mündliche Berichterstattung gegenüber dem Landkreis ausgereicht hätte und außerdem der Gutachter DD nicht Erfüllungsgehilfe der Beklagten gewesen sei, sondern der Kläger diesen beauftragt habe. Mängelansprüche kämen ebenfalls nicht in Betracht. Schadensersatz statt der Leistung wegen der behaupteten Mängel käme mangels Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht in Betracht. Im Übrigen stünde nicht fest, dass die Beklagte dem Kläger vorgemacht habe, der Betrieb der Anlage sei an die Vorlage des schriftlichen Prüfberichts gebunden, so dass auch daraus kein Anspruch erwachsen könne.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er greift an, dass das Landgericht zu Unrecht nicht von der Vereinbarung eines Fertigstellungszeitpunkts Ende März 2021, im Juli 2021 oder spätestens zu Beginn des Oktobers 2021 ausgegangen sei. Ansprüche stünden dem Kläger jedenfalls zu, weil die Einlagerung des Mais im Zeitpunkt des Verkaufs mangels vorliegenden Prüfberichts verboten war. Entgegen der Auffassung schuldete die Beklagte dem Kläger die rechtzeitige Vorlage des Prüfberichts beim Landkreis und sie hätte sich dafür ihres Erfüllungsgehilfen DD bedient. Das folge aus den Gesamtumstäden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des am 28.05.2024 verkündeten Urteils des Landgerichts Oldenburg, Az. 3 O 979/23, zu verurteilen, an den Kläger 66.977,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.06.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger verfolgt im Berufungsrechtszug gegenüber der Beklagten sein Begehren auf Erstattung des Schadens weiter, der ihm dadurch entstanden ist, dass er am 26. und spätestens 29.10.2021 seinen Mais nicht in die beauftragte Fahrsiloanlage einbringen konnte, ihn deswegen verkaufen und zu höheren Kosten Futtermittel zukaufen musste. Soweit der Kläger den Zeitpunkt des Maisverkaufs in seiner Berufungsbegründung erstmals auf den 27./31.10.2021 datiert, ist dies unzutreffend. Aus der Anlage K 8 ergibt sich, dass der Mais am 26.10.2021 bei der EE angeliefert wurde. Nach den eigenen Angaben des Klägers aus der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 1.2.2024 erfolgte die Ablieferung bei der FF GbR “2 oder 3 Tage später”. Damit fand der erste Verkauf spätestens am 26.10.2021 und der zweite spätestens am 29.10.2021 statt. Die Daten der Gutschriften (Anlagen K 8 und K 9), auf die der Kläger Bezug zu nehmen scheint, sind nicht maßgeblich.

Unter Berücksichtigung dessen steht dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung des in Höhe von 66.977,40 Euro geltend gemachten Schadens unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

A) Er ergibt sich nicht aus Verzug gem. §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 4 BGB.

1. Die Beklagte befand sich mit ihrer Herstellungsverpflichtung aus § 631 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Vertrag über die Errichtung der Fahrsiloanlage nicht in Verzug als der Schaden entstanden ist.

In diesem Zusammenhang kann auf sich beruhen, zu welchem Termin die Parteien die Fertigstellung der Fahrsiloanlage vereinbart haben oder für welchen Zeitpunkt sich die Fertigstellungsverpflichtung aus den Umständen ergibt, § 271 Abs. 1 BGB. Denn mit der Abnahme der Fahrsiloanlage am 16.9.2021 ist die Erfüllung des Werkvertrages eingetreten (vgl. BGH NJW 2017, 1604 Rn. 33; Jurgeleit in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., Teil 3 Rn. 2, 16). Mit dieser Erfüllung ist der durch den Abschluss des Werkvertrages entstandene Anspruch auf Herstellung der Fahrsiloanlage gem. § 362 BGB erloschen. Deswegen konnte die Beklagte ab dem Zeitpunkt der Abnahme am 16.9.2021 mit ihrer Herstellungsverpflichtung weder in Verzug geraten noch sein. Der seitens des Klägers geltend gemachte Schaden ist indes nach seinem eigenen Vorbringen erst dadurch ausgelöst worden, dass er am 26./29.10.2021 vorhandenen Mais aus Eigenbeständen nicht in die Fahrsiloanlage eingebracht, sondern verkauft hat. Ein Ursachenzusammenhang zwischen einem Verzug mit der Fertigstellung des Werks aus dem ursprünglichen Vertrag und dem geltend gemachten Schaden kommt deswegen nicht in Betracht.

2. Der Kläger kann den Schadensersatzanspruch auch nicht daran knüpfen, dass die Beklagte mit einer Nacherfüllungsverpflichtung gem. § 635 BGB in Verzug geraten wäre. Das ist zwar grundsätzlich möglich (vgl. BeckOK BGB/Voit, 70. Ed. 1.2.2024, BGB § 634 Rn. 29), vorliegend sind allerdings die Voraussetzungen nicht erfüllt.

a) Ein Nacherfüllungsanspruch des Klägers käme hinsichtlich der streitigen Behauptung des Klägers, im Zeitpunkt der Abnahme sei die Fahrsiloanlage undicht gewesen und ihre Abflüsse hätten sich nicht öffnen lassen, in Betracht. Unterstellt man dieses streitige Vorbringen als zutreffend, wäre ein auf diese Mängel bezogener Nacherfüllungsanspruch zum Beginn der Schadensentstehung am 26. und 29.10.2021 infolge des Maisverkaufs fällig gewesen.

Allerdings befand sich die Beklagte im maßgeblichen Zeitpunkt der Schadensentstehung mit der zugunsten des Klägers unterstellten Nacherfüllungsverpflichtung nicht in Verzug. Es fehlte an einer ausreichenden Mahnung des Klägers, die auch nicht gem. § 286 Abs. 2 BGB entbehrlich war.

Ausweislich der Anlage K 3 rügte der Kläger erst mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 25.10.2021 erstmals nach der Abnahme die Undichtigkeiten der Fahrsiloanlage sowie den Umstand, dass die Abflüsse der Siloanlage sich nicht öffnen ließen. Es schloss sich in diesem Schreiben die Aufforderung an, diese Mängel “schnellstmöglich, spätestens jedoch bis zum 8.11.2021 zu beseitigen, weil “die Fahrsiloanlage von unserem Mandanten genutzt werden muss” (Anlage K 3). Damit lag eine befristete Mahnung vor. Zwar war für deren Verzugsbegründung nicht auf die Fristsetzung zum 8.11.2021 abzustellen, weil diese in erster Linie die weitergehenden Mängelgewährleistungsrechte auslösen sollte (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 83. Aufl., § 286 Rn. 17). Angesichts dessen blieb allerdings die Befristung durch das Adjektiv “schnellstmöglich”. Sie war auf den Verzugseintritt zu beziehen. Dies gilt umso mehr, weil der Kläger in dem Schreiben vom 25.10.2021 darauf hinwies, dass Mängelbeseitigungsarbeiten anzukündigen sowie abzusprechen wären und er dadurch selbst eine dem sofortigen Verzugseintritt entgegenstehende eigene Annahme- bzw. Mitwirkungshandlung statuiert hat. Die Beklagte hat das Mahnschreiben vom 25.10.2021, das ihr vorab per Email übermittelt wurde, frühestens an diesem Tage erhalten. Auch eine “schnellstmögliche” Reaktion beim Kläger vor Ort benötigte angesichts der geforderten Maßnahmen, der örtlichen Entfernung vom Betriebssitz der Beklagten sowie des durch den Kläger statuierten Mitwirkungserfordernisses nach objektivem Verständnis zeitlichen Vorlauf. Dies gilt umso mehr als der Kläger selbst forderte, dass Mängelbeseitigungstermine “unter Berücksichtigung einer entsprechenden Vorlaufzeit – damit unser Mandant disponieren kann – entweder direkt mit unserem Mandanten oder über unser Büro abzusprechen” seien. Deswegen war die Frist “schnellstmöglich” aus der Mahnung weder bereits am 26. noch am 29.10.2021 abgelaufen, so dass ein Verzug mit der geschuldeten Nacherfüllung erst danach eintreten konnte.

Soweit ein Verzug der Beklagten wegen der von dem Kläger behaupteten Mängel später eingetreten ist, fehlt es an der kausalen Verbindung mit dem durch den Kläger geltend gemachten Schaden.

b) Demgegenüber kommt ein Verzug der Beklagten mit einer Nacherfüllungsverpflichtung im Hinblick auf eine verspätete Überlassung des nach Ziff. 10 der Baugenehmigung (Anlage K 18) erforderlichen Prüfberichts des Gutachters DD über die Dichtigkeit und Funktionsfähigkeit der Fahrsiloanlage schon im Ansatz nicht in Betracht.

aa) Der Bauvertrag umfasste die Überlassung eines solchen Prüfberichts entgegen der Auffassung des Klägers nicht. Aus dem schriftlichen Bauvertrag (Anlage K 1) und insbesondere der vom Kläger zur Untermauerung seines abweichenden Rechtsstandpunkts in Bezug genommenen Ziffer 2.3 dieses Bauvertrages ergibt sich eine solche Leistungsverpflichtung nicht. Dort wird die “Vorlage aller statischen Unterlagen, Genehmigungen des Auftraggebers” unter der Überschrift “§ 2 Vertragsgrundlage” genannt. Diese Formulierung statuiert schon vom Wortlaut her mitnichten eine Leistungsverpflichtung der Beklagten, sondern vielmehr eine Mitwirkungsobliegenheit des Klägers. Diese beruht darauf, dass die Beklagte das Gebäude in Übereinstimmung mit dem öffentlichen Baurecht zu errichten hat und dafür die Baugenehmigung benötigt. Keinesfalls kann der Passus aber als eine Leistungserweiterung dahin verstanden werden, dass die Beklagte sich auch zur Einholung und Überlassung der für den Betrieb der zu errichtenden Anlage erforderlichen und dem Landkreis vorzulegenden Prüfzeugnisse erstreckt.

Das lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass die Beklagte den Prüfbericht auf die Schlussrechnung (Anlage K 5, Pos. 0.23) gesetzt hat. Aus dieser nach Vertragsschluss liegenden Handlung kann nicht ohne Weiteres nachträglich konstruiert werden, dass die Überlassung des Prüfberichts bereits ursprünglich Teil der vertraglichen Bauleistungsverpflichtung geworden wäre. Der tatsächliche Verlauf spricht vorliegend eindeutig dagegen. So hat der Kläger vorgetragen, dass zwischen den Parteien des Rechtsstreits zunächst die Beauftragung des Sachverständigen durch ihn vereinbart gewesen ist (Bl. 136 eA LG, Bl. 36 eA OLG). Zudem hat das Landgericht auf Grundlage der Aussage des Zeugen DD festgestellt, dass der Kläger bereits am 3.7.2020 den Erstkontakt mit diesem hergestellt und besprochen hat, was gemacht werden sollte. Erst im Laufe der Baumaßnahme hat die Beklagte den weiteren Kontakt zu dem Gutachter DD gesucht, ihn aufgefordert, die Rechnung für das Gutachten an sie zu richten, das Gutachten von ihm erhalten, dessen Rechnung beglichen sowie diesen Betrag mit der eigenen Schlussrechnung gegenüber der Klägerin geltend gemacht. Dies geschah, obwohl dies nach dem eigenen Vorbringen des Klägers “nicht zwischen den Parteien vereinbart worden war” (Bl. 136 eA LG = S. 6 des Schriftsatzes vom 5.3.2024). Eine Vertragserweiterung in Bezug auf den Bauvertrag der Parteien war damit genauso wenig verbunden wie die Eingehung einer eigenständigen vertraglichen Verpflichtung der Beklagten gegenüber dem Kläger, ihm den Prüfbericht zu verschaffen. Es fehlt an jedweder vertraglichen Abrede zwischen der Beklagten und dem Kläger in Bezug auf den Prüfbericht. Das rein tatsächliche Verhalten der Beklagten gegenüber dem Zeugen DD hat nicht den Erklärungswert zum Vertragsschluss führender Willenserklärungen gegenüber dem Kläger.

bb) Der Anspruch des Klägers lässt sich auch nicht darauf stützen, dass die Beklagte dem Kläger die Überlassung des Prüfberichts aus einem anderen Rechtsgrund schuldete und sie mit dieser Verpflichtung in Verzug geraten wäre.

Vielmehr ist das Landgericht auf Grundlage seiner nicht zu beanstandenden tatsächlichen Feststellungen zu Recht davon ausgegangen, dass eine vertragliche Verbindung mit dem Inhalt der Herstellung des Prüfzeugnisses zwischen dem Gutachter DD und dem Kläger gegeben war. Dagegen streiten weder die Aussage des Zeugen DD noch die weiteren Umstände. Der Zeuge DD hat auf die Frage, wer ihm den Auftrag erteilt habe, zunächst die vom Landgericht getroffene Feststellung wiedergegeben, dass bereits am 3.7.2020 ein Erstgespräch mit dem Kläger stattgefunden hat. Er hat ferner angegeben, in diesem Zusammenhang mit dem Kläger den Leistungsumfang besprochen zu haben. Lediglich die Prüfungstermine, die im Juni und September 2021 stattfanden, habe ihm später der Geschäftsführer der Beklagten mitgeteilt. Dieser habe ihn dann auch um die Rechnung gebeten, die von der Beklagten bezahlt wurde. Eine generalisierende Angabe, ob grundsätzlich der Bauherr oder Anlagenhersteller sein Vertragspartner werde, hat der Zeuge nicht treffen können, weil dies von deren Vereinbarungen abhänge.

Angesichts dessen ist allein der rechtliche Rückschluss möglich, dass der Kläger den vergütungspflichtigen Auftrag erteilt hat, während die Beklagte diese Schuld entweder gem. § 414 BGB übernommen oder einen Schuldbeitritt erklärt hat. Selbst wenn die Beklagte damit bezweckt hätte, die Fäden in der Hand zu behalten, sich in eine bessere Position für die Durchsetzung ihrer Schlussrechnung zu bringen und den Kläger mit der – tatsächlich gar nicht in seinen Händen liegenden – Zurückhaltung des Prüfberichts zur Zahlung anzuhalten, führt dies zu keiner anderen vertragsrechtlichen Einordnung.

Es hätte mithin dem Kläger oblegen, sich an seinen Vertragspartner, den Zeugen DD, zu wenden und den Prüfbericht zu verlangen. Nur am Rande sei erwähnt, dass der Gutachter DD einer solchen Aufforderung nach seiner Aussage vor dem Landgericht ohne Weiteres nachgekommen wäre.

cc) Selbst wenn die Beklagten entgegen der vorstehenden Ausführungen dem Kläger die Überlassung des Prüfberichts schuldete, war sie mit einer entsprechenden Nacherfüllungsverpflichtung im Zeitpunkt der Schadensentstehung nicht in Verzug. Eine Mahnung in Bezug auf die Überlassung des Prüfberichts sprach der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt nicht gegenüber der Beklagten aus, § 286 Abs. 1 BGB. Diese war auch nicht entbehrlich. Insbesondere stellte die Verknüpfung von Zahlung und Überlassung der Unterlagen in der Rechnung vom 16.9.2021 (Anlage K 5) und dem Schreiben vom 13.10.2021 keine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung der Beklagten gem. § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB dar.

An die Annahme einer solchen Erfüllungsverweigerung sind strenge Anforderungen zu stellen. Erforderlich ist grundsätzlich, dass der Schuldner die Erfüllung des Vertrages gegenüber dem Gläubiger unmissverständlich, endgültig und ernsthaft ablehnt, so dass jenseits vernünftiger Zweifel feststeht, dass er unter keinen Umständen mehr zur freiwilligen Erfüllung bereit ist. Nach der Formel des BGH liegt eine Erfüllungsverweigerung in diesem Sinne nur vor, wenn der Schuldner unmissverständlich und eindeutig zum Ausdruck bringt, er werde seinen Vertragspflichten unter keinen Umständen nachkommen (vgl. BGH NJW 2017, 1666 Rn. 31; 2015, 3455 Rn. 33). Die Weigerung muss als das “letzte Wort” des Schuldners erscheinen (vgl. BGH NJW 2016, 3235 Rn. 37).

So liegt es bei den in Bezug genommenen Anlagen nicht. Aus ihnen geht lediglich hervor, dass die Beklagte den Rechtsstandpunkt vertrat, die Unterlagen bis zur Entrichtung der Vergütung nicht zu schulden und ihre Überlassung deshalb von der Zahlung der Vergütung abhängig zu machen. Selbst wenn dies zweimal erfolgte, lässt sich daraus keine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung entnehmen. Insofern ist nämlich auch in den Blick zu nehmen, dass in dem Verhalten lediglich der Rechtsstandpunkt der Beklagten zum Ausdruck kommt. Der Kläger hat durch sein Schweigen zu den Prüfunterlagen bis zur Schadensentstehung dem Beklagten gegenüber nicht einmal offengelegt, dass er insoweit einen anderen Standpunkt vertritt. Damit hat er das Entstehen einer rechtlichen Meinungsverschiedenheit der Parteien, die für sich genommen keine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung begründet, verhindert. Eine solche offen zutage tretende Meinungsverschiedenheit wiederum hätte durchaus eine Veränderung im Verhalten der Beklagten nach sich ziehen können.

B) Der Kläger kann die Erstattung des Schadens nicht aus den §§ 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB wegen der von ihm behaupteten Mängel der Fahrsiloanlage beanspruchen. Die streitigen Mängel hat die Beklagte jedenfalls zum Ablauf der Mängelbeseitigungsfrist am 8.11.2021 durch die Beklagte behoben. Es fehlt an der Voraussetzung einer erfolglos abgelaufenen Frist zur Nacherfüllung.

C) Denkbar wäre deswegen allein ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB. Auch er kommt aus nachfolgenden Gründen nicht in Betracht.

Der Kläger macht vorliegend einen Schaden geltend, der nach seinen Behauptungen darauf beruht, dass er die Fahrsiloanlage wegen eines Mangels in einem bestimmten Zeitraum nicht nutzen konnte. Es ist seit Einführung der Schuldrechtsreform Gegenstand streitiger Diskussion, auf Grundlage welcher schadensrechtlichen Vorschriften derartige Schäden zu erstatten sind. In Betracht kommen Schadensersatz neben der Leistung gem. §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB, Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 3, 281 BGB oder Verzugsschadensersatz gem. der §§ 280 Abs. 2, 286 BGB. Gemessen an der Anzahl juristischer Veröffentlichungen verkürzt lassen sich drei wesentliche Ansätze in der Literatur unterscheiden. Hinzu tritt die Rechtsprechung verschiedener BGH-Senate.

1. a) Der schadensphänomenologische Abgrenzungsansatz (vgl. BeckOGK/Riehm, 1.4.2021, BGB § 280 Rn. 221 ff.; Kindl JURA 2020, 881, 883; Grigoleit/Bender ZfPW 2019, 1ff; Grigoleit/Riehm AcP 203 (2003), 727) ordnet § 280 Abs. 1 BGB nur Schadensposten zu, die keinen Bezug zum Äquivalenzinteresse aufweisen, während § 281 BGB auf Schäden anzuwenden ist, die auf dem endgültigen Ausbleiben des Äquivalenzinteresses beruhen, und § 286 BGB für Schäden Anwendung findet, in denen das Äquivalenzinteresse verspätet befriedigt wurde. Betriebs- oder Nutzungsausfallschäden, die infolge einer mangelhaften Werkleistung entstanden sind, fallen damit nur dann unter § 634 Nr. 4, 280 Abs. 3, 281 BGB, wenn sie auf dem endgültigen Ausbleiben der Leistung beruhen. Entstehen sie vor dem oder unabhängig vom endgültigen Leistungsausfall, soll § 286 BGB zur Anwendung gelangen.

Nach dem zeitlich-dynamischen Abgrenzungsansatz (vgl. Lorenz JuS 2008, 203, 204; ders. NJW 2002, 2497, 2500; Gsell in FS Canaris, 2017, 451 ff.; Hirsch JuS 2014, 97 ff) ist maßgeblich, ob der eingetretene Schaden durch eine fiktive Nacherfüllung im letztmöglichen Zeitpunkt, für den überwiegend auf das endgültige Ausbleiben der Leistung abgestellt wird, entfallen wäre bzw. entfallen würde. Ist dies der Fall und kam es tatsächlich nicht zur Nacherfüllung, ist die Schadensposition allein nach § 281 BGB erstattungsfähig. Entfällt der Schaden nicht, ist § 280 BGB einschlägig, soweit seine Ursache nicht ausschließlich im Schuldnerverzug liegt, weil er dann § 286 BGB zuzuordnen ist.

Vertreter der Gesamtabrechnungslehre (vgl. Benicke/Hellwig ZIP 2015, 1106; Soergel/Benicke/Hellwig NJW 2014, 1697; Ackermann JuS 2012, 865 (872); Huber AcP 210 (2010), 319, 335 ff.) gehen von einem Nacheinander von Schadensersatz neben und statt der Leistung aus. Solange der Leistungsanspruch besteht, könne der Gläubiger entstandene Schadenspositionen als Schadensersatz neben der Leistung, nämlich als einfachen Schadensersatz neben der Leistung gem. 280 Abs. 1 BGB oder als Schadensersatz neben der Leistung wegen Verzögerung der Leistung nach den §§ 280, 286 BGB liquidieren. Geht der Leistungsanspruch unter, komme nur noch Schadensersatz statt der Leistung gem. § 281 BGB in Betracht

b) Nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH ist ein Betriebs- oder Nutzungsausfallschaden als Schadensersatz statt der Leistung zu qualifizieren, soweit er auf dem endgültigen Ausbleiben der Leistung infolge des Erlöschen der ursprünglichen Leistungspflicht beruht (vgl. BGH NJW 2010, 2426 Rn. 13). Dieser Fall liegt nicht vor, weil die Beklagte den für den Betriebs- oder Nutzungsausfallschaden maßgeblichen Mangel beseitigt und der Vertrag durchgeführt worden ist.

Für diese Konstellationen, in denen der Besteller am Vertrag festhält, das beauftragte Werk aber wegen eines Mangels nicht nutzen kann und auf dieser Grundlage Schadensersatz verlangt, hat der V. Zivilsenats des BGH entschieden, dass der Anspruch des Bestellers sich nach den §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB richtet, so dass es weder des Verzuges noch einer Fristsetzung zur Nacherfüllung bedarf (vgl. BGH NZBau 2009, 715). Dies ist allerdings in der dargestellten Pauschalität auf Kritik gestoßen, weil damit nicht geklärt sei, ob ein Nutzungsausfallschaden, der durch eine Mängelbeseitigung nach Fristsetzung verhindert worden wäre, überhaupt als Mangelfolgeschaden und damit nach den §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB geltend gemacht werden kann (vgl. Jurgeleit in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., Teil 5 Rn. 419).

Der VII. Zivilsenat des BGH trifft die Unterscheidung zwischen Schadensersatz neben der Leistung und Schadensersatz statt der Leistung dergestalt, dass die §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB nur für Schäden einschlägig sind, die aufgrund eines Werkmangels entstanden sind und durch eine Nacherfüllung der geschuldeten Werkleistung nicht beseitigt werden können, während der Ersatzanspruch nach den §§ 634 Nr. 4, 280, 281 BGB an die Stelle der geschuldeten Werkleistung tritt und das Leistungsinteresse des Auftraggebers erfasst (vgl. BGH NJW 2019, 1867). Hinsichtlich der Betriebs- und Nutzungsausfallschäden besteht die Schwierigkeit maßgeblich darin, dass sie ein erweitertes Leistungsinteresse betreffen. Eine Nacherfüllung kann diesen Schaden nicht beseitigen, aber, sofern sie rechtzeitig erfolgt, bereits seinen Eintritt verhindern. Auf der anderen Seite tritt ein Betriebs- oder Nutzungsausfallschaden niemals an die Stelle der Werkleistung selbst, sofern der Auftraggeber am Vertrag festhält. Vielmehr wird in diesen Fällen das Werk letztlich vertragsgemäß hergestellt und der Schaden daneben liquidiert. Die Einordnung als Schadensersatz statt der Leistung steht zudem in einem dogmatischen Spannungsverhältnis zu § 281 Abs. 4 BGB.

c) Der Frage der Erstattungsfähigkeit von Betriebs- oder Nutzungsausfallschaden soll sich deswegen zunächst wertungsmäßig angenähert werden. Es kann keinem durchgreifenden Zweifel unterliegen, dass diese nicht an eine Fristsetzung zu Nacherfüllung gekoppelt werden darf, soweit eine frühestmögliche Nacherfüllung den Eintritt des Betriebs- oder Nutzungsausfallschaden nicht verhindert hätte. Eindeutig erstattungsfähig müssen auf der anderen Seite Betriebs- oder Nutzungsausfallschäden sein, die nach Ablauf einer durch den Auftraggeber gesetzten angemessenen Frist zur Nacherfüllung entstehen. Problematisch sind hingegen Konstellationen, in denen ein Betriebs- oder Nutzungsausfallschaden durch eine frühestmögliche Nacherfüllung vermieden worden wäre, allerdings gar keine oder zunächst keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt worden ist. In dieser Konstellation ist es nicht einzusehen, warum ein nachbesserungsbereiter und -fähiger Auftragnehmer für Betriebs- oder Nutzungsausfallschäden haften soll, die maßgeblich darauf beruhen, dass ihm Mängel, die dem Auftraggeber bekannt sind, nicht rechtzeitig angezeigt wurden. Damit treten eine zeitliche sowie eine kenntnisbezogene Komponente in den Vordergrund.

Unter diesem Blickwinkel wird vertreten, für die Einordnung von Betriebs- oder Nutzungsausfallschäden als Schadensersatz statt der Leistung oder als Schadensersatz neben der Leistung auf den Ablauf einer fiktiven angemessenen Frist zur Nacherfüllung abzustellen, die mit der Kenntnis des Auftraggebers von dem für den Betriebs- oder Nutzungsausfallschaden ursächlichen Mangel beginnt. Schäden vor Ablauf dieser fiktiven Frist fallen unter die §§ 634 Nr. 4, 280 BGB, Schäden nach ihrem Ablauf können nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen der §§ 634, 280, § 281 BGB liquidiert werden (vgl. Ostendorf NJW 2010, 2833, 2387). Damit einher geht die Einschätzung, dass Betriebs- oder Nutzungsausfallschaden je nach zeitlichem Anfall sowohl Schadensersatz statt als auch neben der Leistung darstellen können (vgl. Ostendorf NJW 2010, 2833, 2834, 2386f).

Anstatt diese Gesichtspunkte des Mitverschuldens nach § 254 BGB bereits in die Abgrenzung der Schadensarten einzuarbeiten (vgl. Ostendorf NJW 2010, 2833, 2387), ist es ebenso denkbar, den Betriebs- oder Nutzungsausfallschaden unter Berücksichtigung der bislang dazu ergangenen BGH-Rechtsprechung dogmatisch den §§ 634 Nr. 4, 280 BGB zuzuordnen und § 254 BGB auf der Rechtsfolgenseite zur Anwendung zu bringen (vgl. Jurgeleit in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, 5. A., Teil 5 Rn. 419; BeckOGK/Seichter, 1.7.2024, BGB § 634 Rn. 312 und 316).

2. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen bedarf die Frage, ob der Betriebs- bzw. Nutzungsausfallschaden des Klägers nach den §§ 280 Abs. 2, 286, 288 Abs. 4, 635, gem. §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1, und 3, 281 BGB oder nach den §§ 634 Nr. 4, 280 BGB erstattungsfähig ist, keiner Entscheidung. Die Voraussetzungen des Verzugsschadenersatzes sowie des Schadensersatzes statt der Leistung liegen nach den Ausführungen oben A) und B) nicht vor. Ein Anspruch des Klägers wegen Mängeln der Anlage gem. §§ 634 Nr. 4, 280 BGB ist wegen eines weit überwiegenden Mitverschuldens des Klägers an dem konkreten Schadenseintritt ausgeschlossen. Er ist seiner aus § 254 Abs. 2 S. 1 BGB resultierenden Warnobliegenheit in eklatanter Weise nicht gerecht geworden.

Nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 1.2.2024 (Bl. 88 eA LG = S. 2f des Protokolls) hat der Kläger die Maisernte Anfang Oktober eingefahren und in Kenntnis des Umstands, dass dies nicht dauerhaft möglich ist, am 26. und 29.10.2021 verkauft. Ausweislich des Schreibens seines Prozessbevollmächtigten vom 25.10.2021 sowie der Angaben des Klägers sowie seines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 1.2.2014 (Bl. 93 eA LG = S. 7 des Protokolls) hatte der Kläger von den nunmehr gerügten Mängeln (Undichtigkeiten der Fahrsiloanlage; Abflüsse der Siloanlage lassen sich nicht öffnen) spätestens zwischen dem 10. und dem 14.10.2021 Kenntnis. Das ergibt sich aus dem Datum der dem Schreiben vom 25.10.2021 beigefügten Lichtbilder sowie dem Inhalt des Schreibens selbst. In dem es heißt “Der AWSV-Sachverständige hat daraufhin am 15.10.21 festgestellt, dass die Anlage NICHT dicht ist (Siehe Bilder).” Ferner ist darin niedergelegt: “Darüber hinaus ist es erforderlich, dass die Abflüsse der Siloplatte bei etwaigen Verstopfungen geöffnet werden können. Dies ist allerdings, wie unser Mandant bei der Suche nach den undichten Stellen feststellen musste, nicht möglich, da die Abflüsse der Siloplatte mit Heissbitumen verklebt worden sind.” Dies korrespondiert mit der Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung, der Kläger habe am 14.10.2021 wegen der Mängel mit dem Beklagten telefoniert.

Demgegenüber hat der Kläger die Beklagte erst durch das Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 25.10.2021, das am selben Tag per mail vorab versandt wurde, unter Fristsetzung zur Beseitigung der Mängel aufgefordert. In dem vorangegangenen Schreiben vom 15.10.2021 wurde allein eine bereits behobene Pfützenbildung beanstandet, wie sich aus S. 2 der Anlage K 3 entnehmen lässt. Auf den Umstand, dass der Kläger den Mais zeitnah, nämlich in der letzten Oktoberwoche, verkaufen müsste und dass dadurch ein erheblicher Schaden durch den Zukauf von Futter entstehen würde, machte der Kläger den Beklagten weder mit dem Schreiben vom 25.10.2021 noch davor aufmerksam. Darin ist vielmehr erst nach der Fristsetzung auf den 8.11.2021 und im Übrigen pauschal die Rede davon, dass “die Geltendmachung des Schadens, der unserem Mandanten möglicherweise dadurch entstehen wird, dass die Anlage wegen der bestehenden Mängel nicht ordnungsgemäß genutzt werden kann, (…) ausdrücklich vorbehalten (bleibt).

Die Beklagte hingegen hat auf die Fristsetzung mit Email vom 5.11.2021 dem Kläger mitgeteilt, dass sie Mängelbeseitigungsmaßnahmen binnen der gesetzten Frist, nämlich am 8.11.2021, durchführen würde. Genau so hat sie sich dann auch tatsächlich verhalten. Daraus lässt sich für den Senat der sichere Schluss ziehen, dass die Beklagte, wenn sie rechtzeitig, nämlich bereits nach dem Entdecken der Mängel durch den Kläger spätestens am 14.10.2021, nicht nur über die Mängel und den drohenden großen Schaden durch den anstehenden Maisverkauf ab dem 26.10.2021 informiert und zur Mängelbeseitigung aufgefordert worden wäre, die von ihr letztlich am 8.11.2021 vorgenommene Mängelbeseitigung tatsächlich schon bis zum 25.10.2021 abgeschlossen hätte. Dies war ihr angesichts neun verbleibender Werktage möglich. Der Umstand, dass sie die Mängel binnen der letztlich gesetzten Frist ohne Kenntnis von dem möglichen Schaden beseitigt hat, spricht eindeutig dafür, dass sie diese Möglichkeit in Ansehung eines in Höhe von über 66.000 Euro drohenden Schadens wahrgenommen hätte.

Angesichts dessen hält der Senat es nicht für gerechtfertigt, die Beklagten für den geltend gemachten Betriebs- bzw. Nutzungsausfallschaden haften zu lassen (vgl. Jurgeleit in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, 5. A., Teil 5 Rn. 419). Dies zumal das Verschulden der Beklagten an der streitigen Undichtigkeit der Anlage gering ist. So war die Anlage am 15.10.2021 nach Angaben des Gutachters DD, der an diesem Tag eine Dichtigkeitsprüfung vorgenommen hat, dicht (Bl. 210 eA LG = S. 4 des Protokolls vom 16.4.2024). Deswegen kann eine schwerwiegendere handwerkliche Nachlässigkeit der Beklagten nicht angenommen werden. Vor diesem Hintergrund ist auch für einen geringen Haftungsanteil der Beklagten kein Raum.

OVG Saarland zu der Frage, dass durch die Nutzung von Stellplätzen und Garagen hervorgerufene Immissionen grundsätzlich auch in ruhigen Wohngebieten von den Bewohnern zu tolerieren sind und vorbehaltlich, hier nicht ersichtlicher, besonderer Verhältnisse im Einzelfall keine nachbarlichen Abwehransprüche begründen

OVG Saarland zu der Frage, dass durch die Nutzung von Stellplätzen und Garagen hervorgerufene Immissionen grundsätzlich auch in ruhigen Wohngebieten von den Bewohnern zu tolerieren sind und vorbehaltlich, hier nicht ersichtlicher, besonderer Verhältnisse im Einzelfall keine nachbarlichen Abwehransprüche begründen

vorgestellt von Thomas Ax 

1. Durch die Nutzung von Stellplätzen und Garagen hervorgerufene Immissionen sind grundsätzlich auch in ruhigen Wohngebieten von den Bewohnern zu tolerieren und begründen vorbehaltlich, hier nicht ersichtlicher, besonderer Verhältnisse im Einzelfall keine nachbarlichen Abwehransprüche.
2. Einzelfall, in dem aufgrund der örtlichen Verhältnisse keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es aufgrund der Stellplatzsituation zu chaotischen Verkehrsverhältnissen im unmittelbaren Umfeld des klägerischen Grundstücks das sich eine Straße oberhalb des Bauvorhabens befindet kommen könnte; hier: kein Anlass für die Einholung eines verkehrstechnischen Gutachtens.
3. Hat sich das Verwaltungsgericht wie vorliegend im Rahmen des Ortstermins geschehen einen Eindruck von dem Baugrundstück und seiner Umgebung, insbesondere auch von der baulichen Situation auf benachbarten Grundstücken, verschafft, so ist die Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn das Antragsvorbringen besondere Aspekte des Einzelfalles aufzeigt, die eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Unrichtigkeit des vom Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnisses der Zumutbarkeitsbewertung begründen können.
OVG Saarland, Beschluss vom 02.10.2024 – 2 A 94/23
Gründe:

I.

Die Kläger wenden sich gegen ein der Beigeladenen im Jahr 2021 genehmigtes Bauvorhaben.

Die Kläger sind Eigentümer des in Hanglage mit einem Einfamilienwohnhaus bebauten Grundstücks …-Straße …, … A-Stadt (Gemarkung …, Flur …, Flurstück …). An der rückwärtigen Grundstücksgrenze und in nordwestlicher Ausrichtung grenzt das tiefer gelegene, mit einem Mehrfamilienhaus bebaute Vorhabengrundstück (Am …, Gemarkung …, Flur …, Flurstück …) an. Dieses befindet sich am Ende der Sackgasse “Am …”, über die es erschlossen wird. Entlang der östlichen Grundstücksgrenze beider Grundstücke verläuft ein knapp drei Meter breiter Fußweg, der die “…straße” mit der Straße “Am …” und mit der “…-Straße” über eine Treppe verbindet. Beide Grundstücke liegen nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes.

Mit Bauschein vom 19.1.2021 – ergänzt durch eine Änderungsgenehmigung (Tektur) vom 20.6.2022 – erteilte die Beklagte der Beigeladenen im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (§ 64 LBO) die streitgegenständliche Baugenehmigung zum “Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses mit 6 Wohneinheiten und 2 Carports für je 3 PKW”. Das Gebäude weist im Kellergeschoss in Richtung des Anwesens der Kläger 6 Kellerräume, einen Hauswirtschaftsraum und einen Hausanschlussraum auf. Auf der ebenerdigen Nordostseite befindet sich eine Wohnung. Im Erdgeschoss und im 1. Obergeschoss befinden sich jeweils zwei Wohnungen. Das als Staffelgeschoss ausgeführte 2. Obergeschoss enthält eine Wohnung; die Loggia dieser Wohnung befindet sich an der Westecke des Gebäudes in Richtung des Anwesens … Der Hauseingang befindet sich in der Verlängerung des Wendehammers der Straße “Am …”. Rechts und links der Zufahrt lässt die Baugenehmigung jeweils einen Carport für je 3 Pkw zu. Im Anschluss an den Carport in Richtung auf und unmittelbar an das Grundstück der Kläger angrenzend sieht die Baugenehmigung einen Abstellraum für Fahrräder und daneben eine Abstellfläche für Mülltonnen vor.

Die Kläger legten am 5.5.2021 Widerspruch gegen die Baugenehmigung vom 19.1.2021 ein, dem der Beklagte nicht abhalf.

Am 22.7.2021 haben die Kläger beim Verwaltungsgericht des Saarlandes Klage erhoben und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, das Bauvorhaben verstoße gegen nachbarschützende Vorschriften und entfalte eine erdrückende Wirkung.

Das Verwaltungsgericht des Saarlandes hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 2.8.2021 – 5 L 804/21 -zurückgewiesen. Mit Widerspruchsbescheid des Stadtrechtsausschusses aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.4.2022 ist der Widerspruch ebenfalls zurückgewiesen worden.

Mit Schriftsatz vom 23.1.2023 haben die Kläger den Widerspruchsbescheid vom 21.12.2022 in die Klage einbezogen und beantragt,

1.die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 19.1.2021 zur Errichtung eines Neubaus eines Mehrfamilienwohnhauses mit sechs Wohneinheiten und zwei Carports für je drei PKW in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Stadtrechtsausschusses … vom 21.12.2022 (Az: 153/21) aufzuheben,

2.die Beklagte zu verpflichten, gegenüber der Beigeladenen den Abriss des auf dem Grundstück …, … A-Stadt, Gemarkung …, Flur …, Flurstück …, bereits realisierten Gebäudes anzuordnen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat die Örtlichkeit am 19.4.2023 in Augenschein genommen und die Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.6.2023 abgewiesen. Zur Begründung hat die Kammer im Wesentlichen ausgeführt, die Kläger würden durch die Baugenehmigung vom 19.1.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.4.2022 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie hätten auch keinen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Abriss des bereits errichteten Mehrfamilienwohnhauses im Wege des bauaufsichtsbehördlichen Einschreitens (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Im vorliegenden Fall bestünden keine bauordnungsrechtlichen Abwehransprüche. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung halte die nachbarschützenden Abstandsflächenbestimmungen (§§ 7, 8 LBO) ein. Die Außenwand des Erd- und Obergeschosses halte einen Abstand von 3,50 m zur Grenze des klägerischen Grundstücks ein. Bei dem nach § 7 Abs. 5 Satz 1 LBO zulässigen Maß von 0,4 H dürfe die Wandhöhe bis zu 8,75 m betragen; sie sei indes nur 7,215 m hoch. Die um ein Meter zurückversetzte Außenwand des Staffelgeschosses habe eine Gesamthöhe von 9,555 m, dürfe aber bis zu 11,25 m hoch sein, sodass das Wohngebäude abstandsflächenrechtlich unbedenklich sei. Erfolglos machten die Kläger zudem geltend, dass der Abstellraum für Fahrräder (Nutzfläche laut Flächenberechnung: 9,39 m²; Höhe: 2,64 m) sowie der kleiner dimensionierte Abstellraum für die Müllcontainer, die zusammen eine Gesamtlänge von 7,36 m entlang der Grundstücksgrenze aufwiesen, die Abstandsflächenbestimmungen im Verhältnis zu ihrem Grundstück verletzten. Zutreffend habe die Beklagte darauf hingewiesen, dass nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 LBO Gebäude zum Abstellen von Fahrrädern, Nebengebäude und Nebenanlagen zum Abstellen und zum Lagern mit einem Brutto-Rauminhalt von jeweils maximal 30 m3 bis zu einer Gesamtlänge von 12 m je Grundstücksgrenze in Abstandsflächen sowie ohne eigene Abstandsfläche zulässig seien. Da das insoweit genehmigte Bauwerk diese Zweckbestimmung und Maße einhalte, müsse es folglich auch keine Abstandsfläche zum Grundstück der Kläger einhalten. Ferner könnten die Kläger auch keine bauplanungsrechtlichen Abwehransprüche aus dem Gebot der Rücksichtnahme herleiten. Da sich das Vorhabengrundstück innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils und damit im Innenbereich der Stadt A-Stadt befinde und kein Bebauungsplan bestehe, beurteile sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB. Nach dessen Absatz 1 sei ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge und die Erschließung gesichert sei. Nachbarschutz vermittele § 34 Abs. 2 BauGB zunächst hinsichtlich des Gebotes, dass sich der Neubau, um planungsrechtlich zulässig zu sein, nach “der Art der baulichen Nutzung” in die Umgebungsbebauung einfügen müsse. Das sei hier ohne weiteres anzunehmen, weil sich der Neubau eines (Mehrfamilien-) Wohnhauses in einer Umgebung, die offensichtlich ebenfalls von Wohnnutzung im Sinne eines allgemeinen oder reinen Wohngebietes (§§ 3, 4 BauNVO) geprägt sei, in diese Nutzungsart einfüge. Eine bessere Gebietsverträglichkeit als die von Nutzungen derselben Art gebe es nicht. Die Anzahl von Wohnungen in einem Gebäude sei kein Kriterium für die Frage, ob sich ein Vorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Auch sogenannten “Milieuschutz” gewährleiste das allgemeine Bauplanungsrecht nicht. Deshalb begründe der sogenannte Gebietsgewährleistungsanspruch keine Grundlage für die Abwehr eines Mehrfamilienhauses in einem faktisch von Einfamilienhäusern geprägten allgemeinen oder reinen Wohngebiet. Soweit sich die Kläger gegen das Maß der baulichen Nutzung (§ 16 BauNVO) wendeten, könne dies für sie nur unter dem Gesichtspunkt des Gebotes der Rücksichtnahme eine rechtlich geschützte Abwehrposition begründen. Denn Festsetzungen in Bebauungsplänen über das Maß der baulichen Nutzung dienten grundsätzlich städtebaulichen Zwecken und hätten deshalb keine nachbarschützende Funktion. Nachbarschutz vermittelten sie nur dann, wenn sich aus einem Bebauungsplan selbst oder seiner Begründung ein dahingehender Rechtssetzungswille der plangebenden Gemeinde im Einzelfall hinreichend sicher erkennen lasse. Gebe es aber im unbeplanten Innenbereich – wie hier – keinen Bebauungsplan, bedeute das zugleich, dass eine Überschreitung des sich aus der Umgebungsbebauung ergebenden Maßes der baulichen Nutzung den Nachbarn, vom Gebot der Rücksichtnahme abgesehen, keine Abwehrposition verschaffe. Vorliegend verletze das Vorhaben nicht das aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO folgende Gebot nachbarlicher Rücksichtnahme. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes komme dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude “eingemauert” oder “erdrückt” werde. Hauptkriterien bei der Beurteilung einer “erdrückenden” bzw. “abriegelnden” Wirkung seien die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Eine solche Wirkung komme daher vor allem bei nach Höhe und Volumen “übergroßen” Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht. Ein Vorhaben übe grundsätzlich dann “erdrückende” bzw. “einmauernde” Wirkung gegenüber dem Nachbarn aus, wenn es in Höhe und Volumen ein Übermaß besitze und auch nicht annähernd den vorhandenen Gebäuden gleichartig sei. Das Gebot der Rücksichtnahme sei indes in aller Regel nicht verletzt, wenn – wie hier – die Abstandsflächen eingehalten würden. Dass das Vorhaben erdrückende Wirkung entfalten könne, sei – nach dem vor Ort gewonnenen Eindruck der Kammer – fernliegend. Es halte die unter Ziffer 1. dargelegten Abstände zur klägerischen Grundstücksgrenze und damit den vorgeschriebenen Grenzabstand ein. Auch die Länge des Gebäudes von rund 18,60 m sei nicht so exzessiv, dass sich für das klägerische Grundstück der Eindruck eines “Abgeriegeltseins” ergebe. Das Gebäude der Beigeladenen grenze bereits nur rückwärtig an die Grundstücksgrenze der Kläger an, so dass auch vor diesem Hintergrund eine einmauernde Wirkung oder eine Einhausung des Gartenbereiches im Sinne einer “Box” eher fernliegend sei. Auch eine über das in Ortslagen unvermeidbare und stets hinzunehmende Maß hinausgehende Verschattungswirkung sei bei den genehmigten Dimensionen und Abständen nicht ansatzweise ersichtlich, zumal das von den Klägern bewohnte Einfamilienwohnhaus – infolge der Hanglage – eine größere Höhenlage aufweise. Auf den Fortbestand einer faktischen Ruhezone auf einem fremden Grundstück habe ein Nachbar keinen Anspruch, so dass er damit die Bebauung des Nachbargrundstücks nicht verhindern könne. Eine mögliche Verschlechterung oder der Wegfall der Aussicht begründeten ebenso keine Rücksichtslosigkeit eines Vorhabens, weil es in der Regel weder einen Schutz vor Verschlechterung der Aussicht noch vor Einsichtsmöglichkeiten von benachbarten Häusern gebe. Im öffentlichen Baurecht stelle die Freihaltung der Aussicht keinen Schutzgegenstand dar, weil es an der Schutzwürdigkeit dieses Belangs fehle. Von einer erdrückenden Wirkung könne nicht schon dann ausgegangen werden, wenn ein Neubau höher werde als ein benachbartes vorhandenes Bauwerk. Das klägerische Wohnanwesen weise infolge der Hanglage des Grundstücks eine größere Höhenlage auf als das Vorhaben(grundstück) der Beigeladenen. Dadurch bedingt entstünden wechselseitige Einsichtsmöglichkeiten. Selbst wenn das Grundstück der Kläger durch das Vorhaben an Wert verlieren sollte, sei dies vorliegend nicht zu berücksichtigen. Einen allgemeinen Schutz dagegen, dass durch Vorgänge, die auf einem anderen Grundstück stattfinden, der Wert des eigenen Grundstücks sinke, kenne die Rechtsordnung nicht. Folglich könne nicht davon ausgegangen werden, dass das mit der Baugenehmigung zugelassene Vorhaben der Beigeladenen für die Kläger schlechthin unzumutbare Auswirkungen haben werde. Dies beträfe selbst eine eventuelle Verschlechterung der Lichtverhältnisse und der Belüftung auf dem Grundstück der Kläger. Das Gebot der Rücksichtnahme vermittele einem Nachbarn keinen Anspruch darauf, von jeglichen Beeinträchtigungen in Folge der baulichen Nutzung auf den angrenzenden Grundstücken verschont zu bleiben. Auch die Anzahl und Lage der genehmigten Pkw-Stellplätze begründe keine Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme könne zwar in Betracht kommen, wenn sich die Erschließungssituation eines Grundstücks durch eine vorhabenbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden Straße oder durch unkontrollierten Parksuchverkehr erheblich verschlechtere. Auch könne eine unzureichende Stellplatzzahl eines Bauvorhabens gegenüber den Eigentümern der vom parkenden Verkehr und Parksuchverkehr betroffenen Grundstücke im Einzelfall – ausnahmsweise – im bauplanungsrechtlichen Sinne rücksichtslos sein. Beides sei hier aber ersichtlich nicht der Fall. Negative Auswirkungen auf die Erschließungssituation des klägerischen Grundstücks seien bereits fernliegend, weil das Grundstück der Kläger über die Straße “…-Straße” und nicht über die Straße “Am …” erschlossen werde. Darüber hinaus sei eine Beeinträchtigung nicht schon darin zu sehen, dass die angrenzenden und umliegenden Straßen durch Fahrzeuge von Nutzern der baulichen Anlage der Beigeladenen zum Parken in Anspruch genommen würden und den Klägern nur noch mit den daraus folgenden Einschränkungen zur Verfügung stünden. Bei den in dem Gebiet bebauten Grundstücken handele es sich nach dem Vortrag der Beteiligten um Wohngrundstücke in einem reinen bzw. allgemeinen Wohngebiet. Mithin handele es sich bei den zu beparkenden Straßen um Anwohnerstraßen, so dass nicht mit einem erheblichen – über die Wohnnutzung hinausgehenden – Verkehr zu rechnen sei. Ein etwaig in Betracht kommendes individuelles Fehlverhalten sei städtebaulich nicht relevant; “wildem Parken” sei gegebenenfalls mit Mitteln des Ordnungsrechts zu begegnen. Zudem gehörten Garagen- oder Stellplatzemissionen heutzutage selbst in Wohnbereichen zu den Alltagserscheinungen und seien dort grundsätzlich hinzunehmen, soweit sie durch die in dem Gebiet zur Deckung des Stellplatzbedarfs notwendigen Anlagen verursacht würden. Deshalb seien die Auswirkungen einer Stellplatz- bzw. Garagenanlage, die aufgrund der Stellplatzpflicht (§ 47 Abs. 1 und 2 LBO) als notwendiges “Zubehör” zu einer auf dem Grundstück statthaften (Haupt-) Bebauung errichtet werde, prinzipiell zu dulden. Nachbarrechtliche Abwehrrechte gegen Immissionen von Stellplätzen und Garagen, die der Deckung eines entsprechenden Bedarfs einer zugelassenen Wohnnutzung dienten, kämen nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände – insbesondere die Anordnung der Anlagen – hinzuträten, die dazu führten, dass Nachbarn einem das Maß des regelmäßig hinzunehmenden wesentlich übersteigenden “Mehr” an Belästigungen ausgesetzt seien. Derartige besondere Umstände seien jedoch vor Ort durch die Kammer nicht feststellbar gewesen. Vorliegend habe die Beklagte mit der Baugenehmigung insgesamt 6 Stellplätze zugelassen, die sich allesamt auf dem Vorhabengrundstück in der Verlängerung der Straße “Am …” befänden und von dort ebenerdig im vorderen Grundstücksbereich angefahren werden könnten. Von diesen ausschließlich der Wohnnutzung dienenden Stellplätzen dürften keine nennenswerten Emissionen ausgehen. Selbst wenn aber die zukünftigen Bewohner des Anwesens über mehr als insgesamt 6 Pkw verfügen sollten, erwiese sich dies unter dem Gesichtspunkt der Rücksichtslosigkeit als unbedenklich. Auch dieser Zu- und Abgangsverkehr würde allein der Wohnnutzung dienen, sodass nicht mit einem größeren Bewegungsaufkommen zu rechnen sei, wobei sich der Parkplatzsuchverkehr zudem grundsätzlich nicht im Bereich des Grundstücks der Kläger an der “…-Straße”, sondern voraussichtlich auf der Straße “Am …” abspielen werde. Wenn dabei unter Ausnutzung des Verbindungsfußwegs in der “…-Straße” oder in der “…straße” geparkt werden solle, läge dies ebenfalls im zulässigen Rahmen des Gemeingebrauchs. Zudem seien notwendige Stellplätze im Sinne der Vorschrift des § 47 LBO schon nicht Prüfungsgegenstand des im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 64 LBO geprüften Vorhabens der Beigeladenen. Zuletzt stelle auch der Abstellraum für die Müllcontainer bzw. die vermeintlich davon ausgehenden Geruchsimmissionen keine unzumutbare Belastung für die Kläger dar und begründe somit auch keine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes. Zum einen sei der Abstellraum für Müllcontainer – wie oben bereits erörtert – unter Wahrung der Abstandsflächenbestimmungen nach den §§ 7, 8 LBO errichtet worden. Zum anderen sei nicht ersichtlich, dass es sich vorliegend um einen gravierenden Ausnahmefall handele, in dem eine Belästigung nicht hinnehmbar sei und somit nach bauplanungsrechtlichen Vorschriften unzulässig wäre. Vielmehr gehöre das Entsorgen von Müll zu den täglichen, sozialadäquaten Handlungen von Haushalten in einem reinen bzw. allgemeinen Wohngebiet, sodass es unter Nachbarn unter Zugrundelegung einer wechselseitigen Rücksichtnahme hinzunehmen sei. Auch gegebenenfalls davon ausgehende Immissionen seien grundsätzlich hinzunehmen. Vorliegend hätten die Kläger insbesondere nicht vorgetragen, dass etwaige Geruchsimmissionen den Grad des Üblichen übersteigen würden und auch sonst lägen – nach allgemeiner Lebenserfahrung – hierfür keine Anhaltspunkte vor. Vielmehr sei bei der Zurverfügungstellung eines Containers für die Müllentsorgung sogar davon auszugehen, dass Immissionen noch eher abgehalten würden als dies üblicherweise der Fall sei. Nach alledem verletze die angegriffene Baugenehmigung die Kläger nicht in ihren Rechten und es bestünde auch kein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten.

Die Kläger begehren die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil.

II.

Dem Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung (§§ 124a Abs. 4, 124 Abs. 1 VwGO) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.6.2023 – 5 K 805/21 – kann nicht entsprochen werden. Dem den gerichtlichen Prüfungsumfang mit Blick auf das Darlegungserfordernis (§ 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO) begrenzenden Antragsvorbringen in dem Schriftsatz vom 28.8.2023 lässt sich ein Zulassungsgrund im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO nicht entnehmen.

Der Vortrag der Kläger begründet nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn gegen deren Richtigkeit nach summarischer Prüfung gewichtige Anhaltspunkte sprechen, wovon immer dann auszugehen ist, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Richtigkeit im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO meint dabei die Ergebnisrichtigkeit des Entscheidungstenors, nicht dagegen die (vollständige) Richtigkeit der dafür gegebenen Begründung (vgl. Beschluss des Senats vom 27.2.2024 – 2 A 2/23 -). Zur Begründung ihres Zulassungsantrags haben die Kläger vorgetragen, das Verwaltungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass der Garten ihres Hausanwesens zur Straße “Am …” und damit auch in Richtung des streitgegenständlichen Bauvorhabens ausgerichtet sei, sodass sie von ihrem Garten auf das streitgegenständliche Hausanwesen blickten. Im Rahmen der Abwägung sei der Sinn und Zweck des Gartens als Erholungszentrum des Hausbewohners unberücksichtigt geblieben. Zudem komme es durch den Parksuchverkehr und den Umstand, dass die Parkflächen unmittelbar an ihr Hausanwesen angrenzten, zu erheblichen Lärmbeeinträchtigungen. Ein Lärmgutachten sei jedoch nicht eingeholt worden. Auf dem streitbezogenen Grundstück sei lediglich ein Parkplatz pro Wohneinheit geplant und mittlerweile ausgeführt. Da die angrenzenden Straßen allesamt eng und bereits mit dem dortigen Parkverkehr versehen seien, sei indes zu erwarten, dass parksuchender Verkehr, insbesondere solcher, welcher durch das streitgegenständliche Bauvorhaben hervorgerufen werde, weil jede Wohneinheit mindestens zwei Fahrzeuge in Besitz habe, zu einem erhöhten und das angrenzende Wohngebiet überlastenden Verkehr und damit einer entsprechenden Geräuschentwicklung führe. Ein entsprechendes verkehrstechnisches Gutachten sei ebenfalls nicht eingeholt worden. Zudem gehe entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts eine erdrückende Wirkung von dem streitgegenständlichen Bauvorhaben aus. Dies weise bereits bezogen auf die Maße ein weit größeres Volumen auf als die übrige Bebauung, was zu einer erdrückenden Wirkung führe. Dies gelte trotz Einhaltung der Abstandsflächen, weil sich das streitgegenständliche Bauvorhaben deutlich über die vorhandene Bebauung, insbesondere die konkrete Nachbarbebauung erhebe. Unberücksichtigt bleibe hierbei, dass die Grenzbebauung des Bauvorhabens – auch unter “Einhaltung” der gesetzlichen Abstandsflächen – unmittelbar die Grenzmauer zum klägerischen Grundstück bilde. Vom Garten aus sei daher lediglich der Blick auf diese Mauer möglich, was einen hofartigen Charakter der Bebauung entstehen lasse. Zudem habe das Verwaltungsgericht unzutreffend berücksichtigt, dass das klägerische Hausanwesen in Hanglage gebaut sei. Denn trotz der Hanglage und der erhöhten Stellung ihres Hausanwesens rage das streitgegenständliche Bauvorhaben über das klägerische Hausanwesen auf, was die abriegelnde Wirkung des Bauvorhabens belege. Aus jedem Blickwinkel sei für die Kläger – ausgehend von ihrem Grundstück – außer dem Bauvorhaben nichts zu erkennen. Zudem habe das Verwaltungsgericht nicht gewürdigt, dass dem Wohnraum und dem Garten als Rückzugs- und Erholungsort eine erhöhte Schutzbedürftigkeit zukomme. Hierbei sei zu sehen, dass durch die Errichtung der Carports bzw. der “Mülleinhausung” ein Hofcharakter geschaffen worden sei, welcher sich dadurch verstärke, dass auch durch die Nutzung anderer Räume und Flächen des klägerischen Hausanwesens eine freie Sicht nicht gewährleistet werden könne. Es finde ein Zusammenspiel zwischen (zulässiger) Grenzbebauung und übergroßem Baukörper statt, sodass trotz Einhaltung der Abstandsflächen in der Gesamtbetrachtung eine erdrückende Wirkung zu bejahen sei und eine Verletzung der nachbarschützenden Rechte hätte bestätigt werden müssen.

Dieses Vorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.

Soweit die Antragsteller rügen, dass betreffend die von der Stellplatznutzung ausgehenden kraftfahrzeugbedingten Immissionen und ferner in Bezug auf die durch den “Parksuchverkehr” ausgelösten Immissionen keine Gutachten eingeholt worden seien, begründet dies keine Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.

Wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats durch die Nutzung von Stellplätzen und Garagen hervorgerufene Immissionen auch in ruhigen Wohngebieten von den Bewohnern zu tolerieren und begründen – vorbehaltlich, hier nicht ersichtlicher, besonderer Verhältnisse im Einzelfall – keine nachbarlichen Abwehransprüche (vgl. Beschluss des Senats vom 4.1.2019 – 2 B 344/18 -, sowie beispielsweise OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 26.6.2017 – 2 A 151/17 -, BauR 2017, 1738, m.w.N., zu mehreren Stellplätzen für eine Kindertagesstätte, und vom 28.1.2016 – 2 B 236/15 -, zu einer im Wege einer Befreiung von einer Grünflächenfestsetzung zugelassenen Herstellung einer 3,80 m breiten, etwa 100 m bis 120 m langen gepflasterten Zufahrt zu zwei Wohngebäuden unmittelbar entlang der Nachbargrenzen; speziell für die im Rahmen des baurechtlichen Nachbarstreits unter dem Aspekt des Rücksichtnahmegebotes vorzunehmende Interessenbewertung beispielsweise OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 4.7.2016 – 2 A 161/16 -, SKZ 2017, 68, Leitsatz Nr. 28, vom 4.12.2008 – 2 A 228/08 -, LKRZ 2009, 142, vom 30.3.2012 – 2 A 317/11 -, SKZ 2012, 171, Leitsatz Nr. 22, und vom 24.5.2012 – 2 A 395/11 -, SKZ 2012, 173, Leitsatz Nr. 25; weitere Nachweise bei Bitz/Schwarz u.a., Baurecht Saarland, 2. Auflage 2005, Kap. XI, Rn 110 ff.). In Fällen, in denen ausschließlich Wohnzwecken dienende Gebäude Genehmigungsgegenstand sind, sind die Beeinträchtigungen aufgrund des dabei zu erwartenden Zu- und Abgangsverkehrs von Nachbarn selbst in reinen Wohngebieten grundsätzlich hinzunehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.3.2003 – 4 B 59.02 -), weil die durch die Benutzung in diesen Fällen verursachten Beeinträchtigungen auch in Wohngebieten zu den von der Nachbarschaft in aller Regel nicht abwehrbaren “Alltagserscheinungen” gehören (vgl. dazu OVG des Saarlandes, Beschluss vom 30.8.2016 – 2 B 224/16 -, SKZ 2017, 69, Leitsatz Nr. 31). Bei der Bedarfsdeckung im Sinne des § 12 Abs. 2 BauNVO dienenden Stellplätzen ist daher im Regelfall auch von einer Nachbarverträglichkeit der durch die Stellplatznutzung verursachten Immissionen auszugehen (vgl. Beschluss des Senats vom 4.1.2019 – 2 B 344/18 -, unter Hinweis auf OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.11.2017 – 2 S 20.17 -, wonach das sowohl für die mit der Stellplatznutzung üblicherweise einhergehende Lärmbelästigung als auch für etwaige Abgas- und Lichtemissionen gilt, die nach der Wertung des Gesetzgebers als sozialadäquat hinzunehmen sind). Nur unter besonderen Umständen sind Immissionen, die nach § 12 BauNVO zulässige Stellplätze hervorrufen, nach Maßgabe des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzumutbar. Besondere Umstände dieser Art haben die Kläger indes nicht vorgetragen. Das gilt hier insbesondere auch deswegen, weil die angefochtene Baugenehmigung nur eine von ihrem Umfang her “überschaubare” Anzahl von sechs Stellplätzen (je 3 Stellplätze pro Carport) zulässt, die an den Wendehammer – und damit an den Straßenraum – anschließen. Soweit die Kläger unter anderem in diesem Zusammenhang auf den besonders geschützten rückwärtigen Gartenbereich ihres Grundstücks verweisen, ist zu berücksichtigen – wie es auch das Verwaltungsgericht getan hat -, dass das streitbezogene Baugrundstück am Ende einer Sackgasse liegt und über jene erschlossen ist, wobei das klägerische Grundstück derart liegt, dass der Gartenbereich in Richtung des unterhalb liegenden Wendehammers ausgerichtet ist. Hier hat sich lediglich eine durch die örtlichen Verhältnisse bereits angelegte Bauoption auf einem unterhalb liegenden Grundstück in einem Wohngebiet realisiert. Somit liegen die Stellplätze des Nachbargrundstücks gerade nicht im “rückwärtigen, geschützten” Bereich, sondern schließen sich – aus der Sicht des neuen Bauvorhabens – unmittelbar an die betreffende Straße (hier den Wendehammer) an. Folglich bestand auch kein Anlass, die durch die Stellplatznutzung verursachten Immissionen im Wege eines Lärmgutachtens aufzuklären (vgl. hierzu: Hessischer VGH, Beschluss vom 10.7.2014 – 3 A 893/14.Z -, Rn. 12-13). Den durch die Verwirklichung des Bauvorhabens zusätzlich entstehenden Zu- und Abgangsverkehr hat das Verwaltungsgericht ebenfalls gewürdigt und ist zu dem nicht zu beanstandenden Schluss gelangt, dass dieser aller Voraussicht nach kein für die Kläger unzumutbares Ausmaß erreichen werde. Aus dem Vorbringen der Kläger, bei 6 neu entstehenden Wohneinheiten mit durchschnittlich 2 Fahrzeugen pro Wohneinheit würden die vorhandenen 6 Stellplätze nicht ausreichen, sodass ein erhöhter Park- und Suchverkehr auf den ohnehin beengten Straßen stattfände, folgt kein Verstoß gegen das baurechtliche Rücksichtnahmegebot. Das Verwaltungsgericht hat sich auch insoweit bei der Ortsbesichtigung einen eigenen Eindruck von den konkreten örtlichen Gegebenheiten verschafft und ist zu dem nachvollziehbaren Ergebnis gelangt, dass negative Auswirkungen auf die Erschließungssituation des klägerischen Grundstücks bereits deshalb fernliegend seien, weil das Grundstück der Kläger über die Straße “…-Straße” und nicht über die Straße “Am …” erschlossen werde. Zugleich hat das Gericht festgestellt, dass es sich bei den zu beparkenden Straßen um Anwohnerstraßen handelt, so dass nicht mit einem erheblichen – über die Wohnnutzung hinausgehenden – Verkehr zu rechnen sei. Das Antragsvorbringen zeigt keine besonderen Aspekte auf, die eine Unrichtigkeit dieser Feststellungen nahelegen. Dass es aufgrund der örtlichen Verhältnisse – auch angesichts der vorhandenen 6 Stellplätze am Wohngebäude – zu chaotischen Verkehrsverhältnissen im unmittelbaren Umfeld des klägerischen Grundstücks – das sich eine Straße oberhalb des Bauvorhabens befindet – kommen könnte (vgl. hierzu: BayVGH, Beschluss vom 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 -), ist nicht dargetan. Daher bestand auch kein Anlass für die Einholung eines verkehrstechnischen Gutachtens.

Soweit die Kläger rügen, das Verwaltungsgericht habe fälschlicherweise eine erdrückende Wirkung des streitigen Bauvorhabens verneint, zeigen sie ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung auf. In dem Urteil wurde einzelfallbezogen eine für die Kläger “erdrückende” Wirkung des Vorhabens unter Hinweis auf den gewonnenen Eindruck von der Örtlichkeit und die Einhaltung der Abstandsflächen verneint, wobei das Gericht zusätzlich die Lage des klägerischen Grundstücks wie auch die jeweiligen Maße der Baukörper auf dem streitbezogenen Grundstück in die Beurteilung einbezogen hat. Dass es hinsichtlich der Einhaltung des Gebots nachbarlicher Rücksichtnahme bei dem genehmigten Vorhaben zu einem anderen als dem von den Klägern gewünschten Ergebnis gelangt ist, begründet nicht schon aus sich heraus ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung (vgl. Beschluss des Senats vom 21.6.2007 – 2 A 152/07 -). Dass die auf einer Tatsachenwertung der tatsächlichen Auswirkungen im konkreten Umfeld eines Bauvorhabens beruhende Einschätzung in aller Regel die Verschaffung eines eigenen Eindrucks von den konkreten örtlichen Gegebenheiten voraussetzt und daher von einem Rechtsmittelgericht im Zulassungsverfahren bis auf Ausnahmekonstellationen selbst nicht abschließend nur auf Grund der Aktenlage beurteilt werden kann, rechtfertigt ebenfalls nicht schon die Annahme, das auf einer Ortsbesichtigung beruhende Ergebnis der Beurteilung des Verwaltungsgerichts unterläge ernstlichen Zweifeln hinsichtlich seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) (vgl. Beschluss des Senats vom 20.12.2019 – 2 A 26/19 -). Hat sich das Verwaltungsgericht – wie vorliegend im Rahmen des Ortstermins geschehen – einen Eindruck von dem “Baugrundstück” und seiner Umgebung, insbesondere auch von der baulichen Situation auf benachbarten Grundstücken, verschafft, so ist die Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn das Antragsvorbringen besondere Aspekte des Einzelfalles aufzeigt, die eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Unrichtigkeit des vom Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnisses der Zumutbarkeitsbewertung begründen können (vgl. Beschluss des Senats vom 20.12.2019 – 2 A 26/19 -).

Das ist hier erkennbar nicht der Fall. Die Kläger haben mit ihrem Vorbringen im Hinblick auf die umfangreichen Feststellungen und nachvollziehbaren Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen einer “erdrückenden Wirkung” und den örtlichen Gegebenheiten keine Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung begründet.

Da das Vorbringen der Kläger daher keinen Grund für die von ihnen beantragte Zulassung der Berufung im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO aufzeigt, ist ihr Antrag zurückzuweisen.

OLG Bamberg zu der Frage, dass wenn die Parteien eines VOB/B-Bauvertrag in einem Verhandlungsprotokoll handschriftlich vereinbaren, dass “Mengenänderungen mehr oder weniger als 10 % die EPs nicht ändern”, es sich um eine Individualvereinbarung handelt, die eine Preisanpassung nach § 2 Abs. 3 VOB/B ausschließt und der AGB-Inhaltskontrolle entzogen ist

OLG Bamberg zu der Frage, dass wenn die Parteien eines VOB/B-Bauvertrag in einem Verhandlungsprotokoll handschriftlich vereinbaren, dass "Mengenänderungen mehr oder weniger als 10 % die EPs nicht ändern", es sich um eine Individualvereinbarung handelt, die eine Preisanpassung nach § 2 Abs. 3 VOB/B ausschließt und der AGB-Inhaltskontrolle entzogen ist

vorgestellt von Thomas Ax

1. Das bloße Schweigen ist in der Regel keine Willenserklärung, sondern das Gegenteil einer Erklärung. Eine Ausnahme hiervon besteht im Handelsverkehr nach den Grundsätzen über das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben.
2. Der Empfänger eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens muss unverzüglich widersprechen, wenn er den Inhalt des Schreibens nicht gegen sich gelten lassen will. Widerspricht er nicht, wird der Vertrag mit dem aus dem Bestätigungsschreiben ersichtlichen Inhalt rechtsverbindlich, es sei denn, dass der Bestätigende das Verhandlungsergebnis bewusst unrichtig wiedergegeben hat oder das Bestätigungsschreiben so weit vom Verhandlungsergebnis abweicht, dass der Absender vernünftigerweise nicht mit dem Einverständnis des Empfängers rechnen konnte.
3. Vereinbaren die Parteien eines VOB/B-Bauvertrag in einem Verhandlungsprotokoll handschriftlich, dass “Mengenänderungen mehr oder weniger als 10 % die EPs nicht ändern”, handelt es sich um eine Individualvereinbarung, die eine Preisanpassung nach § 2 Abs. 3 VOB/B ausschließt und der AGB-Inhaltskontrolle entzogen ist.
OLG Bamberg, Urteil vom 20.07.2023 – 12 U 9/22

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Stellung von Bauhandwerkersicherheiten nach § 648 a BGB in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (§ 648 a BGB a.F.).

Die Klägerin betreibt einen Elektrofachbetrieb, der sich insbesondere auf Elektroeinlegearbeiten spezialisiert hat. Dabei werden die für eine spätere Installation der Versorgung mit Elektrik notwendigen Leerrohre, Verteilerdosen und dergleichen mit Baufortschritt des Rohbaus, insbesondere bei Betonagen erbracht. Die Beklagte betreibt ein Bauunternehmen, welches – u.a. als Generalunternehmer – umfassende Bauleistungen erbringt.

Die Parteien stehen seit etwa 8 Jahren in vertraglichen Beziehungen, wobei die Beklagte die Klägerin als Nachunternehmerin bei diversen Bauvorhaben mit Elektroeinlegearbeiten betraut hat.

Streitgegenständlich sind im vorliegenden Verfahren die Bauvorhaben

– Neubau A.,

– Neubau B. und

– das Bauvorhaben D.

Die Parteien haben den Werkverträgen die VOB/B in der zum Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses gültigen Fassung zugrunde gelegt.

In den Werkverträgen zu den Bauvorhaben A., B. und D. (K 1 bis K 12) wurde in den Verhandlungsprotokollen jeweils handschriftlich vereinbart:

“Massenänderungen mehr oder weniger als 10 % ändern die EPs nicht”.

Im Verlauf der Bauvorhaben kam es bei den Bauvorhaben A. und B. zu erheblichen Mindermengen (mehr als 10 %). Die Klägerin berechnete unter Zugrundelegung ihrer Urkalkulation neue (höhere) als die vertraglich vereinbarten Einheitspreise, auf die sie ihre Schlussrechnungsforderungen stützt (vgl. die AGK-Ausgleichsberechnungen bezüglich A. Anlage K 73, bezüglich B. vgl. Anlage zu Blatt 118 ff., Anlagenband II). Eine Nachtragsvereinbarung zwischen den Parteien wurde insoweit nicht getroffen.

Im Einzelnen:

1. Neubau A.

Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit Vertrag vom 31.05.2013/14.06.2013 für das Bauvorhaben “A.” mit Elektroeinlegearbeiten zu einem Einheitspreis von 54.633,53 Euro (Anlage K 1).

Im Dezember 2014 erfolgte die Abnahme des Werkes der Klägerin durch die Beklagte. Im Anschluss bezahlte die Beklagte die Werklohnforderung der Klägerin nicht vollständig.

Am 13.09.2019 kam es zu einem Telefonat zwischen dem Mitarbeiter der Beklagten, dem Zeugen X. und dem Geschäftsführer der Klägerin, dessen Inhalt zwischen den Parteien im Einzelnen streitig ist.

Mit Schreiben vom 17.09.2019 (Anlage B 3) teilte die Beklagte der Klägerin mit:

“Bei dem Bauvorhaben Neubau A. werden wir so vorgehen wie zwischen uns besprochen. Ihre letzte durch uns geprüfte und freigegebene Abschlagsrechnung (2. AR RE-Nr. 001 vom 21.07.2014) wird als Schlussrechnung angesehen (siehe Anlage). Der Einbehalt in Höhe von 5 % für die Vertragserfüllung wird von uns hiermit ausgezahlt. Der 5 % ige Einbehalt für die Gewährleistung wird nach deren Ablauf durch uns ausbezahlt. Gewährleistungsdauer gem. Vertrag 5 Jahre und 6 Wochen, oder sofort bei Vorlage einer Bürgschaft. Ablauf der Gewährleistung 07.12.2019”.

Eine Reaktion der Klägerin hierauf erfolgte nicht.

Mit Schreiben vom 26.11.2019 forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos auf, bis zum 10.12.2019 Sicherheit in Höhe von 19.131,93 Euro zu leisten (ausstehender Werklohn i.H.v. 17.392,66 Euro + 10%, Anlage K 3).

Daraufhin kündigte die Klägerin den Werkvertrag mit der Beklagten am 11.12.2019 (Anlage K 4).

Am 16.03.2020 zahlte die Beklagte einen Betrag in Höhe von 3.837,56 Euro. Mit Schriftsatz vom 30.06.2020 hat die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache insoweit teilweise für erledigt erklärt. Die Beklagte hat der Teilerledigterklärung widersprochen. Mit Schriftsatz vom 20.05.2021 hat die Klägerin sodann insoweit die Klagerücknahme erklärt.

Die Klägerin macht einen Restbetrag aus der Schlussrechnung in Höhe von 13.555,10 Euro geltend. Der von der Klägerin geforderte Betrag der Sicherheit beträgt 14.910,61 Euro (13.555,10 Euro + 10 %).

2. Neubau B.

Mit Nachunternehmervertrag vom 20./24.07.2017 beauftragte die Beklagte die Klägerin mit Elektroeinlegearbeiten für das Bauvorhaben “Neubau B.” zu einem Einheitspreis von 124.333,82 Euro netto (K 8). Später wurden noch zwei Nachträge in Höhe von 21.770,10 Euro (K 7) sowie 1.000,00 Euro (K 8) vereinbart.

Die Abnahme der Leistung betreffend den ursprünglichen Auftrag erfolgte am 06.02.2019.

Am 20.11.2019 stellte die Klägerin die 5. Abschlagsrechnung über 55.307,18 Euro (K 9).

Mit Schreiben vom 25.11.2019 verlangte die Klägerin erfolglos eine Sicherheitsleistung in Höhe von 114.034,02 Euro für noch offenen Werklohn von 103.667,29 Euro zzgl. 10 % bis zum 09.12.2019 (K 10).

Am 10.12.2019 kündigte die Klägerin den Werkvertrag (K 11).

Am 16.03.2020 zahlte die Beklagte auf den noch ausstehenden Werklohn einen Betrag von 13.608,84 Euro.

3. Bauvorhaben D.

Am 24.05.2017 beauftragte die Beklagte die Klägerin mit Elektroeinlegearbeiten für das Bauvorhaben D. zu einem Einheitspreis von 136.587,40 Euro netto (K 12).

Am 09.07.2019 erfolgte die Abnahme des Werks der Klägerin durch die Beklagte.

Die Klägerin stellte am 30.10.2019 eine Schlussrechnung über noch offene 26.306,00 Euro (K 13). In der Folgezeit zahlte die Beklagte den noch offenen Rechnungsbetrag nicht.

Mit Schreiben vom 26.11.2019 forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos dazu auf, Sicherheit i.H.v. 28.936,60 Euro zu leisten (ausstehender Werklohn 26.306,00 Euro + 10 %) bis zum 10.12.2019 (K 14).

Die Klägerin kündigte daraufhin den Werkvertrag mit der Beklagten am 11.12.2019 (K 15).

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt, der Klägerin für deren Werklohnforderungen aus den genannten drei Werkverträgen Sicherheit gemäß § 648 a BGB a.F. in Höhe von 14.910,61 Euro (A.), in Höhe von 53.864,13 Euro (B.) und in Höhe von 28.936,60 Euro (D.) zu leisten. Darüber hinaus hat sie die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung ihrer außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten betreffend die drei vorgenannten Bauvorhaben beantragt.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat in erster Instanz im Wesentlichen vorgetragen:

1. Bauvorhaben A.

Hinsichtlich des Bauvorhabens A. bestehe ein Anspruch nach § 648 a BGB a.F. nicht. Die Parteien hätten sich bei einem Telefonat darauf geeinigt, dass die Leistungen der Klägerin durch die Zahlung der 2. Abschlagsrechnung vom 20.07.2014 abgegolten sein sollten. Der Inhalt des Telefonats sei durch das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 17.09.2019 (Anlage B 3), bei dem es sich um ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben handele, festgehalten worden. Es gebe somit keine zu sichernde Forderung, weshalb auch kein Anspruch auf Sicherheitsleistung bestehe. Überdies sei der Werklohnanspruch mit Ablauf des 31.12.2017 verjährt. Für eine verjährte Forderung sei keine Sicherheit zu leisten. Darüber hinaus habe die Klägerin den Anspruch betreffend eine Vereinbarung der Parteien hinsichtlich einer Vergütungsanpassung wegen Mengenunterschreitungen im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B nicht hinreichend dargelegt.

2. Bauvorhaben B.

Die Beklagte hat behauptet, die Abschlagsrechnung der Klägerin sei nicht prüfbar. Das der Rechnung zugrunde liegende Aufmaß entspreche nicht den vertraglichen Vereinbarungen. Mit Kündigung des Vertrages sei Abrechnungsreife eingetreten, so dass kein Anspruch auf Abschlagszahlung mehr bestehe.

Bereits am 13.03.2020 und damit vor Zustellung der Klage sei im Rahmen der Schlussrechnung vom 04.03.2020 der Betrag von 13.608,64 Euro an die Klägerin bezahlt worden (B 11), weshalb keine zu sichernde Werklohnforderung mehr bestehe.

3. Bauvorhaben D.

Am 31.10.2019 habe die Beklagte die mangelnde Prüfbarkeit der Schlussrechnung gerügt, weil sich aus den Plänen nicht der Umfang der erbrachten Leistungen erkennen lasse.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass 80 % der Leistungen nicht erbracht worden seien, so dass sich sogar eine Überzahlung von 23.213,69 Euro ergebe.

Wegen der Einzelheiten des Sachvortrages wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Eine Beweisaufnahme hat in erster Instanz nicht stattgefunden.

II.

Mit dem am 10.06.2021 verkündeten Endurteil hat das Landgericht der Klägerin Bauhandwerkersicherungen gemäß § 648 a BGB a.F. in Höhe von 77,04 Euro (A.), in Höhe von 20.581,20 Euro (B.) und in Höhe von 28.936,50 Euro (D.) zugesprochen. Darüber hinaus hat das Landgericht die Beklagte dazu verurteilt, die Klägerin von den Gebührenforderungen der xxx Rechtsanwälte betreffend die außergerichtliche Tätigkeit der Rechtsanwälte in Höhe der jeweiligen Gegenstandswerte freizustellen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

Die Klägerin habe gegen die Beklagte für alle drei Bauvorhaben gemäß § 648 a BGB a.F. einen Anspruch auf Stellung von Bausicherheiten in der jeweils tenorierten Höhe.

Vorliegend sei die Anwendung des § 2 Abs. 3 VOB/B ausweislich der Verhandlungsprotokolle (Anlage A zum Nachunternehmervertrag, Anlage K 1, K 6, K 12) zur Überzeugung des Gerichts durch die Parteien wirksam abbedungen worden, weshalb der Klägerin kein Anspruch aus § 2 Abs. 3 VOB/B wegen Mehr- oder Mindermengen von mehr als 10 % der ausgeschriebenen Mengen zustehe (LGU Seite 16). Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Vereinbarung “Massenänderungen mehr oder weniger als 10 % ändern die EPs nicht”.

Entgegen der Ansicht der Beklagten seien die Werklohnansprüche der Klägerin nicht verjährt (LGU Seite 19/20).

Wegen der Einzelheiten der Berechnung der zu sichernden Forderungen wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

III.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihre in erster Instanz gestellten Anträge bezüglich der Bauvorhaben A. und B., soweit diese durch das Landgericht abgewiesen wurden, weiterverfolgt.

Die Beklagte erstrebt die Zurückweisung der Berufung.

Mit ihrer Anschlussberufung erstrebt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage hinsichtlich des Bauvorhabens A. und die vollständige Abweisung der Klage hinsichtlich der durch das Landgericht zuerkannten Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Die Klägerin erstrebt die Zurückweisung der Anschlussberufung.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die teilweise Klageabweisung bezüglich des Vorhabens A. und B. zu Unrecht erfolgt sei. Die Klägerin habe erstinstanzlich sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ihre jeweiligen Vergütungsansprüche aus den Ausgleichsberechnungen für Mindermengen (AGK-Ausgleichsberechnung) dargetan. Insbesondere sei schlüssig vorgebracht worden, dass sich der jeweilige Vergütungsanspruch auf einen Vertrag stütze, mit dem die Anwendung der VOB/B, insbesondere des § 2 Abs. 3 VOB/B in der damaligen Fassung wirksam vereinbart worden sei.

Dass das Landgericht die Sicherheiten insoweit nicht gewähren wolle, weil die Anwendung des § 2 Abs. 3 VOB/B hier wirksam ausgeschlossen sei, sei rechtsfehlerhaft. Die hier strittigen Klauseln lauteten gerade nicht: “Die Anwendung des § 2 Abs. 3 VOB/B ist ausgeschlossen”. Vielmehr schlössen die hier strittigen, von der Beklagten selbst formulierten und vorgegebenen Klauseln nach richtigem Verständnis und in feindlichster Auslegung für den Adressaten jegliche Anpassung des Einheitspreises aus. Dies erfasse auch die Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB, jedenfalls soweit diese auf eklatanten Mengenabweichungen beruhe.

Bei den in den Verhandlungsprotokollen getroffenen Vereinbarungen handele es sich nicht um Individualvereinbarungen, sondern um AGB, die der Klägerin von der Beklagten, ohne dass hierüber verhandelt worden sei, einseitig vorgegeben worden seien. Als AGB-Regelung seien die Vereinbarungen gemäß § 307 BGB unwirksam. Die Klägerin verweist hierzu auf BGH-Rechtsprechung. Das Landgericht habe die Beweisantritte zum Vorliegen von AGB zu Unrecht übergangen, indem es die mit Schriftsatz vom 14.09.2021, Seite 9 benannten Zeugen nicht vernommen habe (Blatt 312, 313 d.A.). Demzufolge seien auch die Nebenforderungen auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu Unrecht teilweise abgewiesen worden.

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren zuletzt beantragt (Schriftsatz vom 16.05.2022, Blatt 395 ff.):

1. Das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 10.06.2021 wird teilweise abgeändert, soweit die Klage teilweise abgewiesen wurde.

2. Auf die Berufung hin wird die Beklagte (über das erstinstanzlich Zugesprochene hinaus) verurteilt wie folgt:

2.1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für deren Werklohnforderungen aus dem Werkvertrag vom 31.05.2013/14.06.2013 betreffend das Bauvorhaben “Neubau A.” für Elektroeinlegearbeiten weitere Bauhandwerkersicherung im Sinne des § 648 a BGB a.F. nach Wahl der Beklagten entweder durch Garantie oder durch ein sonstiges Zahlungsversprechen eines im Geltungsbereich dieser Norm zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts oder Kreditversicherers in Höhe von noch 14.833,57 Euro zu stellen.

2.2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für deren Werklohnforderungen aus dem Werkvertrag vom 20./24.07.2017 betreffend das Bauvorhaben “Neubau B.” für Elektroeinlegearbeiten weitere Bauhandwerkersicherung im Sinne des § 648 a BGB a.F. nach Wahl der Beklagten entweder durch Garantie oder durch ein sonstiges Zahlungsversprechen eines im Geltungsbereich dieser Norm zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts oder Kreditversicherers in Höhe von noch 33.282,89 Euro zu stellen.

2.3. Die Beklagte wird ferner verurteilt, der Klägerin weitere außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten (1,3 Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 19.131,93 Euro betreffend die Bauhandwerkersicherung zur A. zuzüglich Auslagenpauschale) von weiteren 564,70 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.01.2020 zu erstatten.

2.4. Die Beklagte wird ferner verurteilt, der Klägerin weitere außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten (1,3 Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 114.034,02 Euro zuzüglich Auslagenpauschale) von weiteren 552,50 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.01.2020 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen (Schriftsatz vom 10.08.2021, Blatt 259).

Im Wege der Anschlussberufung beantragt die Beklagte:

1. Das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 10.06.2021 (Az.: 12 O 315/20 Bau) aufzuheben, soweit die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin für deren Werklohnforderung aus dem Werkvertrag vom 31.05.2013/14.06.2012 betreffend das Bauvorhaben A. für Elektroarbeiten eine Bauhandwerkersicherung im Sinne des § 648 a BGB a.F. in Höhe von 77,04 Euro zu stellen und die Klage insoweit abzuweisen.

2. Das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 10.06.2021 (Az.: 12 O 315/20 Bau) aufzuheben, soweit die Beklagte verurteilt wird, die Klägerin von der Gebührenforderung der xxx Rechtsanwälte als außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten

– in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 4.268,48 Euro zzgl. Auslagenpauschale, insgesamt 419,09 Euro,

– In Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 47.869,73 Euro zzgl. Auslagenpauschale, insgesamt 1.531,90 Euro und

– In Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 28.936.80 Euro zzgl. Auslagenpauschale, insgesamt 1.141,90 Euro freizustellen und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen (Schriftsatz vom 24.11.2021, Blatt 366).

1. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die Frage der Unwirksamkeit der Klausel “Massenänderungen mehr oder weniger als 10 % ändern die EPs nicht” dahinstehen könne, da die Unwirksamkeit der Klausel nicht zur Anwendbarkeit des § 2 Abs. 3 VOB/B führe, sondern lediglich zur Anwendung des § 313 BGB, zu dessen Voraussetzungen die Klägerin nichts vorgetragen habe.

2. Zum Bauvorhaben A. könne die Berufung der Klägerin schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die Schlussrechnung der Klägerin vom 12.11.2019, aus der sich die zu sichernde Forderung ergeben solle, für das Rechtsverhältnis der Parteien nicht maßgeblich sei. Wie bereits in erster Instanz (Schriftsatz vom 10.08.2021) ausgeführt, hätten sich die Parteien in einem Telefonat vom 13.09.2019 darauf geeinigt, dass die letzte geprüfte und freigegebene Abschlagsrechnung der Klägerin vom 21.07.2014 als Schlussrechnung anzusehen sei und der darin vorgenommene Einbehalt von 5 % für die Vertragserfüllung ausgezahlt werden solle. Zugleich sei vereinbart worden, dass die Gewährleistungsfrist am 07.12.2019 ende. Zum Beweis bietet die Beklagte den Zeugen X. an. Hierüber habe der Zeuge X. ein Schreiben angefertigt, in dem er den wesentlichen Inhalt des Telefonats wiedergegeben habe (Anlage B 3). Anschließend habe er das Schreiben per Einschreiben an die Klägerin übersandt. Dieses Schreiben stelle ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben dar. Ein Widerspruch seitens der Klägerin sei nicht erfolgt. Damit stehe fest, dass die Abschlagsrechnung vom 21.07.2014 als Schlussrechnung angesehen werde und demzufolge die darin abgerechnete Vergütung maßgeblich sei. Die Beklagte habe den sich aus der Abschlagsrechnung vom 21.07.2014 ergebenden Saldo abzüglich eines Sicherheitseinbehaltes in Höhe von 3.837,56 Euro bezahlt. Der Sicherheitseinbehalt sei am 16.03.2020 ausbezahlt worden. Damit seien sämtliche Ansprüche der Klägerin erfüllt. Es gebe keine sicherungsfähigen Ansprüche der Klägerin mehr.

3. Bei der Bestimmung in den Verhandlungsprotokollen, “Massenänderungen mehr oder weniger als 10 % ändern die EP´s nicht” handele es sich nicht um eine Allgemeine Geschäftsbedingung. Diese Bestimmung sei zwischen den Parteien während der Vergabegespräche individuell ausgehandelt worden Hierfür hat die Beklagte Beweis durch Vernehmung von Zeugen angeboten (Blatt 350). Selbst wenn das anders zu beurteilen wäre, wäre die Klausel nicht unwirksam. Darüber hinaus fehle es bezüglich der AGK-Ausgleichsberechnung an einer sicherungsfähigen Nachtragsvereinbarung.

4. Bezüglich des Bauvorhabens B. ist die Beklagte der Auffassung, dass sie, nachdem sie die Klägerin nach Kündigung des Bauvertrages erfolglos zur Schlussrechnungsstellung aufgefordert habe, selbst eine Schlussrechnung erstellt habe (B 8, B 9 und B 10). Den sich daraus ergebenden Saldo in Höhe von 13.608,84 Euro habe die Beklagte am 13.03.2020 ausgeglichen. Es gebe daher keine zu sichernde Werklohnforderung mehr. Zwar habe die Klägerin am 30.04.2020 eine eigene Schlussrechnung vom 30.04.2020 gestellt, mit der sie eine Zahlung in Höhe von 48.967,39 Euro zur Grundlage für das hier streitgegenständliche Sicherungsverlangen mache. Die Schlussrechnung vom 30.04.2020 enthalte in zwei Positionen wiederum eine AGK-Ausgleichsberechnung nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B und zwar in Höhe von insgesamt 30.846,09 Euro. Ebenso wie beim Bauvorhaben A. sei im vorliegenden Fall die Anwendung des § 2 Abs. 3 VOB/B zwischen den Parteien ausgeschlossen. Anders als beim Bauvorhaben A. sei die Klausel beim Bauvorhaben B. nicht ausgehandelt worden. Allerdings habe das Protokoll, das der Klägerin zugesandt worden sei, genau demjenigen der A. entsprochen, das im einzelnen ausgehandelt gewesen sei. Sie sei daher davon ausgegangen, dass die Klägerin mit den Regelungen einverstanden sei.

Auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung, der Berufungserwiderung und der Anschlussberufung sowie der Erwiderung auf die Anschlussberufung wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Der Senat hat im Termin vom 15.06.2023 den Geschäftsführer der Klägerin informatorisch gehört. Darüber hinaus hat der Senat im Termin vom 15.06.2023 eine Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen Y., Z., V. und X. durchgeführt. Auf das Protokoll des Termins vom 15.06.2023 wird Bezug genommen.

IV.

1. Zulässigkeit der Berufung:

Die Berufung ist zulässig (§§ 511 ff. ZPO). Gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wurde der Klägerin mit Beschluss des OLG Bamberg vom 21.09.2021 (Blatt 321 ff.) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Der Auffassung der Beklagten, die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht ausreichend begründet worden sei (Berufungserwiderung Seite 14 ff, Blatt 358 ff. d.A.) kann nicht gefolgt werden. Die Beklagte meint, die Klägerin befasse sich in ihrer Berufung ausschließlich mit der Frage, ob die fragliche Klausel eine Allgemeine Geschäftsbedingung darstelle und nach § 307 BGB unwirksam sei. Hierauf komme es aber nach Auffassung des Erstgerichts nicht an, welches die Wirksamkeit der Regelung ausdrücklich offengelassen habe und ausgeführt habe, selbst wenn man die Wirksamkeit der Regelung unterstelle, komme nicht die VOB/B zur Anwendung, sondern allein die Regelungen des BGB, die eine Vertragsanpassung im Falle von Mengenunterschreitungen von mehr als 10 % nicht vorsähen. Dieses Argument des Erstgerichts habe die Klägerin nicht angegriffen, sondern sich nur mit der AGB-Widrigkeit der Regelung befasst. Die Berufungsbegründung sei daher unzureichend und die Berufung damit unzulässig.

Dem kann nicht gefolgt werden. Die Argumentation des Erstgerichts, wonach selbst wenn man die Wirksamkeit der Regelung unterstelle, nicht die VOB/B zur Anwendung komme, sondern allein die Regelungen des BGB, die eine Vertragsanpassung im Falle von Mengenunterschreitungen von mehr als 10 % nicht vorsähen, wird von der Berufung durchaus angegriffen. Dies ergibt sich insbesondere aus den Ausführungen auf Seite 4 der Berufungsbegründung. Danach erfasse die Klausel auch die Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB. Damit greift die Berufung auch die die angefochtene Entscheidung tragende Begründung an und ist damit zulässig.

2. Begründetheit der Berufung und der Anschlussberufung:

Die Berufung ist unbegründet. Die Anschlussberufung ist teilweise begründet.

Bezüglich des Bauvorhabens A. steht der Klägerin kein Anspruch auf eine Bauhandwerkersicherung nach § 648 a.F. BGB zu, weil insoweit eine zu sichernde Restwerklohnforderung nicht mehr besteht. Insoweit war die Entscheidung auf die Anschlussberufung der Beklagten dahingehend abzuändern, dass die Klage auf Bauhandwerkersicherung abgewiesen wird (hierzu unter a).

Bezüglich des Bauvorhabens B. ist die Berufung der Klägerin nicht begründet. Eine höhere zu sichernde Forderung als sie das Landgericht zuerkannt hat, besteht nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht. Insoweit war die Berufung zurückzuweisen (hierzu unter b).

Bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist die Anschlussberufung hingegen nicht begründet und war insoweit zurückzuweisen (hierzu unter c).

a) Bauvorhaben A.:

Hinsichtlich des Bauvorhabens A. kann die Frage der Auslegung und der Wirksamkeit der Klausel “Mengenänderungen mehr oder weniger als 10 % ändern die EPs nicht”, letztlich dahinstehen. Insoweit hat die durch den Senat durchgeführte Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen X. ergeben, dass dem als Anlage B 3 vorgelegten Schreiben vom 17.09.2019 ein Telefonat zwischen dem Zeugen X. und dem Geschäftsführer der Klägerin vorausging, bei dem Vereinbarungen bezüglich der Restwerklohnforderung aus dem Bauvorhaben A. getroffen wurden, die in dem Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 17.09.2019 (Anlage B 3) festgehalten wurden. Der Zeuge X. hat hierzu angegeben, nach seiner Erinnerung habe es ein Telefonat zwischen ihm und Herrn W. gegeben und er habe den Inhalt dieses Telefonats in einem Schreiben so festgehalten, wie er Herrn W. verstanden habe. Im Nachgang habe sich dann aber herausgestellt, dass sie sich wohl nicht richtig verstanden hätten und er habe Herrn W. dann auch vorgehalten, warum er dies der Firma xxxx nicht früher mitgeteilt habe. Dem Zeugen X. wurde das Schreiben vom 17.09.2019 (Anlage B 3) vorgehalten. Der Zeuge X. hat erklärt, dass er dieses Schreiben nach dem Telefongespräch mit Herrn W. so per Einschreiben herausgegeben habe. Auf das Schreiben habe Herr W. entweder lange nicht oder überhaupt nicht reagiert.

Nach dem persönlichen Eindruck, den der Zeuge X. bei seiner Vernehmung gemacht hat, erachtet der Senat den Zeugen X. als glaubwürdig. Der Zeuge machte auf den Senat einen seriösen Eindruck. Auch an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen X. hat der Senat keine Zweifel. Der Senat verkennt nicht, dass der Zeuge X. bis zum 01.05.2023 bei der Beklagten beschäftigt war und daher der Beklagten nahesteht. Ein wirtschaftliches Eigeninteresse des Zeugen X. am Ausgang des Rechtsstreits ist, da der Zeuge nicht mehr bei der Beklagten beschäftigt ist, aber nicht erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, warum der Zeuge den Inhalt des Telefonats, welches dem Schreiben vom 17.09.2019 vorausging, unrichtig wiedergegeben haben sollte.

Der Zeuge hat zudem ausdrücklich klargestellt, dass er den Geschäftsführer der Klägerin so verstanden habe, wie er es in dem Schreiben vom 17.09.2019 (Anlage B 3) wiedergegeben habe. Er hat eingeräumt, dass man sich bei dem Telefonat möglicherweise missverstanden habe.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Klägerin daher durch ihr Schweigen auf das Schreiben vom 17.09.2019 der darin vorgeschlagenen Lösung zugestimmt. Zwar ist bloßes Schweigen in der Regel keine Willenserklärung, sondern das Gegenteil einer Erklärung (Grüneberg, BGB, 82. Aufl., Einf. vor § 116 BGB Rdnr. 7). Von diesem Grundsatz gibt es jedoch Ausnahmen. Hier sind die Grundsätze über das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben (§ 356 Abs. 1 HGB) anwendbar. Im Handelsverkehr gilt der Grundsatz, dass der Empfänger eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens unverzüglich widersprechen muss, wenn er den Inhalt des Schreibens nicht gegen sich gelten lassen will. Widerspricht er nicht, wird der Vertrag mit dem aus dem Bestätigungsschreiben ersichtlichen Inhalt rechtsverbindlich, es sei denn, dass der Bestätigende das Verhandlungsergebnis bewusst unrichtig wiedergegeben hat oder das Bestätigungsschreiben so weit vom Verhandlungsergebnis abweicht, dass der Absender vernünftigerweise nicht mit dem Einverständnis des Empfängers rechnen konnte (Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 147 BGB Rdnr. 8). Davon, dass das Verhandlungsergebnis bewusst unrichtig wiedergegeben oder weit abweichend vom Verhandlungsergebnis wiedergegeben wurde, kann in Anbetracht der glaubwürdigen Angaben des Zeugen X. nicht ausgegangen werden.

Der Geschäftsführer der Klägerin hat auf das Schreiben vom 17.09.2019 innerhalb angemessener Frist, auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er zum Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens, welches auf dem Postweg per Einschreiben versendet wurde, 2 Wochen in Urlaub gewesen ist, nicht reagiert. Der Geschäftsführer der Klägerin wäre verpflichtet gewesen, wenn er mit der in dem Schreiben der Beklagten vom 17.09.2019 (B 3) als Ergebnis des Telefonats wiedergegebenen Lösung nicht einverstanden war, unverzüglich nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub zu reagieren und dem zu widersprechen. Dies ist hier nicht erfolgt. Das Schweigen des Geschäftsführers der Klägerin ist nach den Grundsätzen des kaufmännischen Bestätigungsschreibens als Zustimmung zu werten.

Demzufolge besteht aus dem Bauvorhaben A. aufgrund der getroffenen Vereinbarung keine zu sichernde Restwerklohnforderung mehr. Insoweit war die Entscheidung des Landgerichts auf die Anschlussberufung der Beklagten abzuändern und die Klage auf Bauhandwerkersicherung gemäß § 648 a.F. BGB insoweit abzuweisen.

b) Bauvorhaben B.

Hinsichtlich des Bauvorhabens B. ist die Berufung der Klägerin nicht begründet. Eine höhere zu sichernde Werklohnforderung als vom Landgericht errechnet, besteht nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht. Die Parteien haben die in § 2 Abs. 3 VOB/B geregelte Preisänderungsmöglichkeit individualvertraglich ausgeschlossen, so dass die Klägerin wegen der Mindermengen im konkreten Fall keine Nachtragsforderung stellen kann und demzufolge ein Anspruch auf eine Bauhandwerkersicherung nach § 648 a BGB a.F. bezüglich der geltend gemachten Mehrforderung nicht besteht.

Eine Nachtragsvereinbarung über geänderte Einheitspreise ist nicht zustande gekommen; es handelt sich um ein einseitiges Verlangen der Klägerin auf Preisänderung aufgrund § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B. Das Verlangen auf Preisänderung nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/ ist unter Bezugnahme auf die AGK-Ausgleichsberechnungen jeweils schlüssig dargestellt.

Die Parteien haben hier durch die Vereinbarung im Verhandlungsprotokoll: “Mengenänderungen mehr oder weniger als 10 % ändern die EPs nicht” eine Abänderung der vertraglich vereinbarten Einheitspreise nach § 2 Abs. 3 VOB/B wegen Mengenänderungen mehr oder weniger als 10 % bezüglich des Bauvorhabens B. durch eine Individualvereinbarung ausgeschlossen. Eine Preisänderung nach § 2 Abs. 3 VOB/B ist aufgrund dieser Vereinbarung ausgeschlossen.

Dafür, dass diese Klausel nicht als Allgemeine Geschäftsbedingung der Klägerin gestellt wurde, sondern zwischen den Parteien individuell ausgehandelt wurde, spricht schon die äußere Gestaltung: Die Klausel befindet sich in einem als “Verhandlungsprotokoll” bezeichneten Schriftstück, in dem unter Ziffer 19.11 (“Sonstige technische/kaufmännische Vereinbarungen”) handschriftlich getroffene Vereinbarungen wiedergegeben werden. Das Verhandlungsprotokoll vom 20.07.2017 erweckt von seiner äußeren Gestaltung her den Eindruck, dass die Punkte, die handschriftlich ergänzt wurden, während der Verhandlung im Einzelnen durchgesprochen und sodann handschriftlich in das Protokoll eingefügt wurden.

Dieser äußere Eindruck hat sich durch die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme letztlich bestätigt. Der Zeuge Y. hat glaubhaft angegeben, dass die in den Verhandlungsprotokollen niedergelegten Punkte vorher jeweils durchgesprochen wurden. Der Zeuge Y. hat ausgesagt, er könne nicht sagen, wer die streitgegenständliche Klausel eingebracht habe. Es gebe Verträge, in denen sie stehe und andere, in denen sie nicht stehe. Es habe keine Regel dafür gegeben, wann diese Klausel in den Vertrag gekommen sei. Man habe sie besprochen, wenn keine Einwände gekommen seien, sei sie aufgenommen worden, sonst vielleicht nicht. Zwar hat der Zeuge Y. an den Verhandlungen bezüglich des Vorhabens B. nicht selbst teilgenommen, was sich auch aus dem Verhandlungsprotokoll auf Seite 1 ergibt, wo die Teilnehmer genannt sind. Der Zeuge hat aber das übliche Procedere bezüglich der Klausel anschaulich und glaubhaft geschildert. Der Zeuge Z., der laut Verhandlungsprotokoll an der Verhandlung bezüglich des Bauvorhabens B. teilgenommen hat, hatte keine Erinnerung mehr an das konkrete Verhandlungsgespräch. Er meinte, dass die handschriftlichen Einträge am Telefon durchgesprochen worden seien. Er hat angegeben, dass die streitgegenständliche Klausel zwar öfters verwendet worden sei, aber nicht standardmäßig. So sei die Klausel beim Bauvorhaben H. nicht verwendet worden. Der Zeuge V., der an den Verhandlungen bezüglich der A. teilgenommen hat, hat angegeben, dass die Klausel nicht so wichtig gewesen sei, dass sie zu 100 % ins Protokoll gemusst hätte. Die streitgegenständliche Klausel sei keine Standardklausel gewesen.

Aufgrund der Angaben der vernommenen Zeugen, an deren Glaubwürdigkeit der Senat keinen Zweifel hat, ist der Senat davon überzeugt, dass die streitgegenständliche Klausel der Klägerin nicht einseitig durch die Beklagte gestellt worden ist, sondern jeweils im Einzelfall darüber verhandelt wurde, ob sie in den Vertrag aufgenommen wird oder nicht. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die vernommenen Zeugen Y., Z. und V. bei der Beklagten beschäftigt sind oder waren und insofern der Beklagten nahestehen. Es ist hier aber nicht erkennbar, warum die Zeugen hier nicht wahrheitsgemäß ausgesagt haben sollten. Die Klausel wurde den Angaben der Zeugen zufolge nicht standardmäßig bei jedem Bauvorhaben vereinbart, z.B. beim Bauvorhaben H. wurde sie nicht vereinbart. Der Senat geht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon aus, dass die Klausel beim Bauvorhaben B. aufgrund einer Individualvereinbarung in den Vertrag aufgenommen wurde.

Allgemeine Geschäftsbedingungen liegen nicht vor, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Parteien in einzelnen ausgehandelt sind, § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB. Die streitgegenständliche Klausel unterliegt daher nicht der AGB-Kontrolle. Die Rechtsprechung des BGH, wonach eine Klausel in AGB des Auftraggebers “Massenänderungen – auch über 10 % – sind vorbehalten und berechtigen nicht zur Preiskorrektur” den Auftragnehmer unangemessen benachteiligt, weil sie auch Ansprüche wegen Störung der Geschäftsgrundlage ausschließt (BGH, Urteil vom 04.11.2015 – VII ZR 282/14 – BauR 2016, 260, zitiert bei Ingenstau/Korbion, VOB/B, 22. Aufl. § 3 Abs. 3 Rdnr. 10), ist hier daher nicht einschlägig, weil es sich hier um eine individuell vereinbarte Klausel handelt und die Einbeziehung in den Vertrag auf der freien Entscheidung der Klägerin beruhte.

Die streitgegenständliche Klausel ist auch nicht – wie der Geschäftsführer der Klägerin bei seiner informatorischen Anhörung angegeben hat – als bloße Wiedergabe des § 2 Abs. 3 VOB/B zu verstehen (“Ist ja in der VOB/B so geregelt”). Die Klausel enthält vielmehr eine von § 2 Abs. 3 VOB/B abweichende Regelung dahingehend, dass bei Mengenänderungen nach unten oder nach oben über 10 % entgegen § 2 Abs. 3 keine Preisänderung verlangt werden kann. Wäre die Klausel als bloße Wiedergabe der Regelung in § 2 Abs. 3 VOB/B zu verstehen, wäre sie überflüssig.

Für eine Preisanpassung nach § 313 BGB fehlt es – wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat – an einem Sachvortrag der Klägerin.

Die Frage der Aufmaßdifferenzen wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein. Im Verfahren auf Bauhandwerkersicherung genügt – wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat – eine Schlüssigkeitsprüfung. Eine mögliche Übersicherung wird hierbei in Kauf genommen.

c) Nebenforderungen

Das Landgericht hat die Beklagte zur Freistellung von den Gebührenforderungen der xxx Rechtsanwälte verurteilt (LGU 23, 24). Die Beklagte habe sich mit der Stellung der Sicherheit in Verzug befunden und habe die entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Verzugsschaden zu ersetzen, allerdings nur in der jeweils schlüssig dargelegten Höhe des Gegenstandswertes.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie bezüglich der A. und B. die Zuerkennung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten auf der Grundlage der von ihr geltend gemachten Hauptforderungen erstrebt.

Die Berufung der Klägerin, die sich gegen die Kürzung der Gegenstandswerte wendet, ist nicht begründet.

Auf die Ausführungen des Landgerichts zur Höhe der Gegenstandswerte wird Bezug genommen. Das Landgericht hat die Freistellungsverpflichtung zu Recht auf der Grundlage der jeweiligen berechtigten Gegenstandswerte ausgesprochen.

Die Anschlussberufung erstrebt die Abweisung der Klage betreffend die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und macht geltend, dass die Beklagte sich mit der Stellung der Sicherheiten nicht in Verzug befunden habe.

Die Anschlussberufung der Beklagten ist nicht begründet.

Aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 04.12.2019 (K 61) liegt hier – was die Stellung der Sicherheiten für alle drei Bauvorhaben angeht – eine ausdrückliche und endgültige Erfüllungsverweigerung seitens der Beklagten vor. Dort wird ausgeführt:

“Des Weiteren weisen wir Ihr Verlangen nach einer Bauhandwerkersicherung nach § 650 f BGB zurück, da die Arbeiten bereits abgeschlossen sind und keine Leistungen, bis auf etwaige Mängelbeseitigungen, ausstehen und Ihr Kreditorenkonto keine ausstehende Vergütung ausweist”.

Damit war eine Mahnung entbehrlich. Das Landgericht ging zu Recht davon aus, dass sich die Beklagte mit der Stellung der Sicherheit grundsätzlich in Verzug befand und daher die entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Verzugsschaden zu ersetzen seien, allerdings nur in der jeweils schlüssig dargelegten Höhe des Gegenstandswertes (LGU 23).

Zum Zeitpunkt des Schreibens der Beklagten vom 04.12.2019 bestand für die Klägerin aus dem Bauvorhaben A. noch eine Werklohnforderung in Höhe von 3.837,56 Euro. Gemäß § 648a BGB a.F. stand der Klägerin damit eine Sicherheit in Höhe von 110 % dieses Betrages zu. Auf der Grundlage dieses Gegenstandswertes hat das Landgericht zu Recht eine 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 393,90 Euro zuzüglich der Auslagenpauschale zugesprochen. V.

Die Kostenentscheidung für die erste Instanz beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 3 ZPO. Die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung um lediglich 77,04 Euro (Ziffer 1) führt nicht zu einer Änderung der Kostenquote, die das Landgericht zutreffend errechnet hat (LGU Seite 24, 25).

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens war gemäß §§ 47 Abs. 1, 3 ZPO auf 48.193,50 Euro festzusetzen.

Bezüglich der Berufung der Klägerin sind die im Schriftsatz vom 16.05.2022 gestellten Anträge maßgeblich (Blatt 395,396). Hinzuzurechnen ist der Wert der Anschlussberufung:

Antrag zu 2.1.: 14.833,57 Euro

Antrag zu 2.2: 33.282,89 Euro

Anträge Anschlussberufung 77,04 Euro

Summe 48.193,50 Euro

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

Verkündet am: 20.07.2023

VGH Bayern zur Frage der Genehmigungspflichtigkeit der (Um-)Nutzung von Wohnung als Praxis

VGH Bayern zur Frage der Genehmigungspflichtigkeit der (Um-)Nutzung von Wohnung als Praxis

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Nutzung einer baulichen Anlage kann untersagt werden, wenn die Nutzung öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich schon dann erfüllt, wenn eine bauliche Anlage ohne erforderliche Genehmigung, somit formell illegal, genutzt wird.
2. Es entspricht regelmäßig pflichtgemäßer Ermessensausübung, wenn die Bauaufsichtsbehörde eine formell illegale Nutzung durch den Erlass einer Nutzungsuntersagung unterbindet. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist.
3. Die Nutzung einer Wohnung als Praxis liegt nicht innerhalb deren Variationsbreite, sondern weist eindeutig eine andere Zweckbestimmung auf.
VGH Bayern, Beschluss vom 01.10.2024 – 15 CS 24.1320

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Anordnung des Landratsamts Regensburg, mit der ihr die Nutzung ihres Gebäudes als Praxis für Naturheilverfahren und Osteopathie untersagt wurde.

Mit Bescheid vom 11. September 2019, geändert durch Bescheid vom 10. Oktober 2019 und Nachtrags-(Tektur-)Genehmigung vom 19. August 2020 wurde der Antragstellerin und ihrem Ehegatten die Baugenehmigung zur Errichtung eines Zweifamilienhauses erteilt. Das Baugrundstück liegt im planungsrechtlichen Außenbereich und in Teilbereichen im FFH-Gebiet “Trockenhänge bei Kallmünz”. Die Baugenehmigung für den Neubau eines Wohnhauses auf dem nordwestlich des Baugrundstücks der Antragstellerin gelegenen Grundstück wurde von ihr erfolglos angefochten (VG Regensburg, U.v. 18.4.2024 – RO 2 K 23.178), jedoch auf die Klage einer Umweltvereinigung aufgehoben (VG Regensburg, U.v. 18.4.2024 – RO 2 K 23.205).

Zu Beginn des Jahres 2021 verlegte die Antragstellerin ihre Praxis für Naturheilverfahren und Osteopathie in die Räumlichkeiten des Erdgeschosses ihres genehmigten Zweifamilienhauses. Nach Anhörung zu einer Nutzungsuntersagung durch das Landratsamt stellte die Antragstellerin gemeinsam mit ihrem Ehemann mit Unterlagen vom 14./15. September 2023 einen Bauantrag zur Nutzungsänderung einer bestehenden Wohnung in eine Praxis für Naturheilverfahren und Osteopathie. Die Vertretung der Antragstellerin und ihres Ehemannes wurde durch ihren Bevollmächtigten sowohl im Baugenehmigungs- als auch im Verfahren betreffend die Nutzungsuntersagung gegenüber dem Landratsamt angezeigt.

Mit persönlich an die Bauantragsteller zugestelltem Bescheid vom 12. Februar 2024 lehnte das Landratsamt die beantragte Nutzungsänderung einer bestehenden Wohnung in eine Praxis für Naturheilverfahren und Osteopathie ab, ordnete gegenüber der Antragstellerin die Einstellung der Nutzung des Gebäudes als Praxis für Naturheilverfahren und Osteopathie ab 1. September 2024 sowie die sofortige Vollziehung der Nutzungsuntersagung an und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000 Euro an. Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragstellerin und ihr Ehemann Klage zum Verwaltungsgericht (RO 2 K 24.413), über die noch nicht entschieden ist. Ein inhaltlich nahezu identischer Bescheid vom 29. Februar 2024 wurde dem Bevollmächtigten der Antragstellerin und ihres Ehemannes zugestellt und von diesem mit Schriftsätzen vom 23. März 2024 und vom 2. April 2024 in die Klage einbezogen.

Unter dem 10. Juni 2024 stellten die Antragstellerin und ihr Ehemann Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung vom 29. Februar 2024 sowie zur vorläufigen Feststellung, dass der Bescheid vom 12. Februar 2024 mangels ordnungsgemäßer Zustellung nicht wirksam geworden ist, hilfsweise er von der aufschiebenden Wirkung der Klage erfasst ist, weiter hilfsweise die aufschiebende Wirkung der hilfsweisen Anfechtungsklage gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung vom 12. Februar 2024 wiederherzustellen. Mit Beschluss vom 16. Juli 2024 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass der Ehemann der Antragstellerin mangels Adressatenstellung der Nutzungsuntersagungsverfügung nicht antragsbefugt ist. Für eine Klärung der Bekanntgabe- und Zustellungsfragen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes betreffend den Bescheid vom 12. Februar 2024 bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis, da das Landratsamt ausdrücklich erklärt habe, aus diesem Bescheid nicht zu vollstrecken. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet, da die angefochtene Nutzungsuntersagung voraussichtlich rechtmäßig sei. Es liege keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit vor, da sich das Vorhaben im Außenbereich befinde und jedenfalls eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange durch eine Verfestigung einer unerwünschten Splittersiedlung zu befürchten sei.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Der Feststellungsantrag sei zulässig, da der durch den Bescheid hervorgerufene Rechtsschein beseitigt werden müsse. Die Beschwerde gegen die Nutzungsuntersagung sei begründet, weil die Nutzungsänderung offensichtlich genehmigungsfähig sei. Maßgebend sei nicht allgemein die Genehmigungsfähigkeit von Praxisnutzungen, sondern nur die Genehmigungsfähigkeit der untersagten Nutzung, da die Antragstellerin nur einen eingeschränkten Ein-Personen-Betrieb ohne Laufkundschaft an nur drei Wochentagen betreibe. Zudem dürfe eine bloße Teil-Nutzungsänderung im Bestandsgebäude nicht mit der Neuerrichtung eines Gebäudes im Außenbereich gleichgestellt werden. Vielmehr komme es darauf an, ob die Nutzungsänderung im Vergleich zur genehmigten Nutzung im baulich unveränderten Bestand öffentliche Belange mehr beeinträchtige als die genehmigte Bestandsnutzung, was hier nicht der Fall sei. Durch den eingeschränkten Praxisbetrieb werde der Außenbereich weit weniger beeinträchtigt, als durch die genehmigte Wohnnutzung. Die Baugenehmigung sei auch nicht erloschen und die genehmigte Nutzung genieße Bestandsschutz. Es müsse berücksichtigt werden, dass hier die Zulässigkeit eines nicht privilegierten Vorhabens geprüft und genehmigt worden sei. Das Gebäude sei von Anfang an als Wohngebäude und damit als nicht privilegiertes Gebäude im Außenbereich genehmigt worden; eine nun fiktive Aufspaltung sei nicht sachgerecht. Dem Vorhaben stünden weder die Darstellungen des Flächennutzungsplans entgegen noch die Befürchtung der Verfestigung einer Splittersiedlung; insofern vermittle die Baugenehmigung Bestandsschutz. Zusätzlich erforderliche Stellplätze könnten auf bereits versiegelten Flächen hergestellt werden, so dass keine bauliche Erweiterung stattfinde. Es handle sich um einen Sonderfall, da die Nutzung deutlich geringer als bei typischen Praxen sei. Die Nutzungsuntersagung sei auch ermessensfehlerhaft, da die Antragstellerin sich gegen das Nachbarbauvorhaben gewandt habe und hierfür sanktioniert werden solle. Das Landratsamt verhalte sich widersprüchlich, wenn einerseits eine extensiv genutzte Ein-Personen-Praxis verlagert werden solle und dafür eine intensive Wohnnutzung erfolgen solle. Schließlich müsse der Antrag unabhängig von der Hauptsache Erfolg haben, weil sonst vollendete Tatsachen geschaffen würden und die Antragstellerin ihre berufliche Tätigkeit nicht ausüben könne. Es liege ein schwerwiegender, schlecht revidierbarer Eingriff in die Berufsausübung und die Praxis der Antragstellerin vor.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage vom 23. Februar 2024 gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung des Antragsgegners vom 29. Februar 2024 wiederherzustellen und

unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses vorläufig – bis zur Entscheidung in der Hauptsache – festzustellen, dass der Bescheid des Landratsamts Regensburg vom 12. Februar 2024 mangels ordnungsgemäßer Zustellung nicht wirksam geworden ist,

hilfsweise: die aufschiebende Wirkung der hilfsweisen Anfechtungsklage der Antragstellerin vom 23. Februar 2024 gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung des Antragsgegners vom 12. Februar 2024 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Unzulässigkeit des vorläufigen Feststellungsantrags werde mit der Beschwerde nicht in Frage gestellt. Im Übrigen sei der Antrag gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung unbegründet, da das Vorhaben der Antragstellerin nicht offensichtlich genehmigungsfähig sei. Schon die nachgereichte Betriebsbeschreibung der Antragstellerin beinhalte diverse Nutzungsvarianten zur Auswahl. Die Nutzungsuntersagung habe in erster Linie die Funktion, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen. Das Bauvorhaben sei bereits zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung nicht materiell baurechtmäßig gewesen. Zudem würden Bestands- und Funktionsänderungen nicht vom Bestandsschutz erfasst. Die Auffassung, einem zu Unrecht genehmigten, nicht privilegierten Vorhaben komme ein höherer Bestandsschutz zu als einer Entprivilegierung, sei unzutreffend. Schließlich bestehe die Gefahr der Verfestigung einer Splittersiedlung auch ohne eine äußere Änderung des Baukörpers und die negative Vorbildwirkung entfalle nicht, weil die neue Nutzung nur in einem Teil des Gebäudes ausgeübt werde. Die entsprechenden Folgen habe die Antragstellerin zu tragen, da der Praxisbetrieb ohne vorherige Genehmigung aufgenommen worden sei. Ein Eingriff in die Berufsfreiheit der Antragstellerin liege nicht vor, da die grundsätzliche Tätigkeit als Heilpraktikerin nicht untersagt werde.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre. Die vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Interessen geht hier, auch unter Berücksichtigung des Vortrags, dass der Beschwerde unabhängig von den Erfolgsaussichten stattzugeben sei, zulasten der Antragstellerin aus.

1. Die Beschwerde bleibt erfolglos, soweit die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 29. Februar 2024 begehrt.

Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder diejenigen, die für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, aber nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Eilantrags. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2017 – 15 CS 17.1675 -).

Im vorliegenden Fall müssen die Interessen der Antragstellerin zurückstehen, weil die Anfechtungsklage gegen die Nutzungsuntersagung nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO sind mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllt; Ermessensfehler liegen nicht vor.

Nach Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Nutzung einer baulichen Anlage untersagt werden, wenn die Nutzung öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich schon dann erfüllt, wenn eine bauliche Anlage ohne erforderliche Genehmigung, somit formell illegal, genutzt wird. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Es entspricht regelmäßig pflichtgemäßer Ermessensausübung, wenn die Bauaufsichtsbehörde eine formell illegale Nutzung durch den Erlass einer Nutzungsuntersagung unterbindet. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.2.2023 – 15 CS 23.95 -). Letzteres ist hier nicht der Fall, da – worauf das Verwaltungsgericht zutreffend abgestellt hat (BA S. 17) – nicht ohne ins einzelne gehende Prüfung beurteilt werden kann, ob die geänderte Nutzung bauplanungsrechtlich zulässig ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2024 – 1 CS 24.65 -).

Auszugehen ist von der Beschwerde nicht in Frage gestellten Umstand, dass es sich bei der tatsächlich ausgeübten Praxisnutzung – unabhängig von deren Umfang – um eine nach Art. 55 Abs. 1, Art. 57 Abs. 4 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung handelt, an die andere öffentlich-rechtliche Anforderungen als an die genehmigte Zweifamilienhausnutzung zu stellen sind. Die Nutzung einer Wohnung als Praxis liegt nicht innerhalb deren Variationsbreite, sondern weist eindeutig eine andere Zweckbestimmung auf. Diese neue Nutzung berührt andere öffentlich-rechtliche Vorschriften i.S.d. Art. 68 Abs. 1 BayBO, wie z.B. die Stellplatzfrage, Immissionen sowie die bauplanungsrechtliche Vereinbarkeit und das Rücksichtnahmegebot, zumal § 13 BauNVO im Außenbereich nach § 35 BauGB nicht anwendbar ist (vgl. Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 5. Auflage 2022, § 13 Rn. 1a).

Das Verwaltungsgericht geht hier davon aus, dass die untersagte Praxisnutzung nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist und stellt hierbei auf die Lage des (Bestands-)Gebäudes im Außenbereich sowie Probleme und Fragen i.R.d. Genehmigungsfähigkeit (BA S. 17), insbesondere § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 und Nr. 7 BauGB (BA S. 18 f.), ab. Hiergegen ist nichts zu erinnern.

Der Vortrag der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht stelle nicht auf die tatsächlich ausgeübte Ein-Personen-Praxis-Nutzung ab, sondern auf eine intensivere Nutzungsmöglichkeit, ändert nichts daran, dass die untersagte Nutzung nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt (BA S. 20), dass sich die Besonderheiten der Praxis der Antragstellerin weder in der Betriebsbeschreibung zum Bauantrag vom 14./15. September 2023 widerspiegeln noch vor dem Hintergrund des Internetauftritts der Antragstellerin plausibel erscheinen, so dass nicht von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit ausgegangen werden könne. Die tatsächlich ausgeübte Nutzung erscheint somit unklar, weshalb keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit vorliegt. Hieran ändern auch die während des Beschwerdeverfahrens modifizierten Antragsunterlagen und die geänderte Betriebsbeschreibung mit verschiedenen Nutzungsvarianten nichts, zumal es Sache des Bauherrn ist, konkrete Nutzungsentscheidungen zu treffen (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.2021 – 9 ZB 19.2484 -) und deren Genehmigungsfähigkeit vor Betriebsaufnahme zu klären (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.2021 – 9 ZB 18.2144 -). Unabhängig davon ist auch die vorgetragene Ein-Personen-Praxis mit eingeschränkten Betriebszeiten aufgrund der Lage im bauplanungsrechtlichen Außenbereich sowie der Frage der Reichweite des Bestandsschutzes und der Beeinträchtigung öffentlicher Belange nicht offensichtlich genehmigungsfähig.

Soweit die Antragstellerin der Ansicht ist, das Verwaltungsgericht verkenne den Bestandsschutz und bestandskräftig geprüfte Punkte dürften nicht noch einmal geprüft werden, verhilft dies der Beschwerde nicht zum Erfolg. Denn der Bestandsschutz erstreckt sich nur auf den genehmigten Bestand und die genehmigte Funktion und nicht auf Bestands- und/oder Funktionsänderungen (BVerfG, B.v. 15.12.1995 – 1 BvR 1713/92 -; BayVerfGH, E.v. 21.10.2009 – Vf. 105-VI-08 -; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand Januar 2024, Art. 76 Rn. 117). Die Änderung der Nutzung von Wohnen in Praxis im Erdgeschoss des Gebäudes der Antragstellerin stellt unzweifelhaft eine Funktionsänderung dar, derentwegen sie sich nicht auf Bestandsschutz berufen kann. Die Antragstellerin geht offenbar davon aus, dass mit der Genehmigung ihres Zweifamilienhauses im Außenbereich nach § 35 Abs. 2 BauGB bei einer Nutzungsänderung alle nicht privilegierten Vorhaben bei der Prüfung der Beeinträchtigung öffentlicher Belange vom Bestandsschutz erfasst würden. Dies lässt sich allerdings mit der Feststellungswirkung der Baugenehmigung, die sich ausschließlich auf das konkrete Bauvorhaben und die konkrete Nutzung bezieht, nicht in Einklang bringen (vgl. HessVGH, U.v. 22.2.2018 – 4 A 1837/17 -; BayVGH, B.v. 26.9.2016 – 15 ZB 16.1365 -; Decker in Busse/Kraus a.a.O. Art. 68 Rn. 34). Dies gilt auch, wenn die neue Nutzung nur einen Teil des vorhandenen Gebäudes betrifft. Denn auch dann ist in einheitlicher Beurteilung der baulichen Anlage und der einem Teil derselben auszuübenden neuen Nutzung zu prüfen, ob dieses Vorhaben öffentliche Belange beeinträchtigt (vgl. BVerwG, B.v. 3.12.1990 – 4 B 145.90 -). Ob die neue Nutzung hinsichtlich der mit ihr verbundenen Beeinträchtigung des Außenbereichs tatsächlich hinter der der genehmigten Nutzung eines Zweifamilienhauses zurückbleibt, ist – worauf das Verwaltungsgericht zutreffend abstellt – nicht offensichtlich und bedarf im Hinblick auf die Funktionsänderung einer eingehenden Prüfung.

Die Ausführungen der Antragstellerin zu § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB führen ebenfalls nicht zum Erfolg, denn auch durch eine Nutzungsänderung ohne jede äußere Änderung des Baukörpers kann die Gefahr einer Splittersiedlung aufkommen (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 -). Das Verwaltungsgericht stellt insoweit zutreffend darauf ab, dass der Bestandsschutz des nicht privilegiert genehmigten Wohngebäudes dem nicht entgegensteht, denn es liegt eine Funktionsänderung vor, für die der von der Antragstellerin in Anspruch genommene Bestandsschutz nicht greift. Bei der Beurteilung des Vorhabens nach § 35 Abs. 2 BauGB kommt es – entgegen der Ansicht der Antragstellerin – nicht allein darauf an, dass irgendein nicht privilegiertes Vorhaben bestandsgeschützt ist. Vielmehr ist auch die genehmigte Funktion maßgebend, weshalb die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB auch anhand der neuen Funktion zu prüfen sind. Ein Anspruch des Bauherrn auf Zulassung eines Bauvorhabens aus dem eigentumsrechtlichen Bestandsschutz außerhalb der einfachgesetzlichen Regelungen besteht gerade nicht (vgl. BVerwG, U.v. 14.4.2000 – 4 C 5.99 -). Zur Verfestigung einer Splittersiedlung trägt aber nicht nur die Errichtung eines zum Wohnen geeigneten Gebäudes bei, sondern auch die Änderung eines solchen Gebäudes (vgl. BVerwG, U.v. 14.4.2000, a.a.O.). Zu dem vom Verwaltungsgericht ebenfalls angeführten § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB verhält sich die Beschwerde nicht.

Die Nutzungsuntersagung vom 29. Februar 2024 ist voraussichtlich auch ermessensfehlerfrei. Sachfremde Erwägungen, eine Strafaktion oder ein kollusives Zusammenwirken von Landratsamt und Gemeinde sind nicht ersichtlich. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich auch nicht aus den Akten. Unabhängig davon ist es Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde, bei Kenntnis von Baurechtsverstößen, bauaufsichtlich einzuschreiten (vgl. Art. 54 Abs. 2, Art. 76 BayBO). Im Hinblick auf die o.g. Grundsätze ist auch kein widersprüchliches Verhalten der Bauaufsichtsbehörde festzustellen, wenn einerseits die nach Ansicht der Antragstellerin “extensiv genutzte Ein-Personen-Praxis” verlagert werden und andererseits “intensive Wohnnutzung” erfolgen soll. Denn dies entspricht einerseits dem rechtlichen (Prüfungs-)Maßstab und andererseits der Genehmigungssituation.

2. Die Beschwerde bleibt auch im vorläufigen Feststellungsantrag und dem hilfsweise hierzu gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung der hilfsweisen Klage gegen den Bescheid vom 12. Februar 2024 wiederherzustellen, erfolglos.

Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass hinsichtlich des Antrags auf vorläufige Feststellung der Unwirksamkeit des Bescheids vom 12. Februar 2024 das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin fehlt. Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung gem. § 123 Abs. 1 VwGO ergeben sich – worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat (BA S. 14) – im Hinblick auf die Erklärung des Landratsamts im Rahmen der Antragserwiderung vom 12. Juni 2024, aus dem Bescheid vom 12. Februar 2024 nicht zu vollstrecken, nicht. Hiermit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander und legt keinen Anordnungsgrund dar (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Die Frage, ob – wie die Antragstellerin anführt – zur Beseitigung eines möglichen Rechtsscheins eine entsprechende Feststellung in der Hauptsache begehrt werden kann, genügt nicht, ein Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige Anordnung zu begründen. Dies gilt sinngemäß auch für den hierzu gestellten Hilfsantrag gem. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Nr. 4 VwGO in Bezug auf den Bescheid vom 12. Februar 2024.

3. Unter Berücksichtigung der mangelnden Erfolgsaussichten in der Hauptsache, führt die Abwägung auch im Übrigen nicht zu einem Überwiegen des von der Antragstellerin geltend gemachten Suspensivinteresses.

Die von der Antragstellerin behauptete geringfügige Nutzung als Ein-Personen-Praxis, die hinter der genehmigten Wohnnutzung zurückbleibe, ist im Rahmen der Abwägung irrelevant, da dies bereits Teil der Tatbestandsprüfung des Art. 76 Satz 2 BayBO ist. Ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht dargelegt. Art. 14 Abs. 1 GG schützt nur das Recht, Grundstücke im Rahmen der Gesetze bebauen zu können (vgl. BVerwG, U.v. 12.3.1998 – 4 C 10.97 -) und auch aus Art. 12 Abs. 1 GG dürfte kein Recht auf Ausübung bzw. Aufrechterhaltung einer baurechtlich illegalen Nutzung herzuleiten sein (vgl. BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 15 CS 16.1774 -). Ein Eingriff in die allenfalls betroffene Möglichkeit der Berufsausübung ist hier durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls, wie z.B. der Gewährleistung baurechtmäßiger Zustände und der Vermeidung der Beeinträchtigung öffentlicher Belange, gerechtfertigt. Dass durch den Vollzug der Nutzungsuntersagung vollendete Tatsachen sowie unwiederbringliche Nachteile und Schäden geschaffen würden, ist nicht ersichtlich. Durch die Nutzungsuntersagung entsteht zwar ein wirtschaftlicher Schaden dadurch, dass die Antragstellerin für den Fall, dass die geplante Nutzung sich im Ergebnis als genehmigungsfähig erweisen sollte, die Praxis nicht in dem zum Wohnen genehmigten Gebäude betreiben kann. Diesen Schaden hätte die Antragstellerin im Hinblick auf die fehlende Beachtung des Genehmigungserfordernisses allerdings hinzunehmen. Auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG wäre es eine nicht zu rechtfertigende Bevorzugung des gesetzesuntreuen Bürgers, wenn die Bauaufsichtsbehörde vor Erlass der Nutzungsuntersagungsverfügung die materielle Legalität der nicht genehmigten Nutzung unter Umständen in einem langwierigen Verfahren nachweisen müsste, während der gesetzestreue Bürger die Voraussetzungen für die Genehmigungsfähigkeit der beabsichtigten Nutzung im Genehmigungsverfahren selbst dartun und bis zur Entscheidung hierüber mit der Aufnahme der Nutzung warten muss (vgl. BayVGH, B.v. 29.2.2024 – 15 CS 24.168 -). Im Übrigen muss, wer eine formell illegale Nutzung aufnimmt, jederzeit damit rechnen, mit einem Nutzungsverbot belegt zu werden (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2024 – 1 CS 24.65 -).

OVG Saarland zu der Frage, dass welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt

OVG Saarland zu der Frage, dass welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Nachbarrechtsbehelfs gegen eine Baugenehmigung kommt nur in Betracht, wenn die notwendige überschlägige Kontrolle zumindest gewichtige Zweifel an der rechtlichen Unbedenklichkeit der Genehmigung gerade mit Blick auf die Position des konkreten Nachbarn ergibt.
2. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung eines Vorhabens nach der Art der baulichen Nutzung einem der Baugebietstypen der BauNVO, so steht wie auch bei festgesetzten Baugebieten den Eigentümern von Grundstücken innerhalb des für die Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB maßgeblichen Gebiets ein Anspruch auf Erhaltung dieses Gebietscharakters zu, ohne dass es darauf ankäme, ob die gebietswidrige Nutzung den Nachbarn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht (sog. Gebietserhaltungsanspruch).
3. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht.
OVG Saarland, Beschluss vom 02.10.2024 – 2 B 54/24

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur “Entwicklung einer Mehrgenerationen-Sporteinrichtung mit Multifunktionsspielfeld auf dem ehemaligen Sportplatz in ###” samt Ausnahme gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Sie sind Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks ###-Straße in ### (Flurstück-Nr. ### in Flur ### der Gemarkung ###). Der rückwärtige südliche Grundstücksbereich grenzt an das Vorhabengrundstück mit der Flurstück-Nr. ### an, das im Katasterplan als Sportplatz bezeichnet ist und im Süden durch den Bebauungsplan “###.”

begrenzt wird. Das Wohnhaus der Antragsteller ist in unmittelbarer Nähe des Vorhabengrundstücks errichtet. Beide Grundstücke liegen nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans in der bebauten Ortslage von ###.

Am 8.2.2023 beantragte die Beigeladene eine Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren für die Errichtung einer Sporteinrichtung mit Multifunktionsfeld. Am 14.6.2023 beantragte sie zudem die Erteilung einer Ausnahme gemäß § 68 Abs. 2 LBO i. V. m. § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO.

Ausweislich des den Genehmigungsunterlagen beigefügten Erläuterungsberichts sei es der Beigeladenen ein großes Anliegen, für die jüngere Generation, aber auch für Familien und Senioren einen Raum im Freien anzubieten, wo man sich treffen und sportlich aktiv sein könne. Darüber hinaus solle der Ort eine Begegnungsstätte im Grenzgebiet zu Frankreich sein und Platz für Dorffeste etc. bieten. In den letzten Jahren seien auf dem nicht mehr genutzten Sportplatz (Fußballplatz) in ### ein Beach-Soccer- und ein Volleyballfeld sowie eine Boule-Bahn hergestellt worden. Eine Elterninitiative habe für ihre Kinder einen Pumptrack mit Erdhügeln errichtet. Zur weiteren Entwicklung des Geländes seien der Bau eines Multifunktionsspielfelds (30 m x 15 m) sowie die Herstellung einer Laufbahn mit Weitsprungbalken und eines Festplatzes geplant. Das Angebot auf dem ehemaligen Sportplatz werde durch eine Spiel- und Liegewiese sowie eine Fläche mit Senioren-Fitnessgeräten und Calisthenicsgeräten für die Jugend ergänzt. Die vorhandene Boule-Bahn solle um eine Bahn erweitert werden. In Verbindung mit einer Laube und Sitzmöglichkeiten werde dieser Bereich als Treffpunkt und Begegnungsstätte gestaltet. Das anschließende Sportheim biete darüber hinaus die Möglichkeit einer Gastronomie. Die vorhandene Randbepflanzung aus Baum- und Strauchgehölzen werde durch die Pflanzung von Laubholz-Hochstämmen zur Einbindung, Akzentuierung und Beschattung ergänzt. Das Spielfeld werde mit einem Ballfangzaun aus Stabgitter und einer Höhe von ca. 5 m einschließlich eines Doppelflügeltors ausgestattet.

Zur Begründung des Antrags auf Erteilung einer Ausnahme wurde ausgeführt, dass gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienende Anlagen für sportliche Zwecke ausnahmsweise zugelassen werden könnten. Bei der vorgesehenen Nutzung seien keine störenden Beeinträchtigungen zu erwarten. Die Geräuscheinwirkungen durch das geplante Multifunktionsspielfeld und die weiteren geplanten Anlagen seien in Anlehnung an die Immissionsrichtwerte der Achtzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Sportanlagenlärmschutzverordnung – 18. BImSchV -) vom 18.7.1991 (BGBl. I S. 1588, 1790), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 8.10.2021 (BGBl. I S. 4644), mit Einschränkung der Nutzungszeiten als schalltechnisch verträglich einzustufen.

Aufgrund der räumlichen Nähe zu bereits vorhandener Wohnbebauung wurde im Verwaltungsverfahren ein schalltechnisches Gutachten der ### vom 24.4.2023 vorgelegt, in dem “die Geräuscheinwirkungen der in der Planung vorgesehenen Sportanlagen (Multifunktionsspielfeld, Beach-Volleyballfeld, Laufbahn mit Sprunggrube, Pumptrackanlage, Bereich für die Fitnessgeräte und die Calisthenicsgeräte) nach der 18. BImSchV” (vgl. S. 5 des schalltechnischen Gutachtens vom 24.4.2023 – Bl. 21 der Verwaltungsakte) beurteilt wurden. Nach dem Ergebnis des Gutachtens seien diese überwiegend als schalltechnisch verträglich einzustufen (vgl. S. 14 des schalltechnischen Gutachtens vom 24.4.2023 – Bl. 30 der Verwaltungsakte):

“Einzig in der Ruhezeit am Morgen (06.00-08.00 Uhr werktags und 07.00-09.00 Uhr sonntags) werden Überschreitungen der Immissionsrichtwerte um 5 dB ermittelt, sofern alle Sportanlagen zeitgleich in einer hohen Intensität genutzt werden. Ebenso muss die Nutzung der Sportanlage im Nachtzeitraum zwischen 22.00 und 06.00 Uhr werktags bzw. 22.00 und 07.00 Uhr sonntags ausgeschlossen werden.”

Hinsichtlich des Grundstücks der Antragsteller wurde dabei “[a]ufgrund der vorhandenen Gebäudestruktur” (vgl. S. 8 des schalltechnischen Gutachtens vom 24.4.2023 – Bl. 24 der Verwaltungsakte) die Schutzwürdigkeit eines allgemeinen Wohngebiets (WA) zur Beurteilung herangezogen.

Mit – am 6.6.2023 eingegangenem – Schreiben vom 1.6.2023 teilte das Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz (LUA) dem Antragsgegner mit, dass gegen die Ausführung des Bauvorhabens keine grundsätzlichen Bedenken bestünden. Es werde jedoch gebeten, die anliegenden Forderungen als zusätzliche Auflagen dem Bauschein beizufügen:

“Auflagen des Lärmschutzes

1. Der Betreiber der Sportanlage hat dafür Sorge zu tragen, dass eine Nutzung der Anlage an Werktagen in der Zeit von 06.00 Uhr – 07.00 Uhr und an Sonntagen in der Zeit von 06.00 Uhr – 09.00 Uhr nicht erfolgt. Ebenso ist eine Nutzung der Anlage zur Nachtzeit der TA Lärm (22.00 Uhr – 06.00 Uhr) nicht zulässig.

2. Der Fangzaun des Multifunktionsspielfeldes ist schalltechnisch optimiert auszuführen. Das bedeutet, dass durch Dämpfungspuffer am Fangzaun die Übertragung von Körperschall auf angrenzende Gitterelemente weitestgehend vermieden wird.

3. Bei den Bauarbeiten sind die Bestimmungen der ,Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm – Geräuschimmissionen -‘ (B.Anz.Nr.160 v. Aug.1970) zu beachten.

4. Zur Vermeidung von schädlichen Umwelteinwirkungen durch Baulärm sind entsprechend dem Stand der Lärmminderungstechnik geräuscharme Bauverfahren anzuwenden bzw. geräuscharme Baumaschinen einzusetzen.

5. Beim Vorliegen von Nachbarschaftsbeschwerden wegen Lärm durch den Betrieb der Sportanlage ist durch eine Messung einer nach § 29b Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) bekanntgegebenen Stelle der Nachweis zu erbringen, dass die im Anhang B des vom Büro ### erstellten Gutachtens mit der Berichtsnummer ### ermittelten Beurteilungspegel eingehalten werden.”

Mit Bauschein vom 22.6.2023 erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen die begehrte Baugenehmigung für die “Entwicklung einer Mehrgenerationen-Sporteinrichtung mit Multifunktionsspielfeld auf dem ehemaligen Sportplatz in ###” im vereinfachten Genehmigungsverfahren (vgl. Bl. 91 ff. der Verwaltungsakte). Genehmigungsbestandteil ist u. a. die benannte Stellungnahme des LUA vom 1.6.2023, auf dessen Auflagen – für den Fall berechtigter Nachbarschaftsbeschwerden – unter der Überschrift “Auflagen zum Bauschein” ausdrücklich Bezug genommen wurde. Mit Bescheid vom 22.6.2023 ließ der Antragsgegner zudem die beantragte Ausnahme nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zu (vgl. Bl. 90 der Verwaltungsakte). Eine Zustellung der Bescheide an die Antragsteller erfolgte nicht.

Mit Schreiben vom 9.11.2023 legten die Antragsteller gegen die Baugenehmigung vom 22.6.2023 Widerspruch ein und beantragten die sofortige Aussetzung der Vollziehung. Mit Schreiben vom 13.2.2024 erhoben sie Widerspruch gegen die der Beigeladenen gemäß Bescheid vom 22.6.2023 erteilte Ausnahme.

Am 14.11.2023 beantragten die Antragsteller beim Verwaltungsgericht einstweiligen Rechtsschutz. Zur Begründung machten sie unter Darlegung im Einzelnen geltend, es sei davon auszugehen, dass das genehmigte Multifunktionsfeld aufgrund der Gegebenheiten des Einzelfalls unter Beachtung des § 22 Abs. 1 BImSchG zu für sie unzumutbaren Lärmbelästigungen führen werde und daher gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme verstoße. Es werde praktisch ein ganzer Freizeitpark genehmigt; so ziele die gesamte Konzeption offenkundig nicht allein darauf ab, die sportlichen Bedürfnisse der Bewohner des Gebiets zu decken, sondern gehe weit darüber hinaus. Es solle ein Treffpunkt für die gesamte Region geschaffen werden. Das schalltechnische Gutachten vom 24.4.2023 lege lebensfremde Annahmen bei der Bestimmung des zu erwartenden Lärmpegels zugrunde. Auch beurteile sich die Schutzwürdigkeit ihres Grundstücks nicht anhand der für ein allgemeines, sondern anhand der für ein reines Wohngebiet maßgeblichen Immissionsrichtwerte. Antragsgegner und Beigeladene traten dem – unter Berufung auf das Ergebnis des schalltechnischen Gutachtens und die in der Baugenehmigung enthaltenen Auflagen zum Lärmschutz – entgegen.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller im März 2024 zurückgewiesen. In der Begründung heißt es u. a., eine Verletzung öffentlich-rechtlich geschützter Nachbarrechte der Antragsteller durch die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung samt Ausnahme sei bei summarischer Prüfung mit der erforderlichen “überwiegenden Wahrscheinlichkeit” nicht zu erkennen. Die Baugenehmigung sei hinreichend bestimmt im Sinne des § 37 Abs. 1 SVwVfG. Im Übrigen sei auf die sich aus § 34 BauGB ergebenden Anforderungen abzustellen, da das Vorhabengrundstück – ebenso wie das Grundstück der Antragsteller – in einem Teil der Ortslage von ### liege, für den kein Bebauungsplan bestehe. Nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten handele es sich bei der näheren Umgebung wohl um ein faktisches reines Wohngebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 3 BauNVO. Nachbarschutz vermittele § 34 BauGB zunächst hinsichtlich des Gebots, dass sich das Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung in die Umgebungsbebauung einfügen müsse. Der Gebietswahrungsanspruch der Antragsteller könne nur verletzt sein, wenn die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulässigkeit des Bauvorhabens seiner Art nach nicht vorlägen. Nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO könnten in reinen Wohngebieten ausnahmsweise Anlagen für kirchliche, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke zugelassen werden, wenn sie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienten. Da die Bedürfnisklausel eine fußläufig erreichbare Infrastrukturausstattung bei gleichzeitiger Gewährleistung der gebietstypischen Wohnruhe ermöglichen solle, seien die vier genannten Nutzungsarten im Wesentlichen auf die Befriedigung der innergebietlichen Nachfrage beschränkt. Eine Anlage für sportliche Zwecke könne zugelassen werden, wenn sie nach Zweckbestimmung, Umfang und Ausstattung geeignet sei, in erheblichem Umfang den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets zu dienen. Eine “überschießende” Bedürfnisbefriedigung für andere Baugebiete sei in den Grenzen der Gebietsverträglichkeit grundsätzlich zulässig. Die in § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO genannten Anlagen dürften auch von Gebietsfremden genutzt werden. Der – je nach den Besonderheiten eines konkreten Gebiets mehr oder weniger – kleine Einzugsbereich setze zudem der Art der Anlagen Grenzen, die auf Grund dieser Klausel überhaupt für eine Zulassung in Betracht kämen. Diejenigen Anlagen, die nach ihrer Zweckbestimmung auf einen vorwiegend übergebietlichen Nutzerkreis zielten, fielen nicht in den Anwendungsbereich des § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. In reinen Wohngebieten kämen danach nur gebietsverträgliche, kleine Anlagen in Betracht. Sportanlagen, die einem innergebietlichen Bedürfnis nach eigener Sportausübung auf dem “Sportplatz um die Ecke” dienten, seien nur in sehr engen Grenzen als gebietsverträglich im reinen Wohngebiet vorstellbar. Der Einzugsbereich solcher Anlagen sei schon wegen der Bedürfnisklausel ziemlich klein, so dass sowohl der Größe der Sportanlage als auch den möglichen Sportarten enge Grenzen gesetzt seien. Mit dem Gebietscharakter könnten am ehesten kleine Sportanlagen vereinbar sein, wenn die Ausübung des Sports in einem Gebäude stattfinde und die Nutzung keinen nennenswerten An- und Abfahrtverkehr erzeuge. Sportanlagen im Freien seien nicht grundsätzlich unzulässig, z. B. Tischtennisplatten, ein kleiner Bolzplatz, ein kleines Handball- oder Basketballfeld oder eine Tennisanlage mit einem oder zwei Spielfeldern. Seien solche Anlagen für sportliche Zwecke nicht weit genug von Wohngebäuden entfernt oder wirksam von störanfälliger Wohnbebauung abgeschirmt, könnten die typischen, mit der Sportausübung verbundenen Begleiterscheinungen unzumutbare Belästigungen und Störungen verursachen (insbesondere Schlag- bzw. Aufprallgeräusche, Ballfangvorrichtungen). Fallbezogen müsse berücksichtigt werden, dass das Grundstück der Antragsteller durch den angrenzenden Sportplatz (ehemaliger Fußballplatz) mit Vereinshaus entsprechend negativ vorgeprägt sei. Dass das Vorhabengrundstück aufgrund einer vollständigen Nutzungsaufgabe nicht mehr als Sportplatz geprägt sei, könne nicht festgestellt werden. So seien auf dem Vorhabengrundstück bereits ein Beach-Volleyballfeld, eine Boule-Bahn sowie ein Pump-Track für Kinder errichtet worden. Prägend für die Mehrgenerationen-Sporteinrichtung sei das Multifunktionsspielfeld mit einer Fläche von 30 x 15 m, welches einen Abstand von ca. 30-35 m zum Grundstück der Antragsteller aufweise. Zusätzlich zu den vorhandenen Anlagen und dem Multifunktionsspielfeld seien eine weitere Boule-Bahn, eine Laufbahn mit Weitsprungbalken sowie Senioren-Fitnessgeräte und Calisthenicsgeräte geplant. Seien in der Rechtsprechung bereits ein kleiner Bolzplatz, ein kleines Handball- oder Basketballfeld oder eine Tennisanlage mit einem oder zwei Spielfeldern als in einem reinen Wohngebiet zulässig erachtet worden, so sei das hier streitgegenständliche Multifunktionsspielfeld mit einer solchen Anlage vergleichbar. Ein kleiner Bolzplatz weise schätzungsweise eine Größe von 15-25 m x 30-70 m auf. Ein Tennisplatz habe die Maße 23,77 m x 10,97 m. Hinzu komme eine Auslaufzone von mindestens 6,40 m. Unter Berücksichtigung der weiter geplanten und bereits vorhandenen Sportanlagen sowie der Vorprägung des Vorhabengrundstücks sei die geplante Mehrgenerationen-Sporteinrichtung – soweit die Vorgaben des Lärmschutzes eingehalten würden – noch in einem reinen Wohngebiet zulässig. Die Kammer sei insoweit der Auffassung, dass die Sporteinrichtungen den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienten. Das Vorhabengrundstück sei umgeben von Wohnbebauung. Nach Zweckbestimmung der Mehrgenerationen-Sporteinrichtung, Umfang und Ausstattung sei diese geeignet, den Bedürfnissen der unterschiedlichen Bewohner des Gebiets (Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren) durch die unterschiedlichen Sportanlagen zu dienen. Es werde jedoch darauf hingewiesen, dass eine “überschießende” Bedürfnisbefriedigung für andere Baugebiete nicht Überhand nehmen dürfe. Vor diesem Hintergrund sehe die Kammer die Ausführungen im Erläuterungsbericht, es solle eine Begegnungsstätte im Grenzgebiet zu Frankreich geschaffen werden, kritisch. Dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben dementsprechend genutzt werden solle, ergebe sich hingegen nicht maßgeblich aus der Baugenehmigung. Eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs scheide demnach nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung aus. Auch eine Verletzung des Drittschutz vermittelnden Gebots der Rücksichtnahme könne nicht festgestellt werden. Das Vorhaben sei nicht wegen seiner Umweltauswirkungen auf das Nachbargrundstück “unzumutbar” und damit rücksichtslos. Eine Verletzung ergebe sich – nach summarischer Prüfung – nicht aus den seitens der Antragsteller geltend gemachten Lärmimmissionen. Das zumutbare Maß an Lärmimmissionen sei in Anknüpfung an die in § 2 Abs. 2 der 18. BImSchV festgelegten Richtwerte zu bestimmen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könnten im Falle eines baurechtlich zulässigen Nebeneinanders von Wohnen und Sportanlagen faktische Vorbelastungen dazu führen, dass dem Schutz des Wohnens ein geringerer Stellenwert zukomme und Beeinträchtigungen in einem weitergehenden Maß zumutbar seien, als sie sonst in dem betreffenden Wohngebiet hinzunehmen wären. Auf dieser Grundlage seien Antragsgegner und Beigeladene davon ausgegangen, dass das Grundstück der Antragsteller weniger schutzbedürftig sei und somit nicht die Immissionsrichtwerte für ein reines Wohngebiet, sondern für ein allgemeines Wohngebiet nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 der 18. BImSchV einschlägig seien. Das Grundstück der Antragsteller liege am Rand der Wohnbebauung hin zum Außenbereich und nicht inmitten des faktischen reinen Wohngebiets. Zudem grenze es unmittelbar an das Vorhabengrundstück, das früher als Sport- bzw. Fußballplatz gedient habe. Die Antragsteller seien in ihrem Vertrauen darauf eingeschränkt, dass die Immissionssituation unverändert bleiben und es nicht im Lauf der Zeit zu stärkeren Belastungen kommen würde. Ausweislich des schalltechnischen Gutachtens würden die maßgeblichen Immissionsrichtwerte außer für die Zeiträume werktags 6.00 Uhr bis 8.00 Uhr und an Sonntagen in der Zeit von 6.00 Uhr bis 9.00 Uhr sowie zur Nachtzeit eingehalten. Dem werde durch die in der Baugenehmigung enthaltenen Auflagen des LUA Rechnung getragen. Die von den Antragstellern gegen das schalltechnische Gutachten vorgetragenen Bedenken griffen nicht durch. Soweit die Antragsteller rügten, dieses lege in Bezug auf die Kommunikationsgeräusche lebensfremde Annahmen bei der Bestimmung des zu erwartenden Lärmpegels zugrunde, weil neben den Anlagennutzern keine weiteren Personen wie Zuschauer, Wartende etc. berücksichtigt würden, könne nicht festgestellt werden, dass hinsichtlich der aus den verschiedenen Lärmquellen zu erwartenden Lärmereignisse von einem für den Gegenstand der Bauleitplanung ergebnisrelevant unrealistischen Szenario ausgegangen worden sei, was Art, Umfang und Dauer der jeweils zu erwartenden Lärmereignisse angehe. Zu berücksichtigen sei, dass ein konkreter Mittelwert von Benutzern bzw. Besuchern sich im Vorfeld schwer vorhersagen lasse. Diese Unsicherheit werde durch den konservativen Ansatz im schalltechnischen Gutachten dergestalt ausgeglichen, dass eine dauerhafte Nutzung aller Sportarten über den gesamten Tageszeitraum unterstellt werde. Maßgebliche Lärmquelle für das Grundstück der Antragsteller sei insoweit das Multifunktionsfeld mit einer Belastung von 51 dB(A). Insgesamt sei die Belastung des Grundstücks der Antragsteller mit 52 dB(A) angegeben. Dass die aus ihrer Sicht fehlende Berücksichtigung von Zuschauergeräuschen etc. dazu führe, dass für die genehmigten Zeiträume der zulässige Wert von 55 dB(A) überschritten werde, trügen die Antragsteller nicht substantiiert vor. Eine Unzumutbarkeit des Multifunktionsspielfeldes im Verhältnis zu den Antragstellern könne aktuell nicht festgestellt werden. Das Feld befinde sich ca. 30-35 m von der Grundstücksgrenze der Antragsteller entfernt. Diese wiesen zwar zutreffend darauf hin, dass das Multifunktionsfeld aufgrund seiner Konstruktion – d. h. insbesondere aufgrund der vorgesehenen Umrandung – hinsichtlich der davon ausgehenden Lärmemissionen nicht mit einem Spielplatz oder einem “normalen” Bolzplatz vergleichbar sei. Hinzu kämen Lärmimmissionen durch Zurufe sowie sonstige Lautäußerungen der Spieler. Im schalltechnischen Gutachten werde jedoch festgehalten, dass das Feld mit einem schalltechnisch optimierten Fangzaun aus Metall umringt werden solle, sodass die Übertragung von Körperschall auf angrenzende Gitterelemente durch die verwendeten Dämpfungspuffer weitestgehend vermieden werde. Beim Auftreffen des Fußballs auf den Zaun träten nur dumpfe Aufprallgeräusche auf und keine klappernden oder scheppernden metallischen Geräusche der Zaunelemente. Dem entspreche die beauflagte schalltechnische Optimierung des Fangzauns. Auch eine Verletzung sonstiger öffentlich-rechtlicher und dem Schutz der Antragsteller dienender Vorschriften sei nicht ersichtlich.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 28.3.2024 eingelegte und am 18.4.2024 begründete Beschwerde der Antragsteller.

II.

Die gemäß § 146 VwGO statthafte Beschwerde der Antragsteller gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 18.3.2024 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12.3.2024 – 5 L 1908/23 -, mit dem ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 22.6.2023 zur “Entwicklung einer Mehrgenerationen-Sporteinrichtung mit Multifunktionsspielfeld auf dem ehemaligen Sportplatz in ###” sowie ihres Widerspruchs gegen den “Bescheid über Ausnahmen § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO” vom 22.6.2023 zurückgewiesen wurde, muss ohne Erfolg bleiben. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auch unter Berücksichtigung des den Prüfungsumfang des Rechtsmittelgerichts begrenzenden Beschwerdevorbringens (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) zu Recht nicht entsprochen.

Die allgemein für derartige Nachbarrechtsbehelfsverfahren nach den §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO geltenden Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht in der erstinstanzlichen Entscheidung zutreffend dargelegt. Danach setzt der Erfolg eines solchen Aussetzungsbegehrens über eine Feststellung der objektiven Rechtswidrigkeit, die keinen Grund darstellt, dem Nachbarinteresse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung den Vorrang einzuräumen, hinaus das (voraussichtliche) Vorliegen einer für den Erfolg jedes Nachbarrechtsbehelfs notwendigen Verletzung einer auch dem Schutz des jeweiligen Rechtsbehelfsführers dienenden Vorschrift des materiellen öffentlichen Rechts voraus (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog). Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Nachbarrechtsbehelfs gegen eine Baugenehmigung kommt nur in Betracht, wenn die notwendig “überschlägige” Kontrolle zumindest gewichtige Zweifel an der rechtlichen Unbedenklichkeit der Genehmigung gerade mit Blick auf die Position des konkreten Nachbarn ergibt (vgl. dazu etwa Beschluss des Senats vom 3.11.2023 – 2 B 127/23 -, m. w. N., ständige Rechtsprechung). Dass dies hier nicht der Fall ist, hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt. Das Vorbringen in der Beschwerdebegründung rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

1. Die Antragsteller können zunächst nicht mit Erfolg geltend machen, ihr Gebietserhaltungsanspruch sei – durch die angefochtene Baugenehmigung und die der Beigeladenen erteilte Ausnahme – verletzt, “da die ausnahmsweise Zulässigkeit des streitgegenständlichen Bauvorhabens seiner Art nach im faktischen reinen Wohngebiet nicht gegeben” sei.

Ein solcher Gebietserhaltungsanspruch hinsichtlich eines faktischen reinen Wohngebiets (§ 3 BauNVO) auf der Grundlage von § 34 Abs. 2 BauGB besteht vorliegend nicht.

Gemäß § 34 Abs. 2 BauGB beurteilt sich, sofern im – wie hier – unbeplanten Innenbereich die Eigenart der näheren Umgebung einem der in der BauNVO bezeichneten Baugebiete entspricht, die Zulässigkeit eines Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre. Auf nach der BauNVO ausnahmsweise zulässige Vorhaben ist § 31 Abs. 1 BauGB, im Übrigen § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend anzuwenden.

Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung eines Vorhabens nach der Art der baulichen Nutzung einem der Baugebietstypen der BauNVO, so steht – wie auch bei festgesetzten Baugebieten – den Eigentümern von Grundstücken innerhalb des für die Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB maßgeblichen Gebiets ein Anspruch auf Erhaltung dieses Gebietscharakters zu, ohne dass es darauf ankäme, ob die gebietswidrige Nutzung den Nachbarn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht. Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Im Rahmen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses kann so das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des (faktischen) Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindert werden (vgl. BVerwG, Urteile vom 16.9.1993 – 4 C 28/91 -, und vom 29.3.2022 – 4 C 6/20 -, sowie Beschluss vom 4.11.2022 – 4 BN 31/22 -).

Der die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bildende Bereich reicht so weit, wie sich die Ausführung des zur Genehmigung gestellten Vorhabens auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst, wobei auf das abzustellen ist, was in der Umgebung tatsächlich vorhanden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.10.2020 – 4 B 18/20 -, m. w. N.). Die Grenzen der näheren Umgebung im Sinn des § 34 BauGB lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Diese kann so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen. Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist. Eine Grundstücksgrenze kann auch ohne weitere trennende Elemente die Grenze zwischen zwei faktischen Baugebieten im Sinn von § 34 Abs. 2 BauGB bilden. Voraussetzung ist, dass dort – auch äußerlich erkennbar – zwei in sich homogene, aber voneinander in der Nutzungsstruktur klar abgegrenzte Bebauungszusammenhänge aufeinandertreffen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 18.7.2024 – 1 ZB 24.758 -, m. w. N.). Bei der erforderlichen wertenden und bewertenden Betrachtung der konkreten tatsächlichen Verhältnisse kann nach dem Sachzusammenhang nur an äußerlich erkennbare, also mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse angeknüpft werden. Hierzu kommt auch die Heranziehung von Lageplänen, die ein Bild “von oben” vermitteln, in Betracht. Eine wechselseitige Beeinflussung kann dabei auch über ein den optischen Zusammenhang unterbrechendes Hindernis hinweg noch zu bejahen sein; ob eine derartige Beeinflussung trotz einer vom Standpunkt eines stehenden Menschen nicht überwindbaren optischen Trennung vorliegt, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 4.10.2023 – 1 A 10514/23.OVG -, m. w. N.).

Nach diesen Kriterien und summarischer Prüfung – unter Auswertung der vorgelegten Verwaltungsunterlagen samt Lageplänen – dürfte die nähere Umgebung des Vorhabengrundstücks für die Art der baulichen Nutzung derart abzugrenzen sein, dass sie jedenfalls den Baublock umfasst, der durch den Bebauungsplan “###” im Süden, die ### im Osten, die ### (einschließlich des Grundstücks der Antragsteller) im Norden und das Flurstück-Nr. ### im Westen abgegrenzt wird.

Nach summarischer Prüfung entspricht die Art des derart umgrenzten Gebiets faktisch nicht einem reinen (§ 3 BauNVO), sondern einem – (nur) vorwiegend dem Wohnen dienenden – allgemeinen Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO. Das Gebiet ist nicht nur durch Wohngebäude geprägt, sondern auch durch den ehemaligen Sportplatz (bzw. Fußballplatz) samt (auf dem Flurstück-Nr. ### gelegenem) Sportheim. Dieser wäre – als Anlage für sportliche Zwecke – in einem reinen Wohngebiet regelmäßig auch nicht ausnahmsweise zulässig (gewesen), weil er nicht “den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dien[t]” (vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO): Zum einen ist dessen Nutzung an die Vereinsmitgliedschaft gebunden und damit enger gefasst, zum anderen beschränkt sie sich nicht auf die Bewohner des Gebiets, sondern spricht alle Vereinsmitglieder an (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Stock, BauGB, 154. EL April 2024, § 3 BauNVO Rn. 83c m. w. N., und BeckOK BauNVO/Hornmann, 38. Ed. (Stand: 15.7.2024), § 3 BauNVO Rn. 195). Insofern kann das Gebiet nicht mehr als reines Wohngebiet angesehen werden.

In dem faktischen allgemeinen Wohngebiet ist das Bauvorhaben der Beigeladenen – als (unbestritten) Anlage für sportliche Zwecke – gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO allgemein zulässig (vgl. zum Begriff “Anlagen für sportliche Zwecke” nur Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Stock, BauGB, 154. EL April 2024, § 4 BauNVO Rn. 103 mit zahlreichen Beispielen), so dass es einer Ausnahme gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO nicht bedurft hätte. Die diesbezüglichen Einwände der Antragsteller im Beschwerdeverfahren sind insofern ohne Belang. Vielmehr ist das Vorhaben “Entwicklung einer Mehrgenerationen-Sporteinrichtung mit Multifunktionsspielfeld” im genehmigten Umfang mit dem Gebietscharakter eines allgemeinen Wohngebiets vereinbar – wobei das Verwaltungsgericht bereits zutreffend darauf hingewiesen hat, dass die im im Verwaltungsverfahren vorgelegten Erläuterungsbericht benannte Intention, der “Ort [solle] eine Begegnungsstätte im Grenzgebiet zu Frankreich sein und Platz für Dorffeste etc. bieten”, in der der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung keine Stütze findet (vgl. hierzu S. 16 und 20 des erstinstanzlichen Beschlusses vom 12.3.2024 – 5 L 1908/23 -). Insoweit hat auch der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 23.4.2024 bekräftigt, dass das genehmigte Vorhaben nicht auf einen überregionalen Benutzerkreis abziele, auch wenn es einen breiteren Nutzerkreis haben möge als ein Kinderspielplatz oder ein Volleyballfeld. Vor diesem Hintergrund ist eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs der Antragsteller nicht ersichtlich.

2. Ein Abwehranspruch lässt sich auch nicht aus dem Gebot der Rücksichtnahme begründen. Diesbezüglich machen die Antragsteller geltend, die Voraussetzungen für die im schalltechnischen Gutachten vom 24.4.2023 vorgenommene Absenkung des Schutzniveaus ihres Grundstücks lägen nicht vor. Es seien nicht die für ein allgemeines, sondern die für ein reines Wohngebiet geltenden Immissionsrichtwerte zugrunde zu legen. Dann wäre das ihnen zumutbare Maß hinzunehmender Lärmimmissionen überschritten.

Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position innehat. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (vgl. BayVGH, Beschluss vom 27.6.2024 – 2 BV 22.501 -, m. w. N.). Eine unzumutbare Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks durch das Bauvorhaben ist nicht zu erwarten. Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist die Zugrundelegung der für ein allgemeines Wohngebiet geltenden Immissionsrichtwerte im schalltechnischen Gutachten vom 24.4.2023 schon deshalb nicht zu beanstanden, weil es sich vorliegend – wie dargelegt – faktisch um ein solches handelt. Dass – nach den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (vgl. hierzu S. 24 ff. des erstinstanzlichen Beschlusses vom 12.3.2024 – 5 L 1908/23 -) – diese Richtwerte nach dem Ergebnis des Gutachtens unter Berücksichtigung der auf die Stellungnahme des LUA vom 1.6.2023 zurückgehenden Lärmschutzauflagen eingehalten werden, stellen die Antragsteller im hiesigen Beschwerdeverfahren nicht substantiiert in Frage. Soweit diese auf S. 7 ihres Schriftsatzes vom 18.4.2024 pauschal anführen, das Gutachten leide unter “all seiner zu beanstandenden, teilweise lebensfremden Annahmen”, genügt ihr Vorbringen schon nicht den Darlegungserfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Insgesamt erweist sich das Bauvorhaben daher nicht als rücksichtslos gegenüber den Antragstellern.

VG Münster zu der Frage, des Lärms, der von einer Schulsportanlage ausgehen darf

VG Münster zu der Frage, des Lärms, der von einer Schulsportanlage ausgehen darf

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Unzumutbarkeit von Immissionen (Lärm, Gerüche, Licht etc.) im Sinne des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots knüpft an den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG an. Es gibt kein baurechtliches Rücksichtnahmegebot, das etwa dem Verursacher von Umwelteinwirkungen mehr an Rücksichtnahme zugunsten von Nachbarn gebieten würde, als es das Bundes-Immissionsschutzgesetz gebietet. Dieses Gesetz hat vielmehr die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht allgemein bestimmt.
2. Unter welchen Voraussetzungen gemessen am Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen von schädlichen Umwelteinwirkungen auszugehen ist, wird durch die entsprechenden Verordnungen zum BImSchG näher konkretisiert, hinsichtlich von Lärmimmissionen durch Sportanlagen insbesondere durch die Bestimmungen der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV).
3. Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt ihr, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und – auch durch Verweise auf andere Technische Regelwerke – das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt.
4. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der Sportanlagenlärmschutzverordnung nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften und Bewertungsspannen Spielräume eröffnet.
5. Sind die Verordnungen zum BImSchG, insbesondere die Sportanlagenlärmschutzverordnung oder die TA Lärm nicht (unmittelbar) anwendbar und gilt für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Geräuschimmissionen der zur Genehmigung beziehungsweise Vorbescheidung gestellten Anlage auch kein anderes normatives Regelwerk, wie z.B. die TA Lärm (6. BImSchV), bindend, bleibt die Beurteilung der Zumutbarkeit von Geräuschen gerade von atypischen, wegen ihrer Vielgestaltigkeit in ihren Lärmauswirkungen schwer greifbaren Anlagen weitgehend der tatrichterlichen Wertung im Einzelfall vorbehalten.
VG Münster, Urteil vom 09.10.2024 – 2 K 3097/22

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer dem Beigeladenen vom Beklagten erteilten Baugenehmigung vom 14. Oktober 2022 über die Änderung von Nutzungszeiten einer Schulsportanlage.

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung M. Flur 000, Flurstück 000 mit der postalischen Anschrift N.———-straße 0, 00000 M. (klägerisches Grundstück / Klägergrundstück). Das Grundstück liegt westlich der N.———-straße , die östlich unmittelbar an das Grundstück der Beigeladenen, Gemarkung M. , Flur 000, Flurstück 000 mit der postalischen Anschrift N.———-straße 0, 00000 M. (Vorhabengrundstück) grenzt. Auf dem Vorhabengrundstück befinden sich neben den Gebäuden der ehemaligen H. -Schule (Gesamtschule M. /U. ) ein Tartanspielfeld (Basketballfeld), ein Kleinspielfeld und eine Pumptrack-Anlage. Letztere beruht auf einer Baugenehmigung aus dem Jahre 2019.

Pumptrack-Anlagen dienen grundsätzlich dazu, mit speziellen Fahrrädern befahren zu werden, wobei es den Fahrerinnen und Fahrern darauf ankommt, die vorhandenen Hindernisse ohne in die Pedale zu treten durch Schwungnehmen mit dem eigenen Körpergewicht (vom englischen “to pump”) zu befahren. Praktisch werden Pumptrack-Anlagen gelegentlich auch von Inline-Skates-, Scooter-, Skateboard- oder Longboardfahrenden genutzt. Der Kläger nutzt sein Grundstück selbst zu Wohnzwecken. Sowohl das klägerische als auch das Vorhabengrundstück liegen nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Ca. 100 m nordwestlich der vorbezeichneten Grundstücke verläuft die P. Straße, westlich und südwestlich verläuft eine Bahnlinie.

Hinter dem Vorhabengrundstück schließt sich in östlicher Richtung ebenfalls die N.———-straße an, sodann liegen dort der katholische Kindergarten St. N1. und der Friedhof St. N1. . In dem nordwestlich der verfahrensgegenständlichen Grundstücke gelegenen Geviert zwischen P. Straße, Bahnlinie und der N.———-straße befinden sich Wohnbebauung, der Gewerbebetrieb B. Bau (P. Straße 00) und die Fahrschule G. (P. Straße 28a). Auf dem Grundstück P. Straße 00 befindet oder befand sich ausweislich der online verfügbaren Bildaufnahmen einmal eine Bäckerei und Konditorei. Wegen der weiteren Einzelheiten der örtlichen Belegenheiten wird auf die nachfolgenden Abbildungen Bezug genommen.

(Abbildung 01: Auszug aus tim-online.nrw.de)

(Abbildung 02: Auszug aus tim-online.nrw.de)

Am 21. Juli 2022 stellte die Beigeladene beim Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Änderung der Nutzungszeiten der vorgenannten Anlagen. Der Inhalt des Antrags bestand unter anderem darin, einheitliche Nutzungszeiten für alle drei auf dem Vorhabengrundstück vorhandenen Felder zu bestimmen.

Unter dem 14. Oktober 2022 genehmigte der Beklagte einheitliche Betriebszeiten für alle drei Anlagen. An Werktagen sollen diese in den Zeiten von 10.00 Uhr bis 21.00 Uhr, an Sonn- und Feiertagen in den Zeiten von 11.00 Uhr bis 20.00 Uhr liegen (Auflage Nr. 4 der Baugenehmigung). Darüber hinaus verfügte der Beklagte Auflagen zu den mit den Anlagen verbundenen Schallimmissionen:

Nach Auflage Nr. 1 sind “die Sportanlagen” schalltechnisch so zu errichten und zu betreiben, dass die von diesen Anlagen ausgehenden Geräuschimmissionen auch unter Berücksichtigung und Einberechnung der von anderen Sportanlagen ausgehenden Geräuschimmissionen einschließlich der jeweils zugehörigen Nebeneinrichtungen (Parkplatz, Lüftungsanlagen, Lautsprecher…) u.a. am Immissionsort auf dem Grundstück des Klägers werktags außerhalb der Ruhezeit zwischen 8.00 Uhr und 20.00 Uhr 55 dB(A), innerhalb der Ruhezeit von 6.00 Uhr bis 8.00 Uhr 50 dB(A) und innerhalb der Ruhezeit von 20.00 Uhr bis 22.00 Uhr 55 dB(A) sowie an Sonn- und Feiertagen außerhalb der Ruhezeit von 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr und von 15.00 Uhr bis 20.00 Uhr 55 dB(A) sowie innerhalb der Ruhezeit von 7.00 Uhr bis 9.00 Uhr 50 dB(A) und von 13.00 Uhr bis 15.00 Uhr sowie 20.00 bis 22.00 Uhr 55 dB(A) nicht überschreiten. Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen sollen die Immissionsrichtwerte tags um nicht mehr als 30 dB(A) überschreiten. Grundlage der Bewertung und Messung der Immissionsrichtwerte ist ausweislich der Auflage Nr. 1 die 18. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) vom 18. Juli 1991, zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 1. Juni 2017.

Nach Auflage Nr. 2 ist die Pumptrack-Anlage schalltechnisch so zu errichten und zu betreiben, dass die von dieser Anlage ausgehenden Geräuschimmissionen an u.a. am Immissionsort auf dem klägerischen Grundstück an Werktagen außerhalb der Ruhezeit zwischen 8.00 Uhr und 20.00 Uhr 55 dB(A) und innerhalb der Ruhezeit zwischen 6.00 Uhr und 8.00 Uhr sowie 20.00 Uhr und 22.00 Uhr 50 dB(A), an Sonn- und Feiertagen außerhalb der Ruhezeit zwischen 9.00 Uhr und 13.00 Uhr sowie 15.00 Uhr und 20.00 Uhr 50 dB(A) und innerhalb der Ruhezeit zwischen 7.00 Uhr und 9.00 Uhr, 13.00 Uhr und 15.00 Uhr sowie 20.00 Uhr und 22.00 Uhr 50 dB(A) nicht überschreiten. An Sonn- und Feiertagen gelten insoweit tagsüber in der Zeit von 7.00 Uhr bis 22.00 Uhr durchgängig die Immissionsrichtwerte der Ruhezeit, als Nacht gilt die Zeit von 22.00 Uhr bis 7.00 Uhr. Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen die Immissionsrichtwerte für den Tag um nicht mehr als 20 dB(A) und den Immissionsrichtwert für die Nacht um nicht mehr als 10 dB(A) überschreiten. Grundlage der Bewertung und Messung der Immissionsrichtwerte ist ausweislich der Auflage Nr. 2 der Runderlass des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW “Messung, Beurteilung und Verminderung von Geräuschimmissionen bei Freizeitanlagen” – V-5-8827.5 vom 23. Oktober 2006, zuletzt geändert durch Runderlass vom 13. April 2016 (Freizeitlärmrichtlinie NRW) und in Verbindung mit der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vom 26. August 1998. Wegen der weiteren Einzelheiten, Auflagen und Hinweise wird ergänzend auf den Bescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2022 Bezug genommen.

Am 14. November 2022 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er wie folgt aus: Die erteilte Baugenehmigung sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Sie sei ihm gegenüber bauplanungsrechtlich rücksichtslos, weil sie die von dem streitgegenständlichen Vorhaben ausgehenden Lärmimmissionen unzureichend betrachte und hierauf beruhe. Die Beklagte habe mit einem Schutzanspruch für ein faktisches Allgemeines Wohngebiet einen unzutreffenden Beurteilungsmaßstab angelegt, weil das klägerische Grundstück in einem faktischen reinen Wohngebiet liege. Auch erwiesen sich die vom Beklagten eingeholten Schallimmissionsgutachten als unrichtig und unvollständig. Es fehle insbesondere an einer Lärmimmissionsberechnung, welche die gesamte Freizeitanlage als Ganze betrachte. Eine solche umfassende Betrachtung sei aber erforderlich gewesen. Der ursprünglich für die Genehmigung der Errichtung der Spielfelder (nicht der erst im Jahre 2019 hinzugekommenen Pumptrack-Anlage) eingeholte schalltechnische Bericht der KÖTTER beratenden Ingenieure vom 12. Februar 1996 (KÖTTER 1996) befasse sich nur mit den Immissionen dieser Felder. Die Schallimmissionsprognose der RP Schalltechnik vom 30. September 2019 (RP 2019) beziehe sich ausschließlich auf die Pumptrack-Anlage. Die schalltechnische Stellungnahme der KÖTTER Consulting Engineers vom 25. Mai 2022 (KÖTTER 2022) nehme eine neue Beurteilung der Frage der Einhaltung der Immissionsrichtwerte für ein Allgemeines Wohngebiet unter dem Gesichtspunkt der Änderung der 18. BImSchV vor und beziehe sich ausschließlich auf den schalltechnischen Bericht aus dem Jahre 1996.

Die Schallimmissionsprognose RP 2019 betrachte die Geräuschvorbelastung durch die Nutzung der Kleinspielfelder nicht, weil analog zur TA Lärm für die Pumptrack-Anlage der Irrelevanznachweis mit einer Richtwertunterschreitung um mindestens 6 dB(A) geführt worden sei. Diese Annahme sei nicht haltbar, weil der Gutachter verkannt habe, dass der an den Immissionsorten resultierende Beurteilungspegel sich aus dem äquivalenten Dauerschallpegel und Zuschlägen für die Impulshaltigkeit und die Informationshaltigkeit der Geräusche zusammensetze. Diese zwingend anzusetzenden Zuschläge fehlten bei der Schallimmissionsprognose RP 2019. Die fehlende Ermittlung der Gesamtbelastung schlage auch auf die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung durch, weil sich bei einer zutreffenden Ermittlung auch am Tage Richtwertüberschreitungen am Immissionsort auf dem klägerischen Grundstück ergäben. Die vorbezeichneten Gutachten L. 2022 und S. 2019 seien auch deshalb fehlerhaft, weil sie auf einer nicht einschlägigen Rechtsgrundlage beruhten, nämlich der nicht relevanten Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV).

Maßgeblich sei die strengere Freizeitlärmrichtlinie NRW. Die Schallimmissionsprognose S. 2019 weise außerdem Ungenauigkeiten und Unklarheiten auf. In Kapitel 7 der Prognose “Berechnungsmethodik und Darstellungsarten” sei die Angabe enthalten, dass die Berechnung für den Sonntag als stärkster belasteter Wochentag mit den höchsten Zuschlägen und strengsten Richtwerten durchgeführt worden sei; es sei unklar, welche Zuschläge gemeint seien, weil weder die Freizeitlärmrichtlinie NRW noch die 18. BImSchV Ruhezeitenzuschläge vorsähen. Auch finde sich keine Erklärung, warum die Berechnungsergebnisse nach der 18. BImSchV und nach der Freizeitlärmrichtlinie eine Differenz von 3 dB(A) aufwiesen. Dieser Unterschied lasse sich nicht allein mit den unterschiedlichen Berechnungsmethoden erklären. Ferner sei die Schallimmissionsprognose S. 2019 auch hinsichtlich der mittelbar mit der Nutzung der Sportanlage verbundenen Beeinträchtigungen unvollständig. Ein etwaiger anlagenbezogener PKW-Verkehr finde in der Schallimmissionsprognose keine Berücksichtigung. Auch fehlten Emissionsquellen, wie beispielsweise Bluetooth-Boxen zur Musikwiedergabe, die häufig während der Nutzung derartiger Freizeitanlagen verwendet würden. Zur weiteren Begründung dieser Rügen reicht der Kläger eine Stellungnahme der X. & H1. Akustik und Immissionsschutz GmbH vom 25. Oktober 2022 (X1. & H2. 2022) ein. Zuletzt verletze die Baugenehmigung vom 14. Oktober 2022 den Kläger auch deshalb in seinen Rechten, weil durch die erteilten Auflagen nicht hinreichend sichergestellt sei, dass die beauflagten Nutzungszeiten in der Praxis auch jederzeit eingehalten würden. Zwar sei das Aufstellung von Hinweisschildern an deutlich sichtbaren Stellen beauflagt (Auflage Nr. 5), jedoch keine Einrichtung einer Überwachung der Einhaltung insbesondere hinsichtlich einer nächtlichen Überschreitung der Immissionsrichtwerte. Auch dies führe zu einer Rücksichtslosigkeit des Vorhabens gegenüber dem Kläger.

Der Kläger beantragt,

die der Beigeladenen von dem Beklagten unter dem 14. Oktober 2022 erteilte Baugenehmigung zur Änderung der Nutzungszeiten der Schulsportanlage auf dem Grundstück Gemarkung M. , Flur 000, Flurstück 000 mit der postalischen Anschrift N.———-straße 0, 00000 M. (Az. 63-880-2846.2022), zugestellt am 21. Oktober 2022, aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen. 

Zur Begründung tritt er dem klägerischen Vortrag entgegen und legt eine Stellungnahme seiner Kreispolizeibehörde vom 1. Februar 2023 zu den am Vorhabengrundstück erfolgten polizeilichen Einsätzen im Jahre 2022 und bis zum Datum der Stellungnahme, vor, sowie eine ausführliche immissionsschutzrechtliche Stellungnahme seiner Immissionsschutzbehörde vom 3. März 2023. Auf den Inhalt dieser Stellungnahmen wird umfassend Bezug genommen. Nach der kreispolizeilichen Stellungnahme vom 1. Februar 2023 sei es im Jahre 2022 am Vorhabengrundstück zu 17 Einsätzen gekommen. Das Gebiet werde regelmäßig bestreift. Ein Großteil der Einsätze erfolge zwischen April und August, zumeist wegen Ruhestörungen. Vermehrte Einsätze seien im Jahr 2022 nicht zu verzeichnen gewesen, es könnten keine signifikanten Besonderheiten im Vergleich zu anderen Örtlichkeiten festgestellt werden, eine Beeinträchtigung der objektiven Sicherheitslage sei nicht festzustellen. Die Immissionsschutzbehörde des Beklagten führt in ihrer Stellungnahme vom 3. März 2023 u.a. wie folgt aus: Mit der angefochtenen Baugenehmigung würden im Interesse der Anwohner, auch des Klägers, für die Gesamtanlage (Kleinspielfelder und Pumptrack-Anlage) einheitliche, vollziehbare Nutzungszeiten festgelegt, die sich innerhalb der ermittelten, schallimmissionstechnisch zulässigen Nutzungszeiten bewegten. Die Einwände des Klägers gegen diese Baugenehmigung griffen aus immissionsschutzrechtlicher Sicht nicht durch. Die prägende nähere Umgebung des klägerischen und des Vorhabengrundstücks sei als faktisches Allgemeines Wohngebiet (WA), nicht als Reines Wohngebiet (WR) einzuordnen. Die in erster Reihe an der P. Straße angesiedelten gewerblichen Nutzungen wirkten sich insoweit prägend auch auf das klägerische und das Vorhabengrundstück aus. Auch die Einwendungen zur Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit der eingeholten Schallimmissionsgutachten griffen nicht durch. Die seit den 1990er Jahre genehmigten Kleinspielfelder seien als Sportanlagen im Sinne der 18. BImSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung) zu qualifizieren. Genehmigt seien ausdrücklich zwei Kleinspielfelder als “Sportanlagen”, und zwar eines für Basketball und Tennis und eines für Fußball, Handball, Volleyball etc. Es handle sich hier – anders als bei der zuletzt hinzugekommenen Pumptrack-Anlage, nicht um Freizeitanlagen im Sinne der strengeren Freizeitlärmrichtlinie NRW. Die Spielfeldgröße des Basketballfelds entspreche den Maßgaben der einschlägigen Sportverbände. Es handle sich, anders als der Kläger ausführt, nicht um ein Streetball-Feld, eine Trendsportart, die auf einem wesentlich kleineren quadratischen Feld und nur auf einen Korb gespielt werde. Auch das andere Kleinspielfeld sei für Fußball, Handball, Volleyball etc. ausgeprägt und nach der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) zu beurteilen. Denn Letzteres sei ebenfalls mit einer Tartan-Oberfläche ausgeführt. Es enthalte an den Längsseiten eine zusätzliche Sicherheitszone von mindestens einem Meter und an den Stirnseiten von zwei Metern über die aufgebrachten Markierungen hinaus. So ergebe sich ein Multifunktionsspielfeld der Größe 40 m x 20 m innerhalb der Markierungen, zuzüglich der Sicherheitsstreifen mithin eine Tartanfläche von insgesamt 44 m x 22 m. Diese Maße entsprächen der einschlägigen DIN-Normung für Kleinspielfelder als Anlagen für den Wettkampfsport (DIN-Normung 18035:2018-09, Sportplätze – Teil 1, 5. Anlagen für den Wettkampfsport, 5.1.3 Kleinspielfelder). Es enthalte ferner die von der Internationalen Handballföderation vorgegebene Größe und Markierungen für Wettkampfhandball und sei für verschiedene Varianten des Fußballspiels (6 gegen 6, 8 gegen 8) und für das Volleyballspiel im Sinne eines vielfältigen Sportangebots inner- und außerhalb des Schulsports ausgestaltet und geeignet. Die Pumptrack-Anlage stelle hingegen eine Freizeitanlage im Sinne der Freizeitlärmrichtlinie NRW dar. Sie sei dementsprechend nach Behördenbeteiligung im Genehmigungsverfahren anhand der Freizeitlärmrichtlinie NRW prognostisch betrachtet worden. Eine Ermittlung der Gesamtbelastung sei aufgrund der unterschiedlichen Regelwerke mit abweichenden Immissionsrichtwerten und unterschiedlichen Rechenvorschriften nicht möglich. Nach den einschlägigen Regelwerken seien die beiden rechtlich zu unterscheidenden Lärmarten isoliert zu betrachten. Auch eine fehlende Berücksichtigung der Impulshaftigkeit von Lärm stelle keinen Mangel der Begutachtung dar. Weder nach der 18. BImSchV noch nach der Freizeitlärmrichtlinie NRW habe ein Impulszuschlag bei Geräuschen durch die unverstärkte menschliche Stimme anzuwenden. Insoweit verweist der Beklagte auf die Freizeitlärmrichtlinie und Nr. 1.3.3 des 1. Anhangs der 18. BImSchV. Zu den gerügten Ungenauigkeiten und Unklarheiten führt der Beklagte aus, aus seiner Sicht sei anzunehmen, dass mit der Wendung “dass die Berechnung für den Sonntag als stärkster belasteter Wochentag mit den höchsten Zuschlägen und strengsten Richtwerten durchgeführt wurde” gemeint gewesen sein dürfte, dass bei einer vergleichenden Betrachtung nach 18. BImSchV und nach RdErl.

Freizeitlärm NRW für Sonn- und Feiertage zum einen die strengsten Richtwerte nach dem Beurteilungswerk RdErl. Freizeitlärm gelten, da danach die reduzierten Immissionsrichtwerte für die sog. Ruhezeiten ganztags einzuhalten sind und im Vergleich gegenüber der 18. BImSchV für den Beurteilungszeitraum “Ruhezeiten” entsprechend um 5 dB(A) reduzierte “strengere” Immissionsrichtwerte i.S.v. “strengsten Richtwerten” innerhalb der mittäglichen und abendlichen Ruhezeit zu berücksichtigen sind. Hinsichtlich des Einwands die 3 dB(A) Unterschied bei gleichen Emissionsdaten vermutet der Beklagte, dass es sich um eine unterschiedliche Behandlung von Impulszuschlägen handeln könnte, die die von Gutachterbüros verwandten Programme teils automatisch vergäben. Die Verwendung von Bluetooth-Boxen sei bei der Begutachtung zurecht außer Betracht geblieben, weil missbräuchliche Nutzungen einer Anlage nicht Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens sein könnten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme Bezug genommen.

Die Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie nichts aus.

Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung am 9. Januar 2024 übereinstimmend erklärt, auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung zu verzichten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht konnte aufgrund Einzelrichterbeschlusses vom 31. Oktober 2023 gemäß § 6 Abs. 1 VwGO durch den Berichterstatter als Einzelrichter und gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 9. Januar 2024 übereinstimmend auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet haben.

II. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

Im Rahmen einer Drittanfechtungsklage kommt dem Gericht nur ein begrenzter Prüfungsmaßstab zu. Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer erteilten Baugenehmigung haben Nachbarn wie der Kläger nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung derselben darüber hinaus voraus, dass der Nachbar durch die Baugenehmigung zugleich in eigenen (Nachbar-)Rechten, d.h. in einem Recht, welches zumindest auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt ist, verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Vgl. nur BVerwG, Urteile vom 15. Februar 1990 – 4 C 39.86 -, und vom 6. Oktober 1989 – 4 C 14.87 -; Beschluss vom 16. August 1983 – 4 B 94.83 -; Urteil vom 23. August 1974 – IV C 29.73 -.

In Betracht kommt insoweit in erster Linie eine Verletzung des Klägers in drittschützenden, ihn in ihren Schutzkreis einbeziehenden, Vorschriften des öffentlichen Bauplanungs- und des öffentlichen Bauordnungsrechts. Eine derartige Verletzung drittschützender Vorschriften liegt jedoch nicht vor.

Insbesondere ist der Kläger nicht in seinem allein geltend gemachten normativ im – hier vorliegenden – Fall eines unbeplanten Innenbereichsgrundstücks an § 34 Abs. 1, Abs. 2 BauGB angeknüpften Recht auf Einhaltung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme verletzt.

Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich im Nachbarschaftsverhältnis gewährleisten. Der Umfang der für jedes Vorhaben geltenden öffentlich-rechtlichen Pflicht, auf andere Rücksicht zu nehmen, hängt entscheidend von den Umständen des Einzelfalles ab. Das Rücksichtnahmegebot beinhaltet, dass umso mehr an Rücksichtnahme verlangt werden kann, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt; umgekehrt braucht derjenige, der ein Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten und andererseits dem Rücksichtnahmebegünstigten nach Lage der Dinge zuzumuten ist.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Februar 1977 – IV C 22/75 -; vom 23. September 1999 – 4 C 6/98 -, und vom 5. Dezember 2013 – 4 C 5/12 -; OVG NRW, Urteil vom 4.5.2016 – 7 A 615/14 -.

Die Unzumutbarkeit von Immissionen (Lärm, Gerüche, Licht etc.) im Sinne des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots knüpft damit an den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG an. Hierbei handelt es sich um Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Es gibt kein baurechtliches Rücksichtnahmegebot, das etwa dem Verursacher von Umwelteinwirkungen mehr an Rücksichtnahme zugunsten von Nachbarn gebieten würde, als es das Bundes-Immissionsschutzgesetz gebietet. Dieses Gesetz hat vielmehr die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht allgemein bestimmt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. September 1983 – 4 C 74/78 -; OVG NRW, Beschluss vom 26. Februar 2003 – 7 B 2434/02 -.

So wird ein möglichst umfassender Gleichlauf zwischen baurechtlicher Zumutbarkeit bzw. Gebietsverträglichkeit und immissionsschutzrechtlicher Bewertung sichergestellt. Hierbei ist ein objektivierter Maßstab anzulegen, nämlich das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen, nicht die individuelle Einstellung eines besonders empfindlichen Nachbarn.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. September 2020 – 8 A 1161/18 -, m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 8 B 1880/21 -.

Unter welchen Voraussetzungen gemessen am Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen von schädlichen Umwelteinwirkungen auszugehen ist, wird durch die entsprechenden Verordnungen zum BImSchG näher konkretisiert, hinsichtlich von Lärmimmissionen durch Sportanlagen insbesondere durch die Bestimmungen der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV). Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt ihr, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und – auch durch Verweise auf andere Technische Regelwerke – das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der Sportanlagenlärmschutzverordnung nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften und Bewertungsspannen Spielräume eröffnet.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. November 1994 – 7 B 73/94 -; ergänzend zur TA Lärm BVerwG, Urteile vom 29. November 2012 – 4 C 8/11 -, und vom 29. August 2007 – BVerwG 4 C 2.07 -, jeweils m.w.N.; OVG NRW, Urteil vom 5. Juli 2017 – 7 A 2432/15 -.

Die Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) gilt gemäß § 1 Abs. 1 18. BImSchV für die Errichtung, die Beschaffenheit und den Betrieb von Sportanlagen, soweit sie zum Zwecke der Sportausübung betrieben werden und einer Genehmigung nach § 4 BImSchG nicht bedürfen. Diese Beschreibung des Anwendungsbereichs der Verordnung sowie die in ihrem § 3 vorgesehenen Maßnahmen (z.B. zu Lautsprecheranlagen, Zuschauern, lärmgeminderten oder lärmmindernden Ballfangzäunen, Bodenbelägen, Schallschutzwänden und -wällen etc.) lassen erkennen, dass sich der Verordnungsgeber am Leitbild einer Sportanlage orientiert hat, die dem Vereinssport, Schulsport oder vergleichbar organisiertem Freizeitsport dient.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2003 – 7 B 88/02 -.

Sportanlagen im vorgenannten Sinne sind nach § 1 Abs. 2 18. BImSchV ortsfeste Einrichtungen, die zur Sportausübung bestimmt sind; zu ihnen zählen auch Einrichtungen, die mit der Sportanlage in engem räumlichen und betrieblichen Zusammenhang stehen, § 1 Abs. 3 Satz 1 18. BImSchV. Obwohl der immissionsschutzrechtliche Sportbegriff weder durch den Gesetz- noch den Verordnungsgeber definiert ist, ist gleichwohl anerkannt, dass sich “Sport” in diesem Sinne durch bestimmte Wesensmerkmale definiert, insbesondere körperliche Bewegung, Wettkampf- und Leistungsstreben, das Vorhandensein von Regeln und Organisationsformen und die Betätigung als Selbstzweck ohne produktive Absichten. Je nach Erscheinungsform der Sportart kommt den genannten Kriterien ein unterschiedliches Gewicht zu, auch müssen nicht alle gleichzeitig erfüllt sein. Insbesondere im Bereich des Breiten- und Freizeitsports etwa ist der Wettkampf- und Leistungscharakter unterzugewichten. Weiter muss die Zweckbestimmung der Anlage nicht ausschließlich die Sportausübung sein, ausreichend ist vielmehr, wenn sie auch sportlichen Zwecken zu dienen bestimmt ist.

Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 24. August 2007 – 22 B 05.2870 -; VG Ansbach, Urteil vom 28. Oktober 2021 – AN 17 K 20.00907 -; Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 95. EL Mai 2021, § 1 18. BImSchV Rn. 27.

Sind die Verordnungen zum BImSchG, insbesondere die Sportanlagenlärmschutzverordnung oder die TA Lärm nicht (unmittelbar) anwendbar und gilt für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Geräuschimmissionen der zur Genehmigung beziehungsweise Vorbescheidung gestellten Anlage auch kein anderes normatives Regelwerk, wie z.B. die TA Lärm (6. BImSchV), bindend, bleibt die Beurteilung der Zumutbarkeit von Geräuschen gerade von atypischen, wegen ihrer Vielgestaltigkeit in ihren Lärmauswirkungen schwer greifbaren Anlagen weitgehend der tatrichterlichen Wertung im Einzelfall vorbehalten. Diese Einzelfallwertung richtet sich maßgeblich insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit; dabei sind wertende Elemente wie Herkömmlichkeit, soziale Adäquanz und allgemeine Akzeptanz ebenso mitbestimmend wie eine etwaige tatsächliche oder rechtliche Vorbelastung. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die einzelnen Schallereignisse, ihr Schallpegel und ihre Eigenart (zum Beispiel Dauer, Häufigkeit, Impulshaltigkeit) sowie ihr Zusammenwirken.

Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2003 – 7 B 88.02 -, Urteile vom 30. April 1992 – 7 C 25.91 – und vom 24. April 1991 – 7 C 12.90 -; OVG NRW, Urteil vom 6. September 2011 – 2 A 2249/09 -.

Im Rahmen der solchermaßen vorzunehmenden Gesamtabwägung können technische Regelwerke, die der Erfassung der Geräuschcharakteristik und des daraus folgenden Störgrads der jeweils zur Beurteilung anstehenden Anlage am nächsten kommen, als Orientierungshilfe beziehungsweise “grober Anhalt” herangezogen werden. Hat der Gesetzgeber diese Regelwerke nicht in seinen Regelungswillen aufgenommen, erzeugen sie für Behörden und Gerichte jedoch keine Bindungswirkung und dürfen nicht schematisch angewandt werden, sondern sind nur ein Parameter unter mehreren innerhalb der Gesamtabwägung.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. September 2011 – 2 A 2249/09 -.

Eine solche, der richterlichen Rechtsanwendung im Einzelfall Anhalt bietende Bedeutung ist auch der sogenannten Freizeitlärmrichtlinie NRW (Runderlass des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz Landwirtschaft und Verbraucherschutz – V-5 – 8827.5 vom 23. Oktober 2006) in der aktuell geltenden Fassung zuzumessen.

Gemäß Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 der Freizeitlärmrichtlinie NRW sind Freizeitanlagen Einrichtungen im Sinne des § 3 Abs. 5 Nr. 1 oder Nr. 3 BImSchG, die dazu bestimmt sind, von Personen zur Gestaltung ihrer Freizeit genutzt zu werden. Grundstücke gehören zu den Freizeitanlagen, wenn sie nicht nur gelegentlich zur Freizeitgestaltung bereitgestellt werden (Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 der Freizeitlärmrichtlinie NRW). Nr. 1 Abs. 2 der Freizeitlärmrichtlinie NRW zählt beispielhaft Anlagenarten auf, die insbesondere zu den Freizeitanlagen gehören wie Grundstücke, auf denen in Zelten oder im Freien Volksfeste und ähnliche Traditionsveranstaltungen, Musikdarbietungen, Zirkusveranstaltungen, regelmäßige Feuerwerke oder ähnliches stattfinden, Freilichtbühnen, Freizeitparks oder Vergnügungsparks. Während die TA Lärm auf Anlagen zugeschnitten ist, die überwiegend dem Arbeitsleben zuzurechnen sind, will die Freizeitlärmrichtlinie NRW dem Umstand Rechnung tragen, dass Konflikte aufgrund von Geräuschen durch Freizeitanlagen in der Regel dann auftreten, wenn ein Teil der Bevölkerung in der Freizeit (in den Abendstunden, an Wochenenden und Sonn- und Feiertagen) Entspannung durch Ruhe sucht, ein anderer sich dagegen durch Aktivitäten in Freizeitanlagen erholen will (vgl. Nr. 3 der Freizeitlärmrichtlinien NRW). Daher werden die von Freizeitanlagen verursachten Geräuschimmissionen zwar grundsätzlich nach der TA Lärm bewertet, von deren Bewertungsmaßstäben allerdings mit Blick auf die Besonderheiten des Freizeitlärms durch die Vorgabe bestimmter Ruhe- und Beurteilungszeiten Ausnahmen gemacht werden sollen (vgl. Nr. 3.1 und Nr. 3.3 der Freizeitlärmrichtlinie NRW).

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. September 2011 – 2 A 2249/09 -.

In Anwendung der vorstehenden Maßgaben erweist sich die angefochtene Baugenehmigung des Beklagten vom 14. Oktober 2022 gegenüber dem Kläger nicht als rücksichtslos. Der Beklagte ist insbesondere von zutreffenden Immissionsrichtwerten ausgegangen (1.) und hat seine Genehmigung auf geeignete gutachtliche Prognosen gestützt (2.). Die Baugenehmigung leidet auch nicht an mit Blick auf die tatsächliche Vollziehung ihrer Auflagen defizitären Nebenbestimmungen (3.).

1. Der Beklagte ist zutreffend von den in den vorbezeichneten Technischen Regelwerken und Erlassen bestimmten, für Allgemeine Wohngebiete geltenden Immissionsrichtwerten ausgegangen.

Zur Bestimmung der für das klägerische Grundstück und das Vorhaben maßgeblichen Immissionsrichtwerte ist in Anwendung von § 34 Abs. 2 Satz 1 BauGB der Gebietscharakter der in der näheren Umgebung vorzufindenden Bebauung zu bestimmen (sog. faktisches Baugebiet). Denn das klägerische und das Vorhabengrundstück liegen im unbeplanten Innenbereich im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.

Die Eigenart der näheren Umgebung des klägerischen Grundstücks entspricht im Sinne von § 34 Abs. 2 Satz 1 BauGB einem allgemeinen Wohngebiet. Zur näheren Umgebung im Sinne der Vorschrift gehört die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Dabei ist die nähere Umgebung für die in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezeichneten Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen.

In der Regel ist der Umkreis der zu beachtenden Bebauung weiter zu fassen, soweit es – wie hier – um den maßgeblichen Gebietscharakter, die Art der baulichen Nutzung, geht als wenn das Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung oder der überbaubaren Grundstücksfläche maßgeblich ist. Maßgeblich ist aber immer eine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 2014 – 4 B 38.13 -, BVerwG, Urteil vom 19. September 1969 – IV C 18.67 -.

Die hier maßgebliche nähere Umgebung mit Blick auf die Bestimmung des Gebietscharakters (die Art der baulichen Nutzung) umfasst die Bebauung im Winkel zwischen den trennenden Elementen der südwestlich des klägerischen Grundstücks und des Vorhabengrundstücks verlaufenden Bahntrasse und des Straßenzugs der nordwestlich verlaufenden P. Straße. In östlicher und südöstlicher Richtung reicht der gebietscharakterisierende Bebauungszusammenhang bis an das Ende des faktischen Bebauungszusammenhangs, den Außenbereich, heran. Er schließt das (ehemalige) Schulgebäude, den Kindergarten St. N2. und den daran unmittelbar angrenzenden Friedhof ein.

Die Eigenart der so bestimmten näheren Umgebung entspricht einem Allgemeinen Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO. Dort finden sich eine Reihe von Wohngebäuden (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO), allerdings auch einzelne nicht störende Handwerksbetriebe (B. Bau an der P. Straße sowie – sofern noch vorhanden – die Bäckerei und Konditorei) im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO sowie nicht störende Gewerbetriebe wie die Fahrschule, die im Allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise (§ 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO) zulässig sind, ohne, dass die für Mischgebiete typische Gleichwertigkeit und Gleichgewichtigkeit der Nutzungsmischung,

vgl. Bönker/Bischopink/Wahlhäuser, Baunutzungsverordnung, BauNVO § 6 Rn. 25,

erreicht wird. Darüber hinaus sind mit der Schule eine Anlage für kulturelle Zwecke und dem Kindergarten eine Anlage für soziale bzw. kirchliche Zwecke vorhanden (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO)

Vgl. Bönker/Bischopink/Vietmeier, Baunutzungsverordnung, BauNVO § 4 Rn. 36, 42, 50.

Die vorstehenden Nutzungen wären – abgesehen von dem Kindergarten St. N1. – in einem reinen Wohngebiet (WR), dessen immissionsschutzrechtliches Niveau der Kläger in Anspruch nehmen will, bauplanungsrechtlich unzulässig (§ 3 BauNVO). Dies gilt eingedenk der zwischenzeitlichen Schließung der Gutenbergschule am dortigen Standort.

Vgl. Bönker/Bischopink/Vietmeier, Baunutzungsverordnung, BauNVO § 3 Rn. 73 (Kindergärten und ähnliche Kindertageseinrichtungen).

2. Der Beklagte hat seine Genehmigung auch auf geeignete gutachtliche Prognosen gestützt.

Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit baurechtlicher Genehmigungen mit Blick auf zu erwartende Immissionen kommen im Zuge des Genehmigungsverfahrens angefertigten Gutachten besondere Bedeutung zu. Solche Gutachten im Vorfeld von Bauvorhaben stellen jedoch lediglich Prognosen dar, die das Gericht nur darauf zu prüfen hat, ob diese mit den im maßgebenden Zeitpunkt verfügbaren Erkenntnismitteln unter Beachtung der für sie erheblichen Umstände sachgerecht erarbeitet worden ist. Das Gericht überprüft insoweit die Wahl einer geeigneten fachspezifischen Methode, die zutreffende Ermittlung des der Prognose zugrundeliegenden Sachverhalts und ob das Ergebnis einleuchtend begründet worden ist. Ferner ist zu fragen, ob die mit jeder Prognose verbundene Ungewissheit künftiger Entwicklungen in einem angemessenen Verhältnis zu den Eingriffen steht, die mit ihr gerechtfertigt werden sollen. Es ist hingegen nicht Aufgabe des Gerichts, das Ergebnis einer auf diese Weise sachgerecht erarbeiteten Prognose als solches darauf zu überprüfen, ob die prognostizierte Entwicklung mit Sicherheit bzw. größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit eintreten wird oder kann.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 22. Februar 2017 – 7 A 2289/15 – und vom 28. März 2018 – 10 B 163/18 -.

Die vom Beklagten im hier streitgegenständlichen Baugenehmigungsverfahren zugrunde gelegten Gutachten leiden in Anwendung der vorstehenden Maßstäbe nicht an durchgreifenden Mängeln, die ihre Plausibilität in Frage stellen. Die der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugrunde gelegten immissionsschutzrechtlichen Stellungnahmen sind im Ergebnis durch den eingehenden klägerischen Vortrag nicht durchgreifend in Zweifel gezogen. Sie liegen zur Überzeugung des erkennenden Gerichts (vgl. § 108 Abs. 1 VwGO) letztendlich noch “auf der sicheren Seite”.

a) In den eingeholten Gutachten sind die vorhandenen Kleinspielfelder – anders als dies vor der umfassenden und eingehenden Ergänzung des Beklagtenvortrags zu den tatsächlichen Verhältnissen auf dem Multifunktionsspielfeld für Handball, Fußball und Volleyball vom Einzelrichter angenommen wurde – zutreffend nach der 18. BImSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung) und die Pumptrack-Anlage nach der Freizeitlärmrichtlinie NRW beurteilt worden. Zu dieser Überzeugung kommt das Gericht nach einer umfassenden Prüfung und Gesamtabwägung aller für diese Einordnung relevanten Umstände des konkreten vorliegenden Einzelfalls trotz der eingehenden Ausführungen und gehaltvollen Gesichtspunkte, die der Kläger dagegen ins Feld geführt hat.

Die Kleinspielfelder (das Tartan-Basketballspielfeld und das ebenfalls in Tartan ausgeführte Multifunktionsspielfeld für Handball, Fußball und Volleyball) sind immissionsschutzrechtlich nach der Sportanlagenlärmschutzverordnung zu beurteilen, denn es handelt es sich um Anlagen, die zwar heute faktisch überwiegend für der Freizeit zuzuordnende Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen genutzt werden mögen, jedoch ursprünglich auch für den Schulsport gedacht waren und hierfür auch zukünftig wieder genutzt werden können und insbesondere – was für das Gericht in der Abwägung mit allen anderen relevanten Gesichtspunkten letztlich den Ausschlag gibt – nach ihrer objektiven Gestaltung für Schul- und organisierten Freizeitsport geeignet und konzipiert sind.

Vgl. zu diesen Maßstäben der Einordnung schon oben BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2003 – 7 B 88/02 -.

Das vom Beklagten als “Basketball- und Tennisfeld”, vom Kläger als “Streetballfeld” bezeichnete Kleinspielfeld wurde zurecht auf Grundlage der Sportanlagenlärmschutzverordnung begutachtet. Wie der Beklagte in seiner immissionsschutzrechtlichen Stellungnahme ausführlich dargelegt hat, entspricht es den Maßen und Anforderungen des Basketballverbands zur Nutzung für nach Verbandsregeln durchgeführte Basketballspiele.

Insoweit wird auf die ausführliche Stellungnahme der Immissionsschutzbehörde des Beklagten vom 3. März 2023 Bezug genommen. Auf Seite 8 der Stellungnahme (Bl. 66 d.A.) führt die Immissionsschutzbehörde – in der Sache unbestritten – insoweit aus:

“Beim Basketball hingegen spielen i.d.R. 5 gegen 5 Spieler und es gibt ein festes Regelwerk. Die Spielfeldgrößen variieren geringfügig nach den jeweiligen Verbänden; nach FIBA beträgt die Spielfeldgröße 28 m x 15 m, nach NBA beträgt die Spielfeldgröße 28,65 m x 15,24 m. Das Kleinspielfeld an der N.———-straße verfügt (mit Umrandung) über eine bauliche Größe von 30 m x 16 m. Die Spielfeldfläche selbst ist durch die Markierungen entsprechend der v.g. Angaben für eine Nutzung durch die Sportart “Basketball” ausgewiesen.”

Hierin liegt insbesondere ein wesentlicher Unterschied zu der Einordnung eines für Basketball benutzten Spielfelds, die das Verwaltungsgericht Aachen in einer in der Literatur zitierten Fallkonstellation vorgenommen hatte, bei der es an entsprechenden Markierungen fehlte und insbesondere auch keine Basketballkörbe angebracht waren. Dies waren seinerzeit maßgebliche Einzelfallumstände, auf die das Verwaltungsgericht bei seiner Einordnung des dortigen “Basketballspielfelds” als Freizeitanlage und nicht als Sportanlage abgestellt hatte.

Vgl. VG Aachen, Urteil vom 30. Oktober 2015 – 6 K 1111/15 -; Landmann/Rohmer UmweltR/Reidt/Schiller, 102. EL September 2023, 18. BImSchV § 1 Rn. 32, dort insbesondere Ausführungen zu Basketball und Street(basket)ball, m.w.N., hinsichtlich letzterer wird dieselbe Differenzierung vorgenommen.

Auch das Multifunktionsfeld für Handball, Fußball und Volleyball ist zurecht auf Grundlage der 18. BImSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung) begutachtet worden. Auch bei diesem Kleinspielfeld handelt es sich um eine Anlage, die ihrer objektiven Ausgestaltung nach über die bloße unorganisierte körperlich-spielerische Aktivitäten von Kindern ohne Schiedsrichter oder Sportaufsicht hinaus für organisierte sportliche Aktivität – sei es auch im Freizeitbereich – geeignet ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2003 – 7 B 88/02 -; VG Aachen, Urteil vom 30. Oktober 2015 – 6 K 1111/15 -.

Hierfür spricht, dass die auf dem in Tartan – also einem für Sportanlagen besonders geeigneten, federnden, rutschfesten und widerstandsfähigen Kunststoff – ausgeführten Kleinspielfeld die von der Internationalen Handballvereinigung für regelkonformes Wettkampfhandballspiel vorgesehenen Markierungen in den richtigen Abmessungen (Spielfeld von 40 m x 20 m zzgl. Sicherheitsrand) aufgebracht sind. Für diese Einordnung spricht auch, dass das Kleinspielfeld in Abmessungen und Ausgestaltung der für Kleinspielfelder als Anlagen für den Wettkampfsport geltenden DIN-Normung 18035:2018-09 “Sportplätze – Teil 1: Freianlagen für Spiele und Leichtathletik – Planung und Maße”, Nr. 5.3.1 entspricht, denn hieraus lässt sich ableiten, dass es bei seinem Bau Genehmigung als Sport- nicht als reine Freizeitanlage konzipiert wurde.

Nicht erforderlich ist nach den obenstehenden Maßgaben in der erforderlichen Gesamtabwägung, dass die Kleinspielfelder ausschließlich für geregelten beziehungsweise organisierten Sport praktisch genutzt werden.

Es genügt vielmehr, wenn sie auch zu sportlichen Zwecken dienen. Je nach Erscheinungsform der Sportart kommt den Kriterien der körperlichen Bewegung, dem Wettkampf- und Leistungsstreben, dem Vorhandensein von Regeln und Organisationsformen und der Betätigung als Selbstzweck ohne produktive Absichten ein unterschiedliches Gewicht zu, auch müssen nicht alle gleichzeitig erfüllt sein. Insbesondere im Bereich des Breiten- und Freizeitsports etwa ist der Wettkampf- und Leistungscharakter unterzugewichten.

Vgl. BayVGH, Urteil vom 24. August 2007 – 22 B 05.2870 -; VG Ansbach, Urteil vom 28. Oktober 2021 – AN 17 K 20.00907 -; Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 95. EL Mai 2021, § 1 18. BImSchV Rn. 27.

Auch unter Beachtung dieser Maßgaben im Zuge der Einzelfallprüfung, mithin hinsichtlich der tatsächlichen Zweckbestimmung der Anlagen, erweist sich die Einordnung als Sportanlage im Sinne der 18. BImSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung) zur Überzeugung des Gerichts als zutreffend. Die Kleinspielfelder wurden ausweislich der Stellungnahme der Beigeladenen vom 2. August 2024 bis zur Restrukturierung des Schulgeländes am Standort N.———-straße 0 für viele Jahre auch zum Zwecke des Schulsports genutzt.

Nach Abschluss der aktuell noch laufenden baulichen und organisatorischen Restrukturierung ist die Weiternutzung zum Schulsport im Wege einer Mitnutzung durch die am Standort neu angesiedelte Michael-Ende Schule von Seiten der beigeladenen Gemeinde konkret beabsichtigt. Dass sie darüber hinaus auch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in deren Freizeit genutzt werden, führt insbesondere angesichts ihrer objektiven Ausgestaltung (s.o.) im Zuge der Einzelfallprüfung nicht zwingend zu einer Einordnung als Freizeitlange im Sinne der sogenannten Freizeitlärmrichtlinie NRW. Denn auch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen nach Regeln, aber ohne organisatorischen Überbau und Ligabetrieb oder Schiedsrichter betriebenes Handball-, Basketball-, Fußball- oder Volleyballspiel, Spielen, die allesamt olympische Disziplinen sind und organisierten Vereinssport kennen, kann nach den vorstehenden Maßgaben Sport – Freizeitsport – im Sinne der Sportanlagenlärmschutzverordnung sein und grenzt sich nach seiner Ausgestaltung und einer auch in der bewussten körperlichen Ertüchtigung liegenden Zwecksetzung von nur auf kleinräumigen Feldern betriebenem Ballspiel von Kindern erkennbar ab. Dies gilt auch dann, wenn sich bei einer zukünftigen Nutzung überwiegend Jugendliche in ihrer Freizeit auf den Kleinspielfeldern sportlich betätigen werden, weil auch deren reine Freizeitsportnutzung auf den für regelkonformes Handball oder 6 vs. 6 bzw. 8 vs. 8-Fußball, Volleyball-, beziehungsweise Tennis- oder Basketballspiel objektiv geeigneten Kleinspielfeldern zur Überzeugung des Gerichts im hier vorliegenden Einzelfall (§ 108 Abs. 1 VwGO) einer sportlichen Betätigung kraft des Vorhandenseins von Regeln (z.B. Spielfeldaus, Zählen von Toren, Foulspiel mit Straf- und Freistoß etc.), des Zwecks der körperlichen Ertüchtigung Jugendlicher und der Ausgestaltung als Selbstzweck ohne produktive Absichten einer sportlichen Betätigung näher kommt als einer reinen Freizeitbetätigung. Soweit der Kläger anführt, die Anwendung derartiger allgemein anerkannter Regeln insbesondere des Fußballspiels erfolge auch – aber eben unter spielerischer Abwandlung (“drei Ecken – ein Elfer”) auf Bolzplätzen und genüge nicht, um die sportliche Betätigung über den Bereich der Freizeitbetätigung hinauszuheben, folgt das Gericht dem nach umfassender Prüfung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls insbesondere mit Blick auf die objektiv für organisierten Sport geeignete Ausgestaltung der Kleinspielfelder nicht. Insofern wird aufgrund der nachfolgend zum richterlichen Hinweis aus März 2024 zur Gerichtsakte gereichten, eingehenden ergänzenden Informationen zur objektiven Ausgestaltung des Multifunktionsfeldes an der im Hinweis zum Ausdruck gebrachten Auffassung nicht festgehalten.

Zutreffend ist auch die Einordnung der Pumptrack-Anlage als nach der Freizeitlärmrichtlinie NRW zu beurteilende Freizeit-, nicht Sportanlage i.S.d. 18. BImSchV. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Stellungnahme der Immissionsschutzbehörde des Beklagten Bezug genommen. Die auf Pumptrack-Anlagen erfolgenden körperlichen Betätigungen gehören nicht zu einem olympischen oder im weiteren Sinne organisierten Verbandssport und erfolgen auch nicht nach einem in vergleichbarer Weise zu reinem, wettkampffernen Freizeithandball, -volleyball oder -fußball ausgestaltetem Regelwerk. Sie sind daher der reinen, bewegungsorientierten Freizeitgestaltung zuzuordnen.

b) Der Umstand, dass das Gutachten S. 2019 weder anlagenbezogenen PKW-Verkehr noch die Verwendung von Bluetooth-Boxen zur Beschallung der Freizeitaktivität auf der Pumptrack-Anlage als Emissionsquellen in Rechnung gestellt hat, stellt die Plausibilität der Prognose nicht durchgreifend in Frage.

Soweit es die Nutzung von “Ghettoblastern” oder Bluetooth-Boxen zum lauten Musik hören auf dem Vorhabengrundstück betrifft, war diese bei Erstellung der Prognose nicht zugrunde zu legen. Maßgeblich für die Erstellung einer Schallimmissionsprognose im Baugenehmigungsverfahren kann nur die rechtmäßige bzw. bestimmungsgemäße Nutzung der beantragten Anlage sein (vgl. Nr. 1.1 Sportanlagenlärmschutzverordnung: “Den Sportanlagen sind folgende bei bestimmungsgemäßer Nutzung auftretende Geräusche zuzurechnen (…)”, Hervorhebung des Gerichts). Einer missbräuchlichen Nutzung der streitgegenständlichen Anlagen etwa durch permanente laute Musikbegleitung der Freizeitbewegung oder des Sports ist bei Vorliegen der Voraussetzungen von klägerischer Seite analog § 1004 BGB mit den Mitteln des baurechtlichen Unterlassungsanspruchs bzw. durch den Beklagten mit den Mitteln des Ordnungsrechts zu begegnen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. September 2023 – 10 B 812/23 -.

Sie wirkt sich nicht auf die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung aus.

Auch mit Blick auf die Einbeziehung etwaigen Verkehrslärms erweist sich die gutachtliche Prognose, dass die für ein Allgemeines Wohngebiet einzuhaltenden Immissionsrichtwerte eingehalten werden können, nicht als unplausibel im Sinne der vorstehenden Maßstäbe.

Soweit es sich bei den streitbefangenen Anlagen um Sportanlagen i. S. d. Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) handelt, also hinsichtlich der Kleinspielfelder, regelt diese die Berücksichtigung von Verkehrsimmissionen in ihrem Anhang 1 Nr. 1.1 d) und Nr. 1.1 Abs. 2. Demnach sind den Sportanlagen bei bestimmungsgemäßer Nutzung auftretende Geräusche, die von Parkplätzen auf dem Anlagengelände ausgehen, zuzurechnen. Verkehrsgeräusche einschließlich der durch den zu- und Abgang der Zuschauer verursachten Geräusche auf öffentlichen Verkehrsflächen außerhalb der Sportanlage durch das der Anlage zuzuordnende Verkehrsaufkommen sind bei der Beurteilung gesondert von den anderen Anlagengeräuschen zu betrachten und nur zu berücksichtigen, sofern sie nicht im Zusammenhang mit seltenen Ereignissen auftreten und im Zusammenhang mit der Nutzung der Sportanlage den vorhandenen Pegel der Verkehrsgeräusche rechnerisch um mindestens 3 dB(A) erhöhen.

Mit Blick auf die geringe Größe der Anlagen und deren praktische Nutzung für Freizeitsport sowie ggf. im Zuge des Schulsports erscheint es plausibel, dass im Gutachten (L. 1996, S. 11, 16 f., vgl. Bl. 42, 44 VV) die von den Anlagen zuzuordnenden Parkplätzen ausgehenden Lärmimmissionen mit betrachtet worden sind, nicht aber darüberhinausgehende Lärmimmissionen im Sinne der Nr. 1.1 Absatz 2 des Anhangs 1 der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV). Dies gilt insbesondere, weil nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) die einer – damals noch regelmäßig vorhandenen – schulischen Nutzung zuzurechnenden Teilzeiten im Sinne von Nr. 1.3.2.3 des Anhangs 1 außer Betracht zu lassen sind. Dies schließt nach der systematischen Stellung der Nr. 1.3.2.3 des Anhangs 1 die mit der schulischen Nutzung verbundenen, insoweit mit zu betrachtenden Parkplatz- und Verkehrsimmissionen ein.

Auch mit Blick auf die Schallimmissionsprognose zur nach der Freizeitlärmrichtlinie NRW zu beurteilenden Pumptrack-Anlage (S. 2019) ergibt sich mit Blick auf etwaige Verkehrsgeräusche nichts Anderes. Zwar stellt die Freizeitlärmrichtlinie auch insoweit strengere Voraussetzungen auf als die Sportanlagenlärmschutzverordnung, indem sie unter Nr. 3 Freizeitlärmrichtlinie NRW mit gewissen Einschränkungen auf die TA Lärm (6. BImSchV), dort insbesondere Nr. 7.4 verweist.

Nach Nr. 7.4 TA Lärm sind insbesondere Fahrzeuggeräusche auf dem Betriebsgrundstück sowie bei der Ein- und Ausfahrt, die in Zusammenhang mit dem Betrieb der Anlage entstehen, der zu beurteilenden Anlage zuzurechnen und zusammen mit den übrigen zu berücksichtigenden Anlagengeräuschen bei der Ermittlung der Zusatzbelastung zu erfassen und zu beurteilen. Vor dem Hintergrund, dass auf dem “Betriebsgrundstück” selbst – hier dem Vorhabengrundstück – bei bestimmungsgemäßer Nutzung, also insbesondere nicht etwa bei missbräuchlicher Nutzung des Pumptracks unter Verwendung von Mopeds oder Motorrollern, keine Fahrzeuggeräusche zu erwarten sind (vgl. S. 2019, Abschnitt 2, Einleitung und Abschnitt 6, Berechnungsgrundlagen, Bl. 61R und Bl. 64, 64R VV), erscheint es plausibel, dass der Gutachter diese nicht in seine Prognose einbezogen hat. Selbst wenn man die beim Einparken auf den unmittelbar an die öffentliche Straße angrenzenden Parkplätze auf dem Vorhabengrundstück als Fahrzeuggeräusche auf dem Betriebsgrundstück wertete, stellt deren Nichtberücksichtigung nicht ernstlich in Frage, dass das Gutachten sich “auf der sicheren Seite” befindet, mithin plausibel ist. Denn die errechneten Beurteilungspegel liegen auch am Immissionsort auf dem Grundstück des Klägers ca. 10 dB(A) unter den hierfür maßgeblichen Immissionsrichtwerten.

Geräusche des An- und Abfahrtsverkehrs hat der Gutachter plausibler Weise nicht in seine Prognose einbezogen, weil darauf gestützte Maßnahmen organisatorischer Art schon deshalb nicht greifen konnten, weil unmittelbar mit dem Abfahren von den auf dem Vorhabengrundstück unmittelbar an der Grundstücksgrenze liegenden Parkplätzen eine Vermischung mit dem übrigen Verkehr erfolgt.

c) Der Umstand, dass das Gutachten S. 2019 bei der Erstellung der Schallimmissionsprognose keine Vorbelastung durch die vorhandenen Kleinspielfelder berücksichtigt hat, zieht die Tauglichkeit der Prognose zur Überzeugung des Gerichts ebenfalls nicht durchgreifend in Zweifel.

Nach der zur Prognose von Immissionen durch die Pumptrack-Anlage maßgeblichen Freizeitlärmrichtlinie sind die Bestimmungen der TA Lärm (6. BImSchV) unter Berücksichtigung der besonderen Maßgaben der Freizeitlärmrichtlinie anzuwenden. Diese enthält in Nr. 3.2.1 Sätze 2 und 3 und am Ende der Nummer das im Gutachten – zutreffend – angewandte sog. Irrelevanzkriterium. Nach den vorstehenden Ausführungen zu den einbezogenen Emissionsquellen ist die gutachtliche Annahme auch im Sinne des obenstehenden Maßstabs plausibel, dass die Voraussetzungen des Irrelevanzkriteriums im vorliegenden Fall vorliegen, da die nach der vorstehenden Prüfung plausibel prognostizierten Beurteilungspegel die Immissionsrichtwerte der Freizeitlärmrichtlinie NRW für Allgemeine Wohngebiete an den betrachteten Immissionsorten auf dem klägerischen Grundstück um mehr als 6 dB(A) unterschreiten, nämlich um mindestens 8,4 dB(A) und höchstens 10,7 dB(A).

d) Auch die geltend gemachten “Ungenauigkeiten und Unklarheiten” führen nach den vorstehenden Maßstäben nicht dazu, dass das Gutachten S. 2019 für die Prognose der zu erwartenden Lärmimmissionen ungeeignet wäre. Das Gutachten befindet sich gerade auch mit Blick auf die nach Vorstehendem errechneten erheblichen Unterschreitungen der Immissionsrichtwerte vielmehr so deutlich “auf der sicheren Seite”, dass eine Überschreitung mit der nach § 108 Abs. 1 VwGO maßgeblichen für das praktische Leben genügenden, Zweifeln ohne sie ganz auszuschließen Schweigen gebietenden Gewissheit ausgeschlossen werden kann.

3. Die der Beigeladenen vom Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 14. Oktober 2022 ist auch nicht deshalb gegenüber dem Kläger rücksichtslos, weil sie mit Blick auf die tatsächliche Vollziehung ihrer Auflagen defizitäre Nebenbestimmungen enthielte.

Die Frage der Vollziehung der Auflagen zu Nutzungszeiten wirkt sich nicht unmittelbar auf die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung aus. Inhalt der Baugenehmigung muss grundsätzlich nur die immissionsschutzrechtlich zutreffende und nach plausiblen Gutachten praktisch realisierbare Beschränkung zulässiger Immissionen einschließlich etwaiger Nutzungszeiten sein, soweit dies erforderlich ist, um schädliche Umwelteinwirkungen auf die Nachbarschaft auszuschließen. Die streitgegenständliche Baugenehmigung enthält entsprechende Auflagen.

Maßnahmen zur Einhaltung dieser (vollstreckbaren, vgl. § 36 VwVfG NRW) Auflagen sind nicht Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens, sondern etwaiger (allgemeiner oder baurechtlicher) Ordnungsverfahren.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. September 2023 – 10 B 812/23 -.

Es obliegt auch grundsätzlich der Beigeladenen, nach eigenem Ermessen sicherzustellen, dass die entsprechenden Maßgaben der Baugenehmigung eingehalten werden. Dabei ist es unschädlich, wobei es nicht zwingend rechtlich erforderlich sein dürfte, wenn die Baugenehmigung insoweit – wie hier mit der Aufstellung von Hinweisschildern für die zulässigen Nutzungszeiten – bereits Vorgaben enthält. Wie bereits ausgeführt, können bei wiederholter missbräuchlicher Nutzung der genehmigten Anlagen von der Beigeladenen in entsprechender Anwendung von § 1004 BGB bei Vorliegen der Voraussetzungen des Anspruchs weitere Vollziehungsmaßnahmen wie etwa die Beauftragung eines Sicherheitsdienstes – soweit nicht schon erfolgt – etc. verlangt werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. September 2023 – 10 B 812/23 -.

Auf die hier allein streitgegenständliche Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung wirkt sich eine mögliche missbräuchliche und von der Genehmigung nicht erfasste Nutzung hingegen nicht aus.

OLG Brandenburg zu der Frage des Sicherungszwecks einer Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern

OLG Brandenburg zu der Frage des Sicherungszwecks einer Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern

vorgestellt von Thomas Ax

1. Sinn und Zweck der Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern ist es grundsätzlich, dass der Auftraggeber als Bürgschaftsgläubiger bei einem Scheitern der Vertragsdurchführung seine bis dahin noch nicht durch berechtigte Forderungen des Auftragnehmers verbrauchte Vorauszahlung sofort zurückerhält, ohne sich auf einen Streit über die Berechtigung der bisher geltend gemachten Forderungen einlassen zu müssen. Eine Vorauszahlungsbürgschaft sichert dementsprechend den Rückzahlungsanspruch, der sich für den Auftraggeber ergibt, wenn die Leistungen des Auftragnehmers die erbrachten Vorleistungen nicht abdecken.
2. Maßstab für die Frage, ob die tatsächlich erbrachten Werkleistungen den Umfang der Vorauszahlung abdecken, ist (hier) das Volumen des gesamten Auftrags einschließlich Nachträgen.
3. Für die Frage, ob der Auftraggeber die vom Bürgen ausgezahlte Bürgschaftssumme behalten darf, kommt es zeitlich darauf an, ob dem Auftraggeber im Zeitpunkt der Auszahlung ein entsprechender Anspruch auf Rückzahlung der Vorauszahlungen zustand.
4. Mängel können Rückerstattungsansprüche wegen einer Minderung des Werts des Werks begründen (hier verneint).
OLG Brandenburg, Urteil vom 08.11.2023 – 4 U 52/23 

Gründe:

I.

Die Beklagte war Gläubigerin einer Bürgschaft auf erstes Anfordern, auf deren Grundlage sie von der Bürgin Zahlungen erlangt hat. Die Klägerin nimmt die Beklagte – aus abgetretenem Recht der Bürgin – auf Rückzahlung der an sie aufgrund der Bürgschaft geleisteten Zahlung in Anspruch.

Die Beklagte als Generalübernehmerin beauftrage die (“Firma 01”) (im Folgenden (“Firma 01”)) am 09.10.2014 unter Einbeziehung der (“Firma 02”) mit der Fertigung und Montage von insgesamt 85 Balkonbrüstungen und -geländern an mehreren Mehrfamilienhäusern in (“Ort 01”) zum vorläufigen Netto-Auftragswert von 221.000 Euro. Entsprechend der vertraglichen Zahlungsvereinbarung der Werkvertragsparteien vom 08.10.2014 legte die (“Firma 01”) eine Bürgschaft auf erstes Anfordern über 100.000 Euro “für eine Vorauszahlung bis zur Tilgung der Vorauszahlung durch Anrechnung auf fällige Zahlungen” vor; wegen der Einzelheiten der Vereinbarung vom 08.10.2014 wird auf die Anlage K 2 (Bl. 45ff der Gerichtsakte) Bezug genommen. Die Beklagte zahlte ihr daraufhin einen Vorschuss in dieser Höhe aus. Gegenüber der Bürgin hatten sich zuvor die Klägerin und die (“Firma 01”) gesamtschuldnerisch verpflichtet, für die ihr aus der Bürgschaftsübernahme entstehenden Verbindlichkeiten einzustehen.

Die (“Firma 01”) begann in der Folgezeit mit der Herstellung der Bauteile. Im Dezember 2014 stimmte sie mit der Beklagten sowie dem von der Bauherrin eingesetzten Planungsbüro die Einbauhöhen der Brüstungen ab. Im Ergebnis sollte die Oberkante des Estrichaufbaus die für sie maßgebliche Fertigfußbodenhöhe darstellen – dies auch in Ansehung eines in Einzelfällen später darüber hinausgehenden Fußbodenniveaus und daraus möglicherweise resultierender Probleme mit der Einhaltung der bauordnungsrechtlich erforderlichen Brüstungshöhe.

Am 10.03.2015 einigten sich die Parteien des Bauvertrags über die Modifizierung des Auftrags sowie die Beauftragung von Nachträgen, in deren Ergebnis das Auftragsvolumen insgesamt 244.888,40 Euro betrug.

Davon entfielen 193.615,52 Euro auf den ursprünglichen Auftrag und 53.273,08 Euro auf Nachträge. Ferner verabredeten sie die Fertigstellung der ausstehenden Restarbeiten bis ca. Mitte der 13. Kalenderwoche des Jahres 2015. Der dem Protokoll beigefügte handschriftliche Zahlungsplan legt folgende Zahlungsziele fest:

“Zahlungsstand heute 150.000 Euro 10.03.2015

weitere Abschläge: 39.000 Euro 11.03.2015

28.000 Euro 18.03.2015

SR*28.000Euro 25.03.2015

245.000 Euro

Im Anschluss Teilenthaftung Bürgschaft

* in kompl. Höhe”

Im Rahmen der Besprechung wurden zudem Absprachen zum maximal möglichen Einkürzen der Befestigungsanker für die Brüstungsgeländer getroffen.

Auf Grundlage der Zahlungsvereinbarung vom 10.03.2015 zahlte die Beklagte sodann einen Betrag von 37.830 Euro (d.h. 39.000 Euro abzgl. 3 % Skonto) auf die 3. Abschlagsrechnung sowie – nach vorangegangener Statusfeststellung – 28.000 Euro auf die 4. Abschlagsrechnung der (“Firma 01”).

Im Ergebnis der genannten Statusfeststellung übermittelte die Beklagte der (“Firma 01”) am 26.03.2015 eine Auflistung der aufgenommenen Mängel/Restarbeiten und hielt mit Schreiben vom 27.03.2015 an der – bereits unter dem 25.03.2015 erfolgten – Nachfristsetzung für die Fertigstellung der Arbeiten bis zum 28.03.2015 fest. Auf die 5. Abschlagsrechnung vom 02.04.2015 über 27.000 Euro, welche einen Leistungsstand von 244.529,01 Euro auswies, leistete die Beklagte keine Zahlungen.

Mit E-Mail vom 09.04.2015 forderte die (“Firma 01”) die Abnahme ihrer Arbeiten und schlug einen Abnahmetermin für den 14.04.2015 vor. Die Beklagte erschien zu diesem Termin nicht und teilte mit E-Mail vom gleichen Tag mit, eine ordnungsgemäße Fertigmeldung – insbesondere auch bezüglich der am 26.03.2015 feststellten Mängel – liege bislang nicht vor; nach deren Eingang werde sie der (“Firma 01”) innerhalb einer angemessenen Frist einen Abnahmetermin vorschlagen.

Unter dem 24.04.2015 teilte die Beklagte der (“Firma 01”) unter Bezugnahme auf deren “Schlussrechnung vom 02.04.2015” und Darlegung der nach ihrer Auffassung bestehenden Gegenrechte mit, weitere Zahlungen endgültig abzulehnen und einen Betrag von 250.296,87 Euro (zurück)zufordern; hinsichtlich eines Teilbetrages von 100.000 Euro werde sie die Bürgschaft in Anspruch nehmen. Zu diesem Zweck forderte sie die Bürgin mit Schreiben vom gleichen Tag zur Zahlung auf.

Nachdem die Beklagte festgestellt hatte, dass einzelne Loggiengeländer bzw. Geländerteile von der (“Firma 01”) demontiert worden waren, erteilte sie deren Mitarbeitern mit E-Mail vom 28.04.2015 ein Hausverbot und wiederholte dies mit anwaltlichem Schreiben vom 30.04.2015. Unstreitig sind insgesamt die Handläufe an den Brüstungsgeländern von 16 Loggien abgebaut worden; über die Hintergründe besteht zwischen den Parteien Streit.

Am 19.05.2015 protokollierte auch die Bauherrin den Stand der Bauarbeiten und hielt zu den von der (“Firma 01”) geschuldeten Arbeiten u.a. fest, dass eine provisorische Sicherung des Handlaufs mittels einer Holzbohle vorgenommen worden sei.

Mit Schreiben vom 29.05.2015 erklärte die Beklagte schließlich die Kündigung des Bauvertrages und führte zur Begründung aus, die der (“Firma 01”) gesetzte Nachfrist zur Vertragserfüllung sei fruchtlos verstrichen.

Die Bauherrin stellte den Leistungsstand auf der Baustelle nochmals unter dem 08.01.2016 fest und vermerkte zu den der (“Firma 01”) übertragenen Arbeiten einen Leistungsstand von 100 % sowie die Feststellung, dass die Geländerkonstruktion an insgesamt 16 Balkonen entfernt worden sei, so dass die betroffenen Loggien bislang nicht zur Nutzung freigegeben werden könnten. Zudem wurde festgestellt, dass einige Loggien die bauordnungsrechtlich erforderlichen Geländerhöhen teilweise deutlich unterschreiten.

Nach zwischenzeitlich erfolgter Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der (“Firma 01”) legte deren Insolvenzverwalter sodann am 01.02.2016 Schlussrechnung über einen Gesamtbetrag von 248.792,80 Euro, die – nach Verrechnung der Vorauszahlung wie auch der auf die Abschlagsrechnungen erbrachten Zahlungen – mit einem offenen Saldo von 32.962,80 Euro abschloss.

Parallel dazu nahm die Beklagte die Bürgin mit Schreiben vom 24.04.2015 und nachfolgend in einem mit der Bürgin geführten Rechtsstreit auf Auszahlung der Vorauszahlungsbürgschaft in Anspruch. Das Landgericht Hannover wies die entsprechende Klage der hiesigen Beklagten mit Urteil vom 12.07.2016 ab. Zur Begründung führte es aus, dass das Vorgehen aus der Bürgschaft angesichts der zwischenzeitlich erfolgten Gesamtfertigstellung und Schlussrechnungslegung offensichtlich rechtsmissbräuchlich sei. Das Oberlandesgericht Celle hat die Bürgin demgegenüber mit Urteil vom 22.02.2017 zur Zahlung verurteilt; eine Rechtsmissbräuchlichkeit sei nicht offensichtlich, da der Restwerklohn nicht unstreitig und seine Höhe ohne nähere Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht feststellbar sei. Wegen des Charakters der Bürgschaft auf erstes Anfordern müsse die Bürgin leisten und sei auf das Rückforderungsverfahren zu verweisen. Die Bürgin zahlte daraufhin am 08.03.2017 insgesamt 107.723,03 Euro (davon 7.723,03 Euro Zinsen) an die Beklagte. Ihre ggf. bestehende Forderung auf Rückzahlung gegenüber der Beklagten trat sie am 03.08.2018 – nach einem zwischen ihr und der Klägerin geführten Rechtsstreit – an die Klägerin ab, welche die Abtretung am 16.08.2018 annahm und die Beklagte mit Schreiben vom 03.09.2018 u.a. zur Zahlung von 107.723,03 Euro aufforderte.

Auf dieser Grundlage geht die Klägerin mit ihrer am 27.11.2018 zugestellten Klage gegen die Beklagte vor.

Sie hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Beklagte habe den Bürgschaftsbetrag nebst Zinsen ohne Rechtsgrund erlangt. Da die (“Firma 01”) sämtliche Leistungen nach dem Bauvertrag im Gesamtwert von 248.792,80 Euro am 07.04.2015 vollständig und mangelfrei erbracht habe, habe sie den Vertrag erfüllt und die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung der Vorschusszahlung gehabt. Die fehlende Abnahme der Werkleistungen stehe dem nicht entgegen, da die Beklagte diese vereitelt habe. Die von der Beklagten eingewandten Mängel an den Leistungen der (“Firma 01”) bestünden nicht. So gelte hinsichtlich der von der Beklagten monierten Höhe einzelner Brüstungen, dass diese den vertraglich vereinbarten bzw. der (“Firma 01”) vorgegebenen Angaben entsprächen und damit mangelfrei seien. Soweit die Beklagte nunmehr Mängel in Bezug auf die Bolzenanker einwende, seien die geschilderten Symptome dem Gewerk Estrich/Fußboden zuzuordnen. Die Klägerin hat schließlich gemeint, ihr Rückzahlungsanspruch folge auch aus § 826 BGB, da sich die Beklagte die Besonderheiten der Bürgschaft auf erstes Anfordern in widerrechtlicher Weise zu Nutze gemacht und mit wissentlich falschen Behauptungen den Bürgschaftsfall konstruiert habe.

Die Beklagte hat demgegenüber im Wesentlichen geltend gemacht, die Vorauszahlung habe erst im Zeitpunkt der Abnahme mit dem dann fälligen und verdienten Restwerklohnanspruch der (“Firma 01”) verrechnet werden sollen. Die insoweit allein maßgeblichen Arbeiten auf den Hauptauftrag hätten das Stadium der Fertigstellung und damit der vertraglich vereinbarten Parameter für die Verrechnung der Vorauszahlungen auf den verdienten Werklohn indes zu keinem Zeitpunkt erreicht; es fehle zudem an einer Abnahme und einer prüfbaren Schlussrechnung. Leistungen seien – insbesondere im Hinblick auf die unstreitig fehlenden 16 Brüstungsgeländer – nicht in dem mit der Schlussrechnung vom 01.02.2016 ausgewiesenen

Umfang von 193.615,32 Euro, sondern allenfalls im Wert von 133.929,81 Euro erbracht worden. Dem Wert der tatsächlich erbrachten Leistungen stünden Gesamtzahlungen von 215.830,00 Euro gegenüber, woraus sich bereits eine deutliche Überzahlung ergebe. Die Nachtragspositionen im Gesamtwert von 55.177,58 Euro seien vollständig zu streichen. Teilweise sei schon nicht ersichtlich, welche Leistungen sich dahinter verbergen würden; teilweise bestreite sie die Erfüllung der abgerechneten Arbeiten mit Nichtwissen. Hilfsweise hat die Beklagte einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 100.044,10 Euro eingewandt, der sich u.a. aus einer ihr gegenüber seitens der Bauherrin erfolgten Vergütungskürzung in Höhe von 78.500 Euro (davon 44.800,53 Euro Ersatzvornahmekosten für die ordnungsgemäße Herstellung der 16 Loggien) zusammensetze.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage – nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Einvernahme von Zeugen zum Leistungsstand am 07.04.2015 – stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin könne die Rückzahlung der Bürgschaftssumme nebst Zinsen auf Grundlage von § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB verlangen. Den in der vorliegenden Konstellation einer Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern ihr obliegenden Beweis habe die Klägerin im Ergebnis der Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung der vorgelegten Dokumente geführt, denn danach stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die (“Firma 01”) am 07.04.2015 alle Leistungen aus dem Hauptauftrag vollständig erbracht habe. Seiner Überzeugungsbildung legte das Landgericht dabei neben den Leistungsstandfeststellungen der Bauherrin auch den Umstand zugrunde, dass die Beklage sich nicht dazu geäußert habe, wer wann die nach ihrem Vortrag fehlenden Leistungen der (“Firma 01”) zwischenzeitlich fertiggestellt habe. Mit der Zahlung auf die 4. Abschlagsrechnung und den handschriftlichen Korrekturen auf der 5. Abschlagsrechnung habe die Beklagte zudem konkludent den darin jeweils abgerechneten Leistungsstand anerkannt. Insbesondere aber stehe die vollständige Fertigstellung der Hauptleistung zum 07.04.2015 im Ergebnis der Aussagen der Zeugen fest. Danach seien die fehlenden 16 Brüstungsgeländer zunächst montiert und erst Ende April 2015 von der (“Firma 01”) zu Reparaturzwecken abmontiert und durch Holzhandläufe ersetzt worden, nachdem es nach dem 07.04.2015 zu Beschädigungen gekommen sei; die (“Firma 01”) habe diese Reparatur im Bemühen um ein Einlenken der Beklagten vorgenommen. Die erneute Montage der 16 Geländer sei nicht (mehr) der Fertigstellung der Bauleistung zuzuordnen. Ihre Demontage nach bereits erfolgter Fertigstellung könne allenfalls Schadensersatzansprüche gegen die (“Firma 01”) begründen, welche indes nicht vom Sicherungszweck der Vorauszahlungsbürgschaft erfasst seien. Ferner sei im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ersichtlich, dass die der Schlussrechnungslegung der (“Firma 01”) zugrunde gelegten Mengen und Massen fehlerhaft seien. Dahinstehen könne schließlich, ob die Balkonbrüstungen abnahmereif hergestellt gewesen seien, da die Parteien sich nach der von der Beklagten erklärten Kündigung im Zeitpunkt der Auszahlung der Bürgschaft im Abrechnungsverhältnis befunden hätten. Der hilfsweise eingewandte Schadensersatzanspruch der Beklagten sei unsubstantiiert; er stelle überdies eine unselbständige Position im Rahmen des Abrechnungsverhältnisses zwischen (“Firma 01”) und Beklagter dar und sei nicht als Hilfsaufrechnung zu werten. Ein Anspruch der Klägerin aus § 826 BGB bestehe demgegenüber nicht, da die seitens der Beklagten vorgenommene Bewertung der Leistungen der (“Firma 01”) jedenfalls möglich gewesen sei und deshalb keine Schädigungsabsicht nahelege.

Gegen das am 28.02.2023 verkündete Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.

Die Beklagte rügt mit ihrer Berufung die Verletzung materiellen Rechts wie auch ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. So sei zunächst die Annahme des Landgerichts unzutreffend, dass die Verrechnung der geleisteten Zahlungen und damit die Enthaftung der Bürgschaft bereits mit der Gesamtfertigstellung habe erfolgen sollen, denn zusätzliche Voraussetzung sei auch die Schlussrechnungslegung gewesen. Fehlerhaft habe das Landgericht ferner auf eine Fertigstellung am 07.04.2015 abgestellt, da es frühestens auf den Zeitpunkt der Geltendmachung der Bürgschaft am 24.04.2015 ankommen könne; maßgeblich sei vor dem Hintergrund des Sicherungszwecks aber tatsächlich der Zeitpunkt der Kündigung des Vertrages am 29.05.2015, der das Scheitern der Vertragsdurchführung dokumentiere und zu welchem noch ein Anspruch auf Erfüllung im Hinblick auf die 16 Handläufe bestanden habe. Darüber hinaus sei der Beweis für eine mangelfreie Fertigstellung am 07.04.2015 von der Klägerin nicht geführt worden. Die Auffassung des Landgerichts, mit der Zahlung der Abschlagsrechnungen gehe ein Anerkenntnis hinsichtlich des erbrachten Leistungsstandes einher, lasse den vorläufigen Charakter entsprechender Zahlungen außer Acht. Rechtsfehlerhaft sei ferner die Feststellung, wonach der Beklagten keine Rückzahlungsansprüche in Höhe von 81.900,18 Euro wegen der nur teilweise erbrachten Leistungen zugestanden hätten. Die Angaben des Zeugen (“Name 01”) zu den erbrachten Massen seien unglaubwürdig, der Vortrag der Beklagten zu den Abzügen nicht ausreichend gewürdigt worden. Soweit es das Bestehen von Mängeln in Bezug auf Brüstungshöhe und Halterungsbolzen dahinstehen lasse, verkenne das Landgericht, dass am 07.04.2015 insoweit noch Erfüllungs- und nicht Mängelbeseitigungsansprüche bestanden hätten. Soweit das Landgericht schließlich Schadensersatzansprüche der Beklagten in Höhe von 100.044,10 Euro verneine, habe es die Darlegungslast überspannt und es im Übrigen an einem Hinweis zur Notwendigkeit weiteren Vortrags fehlen lassen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung insoweit und erklärt nochmals, die (“Firma 01”) sei zur Verrechnung der Vorauszahlung bereits mit Erbringung aller Bauleistungen am 07.04.2015 berechtigt gewesen.

Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Berufung vor, sie sei durch die Feststellung des Landgerichts beschwert, dass ein Anspruch aus § 826 BGB nicht bestehe, denn diese könnte einer Verurteilung der Beklagten im Parallelrechtsstreit über den Ersatz der durch die Bürgschaftsinanspruchnahme entstandenen Schäden (4 U 96/22) entgegen stehen. In Ansehung der Feststellungen zum tatsächlich erbrachten Leistungsstand der (“Firma 01”) sei es zudem ausgeschlossen, das Vorgehen der Beklagten nicht als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung einzuordnen. Die Beklagte habe einen Prozessbetrug zu Lasten der Klägerin begangen, indem sie wider besseren Wissens absichtlich vorgetragen habe, die (“Firma 01”) habe ihre Bauleistungen nicht vollständig erbracht, um sich auf diese Weise die Bürgenleistung zu verschaffen.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Landgerichts Potsdam, 13 O 298/18, abzuändern, soweit darin festgestellt wird, dass sich der Anspruch der Klägerin nicht aus § 826 BGB ergebe und

2. festzustellen, dass sich der mit dem Tenor des Urteils unter Ziffer 1. festgestellte Anspruch der Klägerin auch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB und § 823 BGB i.V.m. § 263 StGB ergibt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung, soweit ein deliktischer Anspruch der Klägerin darin abgelehnt wird.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, während dem Rechtsmittel der Klägerin der Erfolg versagt bleibt.

A.

Die Berufung der Beklagten ist erfolgreich, allerdings nur soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Rückzahlung eines über 100.000 Euro hinausgehenden Betrages wendet.

Der Klägerin steht ein Anspruch aus abgetretenem Recht auf Rückzahlung des aufgrund der Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern am 08.03.2017 von der Bürgin an die Beklagte gezahlten Betrages auf Grundlage von §§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt, 398 BGB allein in dieser Höhe zu.

I. Die Beklagte hat durch die Zahlung der Bürgin auf die Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern einen Betrag in Höhe von insgesamt 107.723,03 Euro erlangt, der sich aus der Bürgschaftssumme von 100.000 Euro und aus dem der Beklagten mit Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 22.02.2017 zugesprochenen Verzugszinsen seit dem 28.04.2015 zusammensetzt.

II. Diese Leistung der Bürgin ist in Höhe von 100.000 Euro ohne rechtlichen Grund im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt BGB erfolgt, denn insoweit liegt kein (Rechts-)Grund vor, aufgrund dessen die Beklagte den an sie ausgezahlten Betrag behalten darf (zum Behaltendürfen als maßgeblicher Bedeutung des Tatbestandsmerkmals “ohne rechtlichen Grund”: MüKoBGB/Schwab, 8. Aufl. 2020, BGB § 812 Rn. 417; Martinek/Heine in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, PK-BGB, 10. Aufl., § 812 BGB (Stand: 01.02.2023), Rn. 32). Ein allein als rechtliche Grundlage für ein Behaltendürfen der Zahlung in Betracht kommender Anspruch der Beklagten auf Inanspruchnahme der Vorauszahlungsbürgschaft bestand im Zeitpunkt der Auszahlung der Bürgschaftssumme am 08.03.2017 nicht.

Im Einzelnen:

1. Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob die Beklagte einen Anspruch auf Inanspruchnahme der Bürgschaft hatte, bilden die insoweit getroffenen Vereinbarungen der Parteien des Bauvertrages.

a) Sinn und Zweck der Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern ist es grundsätzlich und so auch hier, dass die Gläubigerin bei einem Scheitern der Vertragsdurchführung ihre bis dahin noch nicht durch berechtigte Forderungen der Auftragnehmerin verbrauchte Vorauszahlung sofort zurückerhält, ohne sich auf einen Streit über die Berechtigung der bisher geltend gemachten Forderungen einlassen zu müssen (BGH, Urteil vom 21.04.1988 – IX ZR 113/87 -, Rn. 17). Eine Vorauszahlungsbürgschaft sichert dementsprechend den Rückzahlungsanspruch, der sich für den Auftraggeber ergibt, wenn die Leistungen des Auftragnehmers die erbrachten Vorleistungen nicht abdecken (BGH, Urteil vom 06.05.1999 – IX ZR 430/97 -, Rn. 7; Urteil des Senats vom 16.12.2009 – 4 U 44/09 -, Rn. 21).

Verbürgte Hauptschuld ist danach ein etwaiger Anspruch der Beklagten gegen die (“Firma 01”) auf Rückgewähr der im Oktober 2014 geleisteten Vorauszahlung in Höhe von 100.000 Euro.

b) Eine Vereinbarung, wonach nur bestimmte der von der (“Firma 01”) im Rahmen der Fertigung und Montage von insgesamt 85 Balkonbrüstungen und -geländern an mehreren Mehrfamilienhäusern in (“Ort 01”) zu erbringenden Bauleistungen mit der Vorauszahlung vergütet werden sollten, haben die Parteien nicht getroffen.

aa) Sie haben vielmehr bestimmt, dass die Vorauszahlung erst bei der abschließenden Abrechnung der Bauarbeiten zu verrechnen war. Dies gilt sowohl für die ursprüngliche Zahlungsvereinbarung vom 08.10.2014, wonach die 1. und 2. Abschlagsrate die Vorauszahlung jeweils unberührt lassen sollte, als auch für die – nach der Zahlung der 1. Abschlagsrate getroffene – Zahlungsvereinbarung vom 10.03.2015, wonach eine “Teilenthaftung der Bürgschaft'” erst im Anschluss an die dort vereinbarten Abschlagszahlungen und die auf die Schlussrechnungslegung zu zahlende Schlussrate erfolgen sollte. Die Bürgschaft erstreckt sich damit nicht unmittelbar auf die geleistete Vorauszahlung, sondern erfasst bei Vorliegen eines negativen Schlussrechnungssaldos nur den hieraus noch besicherten Anteil aus geleisteten Vorauszahlungen.

Soweit die Klägerin mit nachgelassenem Schriftsatz vom 13.10.2023 behauptet, weder im Zuge der Verhandlungen des Bauvertrages noch mittels der Vereinbarung vom 10.03.2015 sei vereinbart worden, dass die (“Firma 01”) zu einer Verrechnung der Bürgschaftssumme erst mit der Schlussrechnungslegung berechtigt gewesen sei, steht diese Behauptung bereits im deutlichen Widerspruch zum dargelegten Wortlaut der schriftlichen Zahlungsvereinbarungen vom 08.10.2014 und 10.03.2015, ohne diesen aufzuklären, und ist deshalb unerheblich. Die klägerischen Ausführungen verkennen überdies, dass die unstreitig erfolgte Berücksichtigung der Vorauszahlung als numerische Größe im Rahmen der Rechnungslegung zu den Abschlagsforderungen – namentlich um das Verhältnis der bei der (“Firma 01”) bereits eingegangenen Zahlungen zu den von ihr erbrachten Leistungen zu ermitteln und den daraus resultierenden Rechnungssaldo abzubilden – keine Auswirkung auf die davon getrennt zu betrachtende rechtliche Frage hat, zu welchem Zeitpunkt die Verrechnung auch ein Erlöschen des Anspruchs der Beklagten auf Rückzahlung der Vorauszahlung zur Folge habe sollte. Dass der Rückzahlungsanspruch bereits im Zeitpunkt der Fertigstellung des Werks untergehen sollte und sein Schicksal damit weder von einer Abnahme der Werkleistung noch von der Fertigung einer Schlussrechnung abhängig sein sollte, ist den genannten Vereinbarungen – wie dargelegt – gerade nicht zu entnehmen.

Einer weiteren Sachverhaltsaufklärung zu den von der Klägerin behaupteten Verrechnungsabreden bedarf es im Übrigen auch deshalb nicht, weil der Erfolg ihrer Rückforderungsklage aus den nachfolgend dargelegten Gründen nicht davon abhängt, ob der Rückzahlungsanspruch der Beklagten bereits am 07.04.2015 oder erst zu einem späteren Zeitpunkt vor Auszahlung der Bürgschaftssumme durch die Bürgin erloschen ist.

bb) Maßstab für die Frage, ob die tatsächlich erbrachten Werkleistungen den Umfang der Vorauszahlung abdecken, ist nach den Vereinbarungen der Parteien des Bauvertrages zudem das Volumen des gesamten der (“Firma 01”) erteilten Auftrages mit einem Leistungsumfang von zuletzt rund 245.000 Euro.

Soweit das Landgericht demgegenüber davon ausgeht, der “Verbrauch” der Vorauszahlung sei allein anhand der auf den ursprünglichen Auftrag entfallenden Leistungen zu ermitteln, welche infolge der Vereinbarung der Bauvertragsparteien vom 10.03.2015 lediglich noch zu einem Wert von 193.615,32 Euro geschuldet waren, hat es außer Acht gelassen, dass die nach dem ursprünglichen Auftrag und den Nachträgen geschuldeten Leistungen jeweils gleichermaßen der einheitlichen Fertigstellung des Bauvorhabens “Fertigung und Montage von 85 Balkonbrüstungen und -geländern” dienten und die Nachträge deshalb für den von der (“Firma 01”) insgesamt geschuldeten Erfolg nicht hinweg gedacht werden können. Es handelte sich gerade nicht um Nachträge, welche einer getrennten Leistungsfeststellung und -abrechnung zugänglich gewesen wären.

Dafür spricht nicht zuletzt der von den Bauvertragsparteien am 10.03.2015 zusammen mit der verbindlichen Vereinbarung der Nachträge verabredete Zahlungsplan für die insgesamt anfallende Vergütung, wonach eine Enthaftung der Vorauszahlungsbürgschaft nicht vor Erbringen der gesamten zur Herstellung der Balkonbrüstungen und -geländer erforderlichen Leistungen in Höhe von rund 245.000 Euro erfolgen sollte.

2. Daran gemessen bestand ein Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung der von ihr geleisteten Vorauszahlung bei Auszahlung der Bürgschaftssumme durch die Bürgin am 08.03.2017 nicht, denn der (“Firma 01”) stand aufgrund der von ihr erbrachten Leistungen ein zu diesem Zeitpunkt fälliger Werklohnanspruch zu, der die Summe der von der Beklagten geleisteten Abschlags- und Vorauszahlungen überstieg.

a) Dabei ist zunächst festzustellen, dass für die Frage des Behaltendürfens auf Grundlage von § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt BGB in zeitlicher Hinsicht allein maßgeblich ist, ob die Beklagte am 08.03.2017 einen Anspruch auf Rückzahlung der Vorauszahlungen hatte, d.h. in dem Zeitpunkt, in dem ihr die Zahlung der Bürgin tatsächlich zugeflossen ist.

Dahinstehen kann mithin, ob die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Vorauszahlungsbürgschaft zu einem davor liegenden Zeitpunkt vorlagen. Es bedarf deshalb insbesondere keiner Entscheidung, ob die Beklagte in Ansehung der von den Parteien des Bauvertrags am 09.10.2014 und 10.03.2015 getroffenen Verrechnungsabreden bei erstmaliger Aufforderung zur Auszahlung der Bürgschaft gegenüber der Bürgin am 24.04.2015 schon deshalb einen auf die Vorauszahlung gerichteten Rückzahlungsanspruch gehabt haben könnte, weil zu diesem Zeitpunkt die erst am 01.02.2016 erstellte Schlussrechnung der (“Firma 01”) als formale Voraussetzung für eine Verrechnung der Vorauszahlung mit dem Werklohnanspruch noch nicht vorlag.

b) Der (“Firma 01”) stand am 08.03.2017 ein Werklohnanspruch in einer Höhe zu, welche die Summe der von der Beklagten bis dahin geleisteten Zahlungen von 215.830 Euro (115.830 Euro als Abschlagszahlungen und 100.000 Euro als Vorauszahlung) auch dann überstieg, wenn man den Umstand anspruchsmindernd berücksichtigt, dass an 16 der insgesamt 85 Loggien die Brüstungsgeländer sowie an einer dieser Loggien zusätzlich der – die Glasplatten in der Metallkonstruktion haltende – untere Metallgurt nicht (mehr) montiert waren.

aa) Die in der Schlussrechnung vom 01.02.2016 benannte Gesamtvergütung für ihre Arbeiten in Höhe von 248.792,80 Euro und damit den unter Berücksichtigung der geleisteten Abschlags- und Vorauszahlungen noch offenen Saldo von 32.962,80 Euro konnte die (“Firma 01”) in Ansehung der nicht vollständig erbrachten Leistung dann zwar nicht in voller Höhe beanspruchen. Der für die 16 fehlenden Brüstungsgeländer sowie den fehlenden unteren Metallgurt vorzunehmende Abzug hat indes offensichtlich nicht zur Folge, dass der Vergütungsanspruch unter den Betrag der beklagtenseits (einschließlich der Vorauszahlung) bereits zuvor geleisteten Zahlungen von 215.830 Euro sinkt.

(1) So sind – anders als die Beklagte meint – bei der Ermittlung der der (“Firma 01”) zustehenden Vergütung für erbrachte Leistungen die 16 betroffenen Loggien nicht insgesamt unberücksichtigt zu lassen und damit lediglich eine Vergütung für 69 Loggien anzusetzen, denn von dem Gesamtvorhaben mit einem Volumen von 245.000 Euro für insgesamt 85 Balkonbrüstungskonstruktionen nebst Verglasung sind allein 16 Handläufe als oberer Abschluss der betroffenen Konstruktionen und ein unterer Metallgurt nicht montiert wurden. Diese erreichen erkennbar weder in ihrem Materialwert noch hinsichtlich des Wertes der damit verbundenen Montageleistungen einen Umfang, der dem Anteil der Herstellung von 16 kompletten Balkonkonstruktionen an der geschuldeten Gesamtleistung entspricht.

Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass die Bauherrin die betroffenen 16 Loggien in ihrer Leistungsstandfeststellung vom 08.01.2016 als nicht nutzbar eingestuft hatte. Diese Einschätzung stellt lediglich eine weder durch rechtliche Regelungen noch durch bautechnische Expertise unterlegte Bewertung der Bauherrin selbst dar, die zudem unberücksichtigt lässt, dass als provisorische Handläufe Holzbohlen montiert wurden, die ein Abstürzen der Glasfüllelemente ebenso verhindern wie eine Verletzung der Nutzer der Loggien.

(2) Als Anhaltspunkt für den auf die nicht erbrachten Leistungen der (“Firma 01”) entfallenden Anteil an der Gesamtvergütung kann ferner nicht der Betrag von 44.500,83 Euro dienen, der ausweislich eines von der Beklagten vorgelegten Angebots die Kosten der Ersatzvornahme betrifft.

Unabhängig von der Frage, ob die Kosten einer Ersatzvornahme überhaupt geeignet sein können, den Wertanteil einer nicht erbrachten Leistung an der Vergütung des ursprünglich beauftragten Werkunternehmers zu bemessen, scheidet eine solche Bemessung jedenfalls hier aus. Das vorgelegte Angebot (vgl. Anlage B 15, Bl. 411 der Akte) umfasst nämlich nicht lediglich die im Rahmen der eigentlichen Erfüllung des Auftrags anfallenden Kosten, sondern beinhaltet auch kostenintensive darüber hinausgehende Arbeiten (bspw. das Auftrennen der Holmrahmen, das Einschweißen von Neuteilen etc.).

Diese Ersatzvornahmeleistungen summieren sich infolgedessen in ihrem Wert auf einen Anteil von 18 % der von der (“Firma 01”) geforderten Gesamtvergütung und gehen damit erkennbar über den Anteil der nicht erbrachten Leistungen an der vereinbarten Vergütung hinaus.

(3) Ob der auf die nicht erbrachten Leistungen entfallende Vergütungsanteil demgegenüber lediglich mit den vom Zeugen (“Name 01”) im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Landgericht unter Bezugnahme auf die Urkalkulation errechneten 5.081,00 Euro anzusetzen ist, kann letztlich offen bleiben. Denn es unterliegt keinem Zweifel, dass der Wert der noch nicht erbrachten Leistungen den Betrag von 32.962,80 Euro – d.h. den noch offenen Schlussrechnungssaldo der (“Firma 01”), welcher rund 13 % des Gesamtwerts der Leistungen umfasst – nicht erreicht und damit im Umkehrschluss am 08.03.2017 ein über die seitens der Beklagten bereits erbrachten Abschlags- und Vorauszahlungen von insgesamt 215.830 Euro hinausgehender Werklohnanspruch der (“Firma 01”) für die tatsächlich erbrachten Leistungen bestand, der einem Rückzahlungsanspruch der Beklagten hinsichtlich der Vorauszahlung entgegen stand.

Die von der Beklagten mit ihren Berechnungen vorgenommene weitergehende Kürzung von Vergütungspositionen, insbesondere hinsichtlich der Mengen und Massen, vermögen an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Zum einen sind die von der Beklagten angesetzten Mengen und Massen weder rechnerisch noch in Anbetracht des Umstandes nachvollziehbar, dass sowohl ihre eigene Leistungsstandfeststellung vom 28.04.2015 als auch die Leistungsstandfeststellungen der Bauherrin vom 19.05.2015, vom 19.11.2015 und vom 08.01.2016 lediglich das Fehlen der 16 Brüstungsgeländer und eines Metallgurtes zum Ergebnis hatten. Die Kürzung einzelner Schlussrechnungsposition um rund 30 % kann mithin bereits dann nicht überzeugen, wenn das Fehlen der gesamten Geländerkonstruktion in Rede stünde, und deshalb erst recht nicht nachvollzogen werden, wenn wie hier nur jeweils ein Teil von 16 Geländerkonstruktionen fehlt. Zum anderen lassen die Berechnungen der Beklagten jegliche Auseinandersetzung mit der der Schlussrechnung vom 01.02.2016 anliegenden Tabelle und den dortigen Maßangaben vermissen, welche wiederum mit den von der (“Firma 01”) gefertigten und der Beklagten ausgehändigten Revisionsplänen in Übereinstimmung stehen.

(4) Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass die Beklagte auch die Erbringung weiterer Leistungen – insbesondere der am 10.03.2015 beauftragten Nachträge sowie einzelner Leistungspositionen aus dem ursprünglichen Auftrag – in Abrede gestellt hat, denn ihr entsprechendes Vorbringen ist angesichts der von den Parteien des Bauvertrags getroffenen Abreden und der mit der Schlussrechnung vorgelegten Unterlagen der (“Firma 01”) unerheblich.

So haben die Parteien des Bauvertrages ausweislich der am 10.03.2015 getroffenen Vereinbarung umfangreiche Absprachen sowohl zum Inhalt der zu diesem Zeitpunkt größtenteils bereits erbrachten und damit zweifelsohne auch erforderlichen Nachtragsleistungen als auch zu den auf die Einzelleistungen jeweils entfallenden Vergütungsanteile getroffen; diese finden sich in der Schlussrechnung der (“Firma 01”) in der vereinbarten Höhe wieder.

Dass die Nachträge oder auch einzelne Leistungen des ursprünglichen Auftrages tatsächlich nicht erbracht worden seien, hat die Beklagte schon nicht substantiiert dargelegt, nachdem sämtliche der vorgenannten Leistungsfeststellungen der Bauherrin wie auch der Beklagten selbst lediglich das Fehlen der 16 Brüstungsgeländer und eines Metallgurtes zum Ergebnis hatten.

bb) Der Annahme eines über 215.830 Euro hinausgehenden Vergütungsanspruchs der (“Firma 01”) stehen schließlich keine Mängel an den von ihr erbrachten Leistungen entgegen, welche Rückerstattungsansprüche wegen einer Minderung des Wertes des Werks der (“Firma 01”) begründen könnten (vgl. hierzu OLG Stuttgart, Urteil vom 19.09.2017 – 10 U 48/15 -, Rn. 246).

(1) Soweit die Beklagte unter Inbezugnahme der Leistungsstandfeststellung vom 08.01.2016 beanstandet, dass die Höhe einzelner Balkonbrüstungen den bauordnungsrechtlichen Vorschriften nicht genügt, vermag dieser Umstand keine Mangelhaftigkeit der Leistungen der (“Firma 01”) zu begründen, nachdem diese die Montage der Balkonbrüstungen den Vereinbarungen mit der Beklagten entsprechend ausgeführt hatte. So hatte die Beklagte der (“Firma 01”) im Ergebnis eines Austauschs zu der bereits Ende des Jahres 2014 diskutierten Frage, wie der möglichen Unterschreitung der bauordnungsrechtlich zulässigen Brüstungshöhen zu begegnen sei, mit E-Mail vom 22.12.2014 mitgeteilt, dass die Ausführung der Balkonbrüstungen gemäß der (ursprünglichen) Planung alternativlos sei, da Änderungen in der höhenmäßigen Ausrichtung einzelner Brüstungen die Ansicht auf die Fassade zerstören würde. Die Beklagte hatte weiter mitgeteilt, dass Anpassungen zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Brüstungshöhe vielmehr im Bereich des Fußbodenaufbaus vorzunehmen seien und/oder die Möglichkeiten der Baurechtsauslegung ausgeschöpft werden müssten.

(2) Ferner stellt die von der Beklagten monierte Durchdringung der Regenwasserablaufrinnen durch die Befestigungsanker für die Balkonbrüstungen keinen Mangel der Leistungen der (“Firma 01”) dar. Vielmehr ist diese Problematik ausweislich des Ergebnisprotokolls der Besprechung vom 10.03.2015 dahingehend geklärt worden, dass die (“Firma 01”) mitteilt, bis zu welcher Höhe die Gewindeanker ohne Probleme für die damit befestigten Balkonbrüstungen eingekürzt werden können. Anhaltspunkte dafür, dass die Gewindeanker weiter hätten eingekürzt werden können oder müssen, als von der (“Firma 01”) vorgegeben und in der Folgezeit – von ihr selbst oder einem Dritten – ausgeführt, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Die sich im Bereich der Ablaufrinnen zeigenden Probleme beruhen damit jedenfalls nicht auf einer mangelhaften Leistung der (“Firma 01”).

cc) Angesichts des danach jedenfalls über den Betrag von 215.830 Euro hinausgehenden Vergütungsanspruchs der (“Firma 01”) kann mithin dahinstehen, ob die (“Firma 01”) am 08.03.2017 auch für die 16 Brüstungsgeländer eine Vergütung beanspruchen konnte.

Die insoweit maßgeblichen Fragen, ob die Leistungen der (“Firma 01”) bereits am 07.04.2015 fertiggestellt waren und im Zeitpunkt der Demontage der 16 Brüstungsgeländer am 24.04.2015 die Vergütungsgefahr gemäß § 644 Abs. 1 Satz 1 BGB bereits auf die Beklagte zu 1 übergegangen war, weil entweder eine Abnahmefiktion – etwa gemäß § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F. – greift, die Beklagte zu 1 sich angesichts des mit E-Mail der (“Firma 01”) vom 09.04.2015 geäußerten Abnahmeverlangens am 24.04.2015 mit der Abnahme der Leistungen im Verzug befand (§ 644 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 12 Abs. 1 VOB/B) oder sich jedenfalls nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf den fehlenden Gefahrübergang berufen darf, bedürfen deshalb keiner Entscheidung.

c) Der Vergütungsanspruch der (“Firma 01”) war am 08.03.2017 schließlich auch fällig.

aa) Einer Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung bedurfte es nicht, da spätestens mit der – noch nach der Kündigung des Bauvertrags durch die Beklagte – erfolgten Schlussrechnungslegung durch den Insolvenzverwalter der (“Firma 01”) endgültig feststand, dass in dem in Rede stehende Werkvertragsverhältnis keine Leistungen der (“Firma 01”) mehr erbracht werden sollten, sondern dieses lediglich noch abgerechnet werden sollte und damit ein sog. Abrechnungsverhältnis entstanden war.

bb) Die Schlussrechnung vom 01.02.2016 war – anders als die Beklagte meint – in Ansehung der ihr zum Beleg der abgerechneten Mengen und Massen beigefügten tabellarischen Übersicht über die ausgeführten Balkone einerseits und der der Beklagten bereits vor Baubeginn übersandten Revisionsplanung mit detaillierten Maßangaben zu den verschiedenen Balkontypen andererseits auch prüffähig.

d) Schließlich bedarf auch die Frage keiner Entscheidung, ob der Beklagten Gegenrechte in Gestalt von Schadensersatzansprüchen zustanden, da solche – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – nicht vom Sicherungszweck der Vorauszahlungsbürgschaft erfasst sind und deshalb deren Inanspruchnahme nicht zu rechtfertigen vermögen.

III. Soweit die Bürgin der Beklagten am 08.03.2017 neben dem Bürgschaftsbetrag auch Zinsen in Höhe weiterer 7.723,03 Euro ausgezahlt hat, ist die Leistung dagegen mit rechtlichem Grund im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt BGB erfolgt.

Der Beklagten stand einen Anspruch auf Zahlung der Prozesszinsen in dieser Höhe aus § 291 BGB gegenüber der Bürgin zu, nachdem diese die von ihr nach dem rechtskräftigen Urteil des Oberlandesgerichts Celle geschuldete Zahlung aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern in Höhe von 100.000 Euro nicht unmittelbar nach der entsprechenden Aufforderung der Beklagten, sondern erst nach Durchführung des gerichtlichen Verfahrens geleistet hat.

Aus § 819 Abs. 1 BGB folgt entgegen der mit nachgelassenem Schriftsatz vom 13.10.2023 dargelegten Auffassung der Klägerin nicht anderes, da die von dieser Regelung vorgesehene verschärfte Haftung nur im Fall des rechtsgrundlosen Empfangs einer Leistung zur Anwendung kommt.

IV. Der Zinsanspruch der Klägerin hinsichtlich der 100.000 Euro beruht auf § 291 BGB, da es an einer vorgerichtlichen Inverzugsetzung der Beklagten nach erstmaliger Geltendmachung des Rückforderungsbetrages mit Schreiben vom 03.09.2018 fehlte.

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den Mangel des rechtlichen Grundes bereits bei Empfang des Geldes am 08.03.2017 positiv kannte und deshalb die Voraussetzungen des § 819 Abs. 1 BGB vorliegen, hat die Klägerin nicht dargetan (siehe dazu auch nachfolgend unter B.).

B.

Das Rechtsmittel der Klägerin bleibt ohne Erfolg.

I. Das als Berufung bezeichnete Rechtsmittel der Klägerin ist nur insoweit statthaft, als mit ihm erkennbar zugleich die Erklärung verbunden ist, zumindest eine Anschlussberufung einlegen zu wollen.

1. Das eigenständige Rechtsmittel der Berufung ist nicht statthaft, da es der Klägerin an der notwendigen Beschwer fehlt, nachdem das Landgericht ihrem Klageantrag vollumfänglich stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 107.723,03 Euro verurteilt hat.

Für die Bestimmung der Beschwer ist nämlich regelmäßig und so auch hier allein darauf abzustellen, ob die angegriffene Entscheidung zum Nachteil des Rechtsmittelführers von den von ihm gestellten Anträgen abweicht (BGH, Urteil vom 20.07.1999 – X ZR 175/98 -, Rn. 9). Dies ist erkennbar nicht der Fall.

Der Umstand, dass das Landgericht hier nur einen Anspruch der Klägerin aus § 812 BGB und nicht auch einen solchen aus § 826 BGB bejaht hat, vermag demgegenüber keine Beschwer zu begründen. Eine solche kann nämlich nicht allein daraus abgeleitet werden, dass die Entscheidung unerwünschte oder fehlerhafte Ausführungen enthält, sich als greifbar gesetzwidrig darstellt oder mit einer anderen als der gewünschten Begründung ergeht (BeckOK ZPO/Wulf, 49. Ed. 1.7.2023, ZPO § 511 Rn. 12).

Eine Beschwer ist schließlich auch nicht wegen eines vermeintlichen Präjudizes für das von der Klägerin betriebene Parallelverfahren 4 U 96/22 ersichtlich, da in jenem – wegen der im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Forderung von 107.723,03 Euro nur gegen die Geschäftsführerin der Beklagten und den bei ihr angestellten Bauleiter gerichteten – Verfahren das Bestehen der dort jeweils geltend gemachten Ansprüche allein aufgrund des dort vorgetragenen Lebenssachverhalts geprüft wird.

2. Das Rechtsmittel der Klägerin ist indes als Anschlussberufung nach § 524 Abs. 1 ZPO statthaft, da diese keine eigene Beschwer voraussetzt (Musielak/Voit/Ball, 20. Aufl. 2023, ZPO § 524 Rn. 10). Die Anschlussberufung ist zudem innerhalb der für den Beklagten laufenden Berufungsfrist und damit zugleich innerhalb der von § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO bestimmten Frist eingegangen. Es ist der Klägerin im Rahmen der Anschlussberufung ferner möglich, ihre erstmals mit der Berufung gestellten Feststellungsanträge geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2007 – V ZR 210/06 -, Rn. 13 m.w.N.).

3. Die mit der Anschlussberufung verbundene Erweiterung der klägerischen Anträge um den Antrag, festzustellen, dass sich der vom Landgericht Potsdam festgestellte (Rückzahlungs-)Anspruch auch aus einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB sowie aus § 823 BGB i.V.m. § 263 StGB ergibt, und die damit einhergehende Klageänderung ist zulässig, da der behauptete Anspruch aus unerlaubter Handlung auf dieselben Tatsachen gestützt wird, wie der Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, § 533 Nr. 2 ZPO.

4. Auch der Feststellungsantrag selbst begegnet keinen Bedenken.

Die Antragstellung der Klägerin ist – ungeachtet der Aufgliederung in zwei Ziffern – einheitlich dahin auszulegen, dass die Klägerin die Feststellung begehrt, dass ihre Forderung gegen die Beklagte aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung resultiert.

Bei der begehrten Feststellung handelt es sich um ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 ZPO (BGH, Urteil vom 21.12.2021 – VI ZR 457/20 -, Rn. 8 m.w.N.).

Das Feststellungsinteresse der Klägerin folgt aus dem in § 393 BGB normierten Verbot, gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung aufzurechnen, und ihrem berechtigten Interesse, diesen Forderungsgrund ergänzend bereits im Erkenntnisverfahren feststellen zu lassen. § 393 BGB gilt zudem – anders als § 302 InsO – auch für eine juristische Person, die für die vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung eines verfassungsmäßig berufenen, in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen tätig werdenden Vertreters nach § 31 BGB haftet (BGH, Urteil vom 21.12.2021, aaO, Rn. 10 m.w.N.).

II. Die Anschlussberufung ist indes unbegründet. Die Klägerin hat weder einen Anspruch wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung nach § 826 BGB gegen die Beklagte, die sich entsprechende Handlungen ihrer Geschäftsführerin nach § 31 BGB zurechnen lassen muss (dazu unter 1.), noch einen Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 263 StGB (dazu unter 2.) und damit auch keinen Anspruch auf die Feststellung, ihr unter A. dargelegter Zahlungsanspruch beruhe (auch) auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung.

1. Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, diesem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

a) Das hier in Rede stehende Erschleichen wie auch der Missbrauch eines rechtskräftigen Titels stellen eine wichtige Fallgruppe der sittenwidrigen Schädigung dar und vermögen – in besonders schwerwiegenden, eng begrenzten Ausnahmefällen – einen Anspruch auf Schadensersatz zu begründen, namentlich dann, wenn (1.) der in Rede stehende Titel (objektiv) unrichtig ist, (2.) der Titelgläubiger dies weiß und (3.) besondere, verwerfliche Umstände hinzutreten (BeckOGK/Spindler, 1.5.2023, BGB § 826 Rn. 145). Letztere liegen etwa vor, wenn die klagende Partei das staatliche Verfahren zur Schädigung der Gegenpartei oder Dritter missbraucht, etwa indem sie – wie im Falle des Prozessbetrugs oder des Erschleichens gerichtlicher Handlungen – das Verfahren mit unlauteren Mitteln betreibt, welche die Art und Weise der Prozesseinleitung oder -durchführung als sittenwidrig prägen (vgl. BGH, Urteil vom 25.03.2003 – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269-275, Rn. 17 ff. – unter ausführlicher Herleitung der insoweit maßgeblichen Überlegungen für den strengen Ausnahmecharakter).

b) Daran gemessen ist ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten bei Betreiben des Rechtsstreits zur Inanspruchnahme der Bürgin aus der Vorauszahlungsbürgschaft nicht festzustellen.

aa) Der von der Beklagten in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Celle erwirkte Titel gegen die Bürgin ist zwar objektiv unrichtig, da ihr aus den oben unter A. dargelegten Gründen ein Anspruch auf Rückzahlung ihrer an die (“Firma 01”) geleisteten Vorauszahlung von 100.000 Euro spätestens seit dem Zugang der Schlussrechnung vom 01.02.2016 nicht zustand.

Die Beklagte kannte auch alle Umstände, die dazu führten, dass die von der (“Firma 01”) erbrachten und damit zu vergütenden Leistungen in ihrem Wert die beklagtenseits geleisteten Abschlags- und Vorauszahlungen in Höhe von 215.830 Euro überstiegen, und damit einer Berechtigung ihres Klagebegehrens entgegen standen.

Zweifelhaft erscheint indes schon, ob sie daraus auch den Schluss gezogen hat, nicht zur Forderung der 100.000 Euro berechtigt gewesen zu sein.

bb) Jedenfalls sind keine besonderen Umstände zu erkennen, die sich aus der Art und Weise der damaligen Prozesseinleitung und -führung durch die Beklagte ergeben und diese als sittenwidrig prägen könnten.

aaa) Nichts anderes folgt aus dem klägerischen Vorwurf, die Beklagte hätte im Bürgschaftsprozess wider besseren Wissens unwahr zum Leistungsstand vorgetragen – namentlich wahrheitswidrig eine nicht vollständige und nicht mangelfreie Leistungserbringung der (“Firma 01”) behauptet – und auf diese Weise das Gericht getäuscht, um unter Ausnutzung der bei der Inanspruchnahme einer Bürgschaft auf erstes Anfordern bestehenden Prozesserleichterungen (vgl. zu diesen Erleichterungen die ständige Rechtsprechung des BGH, wonach eine materielle Berechtigung zur Inanspruchnahme der Bürgschaft auf erstes Anfordern grundsätzlich im etwaigen Rückforderungsprozess zu klären ist und im Prozess auf Auszahlung deshalb nicht dargelegt und bewiesen werden muss, wenn nicht Anhaltspunkte für eine unzulässige Rechtsausübung bestehen, bereits BGH, Urteil vom 21.04.1988 – IX ZR 113/87 -, Rn. 16) die an die (“Firma 01”) gezahlten 100.000 Euro zurückzuerhalten und auf diese Weise ihr eigenes Profitstreben zu verwirklichen.

bbb) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist aus dem Prozessverhalten der Beklagten weder der zwingende Schluss zu ziehen, diese habe den Bürgschaftsprozess mit dem Bewusstsein oder gar dem Ziel betrieben, die Bürgin (oder die (“Firma 01”) und die Klägerin, welche dieser gegenüber hafteten) zu schädigen oder sich auf deren Kosten widerrechtlich zu bereichern, noch sind Anhaltspunkte ersichtlich, welche die Prozesseinleitung und -führung als verwerflich erscheinen lassen.

(1) Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Verhalten der Beklagten aus Sicht der Klägerin Anhaltspunkte für deren Auffassung bieten kann, die Beklagte habe den Bürgschaftsfall mit wissentlich falschen Behauptungen zum Stand der von der (“Firma 01”) erbrachten Leistungen wie auch dem daraus resultierenden Bestand von gegen den Werklohnanspruch gerichteten Rechten konstruiert und sei zu diesem Zweck den Abnahmeterminen am 02.04.2015 und 14.04.2015 ferngeblieben.

(2) Die klägerische Auffassung lässt jedoch den – für die Bewertung einer Sittenwidrigkeit ihres Verhaltens maßgeblichen – Blickwinkel der Beklagten auf das Gesehen im April 2015 und danach außer Acht.

So stand – unstreitig – einer Abnahme der Leistungen der (“Firma 01”) am 02.04.2015 bereits entgegen, dass deren Leistungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig erbracht waren; auch die Klägerin behauptet eine Fertigstellung erst für den 07.04.2015. Hinsichtlich der Abnahme am 14.04.2015 handelte es sich um einen bloßen Terminvorschlag der (“Firma 01”), nicht jedoch um einen gemeinsam vereinbarten oder von der Beklagten im weiteren Verlauf bestätigten Termin.

Für die Beklagte hatte sich die Situation im Weiteren so dargestellt, dass es sich bei der Demontage der Brüstungsgeländer um eine Reaktion der (“Firma 01”) auf ihr Schreiben vom 24.04.2015 handelte, mit dem sie im Hinblick auf eine von ihr vorgelegte Gegenrechnung über u.a. Kosten für die unstreitig eingetretene Bauverzögerung eine Überzahlung der Klägerin behauptet und die Inanspruchnahme der Bürgschaft angekündigt hatte. Diese Demontage hatte die (“Firma 01”) unstreitig weder angekündigt noch sich auf das ihren Mitarbeitern gegenüber erteilte Hausverbot zu den Hintergründen geäußert. Im Ergebnis konnte aus Sicht der Beklagten die von der (“Firma 01”) erbrachte Werkleistung nicht (mehr) als vollständig erbracht gelten.

Eine Verwerflichkeit des Beklagtenvorgehens im Vorprozess folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte dem mit der Schlussrechnung vom 01.02.2016 dargestellten Vergütungsanspruch der (“Firma 01”) nicht lediglich das Fehlen der 16 Brüstungsgeländer entgegen gehalten hat. Denn ihre darüber hinausgehenden Einwendungen waren keinesfalls fingiert, sondern hatten – wenn auch im Ergebnis der obigen Ausführungen zu Unrecht – die ihr selbst von der Bauherrin in Bezug auf die Loggien entgegen gehaltenen Mängel zum Gegenstand. Dies betrifft sowohl die bloße Sicherung der 16 von der Demontage der Brüstungsgeländer betroffenen Loggien mittels Holzbohlen, aus der die Bauherrin eine fehlende Nutzbarkeit der Loggien ableitete, als auch die Mängelbehauptungen hinsichtlich der Brüstungshöhe und der Durchdringung der Regenwasserablaufrinnen durch die von der (“Firma 01”) montierten Befestigungsanker für die Balkonbrüstungen.

Eine Täuschungsabsicht insoweit kann auch nicht im Hinblick darauf angenommen werden, dass die hinsichtlich der Brüstungshöhen und der Regenwasserablaufrinnen behauptete Mangelhaftigkeit der von der (“Firma 01”) erbrachten Leistung bereits angesichts der hierzu jeweils getroffenen und mittels E-Mails aus Ende Dezember 2014 sowie dem Besprechungsprotokoll vom 10.03.2015 belegten Absprachen ausscheiden musste. Denn jedenfalls ist nicht auszuschließen, dass die Beklagte schlicht den Überblick über die getroffenen Absprachen verloren hatte, weil sie sich – wie die Klägerin selbst wiederholt erklärt hat – mit der Betreuung des umfangreichen Bauvorhabens übernommen hatte.

(3) Hinsichtlich der Einwendungen im Übrigen – d.h. der behaupteten Schadensersatzansprüche wegen Bauzeitverzögerungen etc. – scheidet ein bewusst unwahrer Vortrag der Beklagten im Vorprozess zudem schon deshalb aus, weil ihre letztlich auf einer Verkennung der Reichweite des Sicherungszwecks der Vorauszahlungsbürgschaft beruhende (Fehl-)Vorstellung, ihr Recht dem durch die Schlussrechnung ausgewiesenen Vergütungsanspruch auch nicht mängelbezogene Einwendungen entgegen halten zu können, wirke sich auch auf ihren Anspruch aus der Vorauszahlungsbürgschaft aus, nicht von vornherein als gänzlich abwegig und damit gleichsam aus der Luft gegriffen erscheint. Eine vertiefte inhaltliche Prüfung war der hiesigen Beklagten insoweit nicht abzuverlangen, da ein Kläger grundsätzlich nicht verpflichtet ist, vor Klageerhebung sorgfältig in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht die sachliche Berechtigung seines Begehrens zu prüfen oder gar seine Interessen gegen die des jeweiligen Beklagten abzuwägen (BGH, Urteil vom 25.03.2003 – VI ZR 175/02 -, BGHZ 154, 269-275, Rn. 19).

Hinzu tritt, dass die Verteidigung gegen den im Vorprozess von der Bürgin erhobenen Missbrauchseinwand offenbar auch insoweit auf anwaltlichen Rat und damit dem Ergebnis einer rechtlichen Prüfung erfolgte.

Anhaltspunkte dafür, dass die der Gegenrechnung der Beklagten zugrunde gelegten (Schadensersatz-)Positionen schon dem Grunde nach unter keinem Gesichtspunkt bestehen konnten und demzufolge allein mit der als verwerflich einzustufenden Absicht einer Schädigung der Bürgin konstruiert worden sein können, hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin auch im Ergebnis der hierzu erfolgten Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht vortragen.

(4) Der Annahme eines bewusst unwahren Vortrags mit dem Ziel der Schädigung der Bürgin zugunsten des eigenen Profitstrebens der Beklagten steht schließlich auch der Umstand entgegen, dass der Beklagten – wie bereits ihre rechtlichen Ausführungen in der Berufung vor dem Oberlandesgericht Celle verdeutlichen – die rechtliche Situation wohl bewusst war, nach der die im Vorprozess zu ihren Gunsten bestehenden prozessualen Erleichterungen im zu erwartenden Rückforderungsprozess gerade nicht greifen würden. Ihr war damit auch erkennbar klar, dass mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Celle keine endgültige Entscheidung hinsichtlich des Verbleibs der in Rede stehenden 100.000 Euro verbunden sein würde und deshalb unwahrer Vortrag ihr keinen dauerhaften Vorteil oder “Profit” verschaffen können würde.

2. Für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB fehlt es danach jedenfalls an einer vorsätzlichen Täuschung des Gerichts über den Umfang der Gegenrechte, welche die Beklagten dem Vergütungsanspruch der (“Firma 01”) entgegen halten kann.

OLG Brandenburg zu der Frage, dass ein Mangel selbst dann vorliegt, wenn die Ursache der fehlenden Funktionstauglichkeit auf der vom Besteller erstellten Planung beruht, sich der Unternehmer aber von seiner Haftung befreien kann, wenn die Ursache der fehlenden Funktionstauglichkeit nicht in seiner Sphäre liegt und dies dann der Fall ist, (1) wenn der Unternehmer seinen Prüfungs- und Hinweispflichten nachgekommen ist, (2) wenn keine Hinweispflicht besteht, weil er die Ungeeignetheit der Planung bei der gebotenen Prüfung mit dem von ihm erwartenden Fachwissen nicht erkennen kann oder (3) wenn im Einzelfall feststeht, dass der unterlassene Hinweis sich nicht ausgewirkt hat

OLG Brandenburg zu der Frage, dass ein Mangel selbst dann vorliegt, wenn die Ursache der fehlenden Funktionstauglichkeit auf der vom Besteller erstellten Planung beruht, sich der Unternehmer aber von seiner Haftung befreien kann, wenn die Ursache der fehlenden Funktionstauglichkeit nicht in seiner Sphäre liegt und dies dann der Fall ist, (1) wenn der Unternehmer seinen Prüfungs- und Hinweispflichten nachgekommen ist, (2) wenn keine Hinweispflicht besteht, weil er die Ungeeignetheit der Planung bei der gebotenen Prüfung mit dem von ihm erwartenden Fachwissen nicht erkennen kann oder (3) wenn im Einzelfall feststeht, dass der unterlassene Hinweis sich nicht ausgewirkt hat

vorgestellt von Thomas Ax

1. Ein Gefälle von 0,9% unterschreitet die maßgebenden Vorschriften für genutzte Terrassen und begründet daher einen Mangel wegen Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik.
2. Es steht den Parteien frei, im Einzelfall von einer anerkannten Regel der Technik abzuweichen. An eine solche Beschaffenheitsvereinbarung “nach unten” sind wegen des damit einhergehenden Verzichts auf eine übliche Beschaffenheit strenge Anforderungen zu stellen. Sie kann nur angenommen werden, wenn der Besteller das damit einher gehende Risiko kannte. Der Besteller ist, selbst wenn er sachkundig sein sollte, umfassend über die Risiken und denkbaren Folgen der Bauausführung aufzuklären.
3. Im Werkvertragsrecht wird auch ein funktionstaugliches und zweckentsprechendes Werk im Sinne einer Erfolgshaftung geschuldet. Fehlt dem Werk die Funktionstauglichkeit, so ist es auch dann nicht mangelfrei, wenn es ansonsten der Leistungsbeschreibung und der vereinbarten Ausführungsart genügt.
4. Ein Mangel liegt selbst dann vor, wenn die Ursache der fehlenden Funktionstauglichkeit auf der vom Besteller erstellten Planung beruht. Allerdings kann sich der Unternehmer von seiner Haftung befreien, wenn die Ursache der fehlenden Funktionstauglichkeit nicht in seiner Sphäre liegt. Dies ist dann der Fall, (1) wenn der Unternehmer seinen Prüfungs- und Hinweispflichten nachgekommen ist, (2) wenn keine Hinweispflicht besteht, weil er die Ungeeignetheit der Planung bei der gebotenen Prüfung mit dem von ihm erwartenden Fachwissen nicht erkennen kann oder (3) wenn im Einzelfall feststeht, dass der unterlassene Hinweis sich nicht ausgewirkt hat.
5. Unverhältnismäßig sind die Kosten für die Beseitigung eines Werkmangels nur dann, wenn der damit in Richtung auf die Beseitigung des Mangels erzielte Erfolg oder Teilerfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür gemachten Geldaufwandes steht.
6. Dem Besteller obliegt es grundsätzlich, dem Unternehmer zuverlässige Pläne und Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Bedient er sich für die ihm obliegenden Planungsaufgaben eines Architekten, ist dieser sein Erfüllungsgehilfe im Verhältnis zum Bauunternehmer, so dass der Besteller für das Verschulden des Architekten einstehen muss. Dies gilt jedoch nicht für ein etwaiges Überwachungsverschulden des Architekten.
7. Die vollständige Ausführungsplanung beinhaltet die zeichnerische Darstellung des Objekts mit allen für die Ausführung notwendigen Einzelangaben, so dass auf Grundlage der ausführungsreifen Ausführungsplanung zunächst Leistungspositionen beschrieben sowie Mengen und Massen ermittelt werden können und schließlich auch die Bauausführung durch einen Unternehmer ermöglicht wird.
OLG Brandenburg, Urteil vom 10.10.2024 – 10 U 80/23
vorhergehend:
LG Neuruppin, 30.03.2023 – 1 O 265/14

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten zu 1) wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 30. März 2023 (Az. 1 O 265/14) teilweise abgeändert und in Bezug auf die Beklagte zu 1) wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) insoweit erledigt hat, als die Beklagten zu 1) als Gesamtschuldnerin mit der Beklagten zu 3) verurteilt worden ist, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 12.500,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. November 2015 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) als Gesamtschuldnerin mit der Beklagten zu 3) verpflichtet ist, alle über den Betrag von 12.500,00 Euro hinausgehenden Kosten zu tragen, die für die Mängelbeseitigung im Zusammenhang mit der Herstellung eines ordnungsgemäßen Gefälleestrichs am Gebäude M.-straße … in … V. entstehen, wobei für die Beklagte zu 1) die Einschränkung gilt, dass sie für diese weiteren Kosten jeweils nur zu 1/3 haftet.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen

von den bis zum 15. Juni 2015 einschließlich angefallenen Gerichtskosten: der Kläger 46,7 %, der Beklagte zu 2) 3,2 %, die Beklagte zu 3) 37,6 % und die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner 12,5 %;

von den nach dem 15. Juni 2015 angefallenen Gerichtskosten: der Kläger 48 %, die Beklagte zu 3) 39 % und die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner 13 %;

von den bis zum 15. Juni 2015 einschließlich angefallenen außergerichtlichen Kosten des Klägers: der Beklagte zu 2) 3,2 %, die Beklagte zu 3) 37,6 % und die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner 12,5 %;

von den nach dem 15. Juni 2015 angefallenen außergerichtlichen Kosten des Klägers: die Beklagte zu 3) 39 % und die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner 13 %;

von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1): der Kläger 61,7 %;

von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3): der Kläger 41,3 %.

Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 33 % und die Beklagte zu 1) zu 67 %.

4. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

5. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 21.900,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger ist Eigentümer eines Hausgrundstücks in der M.-straße … in V.. Er beabsichtigte, die an seinem Haus befindliche Terrasse mittels Verlegung von Natursteinbelag zu modernisieren. Dazu beauftrage der Kläger im Jahr 2010 die Beklagte zu 3) als Planerin sowie unterschiedliche Gewerke mit der Sanierung der Terrasse. Die Beklagte zu 1) übernahm neben Rohbau- und Abbrucharbeiten die Herstellung eines “Gefälleestrichs”.

Der mit Versäumnisurteil vom 15. Juni 2015 rechtskräftig verurteilte Beklagte zu 2) ist nur noch wegen der Kosten am Verfahren beteiligt.

Der Kläger hat behauptet, der Estrich sei nicht mit dem erforderlichen Gefälle versehen und deshalb von der Beklagten zu 1) mangelhaft hergestellt worden. Als Mangelfolge könne Regenwasser auf der Terrasse nicht abfließen; es sammle sich dort, was zu unschönen Kalkausblühungen auf den Platten geführt habe. Nach der Sanierungsplanung des von dem Kläger außergerichtlich eingeholten Privatgutachtens betragen die voraussichtlich anfallenden Mangelbeseitigungskosten, die der Kläger zuletzt im Wege des Kostenvorschusses geltend gemacht hat, insgesamt 63.564,54 Euro. Davon lasse sich der Kläger gegenüber der Beklagte zu 1) einen Mitverschuldensanteil von 50 % wegen des dem Kläger zuzurechnenden Planungsverschuldens der Beklagten zu 3) in Abzug bringen.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. die Beklagten zu 1) und 3) gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 31.782,27 Euro an den Kläger zu verurteilen, nebst Zinsen aus 21.495 Euro seit 30. November 2015 sowie aus weiteren 10.287,27 Euro seit Rechtshängigkeit;

2. die Beklagte zu 3) darüber hinaus zur Zahlung weiterer 31.782,27 Euro an den Kläger zu verurteilen, nebst Zinsen aus 21.495 Euro seit 30. November 2015 sowie aus weiteren 10.287,27 Euro seit Rechtshängigkeit;

3. festzustellen, dass die Beklagten zu 1) und 3) gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, alle über diese Beträge hinausgehenden Kosten zu tragen, die für die Mängelbeseitigung im Zusammenhang mit der Herstellung eines ordnungsgemäßen Gefälleestrichs, der Herstellung einer dazu passenden Treppenanlage vor der Terrasse, der ggf. zu entfernenden Glasbrüstung der Terrasse sowie der Beseitigung von Putzmängeln nebst dazugehöriger Nebenarbeiten und Nebenleistungen am Gebäude M.-straße … in … V. entstehen; für die Beklagte zu 1) gilt insoweit die Einschränkung, dass sie für diese weiteren Kosten jeweils nur zu 50 % haftet;

4. die Beklagte zu 3) zu verurteilen, weitere 4.735,58 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 2. August 2017 zu bezahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 1) hat die Auffassung vertreten, dass kein Mangel vorliege, weil die Parteien eine entsprechende Beschaffenheit (geringes Gefälle) vereinbart haben. Die Beklagte zu 1) habe unter Berücksichtigung des Höhenfixpunktes fachgerecht und entsprechend des ihr erteilten Auftrages gearbeitet. Der Kläger könne den Mangel, der insbesondere auf die Arbeiten des unverständlicher Weise nicht in Anspruch genommenen Dachdeckers F. und des Plattenlegers R. zurückzuführen sei, aufgrund der erfolgten Abnahme und wegen der zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Kenntnis des Mangels nicht mehr geltend machen. Es fehle auch an weiteren Voraussetzungen für den geltend gemachten Vorschussanspruch, da die Beklagte nicht zur Mangelbeseitigung aufgefordert worden sei. Zudem wendet die Beklagte zu 1) ein, dass sie für zahlreiche Positionen der klägerischen Forderung nicht hafte, weil die dort angesprochenen Mängel nicht mit ihrem Gewerk zusammenhingen.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird ergänzend auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht hat zur Frage der Mangelhaftigkeit des von der Beklagten zu 1) hergestellten Estrichs Beweis erhoben durch Einholung des Sachverständigengutachtens des Herrn S. vom 30. August 2016 nebst dessen schriftlichen Ergänzungen vom 26. März 2019, vom 24. Juli 2020 und vom 6. Mai 2022 sowie dessen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2023. Es hat zudem mit Beschluss vom 6. Mai 2021 darauf hingewiesen, dass die vom Parteigutachter des Klägers, Herrn J., im Sanierungskonzept vorgestellte Mangelbeseitigungsvariante die einzige Variante sei, die für den Kläger eine zumutbare und den vertraglichen Grundlagen entsprechende Mängelbeseitigung darstelle.

Im Ergebnis hat das Landgericht die Beklagte zu 1) gesamtschuldnerisch mit der Beklagte zu 3) verurteilt, an den Kläger 18.750,00 Euro nebst Zinsen zu zahlen, sowie die gesamtschuldnerische Einstandspflicht der Beklagte zu 1) und 3) für darüber hinaus gehende Mängelbeseitigungskosten festgestellt, die mit einer ordnungsgemäßen Herstellung des Gefälleestrichs in Zusammenhang stehen, wobei die Beklagte zu 1) nur zu 50 % hafte. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass dem Kläger gegen die Beklagte zu 1) ein Kostenvorschussanspruch nach § 637 Abs. 3 BGB zustehe. Der von der Beklagten zu 1) hergestellte Estrich mit einem Gefälle von 0,9 % sei nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen S. mangels Einhaltung der nach den anerkannten Regeln der Technik erforderlichen Neigung von 3 % mangelhaft. Diese Regeln gelten unabhängig von der Vereinbarung der Parteien, jedenfalls soweit der Unternehmer auf die Risiken, die bei deren Nichteinhaltung entstehen, den Besteller nicht hingewiesen habe. Ein solcher Bedenkenhinweis der Beklagten zu 1) sei hier nicht erfolgt. Der Kläger habe den Mangel auch nicht erkennen können (§ 640 Abs. 3 BGB). Die Beklagte zu 1) sei mit Schreiben vom 27. März 2012 zudem zur Mängelbeseitigung aufgefordert worden, habe diese jedoch abgelehnt.

Der Höhe nach sei der Kostenvorschuss entsprechend den vom Sachverständigen S. festgestellten voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten zzgl. eines Aufschlags wegen der Kostensteigerung zu beziffern. Des Weiteren habe der Kläger einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für das vom Kläger eingeholte Parteigutachten J., welche das Landgericht auf 2.500,00 Euro geschätzt hat. Die sich daraus ergebende Summe von insgesamt 37.500,00 Euro sei um den Verschuldensanteil der Beklagten zu 3) i.H.v. 50 %, den sich der Kläger anrechnen lassen müsse, zu kürzen, was eine Forderung des Klägers gegen die Beklagte zu 1) von insgesamt 18.750,00 Euro ergebe.

Dagegen wendet sich die Beklagte zu 1) mit ihrer auf Klageabweisung gerichteten Berufung, mit der sie im Wesentlichen ihre erstinstanzlichen Einwendungen wiederholt. Das Landgericht habe zu Unrecht zu Lasten der Beklagten zu 1) angenommen, dass ein Mangel vorliege, ebenso dass dieser ursächlich für die klägerseits angetragenen Sanierungskosten sei. Die Beklagte zu 3) habe dem Beklagten zu 1) wegen der vorhandenen örtlichen Gegebenheiten und den Wünschen des Klägers vorgegeben, dass die Stärke des aufzubringenden Betonestrichs im unteren Bereich 4 cm als technisch erforderliche Mindeststärke zu betragen habe und an der an dem Gebäude anliegenden Seite der Rohdecke aber nur eine Aufbauhöhe von 7 cm haben dürfe. Nach dem Planungskonzept der Beklagten zu 3) sollte nämlich unter Berücksichtigung der weiteren Aufbauhöhe der über dem Estrich liegenden Bauteile das Niveau der Eingangsschwelle zur Terrassentür nicht überschritten werden. Bei einem Gefälle von 3 % hätte die Beklagte zu 1) diese Vorgaben nicht einhalten können. Gleichwohl habe der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) den geschäftsführenden Gesellschafter der Beklagten zu 3), Herrn G., darauf hingewiesen, dass, sofern ein Gefälle erzeugt werden soll, bei dieser gewünschten Ausführungsart nur ein solches entsteht, welches unterhalb der üblichen Neigung liege und welche Konsequenzen dieses unter bestimmten Umständen haben könne. Dennoch sei das Nachtragsangebot vom 8. Juni 2010 unter Zugrundelegung der verbindlichen Skizze B1.2 beauftragt und die Leistung der Beklagten zu 1) (nach minimaler Nachbesserung an der Ablaufrinne) vorbehaltlos abgenommen und bezahlt worden. Die aufgetretenen Mängel seien den Folgegewerken (Dachdecker und Plattenleger) zuzuschreiben. Daher habe der Sachverständige S. auch einen Verursachungsanteil von 50 % bei der Beklagten zu 3) und jeweils 25 % beim Dachdecker und Fliesenleger verortet. Die Beklagte zu 1) sei nach der DIN 18195-5 und der Flachdachrichtlinie nicht verpflichtet gewesen, überhaupt ein Gefälle bzw. ein Gefälle über 1 % herzustellen. Vielmehr sei durch eine ordnungsgemäße Abdichtung ein etwaiger Schadenseintritt durch stehendes Wasser zu verhindern gewesen. Jedenfalls bestehe zwischen dem zu geringen Gefälle und den Ausblühungen auf den Natursteinplatten kein Kausalzusammenhang. Selbst bei einem Gefälle von 3 % wäre es zu den Ausblühungen gekommen, welche u.a. auf das vom Plattenleger hergestellte Zementbett und auf die durch den verwendeten Zementmörtel hervorgerufene Verstopfung des Ablaufs zurückzuführen sei. Das Landgericht habe zudem den Ausschlussgrund nach § 640 Abs. 3 BGB verkannt. Die begehrte Mangelbeseitigung sei auch unverhältnismäßig. Der Kläger erleide außer den Grauschleiern auf den Platten keinerlei Beeinträchtigung und nutze die Terrasse seit 2010 uneingeschränkt. Die optische Beeinträchtigung durch die Ausblühungen sei durch Anwendung chemischer Reinigungsmittel leicht behebbar. Die Natursteinplatten unterliegen ohnehin der Verwitterung, so dass selbst die Reinigungskosten als Sowieso-Kosten zu qualifizieren seien. Die im Rahmen von § 287 ZPO vorgenommene Schätzung der Anspruchshöhe durch das Landgericht sei nicht rechtsfehlerfrei vorgenommen worden. Dem Kläger habe es darüber hinaus oblegen, auch den Dachdecker und Plattenleger in Anspruch zu nehmen. Dieser habe bisher nicht offengelegt, ob er seitens dieser Gewerke bereits Zahlungen erhalten hat.

Die Beklagte zu 3) hat den vom Landgericht ausgeurteilten Betrag einschließlich des Klageantrags zu 1) vollständig gezahlt. Infolge dessen hat der Kläger den Rechtsstreit im Hinblick auf den Antrag zu 1) erster Instanz in der Fassung des landgerichtlichen Urteils im Verhältnis zu der Beklagten zu 1) für erledigt erklärt. Die Beklagte zu 1) hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.

Die Beklagte zu 1) beantragt,

das Schlussurteil des Landgerichts Neuruppin vom 30. März 2023, AZ 1 O 265/14, mit der Maßgabe abzuändern, dass die Klage gegen die Beklagte zu 1) insgesamt abgewiesen wird.

Der Kläger beantragt zuletzt sinngemäß,

die Berufung der Beklagten zu 1) insgesamt zurückzuweisen, mit der Maßgabe, dass die Erledigung des ursprünglichen Klageantrags zu 1) erster Instanz in der Fassung des landgerichtlichen Urteils im Verhältnis zur Beklagten zu 1) festgestellt wird.

Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Verweis auf seinen erstinstanzlichen Vortrag. Insbesondere könne der Kläger die Terrasse wegen der nach Regen eintretenden Rutschgefahr und der Gefahr von Frostschäden nicht einschränkungslos nutzen. Es gehe daher nicht nur um die Beseitigung der Ausblühungen. Der Ausschluss nach § 640 Abs. 3 BGB greife nicht, da, soweit die Beklagte zu 3) die Werkleistung begutachtet haben sollte, sich dabei lediglich um eine technische Abnahme, nicht um eine rechtsgeschäftliche Abnahme im Sinne von § 640 BGB gehandelt habe. Es sei außerdem Charakteristik der Gesamtschuld und damit allein Sache des Gläubigers, welchen von mehreren Gesamtschuldnern er in Anspruch nehmen möchte.

II.

Die Berufung der Beklagten zu 1) hat in dem zuerkannten Maße Erfolg.

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.

Insbesondere hat die nach Erlass des angefochtenen Urteils erfolgte Erfüllung der im Tenor zu Ziffer 1) der angefochtenen Entscheidung titulierten Ansprüche durch die Beklagte zu 3) auf die Zulässigkeit der Berufung der Beklagten zu 1) keinen Einfluss.

a) Im Grundsatz entfällt die Beschwer einer zur Zahlung verurteilten Partei, wenn sie oder ein berechtigter Dritter mit deren Billigung nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung und vor Einlegung eines Rechtsmittels den Urteilsbetrag vorbehaltlos zahlt (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 1993 – X ZR 7/92, Rn. 12; Beschluss vom 13. Januar 2000 – VII ZB 16/99, Rn. 6). In diesen Fällen ist von einer materiellen Erledigung der Hauptsache zwischen den Instanzen auszugehen, so dass ein rechtsschutzwürdiges Interesse der verurteilten Partei an der Beseitigung des Urteilsausspruchs nicht mehr besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2000 – VII ZB 16/99, aaO; Beschluss vom 7. Dezember 2010 – VI ZB 87/09, Rn. 9).

Hier führte die vorbehaltlose Zahlung des Urteilsbetrags durch die Beklagte zu 3) zwar nach § 362 Abs. 1 BGB zum Erlöschen des zwischen ihr und dem Kläger bestehenden Schuldverhältnisses. Im Verhältnis zur Beklagten zu 1) hat diese Leistung indes nur insoweit Erfüllungswirkung, als diese ebenfalls Schuldnerin des Urteilsbetrags ist, § 422 Abs. 1 BGB. Eben dies hat die Beklagte zu 1) im ersten Rechtszug und in ihrer Berufungsbegründung in Abrede gestellt. Bei dieser Sachlage steht nicht fest, dass die Zahlung der Beklagten zu 3) geeignet war, den Rechtsstreit zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) in der Hauptsache zu erledigen. Es ist gerade im Berufungsverfahren zu klären, ob die gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zu 1) zu Recht erfolgt ist. Im Hinblick darauf ist ein rechtsschutzwürdiges Interesse der Beklagten zu 1) an der Beseitigung des gegen sie ergangenen Urteils gegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2010 – VI ZB 87/09, Rn. 10; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 17. Dezember 2015 – 4 U 140/14).

b) Die in der einseitigen Erledigungserklärung des Klägers liegende Änderung des ursprünglichen Klageantrags zu 1) in eine Feststellungsklage auf Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist als Reduzierung des ursprünglichen Klageantrags gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässig. Auf Änderungen des Klageantrags nach § 264 Nr. 2 ZPO findet § 533 ZPO keine Anwendung (vgl. Musielak/Voit/Ball, ZPO, 12. Auflage, § 533, Rn. 3).

c) Der Kläger hat auch ein entsprechendes Feststellungsinteresse, denn nach der Zahlung der Beklagten zu 3) besteht für ihn – den Kläger – keine andere Möglichkeit, von den Kosten des Rechtsstreits befreit zu werden. Ohne Erledigungserklärung hätte sich der Kläger infolge der Inanspruchnahme der Beklagten als Gesamtschuldner so behandeln lassen müssen, als dass der Ausgleich der titulierten Forderungen durch die Beklagte zu 3) nach § 422 Abs. 1 S. 1 BGB auch für die Beklagte zu 1) wirkt. Die ursprüngliche Klage wäre dementsprechend im Hinblick auf die Beklagte zu 1) insgesamt unbegründet geworden; die Berufung hätte folglich insgesamt Erfolg gehabt.

2. Die Berufung hat in der Sache aber nur in dem tenorierten Umfang Erfolg.

Die Klage auf Feststellung der Erledigung des Klageantrags zu 1) im Verhältnis zur Beklagten zu 1) ist nur zum Teil begründet. Die Erledigung der Hauptsache ist nur in Höhe von 12.500,00 Euro festzustellen, denn nur insoweit war die Klage gegen die Beklagte zu 1) ursprünglich zulässig und begründet (a) und ist sie durch die Zahlung der Beklagten zu 3) unbegründet geworden (b).

a) Der ursprüngliche Klageantrag zu 1) ist in dem zuerkannten Umfang begründet. Der Kläger hatte gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Zahlung von 12.500,00 Euro.

aa) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch auf Vorschuss für die voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten nach §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 3 BGB zusteht. Dies ist nicht zu beanstanden.

(1) Die Parteien haben gemäß § 631 BGB einen Werkvertrag über die Herstellung eines “Gefälleestrichs” geschlossen. Der Kläger hat das dahingehende Nachtragsangebot der Beklagten zu 1) vom 8. Juni 2010 angenommen. Dabei ist die VOB/B, auf die im Angebot der Beklagten zu 1) vom 30. April 2010 noch Bezug genommen wurde, weder Bestandteil der ursprünglichen Beauftragung der Beklagten zu 1) im Hinblick auf die Rohbau- und Abbrucharbeiten vom 5. Mai 2010 noch des streitgegenständlichen Nachtrags geworden. Es fehlt insoweit schon der ausdrückliche Verweis auf die VOB/B im Vertragstext sowie nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB die Inkenntnissetzung des bei Vertragsschluss nicht durch einen Architekten vertretenen Klägers.

(2) Infolge der konkludenten Abnahme des Werks der Beklagten zu 1) sind die Gewährleistungsrechte aus § 634 BGB, mithin auch der § 637 Abs. 3 BGB, wonach der Besteller von dem Unternehmer für die zur Beseitigung des Mangels erforderlichen Aufwendungen Vorschuss verlangen kann, zugunsten des Klägers auch anwendbar.

Die Abnahme setzt die körperliche Entgegennahme des vom Unternehmer hergestellten Werkes voraus, soweit diese möglich ist, und die damit verbundene Erklärung des Bestellers, dass er das Werk als im Wesentlichen vertragsgerecht erbracht anerkennt (vgl. BGH NJW 1973, 1792; MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2023, BGB, § 640, Rn. 3 m.w.N.). Eine konkludente Abnahme kommt in Betracht, wenn das Werk jedenfalls nach den Vorstellungen des Auftraggebers im Wesentlichen mangelfrei fertiggestellt ist und der Auftragnehmer das Verhalten des Auftraggebers als Billigung seiner erbrachten Leistung als im Wesentlichen vertragsgerecht verstehen darf (vgl. Jurgeleit in: Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage, 3. Teil, Rn. 54). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Beklagte zu 1) hat den Estrich unstreitig nach den vertraglichen Vereinbarungen entsprechend ihrem Angebot vom 8. Juni 2010 und den Vorgaben der Beklagten zu 3) gemäß der überreichten Skizze (Anlage B1.2, Bl. 107, I) hergestellt. Der Kläger hat diese Leistung als vertragsgerecht gebilligt, indem er Mängel gegenüber der Beklagten zu 1) nicht mehr monierte, nachdem die Beklagte zu 3) für ihn mit Schreiben vom 26. Juli 2010 lediglich das Gefälle an der vorderen Ablaufrinne gerügt und die Beklagte zu 1) diesen Mangel beseitigt hatte. Zudem hat der Kläger die an die Leistung der Beklagten zu 1) anschließenden Gewerke ihre Leistungen ebenfalls beanstandungslos erbringen lassen.

(3) Der Vorschussanspruch nach §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 3 BGB setzt voraus, dass der Kläger zur Ersatzvornahme nach § 637 Abs. 1 BGB berechtigt ist, mithin dass ihm ein fälliger und durchsetzbarer Mängelbeseitigungsanspruch gegen den Auftragnehmer zusteht. Dies ist der Fall.

(a) Das Werk der Beklagten zu 1) ist mangelbehaftet.

Nach § 633 Abs. 2 BGB ist das Werk frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat oder im Falle fehlender Beschaffenheitsvereinbarung, wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann.

Unabhängig davon, ob bei dem von Sachverständigen S. festgestellten Gefälle von 0,9 % überhaupt von einem “Gefälleestrich” i.S.d. vertraglichen Vereinbarung vom 8. Juni 2010 gesprochen werden kann, ist die Leistung der Beklagten zu 1) schon deswegen mangelhaft, weil sie den anerkannten Regeln der Technik widerspricht (aa) und ihr darüber hinaus die Funktionstauglichkeit fehlt (bb).

(aa) Im BGB-Bauvertrag gehört die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zur zumindest stillschweigend vereinbarten Beschaffenheit, sofern im Einzelfall nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist (vgl. BGH BauR 2013, 624; BGH NZBau 2011, 415; NJW 1998, 2814). Der Verstoß gegen diese Regeln bedeutet auch ohne Schadenseintritt einen Mangel (vgl. BGH NJW 1998, 2814).

Bei der Herstellung des Gefälleestrichs ist die Beklagte zu 1) von den anerkannten Regeln der Technik abgewichen. Der Sachverständige S. führt dazu in seinem Gutachten vom 30. August 2016 (S. 9ff., Anlagenband) aus, dass hier ein Gefälle von 0,9 % vorliege und dass nach den maßgebenden Vorschriften eine Unterschreitung des erforderlichen Gefälles von 3 % bei genutzten Terrassen – wie hier – nicht zulässig sei. Die gefällelose Ausprägung des Estrichs in der beweisgegenständlichen Situation stelle deshalb per se einen technischen Fehler dar (vgl. GA vom 26. März 2019, S. 8, Bl. 1013, IV) und zwar unabhängig vom weiteren Fußbodenaufbau. Es müsse daher mit Schäden an der Schutz- und Belagschicht gerechnet werden (vgl. GA vom 26. März 2019, S. 9, Bl. 1014, IV).

Diesen sachverständigen Feststellungen, denen das Landgericht gefolgt ist und welche auch der Senat für überzeugend hält, ist die Beklagte zu 1) nicht entscheidend entgegengetreten. Soweit die Beklagte zu 1) darauf verweist, dass nach der DIN 18195-5 und der Flachdach-Richtlinie die Herstellung eines Gefälles für einen ordnungsgemäßen Wasserabfluss nicht zwingend erforderlich sei, verkennt sie, dass sie nach der vertraglichen Vereinbarung vom 8. Juni 2010 einen “Gefälleestrich” schuldete. Darüber hinaus sehen die genannte DIN und die Richtlinie als Ausgleich eines geringen oder fehlenden Gefälles anderweitige Maßnahmen zum Erreichen der Funktionstüchtigkeit des Werks vor. Diese sind aber weder vorgenommen noch in irgendeiner Art und Weise zwischen den Beteiligten erörtert worden.

Zwar kann im Einzelfall auch von einer anerkannten Regel der Technik abgewichen werden und eine andere Ausführungsart erfolgen, mithin kann eine risikobehaftete, nicht funktionstüchtige und hinter den Regeln der Technik zurückbleibende Leistung vereinbart werden, denn grundsätzlich steht es den Parteien im Rahmen der Vertragsfreiheit frei, etwa aus Kostengründen geringere qualitative Anforderungen an das bestellte Werk zu stellen als sie üblich sind. Gibt der Besteller ein minderwertiges oder minder brauchbares Werk in Auftrag, hat er die Folgen zu tragen (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 25. Oktober 2000 – 1 U 111/00, Rn. 28). Allerdings sind an eine solche Beschaffenheitsvereinbarung “nach unten” wegen des damit einhergehenden Verzichts auf eine übliche Beschaffenheit strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 30. März 2011 – 13 U 16/10, Rn. 28; OLG Celle Urteil vom 16. Mai 2013 – 13 U 11/09, BeckRS 2016, 8042). Eine solche Beschaffenheitsvereinbarung kann deshalb nur angenommen werden, wenn der Besteller das damit einher gehende Risiko kannte. Der Auftraggeber ist, selbst wenn er sachkundig sein sollte, umfassend über die Risiken und denkbaren Folgen der Bauausführung aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 1984 – VII ZR 169/82, NJW 1984, 2457; BGH, Urteil vom 12. Mai 2005 – VII ZR 45/04, NZBau 2005, 456).

Eine solche Aufklärung ist seitens der Beklagten zu 1) gegenüber dem Kläger aber unstreitig nicht erfolgt. Die Beklagte zu 1) hat nach ihrem erstinstanzlichen Vortrag lediglich die Beklagte zu 3) vor der Nachtragserteilung auf das geringe Gefälle hingewiesen. Ergänzend sei daraufhin der Verbau einer Rinne am zur Attika gelegenen Ende des Estrichs vereinbart worden (vgl. Klageerwiderung vom 20. Oktober 2014, Bl. 95, I). Die Beklagte zu 3) hat – bestritten – vorgetragen, den Kläger über die Gefällesituation aufgeklärt und deren Konsequenzen deutlich aufgezeigt und daher eine Rinne als Ausgleich vereinbart zu haben (vgl. Schriftsatz vom 27. Oktober 2016, Bl. 739, III). Dieses streitige Vorbringen genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aufklärung des Bauherrn nicht. Welche Konsequenzen dies konkret gewesen sein sollen, lässt sich dem Vorbringen dabei nicht entnehmen. Aufgrund des übereinstimmenden Vortrags der Beklagten zu 1) und Beklagten zu 3), dass zum Ausgleich des niedrigen Gefälles die Rinne am zur Attika gelegenen Ende des Estrichs geschaffen werden sollte und nach den sachverständigen Feststellungen auch tatsächlich geschaffen wurde, ist zudem davon auszugehen, dass nach der Vorstellung aller Beteiligter der durch die Rinne geschaffene “Ausgleich” des niedrigen Gefälles für eine erfolgreiche Entwässerung der Terrasse genügen sollte. Schließlich ist diese – von dem Sachverständigen als untauglich beurteilte – Ausgleichsmaßnahme bis zum Auftreten der ersten Mangelerscheinungen (Pfützenbildung) von keiner Partei in Frage gestellt worden. Damit war auch für den Kläger bei lebensnaher Betrachtung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kein Risiko im Hinblick auf die Entwässerung der Terrasse erkennbar, welches er bereit war, durch eine Beschaffenheitsvereinbarung “nach unten” in Kauf zu nehmen.

(bb) Dieser “Ausgleich” durch die Rinne hat aber ersichtlich nicht zur Funktionstüchtigkeit des Werks geführt, so dass auch deshalb ein Mangel vorliegt.

Denn zur stillschweigend vereinbarten Beschaffenheit gehört auch die Funktionstauglichkeit des Werks. Fehlt dem Werk die Funktionstauglichkeit, so ist es auch dann nicht mangelfrei, wenn es ansonsten der Leistungsbeschreibung und der vereinbarten Ausführungsart genügt (funktionaler Mangelbegriff). Es ist lebensnah anzunehmen, dass die Funktionstauglichkeit dem Willen und den beiderseitigen Erwartungen der Parteien entspricht. Dies gilt auch dann, wenn die Funktionstauglichkeit mit der vereinbarten Ausführungsart nicht zu erreichen ist. Bei einem Widerspruch zwischen vereinbarter Ausführungsart und Funktionstauglichkeit genießt Letztere grundsätzlich den Vorrang, da die Leistungsbeschreibung der Verwirklichung des von den Parteien beabsichtigten Werkerfolgs dient, der auf die Nutzbarkeit des Werks gerichtet ist. Daher schuldet der Unternehmer eine funktionstaugliche Leistung und ist zur Erreichung der Mängelfreiheit ggf. zu Mehrleistungen oder anderweitigen als vereinbarten Leistungen verpflichtet (vgl. BGH, BauR 2008, 344). Im Werkvertragsrecht wird mithin ein funktionstaugliches und zweckentsprechendes Werk im Sinne einer Erfolgshaftung geschuldet. Ausschlaggebend für das Vorliegen eines Mangels ist danach allein, dass der Leistungsmangel zwangsläufig den angestrebten Erfolg beeinträchtigt (vgl. BGH NJW 1984, 2457; BauR 1985, 567 (569); NJW-RR 1989, 849; NJW-RR 1997, 688).

So liegt der Fall auch hier. Eine Mangelfreiheit war mit der vereinbarten Leistungsausführung nicht zu erreichen. Der Sachverständige S. erläutert dazu nachvollziehbar in seinen Gutachten vom 30. August 2016 (Anlagenband) und vom 26. März 2019 (Bl. 1003ff., IV), dass mit einer gefällelosen Ausbildung des Estrichs es nicht möglich sei, anfallendes Wasser dauerhaft wirksam abzuführen. Eine ordnungsgemäße Verlegung der Abdichtungsbahn reiche dazu nicht. Der Zementmörtel schwimme im Wasser, so dass bei dessen Rücktrocknung die an der Oberfläche vorhandenen Ausblühungen entstehen.

Konkrete Anhaltspunkte, die an den Feststellungen des Sachverständigen S. zweifeln lassen, hat die Beklagte zu 1) nicht dargetan. Insbesondere ändern die nach der DIN 18195-5 und der Flachdach-Richtlinie wohl möglichen Alternativen zur Erreichung einer funktionstauglichen Entwässerung auch bei geringen Gefällen nichts an der Funktionsuntauglichkeit des hier im Streit stehenden Terrassenaufbaus. Mit den dahingehenden Einwänden der Beklagten zu 1) hat sich der Sachverständige S. insbesondere im Gutachten vom 26. März 2019, S. 21ff., Bl. 1013ff., IV, dezidiert auseinandergesetzt und festgestellt, dass sich die von der Beklagten zu 1) zitierten Vorschriften teilweise schon nicht auf die beweisgegenständliche Situation beziehen. Jedenfalls ändern die von der Beklagten zu 1) in Bezug genommenen Vorschriften nach Aussage des Sachverständigen nichts daran, dass mit einer gefällelosen Ausbildung des Estrichs im vorliegenden Fall das anfallende Wasser nicht dauerhaft wirksam abgeführt werden kann.

(cc) Ein Mangel liegt dabei selbst dann vor, wenn die Ursache der fehlenden Funktionstauglichkeit auf der vom Auftraggeber erstellten Planung beruht (vgl. BGH BauR 2008, 344). Diese strenge Haftung des Auftragnehmers ist gerechtfertigt, weil der Unternehmer die Verantwortung für das Gelingen seines Gewerkes im Sinne der dargelegten Erfolgshaftung trägt und daher verpflichtet ist, die Planung darauf zu überprüfen, ob sie eine geeignete Grundlage für die Herstellung eines funktionstauglichen, mangelfreien Werks bilden (Werner/Pastor, Der Bauprozess, 18. Auflage 2023, Rn. 2006; für VOB/B-Vertrag ergibt sich dies aus §§ 4 Abs. 3, 13, Abs. 3 VOB/B).

Allerdings kann sich der Unternehmer im Rahmen der Erfolgshaftung von seiner Haftung befreien, wenn die Ursache der fehlenden Funktionstauglichkeit nicht in seiner Sphäre liegt. Dies ist dann der Fall, (1) wenn der Unternehmer seinen Prüfungs- und Hinweispflichten nachgekommen ist, (2) wenn keine Hinweispflicht besteht, weil er die Ungeeignetheit der Planung bei der gebotenen Prüfung mit dem von ihm erwartenden Fachwissen nicht erkennen kann oder (3) wenn im Einzelfall feststeht, dass der unterlassene Hinweis sich nicht ausgewirkt hat (vgl. BGH, BauR 2008, 344).

Die Beklagte zu 1) vermochte jedoch keinen dieser Haftungsbefreiungstatbestände darzulegen.

(1) Die Beklagte zu 1) ist ihren aus § 241 Abs. 2 bzw. § 242 BGB resultierenden (vgl. BGH BauR 2011, 1494; 2008, 344) Prüfungs- und Hinweispflichten nicht nachgekommen.

Der Unternehmer ist verpflichtet, die Leistungsbeschreibung und die sonstigen bindenden Anordnungen des Auftraggebers, die vorgeschriebenen Stoffe oder Bauteile und die Vorleistungen anderer Unternehmer auf ihre Eignung für eine mangelfreie Herstellung zu prüfen. Diese Pflicht erstreckt sich auch auf die von einem eingeschalteten Architekten vorgesehene Art der Ausführung (vgl. BGH BauR 1997, 131) einschließlich der Planung (vgl. BGH, BauR 2003, 690; OLG Celle, BauR 2016, 120; OLG Braunschweig IBR 2015, 414). Der Unternehmer muss daher die Planungen und sonstigen Ausführungsunterlagen grundsätzlich als Fachmann prüfen und Bedenken anmelden. Dabei kommt es auf das von dem Unternehmer zu erwartende Fachwissen, die sonstigen Umstände der Vorgaben und Vorleistungen und die Möglichkeiten zur Untersuchung an, wobei bei einem Unternehmer die zur Herstellung des Werkes erforderlichen fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten vorausgesetzt werden. Er muss für das dazu nötige Wissen und Können einstehen. Die Spezialkenntnisse der jeweiligen Fachplaner muss er in der Regel zwar nicht haben. Er darf sich aber auf die Fachplanung nicht verlassen, wenn deren Lücken und Mängel erkennbar sind. Der Umstand, dass eine Fachplanung vorliegt, entlastet also als solcher allein nicht. Sie entbindet den Auftragnehmer nicht von einer eigenen Prüfung. Dabei muss er die Prüfmethoden anwenden, die üblicherweise und nach den anerkannten Regeln der Technik verwendet werden (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 17. Dezember 2015 – 4 U 140/14, Rn. 72). Der Unternehmer ist dementsprechend im Rahmen seiner vertraglichen Leistungspflicht und seiner Möglichkeiten gehalten zu fragen, “ob die Planung zur Verwirklichung des geschuldeten Leistungserfolgs geeignet ist” (vgl. BGH BauR 1991, 79, 80; OLG Celle, BauR 2016, 120).

Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Beklagte zu 1) ihren Hinweispflichten nicht Genüge getan. Sie hat den Kläger persönlich schon nicht auf Bedenken hingewiesen. Unabhängig von der Frage, ob ein Hinweis an den Planer überhaupt den dargestellten Anforderungen entspricht, war der hier unstreitig von der Beklagten zu 1) an die Beklagte zu 3) erteilte Hinweis auf das niedrige Gefälle im Rahmen der Nachtragsverhandlung und die anschließende Vereinbarung einer ausgleichenden Rinne ebenfalls nicht ausreichend, um ihren Hinweispflichten nachzukommen. Denn diese Rinne hat ersichtlich nicht zur Mangelfreiheit des Werks geführt. Insoweit hat die Beklagte zu 1) nicht vorgebracht, ob sie diesen “Ausgleich durch die Rinne” für erfolgsversprechend gehalten, weitere Fragen an den Architekten gestellt oder die Vorlage einer dezidierten Planung verlangt hat, obwohl ihr nach ihrem eigenen Vortrag bei den Nachtragsverhandlungen gerade nicht bekannt gewesen ist, welche Folgegewerke was für Aufbauarbeiten und Oberflächenbelege auf die Terrasse aufbringen werden (vgl. Klageerwiderung vom 20. Oktober 2014, Bl. 95, I). Schließlich hat die Beklagte zu 1) selbst unter Verweis auf die DIN 18195-5 vorgetragen, dass in Einzelfällen vom erforderlichen Gefälle abgewichen werden kann, für diese Fälle dann aber besondere Abdichtungsmaßnahmen durchzuführen seien (min. zwei Bahnen Polymerbitumenbahnen) bzw. nach der Flachdach-RL ein anderer Unterbau (Kiesbett/Stelzenlager statt Mörtelbett) vorhanden sein müsse. Dass die Beklagte zu 1) die Beklagte zu 3) auf diese Umstände hingewiesen hat, hat sie aber nicht vorgetragen.

Trotz fehlender Kenntnis über die Arbeiten der Nachfolgewerke und angesichts der risikobehafteten Ausführung eines Gefälles von 0,9 %, die ein Fachmann nach den Feststellungen des Sachverständigen hätte erkennen können und die Beklagte zu 1) nach ihrem Vortrag auch erkannt hat, hat die Beklagte zu 1) nicht moniert, dass die Beklagte zu 3) keine entsprechende Planung vorgelegt oder erläutert hat. Ihr – der Beklagten zu 1) – wurde vielmehr lediglich die handschriftlich erstellte, nicht sehr aussagekräftige Skizze B1.2 übergeben, mit der sich die Beklagte zu 1) zufrieden gab. Insoweit hat auch der Sachverständige S. festgestellt, dass die Beklagte zu 1) aber hätte Bedenken anmelden müssen, dass ein erforderlicher Gefälleplan (Architektenausführungsplanung) fehle und dies keine fachgerechte Ausführung zulasse (vgl. GA vom 6. Mai 2022, S. 29, Anlagenband). Schließlich ist die Beklagte zu 1) ein Fachunternehmen, das in seinem Briefkopf mit den Gewerken “Hochbau, Zimmerei, Trockenbau, Schlüsselfertiges Bauen” wirbt und dementsprechend über Fachkenntnisse auch im Bereich der Estrichverlegung verfügt.

Deshalb ist nach den sachverständigen Feststellungen auch davon auszugehen, dass die Beklagte zu 1) als Fachfirma auf die Möglichkeit der Verwendung eines Spezialestrichs hätte hinweisen müssen, denn wenn – wie hier – die Aufbauhöhe ersichtlich nicht ausreicht, um das erforderliche Gefälle zu errichten, ist kein “normaler” Zementestrich (Mindestdicke 35 mm) zu verwenden, sondern ein Spezialestrich, der bereits ab 0 mm beginnt. Mit diesem “Spezialestrich” wäre ein Gefälleestrich möglich gewesen (vgl. GA vom 26. März 2019, S. 8, 30, Bl. 1013, 1017R, IV), wobei jede Estrichfirma in der Lage sein muss, diesen Estrich einzubauen (vgl. Anhörung Sachverständiger S. vom 15. Februar 2023, Bl. 1581, VI), also auch die Beklagte zu 1).

(2) Aus diesem Grund hat die Beklagte zu 1) auch über das erforderliche Fachwissen verfügt, so dass für sie die dargelegten Hinweis- und Prüfungspflichten ausnahmslos bestanden.

(3) Der unterlassene Hinweis der Beklagten zu 1) hat sich auch ausgewirkt.

Dies ist nur dann nicht anzunehmen, wenn dem Besteller die Ungeeignetheit der Planung bekannt ist oder wenn ausnahmsweise festgestellt werden kann, dass er auch auf einen ausreichenden Hinweis an der vorgesehenen Ausführungsart festgehalten hätte (vgl. BGH BauR 2008, 344; OLG München BauR 2009, 1338).

Wie dargelegt hat die Beklagte zu 1) den Kläger persönlich schon nicht auf etwaige Risiken hingewiesen. Soweit die Beklagte zu 3) vorgetragen hat, den Kläger entsprechend über die Gefällelage und die Konsequenzen aufgeklärt zu haben, sei gerade zur Abwendung der Gefahren die “Rinne” vereinbart worden (Bl. 739, I). Dem Kläger waren weitere Risiken mithin nicht bekannt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass alle Beteiligten – einschließlich des Klägers und der Beklagten zu 3) – der Vorstellung unterlagen, dass die geplante und erstellte Terrasse im Hinblick auf die Entwässerung funktioniert. Hätte die Beklagte zu 1) auf die Gefälleproblematik und die ungenügende Planung hinreichend hingewiesen, hätte dies womöglich eine andere, zielführende Planung des Terrassenaufbaus zur Folge gehabt.

(dd) Die Beklagte zu 1) hat durch die Herstellung des zu geringen Gefälles den Mangel, der letztlich auch in der funktionsuntüchtigen Entwässerung der Terrasse des Klägers zu sehen ist, im Ergebnis mitverursacht. Dies hat der Sachverständige in seinem Gutachten vom 24. Juli 2020 (Bl. 1118, V) zunächst zwar missverständlich ausgedrückt (kein technischer Verursachungsanteil der Beklagte zu 1), dafür 50 % Planer, je 25 % Dachdecker/Plattenleger). Auf konkrete Nachfrage hat der Sachverständige im Gutachten vom 6. Mai 2022 (S. 29, Anlagenband) aber konkretisiert, dass der Dachdecker und der Plattenleger nicht allein für den Mangel verantwortlich seien, sondern alle Beteiligten, also auch der Planer und die Beklagte zu 1). Insbesondere hätte die Beklagte zu 1) – wie aufgezeigt – Bedenken anmelden müssen hinsichtlich der fehlenden Architektenausführungsplanung und der nicht möglichen fachgerechten Ausführung. Auch darin ist ein ursächlicher Beitrag der Beklagten zu 1) zur insgesamt bestehenden Mangelhaftigkeit des Werks zu sehen.

(b) Der Kläger hat die Beklagte zu 1) schließlich mit Schreiben vom 27. März 2012 (Anlage K2, Bl. 17, I) erfolglos zur Mängelbeseitigung bis zum 20. April 2012 aufgefordert.

(c) Die Beklagte zu 1) kann sich nach §§ 637 i.V.m. 635 Abs. 3 BGB auch nicht auf die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung berufen.

Unverhältnismäßigkeit in diesem Sinne liegt in aller Regel nur dann vor, wenn einem objektiv geringen Interesse des Bestellers an einer mangelfreien Vertragsleistung ein ganz erheblicher und deshalb vergleichsweise unangemessener Aufwand gegenübersteht. Hat der Besteller objektiv ein berechtigtes Interesse an einer ordnungsgemäßen Vertragserfüllung, kann ihm der Unternehmer regelmäßig die Nachbesserung nicht wegen hoher Kosten der Mängelbeseitigung verweigern (vgl. BGH, Urteile vom 4. Juli 1996 – VII ZR 24/95, BauR 1996, 858; Urteil vom 24. April 1997 – VII ZR 110/96, BauR 1997, 638; Urteil vom 6. Dezember 2001 – VII ZR 241/00; NJW-RR 2006, 453).

Unverhältnismäßig im Sinne des § 635 Abs. 3 BGB sind die Kosten für die Beseitigung eines Werkmangels also nur dann, wenn der damit in Richtung auf die Beseitigung des Mangels erzielte Erfolg oder Teilerfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür gemachten Geldaufwandes steht. Unverhältnismäßigkeit kommt danach vor allem bei Mängeln in Betracht, die den Wert oder die Gebrauchsfähigkeit nicht oder nicht erheblich beeinträchtigen. Das sind insbesondere so genannte Schönheitsmängel (vgl. Kniffka/Koeble, Teil 5, Die Haftung des Unternehmers für Mängel, Rn. 134 mwN).

Der ungenügende Wasserabfluss einer Terrasse infolge eines zu geringen Gefälles, der zu Ausblühungen auf den Platten geführt hat und nach den sachverständigen Feststellungen zu Frostschäden führen kann, ist ohne weiteres als erheblicher Mangel anzusehen, so dass dem Kläger objektiv ein berechtigtes Interesse an einer ordnungsgemäßen Vertragserfüllung zukommt.

Soweit die Beklagte zu 1) in ihrer Berufung zur Begründung der Unverhältnismäßigkeit auf die Grauschleier der Platten abstellt, welche mit chemischen Reinigungsmitteln ohne erheblichen Aufwand zu beheben seien, sind diese letztlich als Mangelfolge zu bewerten. Diese Reinigung ist nicht geeignet, den allein maßgebenden Mangel in Form des nicht hinreichenden Gefälles, welches zum beeinträchtigten Wasserabfluss der Terrasse führt, zu beheben.

(3) Die Mängelgewährleistungsrechte des Klägers sind auch nicht nach § 640 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Nimmt der Besteller ein mangelhaftes Werk ab, obschon er den Mangel kennt, so stehen ihm die in § 634 Nr. 1 bis 3 BGB bezeichneten Rechte nur zu, wenn er sich seine Rechte wegen des Mangels bei der Abnahme vorbehält. Ein solcher Vorbehalt ist hier zwar nicht erfolgt. Der Kläger kannte aber den Mangel zum maßgebenden Zeitpunkt der (konkludenten) Abnahme nicht. Denn zur Annahme der Kenntnis des Mangels genügt es nicht, dass der Kläger wusste, dass die Beklagte zu 1) ein zu geringes Gefälle erstellt hat. Maßgeblich ist vielmehr die Kenntnis, dass das zu niedrige Gefälle mitursächlich für den beeinträchtigten Wasserabfluss der Terrasse geworden ist. Dies jedoch hätten nach den sachverständigen Feststellungen lediglich Fachleute erkennen können. Dass der Kläger über eine solche Fachkompetenz verfügt hat, ist nicht ersichtlich. Vielmehr legt die Beauftragung eines Architekten und sämtlicher zur Sanierung erforderlichen Gewerke das Gegenteil nahe. Schließlich ist selbst die Beklagte zu 3) als über entsprechendes Fachwissen verfügende Planerin im Zeitpunkt der (konkludenten) Abnahme des Werks der Beklagten zu 1) weder von einem mangelhaften Gefälle noch von einer Funktionsuntauglichkeit der Entwässerung der Terrasse ausgegangen, denn mit Schreiben vom 26. Juli 2010 rügte sie lediglich einen kleinen Teilabschnitt des Estrichs vor der Attika, nicht aber das ihrer Planung entsprechende Gefälle an sich. Letztlich ist der sachverständig festgestellte Mangel erstmals in Erscheinung getreten, als sich die Mangelfolgen auf der Terrasse des Klägers zeigten (Pfützenbildung, Ausblühungen). Insoweit erfolgte auch die Mängelrüge erstmals im Jahre 2012, mithin ca. 2 Jahre nach Herstellung des Estrichs bzw. der Terrasse. Zum maßgebenden Zeitpunkt der Abnahme im Jahre 2010 war der Mangel deshalb für den Kläger nicht erkennbar.

bb) Die Berufung hat allerdings insoweit Erfolg, als dass der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 1) um insgesamt 2/3 – und nicht wie vom Landgericht vertreten um 50 % – zu kürzen ist. Im Verhältnis zu der Beklagten zu 1) als bauausführendes Unternehmen muss sich der Kläger das Mitverschulden seines Architekten – der Beklagten zu 3) – anspruchskürzend entsprechend § 254 BGB in Höhe von 2/3 zurechnen lassen.

(1) Der Besteller haftet für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen nach allgemeinen Grundsätzen, § 278 BGB. Ausgehend hiervon entspricht es der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass sich der Besteller gegenüber dem in Anspruch genommenen Bauunternehmer das Planungsverschulden der von ihm eingesetzten Fachleute zurechnen lassen muss (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2001 – VII ZR 392/00, Rn. 21; BGH, Urteil vom 16. Oktober 2014 – VII ZR 152/12, Rn. 24). Dem Besteller obliegt es grundsätzlich, dem Unternehmer zuverlässige Pläne und Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Bedient er sich für die ihm obliegenden Planungsaufgaben eines Architekten, ist dieser sein Erfüllungsgehilfe im Verhältnis zum Bauunternehmer, so dass der Besteller für das Verschulden des Architekten einstehen muss (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2008 – VII ZR 206/06; BGH, Urteil vom 24. Februar 2005 – VII ZR 328/03, BauR 2005, 1016, 1018).

Ein auf Seiten des Bestellers mitwirkendes Verschulden ist dabei gemäß §§ 254, 242 BGB auch gegenüber einem ein Verschulden nicht erfordernden Anspruch auf Mängelbeseitigung zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2014 – VII ZR 152/12, Rn. 24). Nichts anderes gilt dann für den – ein Verschulden ebenfalls nicht erfordernden – Anspruch auf Kostenvorschuss (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 17. Dezember 2015 – 4 U 140/14, Rn. 86).

(a) So liegt es auch hier. Der Beklagten zu 3) war im Rahmen des erteilten Architektenauftrags die Planung der Sanierung der hofseitigen Terrasse einschließlich Geländerkonstruktion und Treppen von der Ausführungsplanung bis hin zur Vergabe und der Bauüberwachung in Auftrag gegeben worden (vgl. Ziff. 3 des Architektenvertrages vom 5. Mai 2010). Die Beklagte zu 3) war mithin vertraglich verpflichtet, eine Ausführungsplanung für die Terrassenanlage, welche als Bauwerk zu qualifizieren ist (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 25. April 2019 – 5 U 91/18), zu erstellen und zwar nach Maßgabe der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure in der Fassung von 2009 (nachfolgend HOAI 2009), die gemäß Ziff. 2 des Architektenvertrages vom 5. Mai 2010 Vertragsgrundlage geworden ist.

Die vollständige Ausführungsplanung im Sinne des § 33 HOAI 2009 beinhaltet die zeichnerische Darstellung des Objekts mit allen für die Ausführung notwendigen Einzelangaben (Kniffka/Koeble, Teil 10 Formen des Bauens und Vertragsarten; Baumodelle und Bauträgervertrag, Rn. 379), so dass auf Grundlage der ausführungsreifen Ausführungsplanung zunächst Leistungspositionen beschrieben sowie Mengen und Massen ermittelt werden können und schließlich auch die Bauausführung durch einen Unternehmer ermöglicht wird (vgl. Fuchs/Berger/Seifert/Seifert/Fuchs, 3. Aufl. 2022, HOAI § 34 Rn. 172).

Diese Pflicht zur Erstellung der Ausführungsplanung hat die Beklagte zu 3) schuldhaft verletzt. Sie hat eine solche detaillierte Ausführungsplanung nicht vorgelegt, wie der Sachverständige S. ausdrücklich festgestellt hat (vgl. GA vom 26. März 2019, S. 35, Bl. 1020, IV). Im Rahmen der Architektenplanung fehlte die erforderliche Planung des Gefälles (GA vom 6. Mai 2022, S. 29, Anlagenband), konkrete Angaben zum Gefälleestrich wie Dicke und Verlauf (GA vom 26. März 2019, S. 7, Bl. 1006, IV) und zum anzuwendenden Material (Spezialestrich ab 0 mm, vgl. GA vom 26. März 2019, S. 8, Bl. 1013, IV). Insgesamt mangelte es der Planung der Beklagten zu 3) auch an Angaben zur Abdichtung (Lagen, Material) und zur Dampfsperre sowie am Hinweis auf die erforderliche Drainageschicht oder den Drainagemörtel (vgl. GA vom 26. März 2019, S. 9, S. 36, Bl. 1007, 1020R).

(b) Darüber hinaus hat die Beklagte zu 3) ihre Pflicht aus § 633 Abs. 1 BGB, dem Kläger ihr Werk frei von Mängeln zu verschaffen, schuldhaft verletzt, indem sie einen Terrassenaufbau plante, der zu einer unzureichenden Entwässerung der Terrasse führte.

Das Architektenwerk besteht aus den zwischen den Vertragsparteien vereinbarten und damit vom Architekten zu erfüllenden Teilleistungen, den “Arbeitsschritten als Teilerfolg des geschuldeten Gesamterfolges” (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2005 – VII ZR 15/04, BauR 2004, 1460). Der Gesamterfolg wiederum beinhaltet das “mangelfreie Entstehenlassen eines Bauwerkes” (vgl. Messerschmidt/Voit, I. Teil. C. Besonderheiten einzelner Werkvertragstypen, Rn. 82 m.w.N.), mithin die Planung eines funktionstauglichen durch die jeweiligen Gewerke herzustellenden Werks. Die von der Beklagten zu 3) geplante Terrasse war jedoch im Hinblick auf die Entwässerung, wie bereits dargelegt, funktionsuntüchtig – also mangelhaft.

Diesen Mangel hat die Beklagte zu 3) auch zu vertreten, denn nach den sachverständigen Feststellungen hätte die Beklagte zu 3) bei einer fachgerechten Ausführungsplanung erkennen müssen, dass der gewünschte Terrassenaufbau des Klägers bei der vorhandenen Baukonstruktion (Bestandsgebäude) nicht funktioniert. Es hätten im Grundsatz mehrere Varianten zur Herstellung einer Terrasse mit ordnungsgemäß funktionierender Entwässerung zur Verfügung gestanden, wie vom Sachverständigen S. und dem Parteisachverständigen J. aufgezeigt und im Hinweisbeschluss des Landgerichts vom 6. Mai 2021 (Bl. 1242ff., V) zutreffend erörtert. Es fehlte seitens der Beklagten zu 3) insoweit auch ein entsprechender Hinweis bzw. eine Bedenkenanmeldung gegenüber dem Kläger (vgl. GA vom 6. Mai 2022, S. 29, Anlagenband).

(2) Dieses Verschulden der Beklagten zu 3), das mitursächlich geworden ist auch für das mangelhafte Werk der Beklagten zu 1), muss sich der Kläger nach §§ 278, 254 BGB anspruchsmindernd zurechnen lassen.

Dies gilt jedoch nicht für ein etwaiges Überwachungsverschulden der Beklagten zu 3) (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 – VII ZR 70/01, NZBau 2002, 514), denn insoweit ist der Architekt nicht Erfüllungsgehilfe des Bauherrn, weil dieser dem Unternehmer im Rahmen des Bauvertrages keine Beaufsichtigung schuldet, der Unternehmer also keinen Anspruch auf ordnungsgemäße Beaufsichtigung durch den Architekten hat (vgl. BGH, NJW 1972, 447 (448); BGH NJW 1978, 643; BauR 1982, 514 (516); BGH NJW 1985, 2475). Der Unternehmer ist mithin – anders als bei den Bauplänen – zur Herstellung seines Werks nicht auf den Einsatz einer Bauüberwachung angewiesen.

Aus dem gleichen Grund stellen auch die übrigen vom Kläger beauftragten Gewerke keine Erfüllungsgehilfen des Klägers dar, so dass auch in Bezug auf deren Leistung die Zurechnung eines etwaigen Verschuldens nach §§ 278, 254 BGB ausscheidet (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 1982 – VII ZR 314/81, NJW 1983, 875; BGH, Urteil vom 27. Juni 1985 – VII ZR 23/84, NJW 1985, 2475; BGH, Urteil vom 21. Oktober 1999 – VII ZR 185/98, NJW 2000, 1336).

(3) Liegt ein Mitverschulden des Geschädigten wie hier vor, hängt der Umfang der Ersatzpflicht von einer Abwägung der Umstände des Falls ab, wobei insbesondere auf das Maß der beiderseitigen Verursachung abzustellen ist und erst in zweiter Linie auf das Maß des beiderseitigen Verschuldens. Es kommt für die Haftungsverteilung wesentlich darauf an, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in erheblich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat (vgl. BGH, NJW-RR 2000, 272; NJW 1998, 1137; NJW 2009, 582). Die jeweilige Quote ist nach den Umständen des Einzelfalls im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung zu bemessen (vgl. BGH NJW 1969, 653), die dem Senat auf Grundlage der hier unstreitigen und bewiesenen Tatsachen obliegt. Eine Bindung an die vom Sachverständigen S. eingeschätzte Haftungslage besteht dabei nicht.

Unter Würdigung der vorliegenden Gesamtumstände erachtet der Senat im Streitfall eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten des Klägers als angemessen. Der Verursachungsbeitrag der Beklagten zu 3), den sich der Kläger im Verhältnis zur Beklagten zu 1) anspruchskürzend zurechnen lassen muss, wiegt gerade mit Blick auf die fehlerhafte und unzureichende Planungsleistung der Beklagten zu 3) deutlich schwerer als der Verursachungsbeitrag der Beklagten zu 1). Schließlich schuldete die Beklagte zu 3) als Architektin im Rahmen der Ausführungsplanung gerade die detaillierte Planung, Koordinierung der einzelnen Gewerke und Vorbereitung der Ausführung der Bauleistungen mit allen dafür erforderlichen Einzelangaben. Die Architektenleistung war mithin der Ausgangspunkt für alle danach anschließenden Leistungen der jeweiligen Gewerke, die im Zweifel gar nicht im standen waren, die Vor- und Nachleistungen der anderen Gewerke in Gänze zu überblicken. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass jedes beauftragte Gewerk einen ursächlichen Beitrag zu den an der Terrassenoberfläche beanstandeten Mängeln geleistet hat (vgl. Gutachten vom 24. Juli 2020, Bl. 1118, V, und vom 6. Mai 2022, S. 29, Anlagenband).

Gleichwohl erscheint es auch nicht angemessen, die Haftung der Beklagten zu 1) gänzlich zurücktreten zu lassen. Bei der Abwägung der Verursachungsanteile ist zu berücksichtigen, dass die Verletzung von Prüfungs- und Hinweispflichten des Werkunternehmers nicht bagatellisiert werden darf, weil diese in der Regel eine gewichtige Ursache für den Schaden am Bauwerk darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2008 – VII ZR 206/06, Rn. 39). Eine einseitige Haftungsverteilung zu Lasten des Planers ist deshalb nicht angemessen, weil der Auftragnehmer auf diese Weise letztlich aus der Verantwortung genommen würde, obwohl er selbst seine Bedenkenhinweispflicht nicht erfüllt hat (vgl. BGH Urteil vom 24. Februar 2005 – VII ZR 328/03, Rn. 40 ff.). Denn wäre die Beklagte zu 1) ihrer Prüfungs- und Mitteilungspflicht hinsichtlich des zu geringen Gefälles und der unzureichenden Planung der Beklagten zu 3) hinreichend nachgekommen, hätte die Sanierungsplanung auf die geäußerten Bedenken hin noch rechtzeitig vor Bauausführung erstellt und entsprechend geändert und der jetzt entstandene, mangelhafte Zustand womöglich verhindert werden können. Der Senat erachtet deshalb eine Mithaftung der Beklagten zu 1) in Höhe von 1/3 für angemessen.

cc) Die vom Landgericht bezifferte Höhe des Kostenvorschussanspruchs, der sich nach den voraussichtlichen oder mutmaßlichen Kosten der Mängelbeseitigung berechnet (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2001 – VII ZR 115/99, NJW-RR 2001, 739; BGH, Urteil vom 24. Oktober 1996 – VII ZR 98/94, NJW-RR 1997, 339 (340); BGH, Urteil vom 5. Mai 1977 – VII ZR 36/76, NJW 1977, 1336, 1338), hat die Beklagte zu 1) nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO entsprechend angegriffen. Insoweit hat die Beklagte zu 1) zur Höhe der Kosten lediglich ausgeführt, dass die Schätzung des Landgerichts “nicht rechtsfehlerfrei” erfolgt sei, ohne konkrete Anhaltspunkte aufzuzeigen, die an der Richtigkeit der landgerichtlichen Ausführungen zweifeln lassen.

Die Entscheidung begegnet im Übrigen unter diesem Gesichtspunkt aber auch keinen Bedenken. Das Landgericht hat mit Hinweisbeschluss vom 6. Mai 2021 (Bl. 1242, V) umfassend und zutreffend dargelegt, dass als Nachbesserungsmaßnahme im Rahmen des Kostenvorschusses von den durch den Sachverständigen S. und dem Parteisachverständigen J. insgesamt drei aufgezeigten Sanierungsvarianten allein die Variante des Herrn J. geeignet ist, die Mängel entsprechend dem vertraglich geschuldeten Zustand zu beseitigen. Auf dieser Grundlage hat der Sachverständige S. den voraussichtlichen Mängelbeseitigungsaufwand, der sog. Sowieso-Kosten nicht enthält, auf ca. 25.000 Euro brutto beziffert (vgl. GA vom 6. Mai 2022, S. 8 – 11, Anlagenband). Auf diese sachverständig festgestellten voraussichtlichen Kosten hat sich auch das Landgericht gestützt zuzüglich eines nicht zu beanstandenden ca. 30%igen Aufschlags wegen der Kostensteigerung, auf den auch der Sachverständige S. hingewiesen hat (vgl. GA vom 6. Mai 2022, S. 11: bis zu 40 % Abweichung).

Soweit die Beklagte zu 1) in der Berufungsbegründung zu den Reinigungskosten als Sowieso-Kosten vorträgt, beziehen sich diese auf die Ausblühungen auf den Steinplatten. Solche Reinigungskosten sind aber in der sachverständigen Kostenschätzung schon nicht enthalten. Vielmehr sind die Natursteinplatten insgesamt zu ersetzen. Ebenso wenig ist ein sog. Abzug Neu für Alt vorzunehmen, denn der Gewährleistungsanspruch des Auftraggebers hat eine Werkleistung zum Gegenstand, die der Auftragnehmer neu und mängelfrei zu erbringen hatte. Die zwischenzeitliche unvermeidliche Nutzung der Terrasse ermöglicht gerade nicht deren vertraglich geschuldeten, unbeeinträchtigten Gebrauch. Daher sind auch ggf. ersparte Renovierungsaufwendungen nicht in Abzug zu bringen (vgl. BGH NJW 1984, 2457).

dd) Die dem Kläger im Rahmen eines Schadenersatzanspruchs nach §§ 280, 281, 634 Nr. 4, 633, 631 BGB zuzusprechenden und vom Landgericht auf 2.500 Euro geschätzten Kosten für den Parteigutachter J. hat die Berufung nicht beanstandet.

ee) Insgesamt ergibt sich damit eine vom Landgericht zutreffend ermittelte Gesamtforderung des Klägers in Höhe von 37.500,00 Euro, wovon der Kläger jedoch wegen des ihm anzurechnenden Mitverschuldens in Höhe von 2/3 lediglich einen Anteil in Höhe von 1/3, mithin 12.500,00 Euro, beanspruchen kann und zwar gemäß § 288 Abs. 1 BGB nebst Zinsen seit dem 30. November 2015.

ff) Da die übrigen am Bauvorhaben beteiligten Gewerke gesamtschuldnerisch haften und der Kläger grundsätzlich frei wählen kann, welchen Gesamtschuldner er in Anspruch nehmen will, ist der Beklagten zu 1) mangels Anhaltspunkten für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers im Hinblick auf die bisher nicht in Anspruch genommenen Dachdecker und Plattenleger auch der Einwand versagt, der Kläger hätte sich durch rechtzeitigen Zugriff bei dem im Innenverhältnis verpflichteten Gesamtschuldner befriedigen können und müssen (vgl. BGH, WM 1967, 397 (398); NJW 1983, 1423 (1424); WM 1984, 906). Deshalb steht hier auch das Rechtskonstrukt der sog. gestörten Gesamtschuld dem Anspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 1) nicht entgegen, zumal der Kläger bereits mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2019 (Bl. 1079, IV) erklärt hat, keine Zahlungszusagen von Seiten anderer Gewerke erhalten zu haben.

b) Soweit nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen die Klage gegen die Beklagte zu 1) ursprünglich zulässig und begründet war, ist sie durch die Zahlung der Beklagten zu 3) gemäß § 422 Abs. 1 S. 1 BGB unbegründet geworden, da danach die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner auch für die übrigen Schuldner wirkt und die Beklagte zu 1) als Werkunternehmerin und die Beklagte zu 3) als Architektin Gesamtschuldner sind (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1968 – VII ZR 23/66, NJW 1969, 653). Insofern ist die Erledigung der Hauptsache festzustellen. Die Berufung ist in diesem Maße unbegründet.

3. Die Berufung gegen den Feststellungsantrag zu 3) hat ebenfalls nur insoweit Erfolg, als dass sie zur Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten zu 1) für weitere Mängelbeseitigungskosten in Bezug auf den Gefälleestrich im Umfang von 1/3 führt.

a) Die Feststellungsklage zu 3) ist zulässig. Der Kläger hat ein Feststellungsinteresse hinsichtlich der Einstandspflicht der Beklagten zu 1) für weitere Kosten im Zusammenhang mit der Herstellung eines ordnungsgemäßen Gefälleestrichs. Auch wenn neben der Vorschussklage eine Feststellungsklage zum Zwecke der Verjährungsunterbrechung entbehrlich ist (vgl. BGH NJW 1976, 956; BGH, NJW-RR 1986, 1026), ist der Besteller nicht gehindert, neben der Vorschussklage Feststellungsklage wegen des übersteigenden Betrags zu erheben (vgl. BGH, NJW-RR 1986, 1026), doch hat das lediglich klarstellende Bedeutung (vgl. BGH NJW-RR 1989, 208; BGH NJW 2009, 60). Ein rechtliches Interesse für eine neben einer Leistungsklage erhobene Feststellungsklage ist immer dann gegeben, wenn der entstandene oder noch entstehende Schaden nicht bereits in vollem Umfang durch den Antrag auf Zahlung erfasst wird (vgl. BGH NJW 1952, 740). Der Besteller, der nicht zu überblicken vermag, ob der von ihm verlangte Vorschuss für die Mängelbeseitigung ausreicht, kann deshalb nicht gehindert werden, ergänzend die den Vorschuss übersteigende Kostentragungspflicht des Unternehmers feststellen zu lassen (vgl. BGH NJW-RR 1986, 1026).

b) Der Feststellungsantrag zu 3) ist auch in dem zuerkannten Umfang von 1/3 begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) – wie zuvor erörtert – dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses aus §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 3 BGB und muss daher auch für die weiteren noch nicht bezifferbaren Kosten zur Mängelbeseitigung im Zusammenhang mit der Herstellung eines ordnungsgemäßen Gefälleestrichs einstehen. Allerdings beschränkt sich die Einstandspflicht der Beklagten zu 1) aus den dargelegten Gründen auf 1/3.

3. Im Übrigen ist die Berufung begründet und führt insoweit zur Abweisung der gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Klage.