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OVG NW zu der Frage, dass eine auf Gefahrenbeseitigung gerichtete Ordnungsverfügung auch bei einem durch eine gültige Baugenehmigung gedeckten Gebäude grundsätzlich möglich ist, und zwar insbesondere dann, wenn sie - wie beim Brandschutz - dem Schutz von Leben und Gesundheit dient und dass an die für das Vorliegen einer konkreten Gefahr erforderliche Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts in Bezug auf Leben oder Gesundheit als geschützte Rechtsgüter keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen sind

vorgestellt von Thomas Ax

Eine auf Gefahrenbeseitigung gerichtete Ordnungsverfügung ist auch bei einem durch eine gültige Baugenehmigung gedeckten Gebäude grundsätzlich möglich, und zwar insbesondere dann, wenn sie – wie beim Brandschutz – dem Schutz von Leben und Gesundheit dient.
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.08.2024 – 7 B 486/24

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Anträge auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 23 K 951/24 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 18.1.2024, mit der unter Androhung eines Zwangsgelds die Schließung von Öffnungen in Wänden zwischen der Tiefgarage und Treppen ins Freie angeordnet wurde, sowie auf Aufhebung der Vollziehung der zwischenzeitlich getroffenen Brandschutzmaßnahmen abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Ordnungsverfügung vom 18.1.2024 erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Sie finde ihre Rechtsgrundlage in § 58 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW. Sie sei hinreichend bestimmt. Ihr stehe die formelle Legalität der Tiefgarage aufgrund der Baugenehmigung vom 15.1.2019 einschließlich des Brandschutzkonzepts vom 6.9.2017 nicht entgegen, im Übrigen komme ein Einschreiten aus Gründen des Brandschutzes ausnahmsweise auch bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen in Betracht. Die Voraussetzungen hierfür seien gegeben, da ein Verstoß gegen § 35 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i. V. m. § 35 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW vorliege und eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit der Nutzer der Tiefgarage bestehe. Auf der Rechtsfolgenseite habe die Antragsgegnerin ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt und insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt. Auch unabhängig von der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Ordnungsverfügung falle eine allgemeine, vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens losgelöste Interessenabwägung zum Nachteil der Antragstellerin aus. Die Zwangsgeldandrohung sei rechtmäßig. Ein Anspruch auf Aufhebung der Vollziehung bestehe ebenfalls nicht.

Das dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen führt nicht zur Änderung der angefochtenen Entscheidung.

1. Das Beschwerdevorbringen erschüttert nicht die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Öffnungen in den Wänden zwischen der Tiefgarage und den Treppen nicht gegen § 35 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i. V. m. § 35 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW verstoßen.

Die Antragstellerin beruft sich zunächst ohne Erfolg darauf, § 35 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BauO NRW seien auf eingeschossige Tiefgaragen nicht anwendbar. Dies ergibt sich nicht schon aus der Formulierung “aus den Geschossen” in § 35 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW. Daraus folgt nicht, dass die Norm nur auf mehrgeschossige Gebäude anwendbar wäre. Vielmehr zeigt die Bezugnahme auf die Regelung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW durch die Verwendung des Begriffs der “notwendigen Treppe“, dass Anknüpfungspunkt des § 35 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW das Vorhandensein einer Treppe aus einem nicht zu ebener Erde liegenden Geschoss ist.

Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Antragstellerin in Bezug genommenen Zweck der Regelung, die Feuerwehr im Brandfall zu schützen und eine Fluchtmöglichkeit aufrechtzuerhalten. Diese Ziele erfordern auch bei einer Treppe, die unmittelbar aus einem eingeschossigen Gebäude ins Freie führt, grundsätzlich die Einhaltung der Anforderungen an einen notwendigen Treppenraum, da nur so der Wegfall der Treppe als Flucht- bzw. Rettungsweg und Angriffsweg der Feuerwehr verhindert werden kann.

Ebenso wenig dringt die Antragstellerin mit ihrer Annahme durch, die streitgegenständlichen Treppen seien als “atypische Außentreppen” gemäß § 35 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 BauO NRW ohne eigenen Treppenraum zulässig, sie seien nicht überdacht und lägen daher im Freien, auch wenn sie seitlich von Erdreich umschlossen seien, damit sei der Sinn der Privilegierung erfüllt, da im Brandfall keine Gefährdung durch die Wandöffnungen drohe. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass Außentreppen solche Treppen sind, die sich außerhalb eines Gebäudes bzw. an dessen Außenwänden befinden. Darunter fallen die streitgegenständlichen Treppen nicht. Sie grenzen jeweils mit mindestens drei Seiten an die Tiefgarage an und sind damit nicht – wie die Antragstellerin vorträgt – von Erdreich umschlossen. Weshalb und unter welchen Voraussetzungen § 35 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 BauO NRW auch “atypische Außentreppen” umfassen sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf, insbesondere nicht mit dem Verweis auf die Planungsfreiheit des Bauherrn oder dem Vergleich mit einer “oberirdischen Außentreppe” in der Nähe einer Fensteröffnung.

2. Die Beschwerdebegründung legt ferner nicht dar, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht von einer konkreten Gefahr für Leben und Gesundheit ausgegangen wäre.

a) Ohne Erfolg bemängelt die Antragstellerin, das Verwaltungsgericht sei dem Vorgehen der Antragsgegnerin gefolgt, ohne eine fachliche Begutachtung im Einzelfall einen Brandmangel anzunehmen und daraus auf eine konkrete Gefährdung zu schließen.

Damit legt sie nicht dar, dass eine solche “Einzelfallprüfung” für die Durchbrechung des Bestandsschutzes einer Baugenehmigung generell oder im vorliegenden Einzelfall erforderlich gewesen wäre. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus dem in Bezug genommenen Beschluss des OVG Sachsen-Anhalt vom 8.3.2017 – 2 L 78/16 -. Danach “kann im Einzelfall geboten sein“, dass die Bauaufsichtsbehörde das Gefährdungspotential durch eine fachliche Begutachtung ihres Bausachverständigen ermittelt und bewertet. Dass und weshalb dies vorliegend angezeigt gewesen wäre, ist weder mit dem Verweis auf die Baugenehmigung vom 15.1.2019 dargelegt noch sonst ersichtlich.

b) Die Antragstellerin zeigt nicht auf, dass das Verwaltungsgericht hinsichtlich des Vorliegens einer konkreten Gefahr für Leib und Leben von einem unzutreffenden, dem Gewicht des Bestandsschutzes nicht ausreichend Rechnung tragenden Maßstab ausgegangen wäre.

Nach der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ist eine auf Gefahrenbeseitigung gerichtete Ordnungsverfügung auch bei einem durch eine gültige Baugenehmigung gedeckten Gebäude grundsätzlich möglich, und zwar insbesondere dann, wenn sie – wie beim Brandschutz – dem Schutz von Leben und Gesundheit dient.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 10.7.2024 – 7 B 469/24 -, und vom 28.4.2021 – 2 A 833/20 -, sowie Urteil vom 25.8.2010 – 7 A 749/09 -, NVwZ-RR 2011, 47.

Ebenso hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass an die für das Vorliegen einer konkreten Gefahr erforderliche Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts in Bezug auf Leben oder Gesundheit als geschützte Rechtsgüter keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen sind,

vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 30.10.2023- 10 B 1023/23 -, sowie Urteil vom 16.6.2023 – 7 A 2635/21 -, BauR 2023, 1490,

und dass der Umstand, dass in vielen Gebäuden jahrzehntelang kein Brand ausgebrochen ist, nicht beweist, dass keine Gefahr besteht, sondern dass vielmehr mit dem Entstehen eines Brandes jederzeit gerechnet werden muss,

vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 10.7.2024 – 7 B 469/24 -, Urteil vom 25.8.2010 – 7 A 749/09 -, NVwZ-RR 2011, 47.

Dass dies den Bestandsschutz – wie von der Antragstellerin angenommen – leerlaufen lassen könnte, ist nicht ersichtlich, vielmehr wird der hohen Bedeutung der von den Brandschutzvorschriften geschützten Rechtsgüter Rechnung getragen.

c) Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich ferner nicht, dass das Verwaltungsgericht ausgehend von diesem Maßstab das Vorliegen einer konkreten Gefahr zu Unrecht bejaht hätte.

Es hat insoweit ausgeführt, aufgrund der Öffnungen in den Wänden, die um die als Rettungswege dienenden Treppen angeordnet seien, sei es nicht unwahrscheinlich, dass die Treppen und die umliegenden Räume im Brandfall durch Feuer beaufschlagt würden, dort Hitze aufsteigen und Rauch in die Treppenbereiche eindringen werde, durch die Konvektion strömten Brandrauch und Brandgase nach oben, wodurch die offenen Treppenräume wie Schornsteine wirkten und als Rettungs- bzw. Löschangriffswege für Schutzsuchende bzw. Feuerwehrkräfte je nach Ausbreitung eines Brandes nicht gefahrenfrei nutzbar oder gänzlich unbenutzbar würden.

Die Antragstellerin verweist zunächst ohne Erfolg auf ein “Ergänzendes brandschutztechnisches Gutachten” der F. R. PartGmbB vom 7.6.2024, dem “ein kalibrierter Rauchversuch” vom 3.6.2024 zugrunde liege. Dieser habe gezeigt, dass durch die Wand- und Türöffnungen keine Schäden zu erwarten seien. Die Treppenräume bzw. die Wand- und Türöffnungen wirkten – anders als vom Verwaltungsgericht angenommen – im Brandfall nicht wie Schornsteine, es seien keine Rauchansammlungen in den Treppenräumen zu erwarten, der Rauch ziehe nach dem Passieren der Öffnungen vertikal nach oben ab, selbst nach 12 Minuten hätten sich nur kaum zu erkennende Rauchschwaden angesammelt, zudem ströme der Rauch auch aus den dafür bestimmten 13 Deckenöffnungen und Lichtschächten ins Freie.

Insoweit weist die Antragsgegnerin zutreffend unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des Brandschutzingenieurs P. vom 5.8.2024 darauf hin, dass die Gefährdung für Leben und Gesundheit bei einem Brand in einer unterirdischen Großgarage nicht (nur) aus der Rauchausbreitung als solcher, sondern (auch) aus den Auswirkungen der Wärmestrahlung und der Toxizität der Brandgase auf den menschlichen Organismus sowie aus der Gefahr einer Feuerbeaufschlagung bei einem Brand in der Nähe der Wandöffnungen resultiert. Dies berücksichtigt das Ergänzende Brandschutzgutachten vom 7.6.2024 nicht. Die von der Antragsgegnerin ferner aufgezeigten Zweifel an dem “kalibrierten Rauchversuch” sind ggf. im Hauptsacheverfahren aufzuklären.

Die in Rede stehende konkrete Gefahr entfällt auch nicht – wie die Beschwerdebegründung annimmt – aufgrund der Ergebnisbaumanalyse des Ergänzenden Brandschutzgutachtens vom 7.6.2024. Unabhängig davon, ob die darin enthaltenen Annahmen zutreffen, ist die Frage, wann eine für eine Gefahr ausreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadens an einem hochrangigen Rechtsgut wie Leib oder Leben vorliegt, einer rein quantitativen Betrachtung nicht zugänglich.

Ohne Erfolg verweist die Antragstellerin schließlich auf die Sicherheitsschleusen und die Zufahrtsrampe als alternative Flucht- bzw. Rettungswege. Das Verwaltungsgericht hat in Bezug auf die Schleusen zutreffend angenommen, dass deren Existenz mit Blick auf die insoweit eingeschränkte Schlüsselgewalt der Tiefgaragennutzer sowie auf die im Brandschutzkonzept vorgesehene Nutzung der streitgegenständlichen Treppen als Löschangriffsweg eine Gefahr nicht auszuschließen vermögen. Dass die Zufahrtsrampe den Anforderungen an den (ersten) Rettungsweg nicht genügt, hat die Antragsgegnerin mit der Beschwerdeerwiderung aufgezeigt.

Gegen das Vorliegen einer Gefahr spricht schließlich auch nicht der Vortrag, eine Verrauchung der Treppen sei von untergeordneter Bedeutung, da die Feuerwehr Atemschutzgeräte nutze und die Zufahrtsrampe als Rettungsweg zur Verfügung stehe. Das ergibt sich schon daraus, dass eine Verrauchung die Treppen als Fluchtweg für Nutzer der Tiefgaragen einschränkt oder ausschließt und die Rampe im Brandfall schon aufgrund der Größe der Tiefgarage nicht für jeden Nutzer hinreichend sicher zu erreichen ist.

3. Schließlich zeigt die Beschwerdebegründung auch nicht auf, dass das Verwaltungsgericht unzutreffend von der Verhältnismäßigkeit der Ordnungsverfügung vom 18.1.2024 ausgegangen wäre.

Die Antragstellerin wendet insoweit ein, es liege nur eine geringe Schadenswahrscheinlichkeit vor, die keine Durchbrechung des Bestandsschutzes rechtfertige, die geforderte Schließung der Öffnungen führe ggf. zu einer unzureichenden Belüftung der Tiefgarage, die eine kostenintensive Belüftungsanlage erforderlich machen könne. Dies greift nicht durch.

Dem öffentlichen Interesse an der Minimierung von Brandrisiken und der damit bezweckten Vermeidung von Schäden an Leben und Gesundheit der Bewohner von Gebäuden kommt grundsätzlich ein höheres Gewicht zu als finanziellen Interessen des betroffenen Eigentümers.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.7.2024 – 7 B 469/24 -.

Zudem ist weder mit der Beschwerdebegründung dargelegt noch sonst ersichtlich, dass es im Falle der Schließung der Wandöffnungen tatsächlich der Installation einer kostenintensiven Belüftungsanlage bedürfte.

Vielmehr ergibt sich aus dem “Gutachten über die natürliche Lüftung der Garage” des TÜV Rheinland vom 12.9.2023, dass zwar auch mit den vorhandenen Öffnungen die Anforderungen aus § 136 Abs. 2 SBauVO an eine natürliche Lüftung nicht eingehalten werden, aber dennoch im Sinne des § 136 Abs. 3 SBauVO mit einer ausreichenden natürlichen Lüftung gerechnet werden könne und auch bei einer – infolge der geforderten Schließung der Wandöffnungen gegebenen – Halbierung des Lüftungsquerschnitts mit einem Überschreiten des zulässigen CO-Grenzwert eher nicht zu rechnen sei. Dem schließt sich auch das von der Antragstellerin selbst beauftragte Brandschutztechnische Gutachten der F. R. PartGmbB vom 22.3.2024 an, wenn es ausführt, dass eine ausrechende Belüftung bzw. die Einhaltung eines zulässigen CO-Halbstundenmittelwertes auch ohne den Ansatz der zu den drei Außentreppen orientierten Öffnungen prognostiziert werden könne.

4. Auf die Einwände der Antragstellerin gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene allgemeine Interessenabwägung kommt es schon deshalb nicht an, weil das Verwaltungsgericht die Ablehnung der Anträge selbstständig tragend auf die nach summarischer Prüfung gegebene Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung vom 18.1.2024 gestützt hat; diese Begründung hat die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde aus den dargelegten Gründen nicht substantiiert in Zweifel gezogen.

5. Danach hat die Antragstellerin auch keinen Anspruch auf Aufhebung der zwischenzeitlich getroffenen Brandschutzmaßnahmen an den Stellplätzen.