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Dr. jur. Thomas Ax

Sind diese Kostenvorschussansprüche deswegen ausgeschlossen, wenn der Besteller wegen der Mängel, die zu diesen Ansprüchen führen, zunächst die Minderung der Vergütung erklärte, § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB?

ANTWORT: BGH, Urteil vom 22.08.2024 – VII ZR 68/22:

Diese Kostenvorschussansprüche sind nicht deswegen ausgeschlossen, wenn der Besteller wegen der Mängel, die zu diesen Ansprüchen führen, zunächst die Minderung der Vergütung erklärte, § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Die Gestaltungswirkung der Minderung beschränkt sich auf die Mängelrechte der Nacherfüllung, des Rücktritts und des großen Schadensersatzes in Form der Rückgängigmachung des Vertrags, nimmt dem Besteller, der das mangelhafte Werk behält, jedoch nicht das Recht, sein Leistungsinteresse durch Selbstvornahme mit Kostenerstattung im Wege des Schadensersatzes statt der Leistung (kleiner Schadensersatz), § 634 Nr. 4, § 281 BGB, oder gemäß § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1 BGB in vollem Umfang durchzusetzen.

Eine gesetzliche Regelung, wonach die Geltendmachung eines Kostenvorschussanspruchs ausgeschlossen ist, wenn der Besteller die Minderung des Werklohns erklärt hat, existiert nicht. Weder § 634 BGB noch §§ 637, 638 BGB regeln, in welchem Verhältnis das Recht des Bestellers auf Minderung der Vergütung (§ 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB) und die ihm zustehende Befugnis zur Selbstvornahme sowie sein Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses (§ 634 Nr. 2, § 637 BGB) stehen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist vielmehr davon auszugehen, dass diese Rechte nebeneinander bestehen können.

Aus der Begründung des Gesetzentwurfs zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drucks. 14/6040) ergibt sich nichts Anderes. Es war dem Gesetzgeber in Abgrenzung zum alten Schuldrecht vielmehr ein Anliegen, die Wahrnehmung von Mängelrechten sowohl im Kauf- als auch im Werkvertragsrecht flexibler zu gestalten und Käufer sowie Besteller mehr Möglichkeiten zur Wahrnehmung ihrer berechtigten Interessen einzuräumen (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 226, 263).

Diese gesetzgeberische Absicht spricht grundsätzlich dafür, dass die Geltendmachung eines Mängelrechts andere Mängelrechte nicht ausschließt. So hat der Gesetzgeber nur für den Fall des Schadensersatzes statt der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 281 Abs. 1 BGB) ausdrücklich geregelt, dass der Anspruch auf Nacherfüllung (§ 634 Nr. 1 BGB) erlischt, sobald der Besteller Schadensersatz statt der Leistung verlangt (§ 634 Nr. 4, § 281 Abs. 4 BGB). Diese Regelung dient nach der Absicht des Gesetzgebers dem Schutz des Unternehmers, der sich darauf einstellen können soll, nicht mehr einem Anspruch auf Nacherfüllung ausgesetzt zu sein, nachdem der Besteller Schadensersatz statt der Leistung verlangt hat (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 140). Damit wird dem Unternehmer beispielsweise eine sicherere Einsatzplanung der von ihm vorgehaltenen und auf seinen Baustellen einzusetzenden Produktionsmittel gewährleistet, da er nicht parallel auf Schadensersatz und Nacherfüllung in Anspruch genommen werden kann.

Es ist abzulehnen, diese ausschließlich § 634 Nr. 1 BGB betreffende Rechtsfolge auf die Befugnis zur Selbstvornahme und damit den Anspruch auf Kostenvorschuss nach § 634 Nr. 2, § 637 BGB zu erstrecken (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 Rn. 48 ff., BGHZ 218, 1). Diese Rechtsprechung beruht auf dem Wortlaut von § 281 Abs. 4 BGB, der gesetzgeberischen Absicht und dem Sinn und Zweck des Kostenvorschussanspruchs. Dieser dient dazu, dem Besteller die Nachteile und Risiken abzunehmen, die mit einer Vorfinanzierung der Mängelbeseitigung einhergehen. Wählt der Besteller Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes, kann er den Mangel beseitigen und die damit verbundenen Aufwendungen als Schaden von dem Unternehmer erstattet verlangen. Durch die Wahl des Schadensersatzes statt der Leistung anstelle der Selbstvornahme soll der Besteller aber nicht schlechter gestellt werden. Ein umfassender Ausgleich des verletzten Leistungsinteresses ist deshalb nur gewährleistet, wenn der Besteller – auch nach Wahl des Schadensersatzes statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes – weiterhin Vorschuss verlangen kann (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 Rn. 51, BGHZ 218, 1).

Der Besteller kann daher nach seiner Erklärung, Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes zu verlangen, den Mangel zunächst nicht beseitigen und den Schaden beispielsweise in Anlehnung an die in § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB geregelte Minderung bemessen (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 Rn. 38, 41, 44, BGHZ 218, 1). Das hindert ihn aber nicht, sich noch für eine Beseitigung des Mangels zu entscheiden und deshalb einen Kostenvorschussanspruch hierfür geltend zu machen (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 Rn. 48-51, BGHZ 218, 1).

Diese Erwägungen zum Verhältnis des Schadensersatzes statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes, § 634 Nr. 4, § 281 BGB, zum Kostenvorschussanspruch, § 634 Nr. 2, § 637 BGB, gelten entsprechend für das Verhältnis der Minderung, § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB, zum Kostenvorschussanspruch. Wählt also der Besteller zunächst das Mängelrecht der Minderung, steht es ihm ebenfalls grundsätzlich frei, zu einem späteren Zeitpunkt den Mangel zu beseitigen und zur Finanzierung der Aufwendungen einen Kostenvorschussanspruch geltend zu machen. Die Rechtsnatur der Minderung steht dem nicht entgegen.

Mit der Erklärung, die Vergütung zu mindern, bringt der Besteller zum Ausdruck, keine Beseitigung des Mangels durch den Unternehmer zu wollen. Es entspricht deshalb der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass mit der Erklärung der Minderung der Nacherfüllungsanspruch (§ 634 Nr. 1 BGB) ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 – VII ZR 235/15 Rn. 45, BGHZ 213, 319). Zudem bringt der Besteller zum Ausdruck, das Werk trotz des Mangels behalten zu wollen, so dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Rücktritt vom Vertrag (§ 634 Nr. 3 Fall 1 BGB) wegen des Mangels, auf den die Minderung gestützt wird, grundsätzlich ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 – VII ZR 235/15 Rn. 55, BGHZ 213, 319). Das Gleiche gilt für den Schadensersatzanspruch statt der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 281 BGB) in Form des großen Schadensersatzes, mit dem die Rückgängigmachung des Vertrags verlangt wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2018 – VIII ZR 26/17, BGHZ 218, 320 zum Kaufrecht). Dagegen ist der Besteller nach erklärter Minderung der Vergütung nicht gehindert, Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes (§ 634 Nr. 4, § 281 BGB) geltend zu machen (BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 – VII ZR 235/15 Rn. 49 ff., BGHZ 213, 319; vgl. zudem BGH, Urteil vom 9. Mai 2018 – VIII ZR 26/17 Rn. 43, 62, BGHZ 218, 320).

Ausgehend von dieser Rechtsprechung kann der Besteller auch nach erklärter Minderung den Mangel beseitigen und die dafür getätigten Aufwendungen als Schadensersatz statt der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 281 BGB) von dem Unternehmer erstattet verlangen. Dies ist dem Besteller weder nach der Gesetzessystematik noch aufgrund der Gestaltungswirkung der Minderung verwehrt.

Denn sowohl Minderung als auch Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes sind ihrem Inhalt nach darauf gerichtet, das verletzte Leistungsinteresse des Bestellers, der das mangelhafte Werk behält, auszugleichen. Diese Mängelrechte schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2018 – VIII ZR 26/17 Rn. 62, BGHZ 218, 320). Um einen möglichst umfassenden Ausgleich des Leistungsinteresses zu gewährleisten, ist es gerechtfertigt, dem Besteller ergänzend einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung (kleinen Schadensersatz) zuzubilligen, wenn ein über den Minderungsbetrag hinausgehender Schaden entsteht. Dieser kann auch nach erklärter Minderung in – über den Betrag der durch die Minderung ersparten Vergütung hinausgehenden – aufgewandten Mängelbeseitigungskosten, die der Besteller bei verständiger Würdigung für erforderlich halten durfte (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 Rn. 46, BGHZ 218, 1), bestehen. Er durfte sich zu diesen Aufwendungen aufgrund des Verhaltens des Unternehmers, der die ihm vom Gesetz eingeräumte Möglichkeit, sein mangelhaft abgeliefertes Werk nachzubessern (Nacherfüllung), nicht wahrgenommen hat, nach wie vor herausgefordert fühlen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 Rn. 46, BGHZ 218, 1).

Dem Unternehmer ist kein schützenswertes Interesse zuzubilligen, nach einer einmal erfolgten Minderung der Vergütung nicht mehr auf die Kosten einer Mängelbeseitigung in Anspruch genommen werden zu können. Es besteht nach der Konzeption der Mängelrechte durch die Schuldrechtsreform kein Grund, über das Erlöschen des Nacherfüllungsanspruchs hinaus die Dispositionsfreiheit des Bestellers zugunsten des Unternehmers einzuschränken. Es ist vielmehr der Unternehmer, der in doppelter Weise vertragswidrig gehandelt hat, indem er weder ein mangelfreies Werk herstellte noch seiner Pflicht zur Nacherfüllung nachkam.

Die Gestaltungswirkung der Minderung beschränkt sich – wie dargestellt – auf die Mängelrechte der Nacherfüllung, des Rücktritts und des großen Schadensersatzes in Form der Rückgängigmachung des Vertrags, nimmt dem Besteller, der das mangelhafte Werk behält, jedoch nicht das Recht, sein Leistungsinteresse durch Selbstvornahme mit Kostenerstattung im Wege des Schadensersatzes statt der Leistung (kleiner Schadensersatz), § 634 Nr. 4, § 281 BGB, oder gemäß § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1 BGB in vollem Umfang durchzusetzen.

Steht dem Besteller danach die Befugnis zur Selbstvornahme auch nach erklärter Minderung weiterhin zu, kann er vom Unternehmer gemäß § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 3 BGB einen Kostenvorschuss für die für die Selbstvornahme benötigten Mittel verlangen, die über die durch die Minderung ersparte Vergütung hinausgehen.