Ax Hochbaurecht

  • Uferstraße 16, 69151 Neckargemünd
  • +49 (0) 6223 868 86 13
  • mail@ax-hochbaurecht.de

Zum Betretungsrecht der mit dem Vollzug der Bayerischen Bauordnung beauftragten Personen im Rahmen der bauaufsichtlichen Aufgaben und Befugnisse und wenn der Vollzug des Baurechts - insbesondere für die Prüfung von Bauanträgen und von bauaufsichtlichen Maßnahmen sowie allgemein für die Bauüberwachung gewährleistet werden muss

von Thomas Ax

Das Betretungsrecht nach Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO umfasst die Befugnis der mit dem Vollzug der Bayerischen Bauordnung beauftragten Personen, Grundstücke und bauliche Anlagen auch gegen den Willen der Betroffenen zu betreten und (schlicht) in Augenschein zu nehmen (d.h. nicht eine Durchsuchung i.S. von Art. 13 Abs. 2 GG durchzuführen). Sinn des Betretungsrechts ist es zu prüfen, ob die für die Bauaufsicht maßgebenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten sind. Das Betretungsrecht erstreckt sich auf bebaute und unbebaute Grundstücke, Anlagen und Wohnungen. Für die Überprüfung muss ein sachlicher Grund vorliegen, der sich allgemein daraus ergibt, dass bauliche Anlagen so zu errichten, zu ändern oder instand zu halten sind, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit, und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden. Das Betretungsrecht steht den berechtigten Personen “in Ausübung ihres Amtes” zu. Das Betreten des Grundstücks muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Dabei muss sich die Bauaufsichtsbehörde regelmäßig nicht darauf verweisen lassen, dass eine Einsichtnahme auch von der Straße oder von einem Nachbargrundstück aus möglich wäre. Geeignet, erforderlich und zumutbar ist eine auf das Betreten gerichtete Duldungsverpflichtung insbesondere dann, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass unter Verstoß gegen baurechtliche Bestimmungen gebaut wird und zuvor vergeblich versucht wurde, einen Augenscheintermin zu vereinbaren. Ein wiederholtes Betreten ist zulässig, wenn dies zur umfassenden Sachverhaltsermittlung erforderlich ist oder die Möglichkeit zwischenzeitlicher Veränderungen besteht.

Das Betretungsrecht besteht nicht nur im Rahmen der bauaufsichtlichen Aufgaben und Befugnisse gem. Art. 54 Abs. 2 Satz 1 BayBO besteht, sondern ganz allgemein, wenn der Vollzug des Baurechts – insbesondere für die Prüfung von Bauanträgen und von bauaufsichtlichen Maßnahmen (Art. 54 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4, Art. 74 ff. BayBO) sowie allgemein für die Bauüberwachung (Art. 77, 78 BayBO) – gewährleistet werden muss. Den Berechtigten soll mit dem Betretungsrecht die Möglichkeit eröffnet werden, durch Inaugenscheinnahme die zur Bauüberwachung notwendigen Erkenntnisse zu ermitteln resp. sich eine Meinung darüber zu bilden, ob die baurechtlichen Vorschriften eingehalten sind. Eine konkrete Gefahr wird nicht vorausgesetzt (vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2006 – 4 B 36.06 – ZfBR 2006, 688 = juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 25.2.2009 – 9 C 08.2244 und 9 C 08.2245 – jeweils juris Rn. 2; VG Augsburg, U.v. 26.4.2010 – Au 5 K 09.1474 – juris Rn. 37; VG Würzburg, U.v. 5.5.2008 – W 5 K 08.660 – juris Rn. 37; zum Ganzen vgl. auch Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, Stand: Mai 2021, Art. 54 Rn. 98 f., 103; Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Stand: März 2021, Art. 54 Rn. 131, 134).

Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO ermächtigt auch zum Betreten von Wohnungen i.S. von Art. 13 Abs. 7 GG, hierbei gelten aber aufgrund der verfassungsrechtlichen Beschränkungen nach Art. 13 Abs. 7 GG, Art. 106 Abs. 3 BayVerf sowie am Maßstab des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit besondere Anforderungen.

Das Betreten (allgemein eines Grundstücks oder speziell einer “Wohnung”) selbst ist ein Realakt, sodass es einer Verfügung nicht bedarf, wenn die Betroffenen hiermit einverstanden sind (Molodovsky/Famers/Waldmann a.a.O. Art. 54 Rn. 106). Jedenfalls wenn es um das Betreten von Wohnungen i.S. von Art. 13 GG geht, bedarf die allgemeine gesetzliche Ermächtigung, eine Wohnung auch gegen den Willen der Betroffenen zu betreten, im Einzelfall der Konkretisierung durch eine entsprechende Duldungsanordnung. Denn erst durch einen solchen Verwaltungsakt wird in nachprüfbarer Weise festgestellt, dass die Voraussetzungen des Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO unter Berücksichtigung der Schranken des Art. 13 Abs. 7 GG vorliegen (vgl. BayVerfGH, E.v. 30.1.2006 – Vf. 5-VII-05 – BayVBl 2006, 304 = juris Rn. 28; BayVGH, U.v. 10.4.1986 – 2 B 85 A.630 – BayVBl 1987, 21/22). In der Kommentarliteratur wird darüber hinaus mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 BV) und die Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) auch in allen anderen Fällen des Betretens eines Grundstücks / Anwesens gegen den Willen des Verfügungsberechtigten die Notwendigkeit einer Duldungsanordnung gesehen, bevor Verwaltungszwang angewendet werden kann (Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Art. 54 Rn. 141 f.; Molodovsky/Famers/Waldmann a.a.O. Art. 54 Rn. 107 f.). Im Übrigen gelten für die Ausübung des Betretungsrechts die allgemeinen Voraussetzungen des Sicherheitsrechts, insbesondere muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden (BayVerf-GH, E.v. 30.1.2006 a.a.O. juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 26.3.2012 – 9 ZB 08.1359 – juris Rn. 15; Molodovsky/Famers/Waldmann, a.a.O. Art. 54 Rn. 104 m.w.N.). Dies setzt voraus, dass die Interessen des Betroffenen sachgerecht mit den öffentlichen Interessen an der Wahrnehmung von Recht und Ordnung abgewogen werden.

Wohnung i.S. von Art. 13 GG ist jeder nicht allgemein zugängliche Raum, der zu Aufenthalts- oder Arbeitszwecken von Menschen bestimmt oder benutzt wird. Während teilweise Gärten generell vom verfassungsrechtlichen Wohnungsbegriff ausgenommen werden (Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, Stand: Mai 2021, Art. 54 Rn. 100 m.w.N.), werden nach wohl überwiegender Ansicht auch Freiflächen, die einer privaten Nutzung zugeordnet sind und bei denen ein Mindestmaß an räumlicher Abschottung gegeben ist, wie z. B. Hausgärten oder umfriedete Kinderspielplätze in der Nähe von Wohnungen, dem Schutzbereich des Art. 13 GG und damit auch dem Schrankenvorbehalt des Art. 13 Abs. 7 GG unterfallend angesehen (vgl. BGH, B.v. 14.3.1997 – 1 BGs 65/97 – NJW 1997, 2189 = juris Rn. 6 ff.; VG Augsburg, U.v. 26.4.2010 – Au 5 K 09.1474 = juris Rn. 44; Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Art. 54 Rn. 138).

Allgemein ermächtigt Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO auch zum Betreten von Wohnungen i.S. von Art. 13 Abs. 7 GG, hierbei gelten aber aufgrund der verfassungsrechtlichen Beschränkungen nach Art. 13 Abs. 7 GG, Art. 106 Abs. 3 BayVerf besondere Anforderungen. Auch wenn Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO die Anforderungen des Art. 13 Abs. 7 GG, wonach Eingriffe und Beschränkungen in den verfassungsrechtlich geschützten Wohnbereich – soweit es nicht um die Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen geht – nur auf Basis einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage und nur zur Verhütung von dringenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zulässig sind, nicht ausdrücklich nennt, müssen diese beim Betreten von Wohnungen selbstverständlich beachtet werden (zum Ganzen: BVerwG, B.v. 7.6.2006 – 4 B 36.06 – ZfBR 2006, 688 = juris Rn. 2 ff.; BayVerfGH, E.v. 30.1.2006 – Vf. 5-VII-05 – BayVBl 2006, 304 = juris Rn. 25 f.; Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Art. 54 Rn. 134 f., 136 ff.). Vergleichbares gilt auch nach Art. 106 Abs. 3 BayVerf (BayVerfGH, E.v. 30.1.2006 a.a.O.). Eine dringende Gefahr im Sinne des Art. 13 Abs. 7 GG liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten ohne Einschreiten der Behörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein wichtiges Rechtsgut schädigen würde. Die Einhaltung der formellen und materiellen Anforderungen des Baurechts stellt in aller Regel ein solches wichtiges Rechtsgut dar (zum Ganzen vgl. BayVGH, B.v. 19.6.1991 – 2 CS 91.625 – S. 7, nicht veröffentlicht; B.v. 25.2.2009 – 9 C 08.2244 und 9 C 08.2245 – jeweils juris Rn. 2; B.v. 26.3.2012 – 9 ZB 08.1359 – juris Rn. 15; B.v. 9.12.2015 – 1 ZB 14.1937 – juris Rn. 4; OVG RhPf, U.v. 15.2.2006 – 8 A 11500/05 – BauR 2006, 971 = juris Rn. 16; VG München, U.v. 13.3.2019 – M 9 K 17.6073 – juris Rn. 19; VG Augsburg, U.v. 26.4.2010 – Au 5 K 09.1474 – juris Rn. 37; Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, Art. 54 Rn. 105; Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Art. 54 Rn. 138). Damit kann insbesondere auch die Gewährleistung eines ungehinderten Vollzugs der der Bauaufsichtsbehörde obliegenden Aufgabe, bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlichen Vorschriften und die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden (Art. 54 Abs. 2 Satz 1 BayBO), als wichtiges Rechtsgut angesehen werden, was es bei entsprechendem Anlass rechtfertigt, vom Betretungsrecht auch gegenüber einer “Wohnung” i.S. von Art. 13 GG bzw. Art. 106 Abs. 3 BayVerf Gebrauch zu machen (VG Würzburg,U.v. 5.5.2008 – W 5 K 08.660 – juris Rn. 33 m.w.N.). Die Duldungsanordnung der Betretung setzt dabei auch bei Wohnungen i.S. von Art. 13 GG, Art. 106 Abs. 3 BayVerf nicht voraus, dass ein Verstoß gegen baurechtliche Vorschriften vorliegt, vielmehr reicht schon die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines solchen Verstoßes aus (BayVGH, B.v. 9.9.2019 – 1 ZB 19.836 – juris Rn. 5; B.v. 9.9.2019 – 1 ZB 19.839 – juris Rn. 4; Manssen in Spannowsky/Manssen, Bauordnungsrecht Bayern BeckOK, Stand: April 2021, Art. 54 Rn. 33; Molodovsky/Famers/Waldmann a.a.O. Art. 54 Rn. 105). Im Einzelfall ist die rechtsstaatliche Bedeutung der Unverletzlichkeit der Wohnung mit dem öffentlichen Interesse an der Wahrung von Recht und Ordnung abzuwägen (BayVGH, B.v. 9.1.1996 – 2 CS 95.3895 – BeckRS 1996, 14855 m.w.N.).

Zudem ist im Rahmen der ergänzend gebotenen Abwägung zwischen der rechtsstaatlichen Bedeutung der Unverletzlichkeit der Wohnung einerseits mit dem öffentlichen Interesse an der Wahrung von Recht und Ordnung andererseits (s.o.) zu berücksichtigen, dass das Schutzbedürfnis sonstiger Wohnbereiche (wie z.B. Hausgärten) im Vergleich zu Wohnräumen i.e.S. gemindert ist (BayVGH, B.v. 16.1.2014 – 1 ZB 13.301 – juris Rn. 7; VG Augsburg, U.v. 26.4.2010 – Au 5 K 09.1474 = juris Rn. 44; Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Art. 54 Rn. 138; bei Betriebs- und Arbeitsräumen vgl. auch BVerfG, B.v. 13.10.1971 – 1 BvR 280/66 – BVerfGE 32, 54 = juris Rn. 51 ff.). Die gebotene Abwägung der rechtsstaatlichen Bedeutung der Unverletzlichkeit auch von Freiflächen, die einer privaten Nutzung zugeordnet sind, mit dem Interesse sowie der Aufgabe des Staats, die formellen und materiellen Anforderungen des Baurechts zu gewährleisten, ergibt, dass der mit dem Betreten einer Gartenfläche verbundene Eingriff in Rechte der Antragsteller weniger schwer wiegt als ein Absehen von der Überprüfung und Durchsetzung des Rechts.

Selbst wenn auch der hintere Gartenbereich vom Schutzbereich des Art. 13 GG erfasst wird, würde es sich bei dem zeitlich begrenzten Betreten nicht um einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff handeln (im Ergebnis ebenso in den Fallgestaltungen bei BayVGH, B.v. 16.1.2014 a.a.O. und VG Augsburg, U.v. 26.4.2010 a.a.O.).

Das Betreten des Grundstücks muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Dabei muss sich die Bauaufsichtsbehörde regelmäßig nicht darauf verweisen lassen, dass eine Einsichtnahme auch von der Straße oder von einem Nachbargrundstück aus möglich wäre. Geeignet, erforderlich und zumutbar ist eine auf das Betreten gerichtete Duldungsverpflichtung insbesondere dann, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass unter Verstoß gegen baurechtliche Bestimmungen gebaut wird und zuvor vergeblich versucht wurde, einen Augenscheintermin zu vereinbaren (BayVGH, B.v. 19.6.1991 – 2 CS 91.625 – S. 9, nicht veröffentlicht; Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Art. 54 Rn. 135). Ein wiederholtes Betreten ist zulässig, wenn dies zur umfassenden Sachverhaltsermittlung erforderlich ist oder die Möglichkeit zwischenzeitlicher Veränderungen besteht (BayVGH, B.v. 9.1.1996 – 2 CS 95.3895 – BeckRS 1996, 14855; Dirnberger in Busse/Kraus, a.a.O., Art. 54 Rn. 135).