vorgestellt von Thomas Ax
1. Die Nutzung einer baulichen Anlage kann untersagt werden, wenn die Nutzung öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich schon dann erfüllt, wenn eine bauliche Anlage ohne erforderliche Genehmigung, somit formell illegal, genutzt wird.
2. Es entspricht regelmäßig pflichtgemäßer Ermessensausübung, wenn die Bauaufsichtsbehörde eine formell illegale Nutzung durch den Erlass einer Nutzungsuntersagung unterbindet. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist.
3. Die Nutzung einer Wohnung als Praxis liegt nicht innerhalb deren Variationsbreite, sondern weist eindeutig eine andere Zweckbestimmung auf.
VGH Bayern, Beschluss vom 01.10.2024 – 15 CS 24.1320
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Anordnung des Landratsamts Regensburg, mit der ihr die Nutzung ihres Gebäudes als Praxis für Naturheilverfahren und Osteopathie untersagt wurde.
Mit Bescheid vom 11. September 2019, geändert durch Bescheid vom 10. Oktober 2019 und Nachtrags-(Tektur-)Genehmigung vom 19. August 2020 wurde der Antragstellerin und ihrem Ehegatten die Baugenehmigung zur Errichtung eines Zweifamilienhauses erteilt. Das Baugrundstück liegt im planungsrechtlichen Außenbereich und in Teilbereichen im FFH-Gebiet “Trockenhänge bei Kallmünz”. Die Baugenehmigung für den Neubau eines Wohnhauses auf dem nordwestlich des Baugrundstücks der Antragstellerin gelegenen Grundstück wurde von ihr erfolglos angefochten (VG Regensburg, U.v. 18.4.2024 – RO 2 K 23.178), jedoch auf die Klage einer Umweltvereinigung aufgehoben (VG Regensburg, U.v. 18.4.2024 – RO 2 K 23.205).
Zu Beginn des Jahres 2021 verlegte die Antragstellerin ihre Praxis für Naturheilverfahren und Osteopathie in die Räumlichkeiten des Erdgeschosses ihres genehmigten Zweifamilienhauses. Nach Anhörung zu einer Nutzungsuntersagung durch das Landratsamt stellte die Antragstellerin gemeinsam mit ihrem Ehemann mit Unterlagen vom 14./15. September 2023 einen Bauantrag zur Nutzungsänderung einer bestehenden Wohnung in eine Praxis für Naturheilverfahren und Osteopathie. Die Vertretung der Antragstellerin und ihres Ehemannes wurde durch ihren Bevollmächtigten sowohl im Baugenehmigungs- als auch im Verfahren betreffend die Nutzungsuntersagung gegenüber dem Landratsamt angezeigt.
Mit persönlich an die Bauantragsteller zugestelltem Bescheid vom 12. Februar 2024 lehnte das Landratsamt die beantragte Nutzungsänderung einer bestehenden Wohnung in eine Praxis für Naturheilverfahren und Osteopathie ab, ordnete gegenüber der Antragstellerin die Einstellung der Nutzung des Gebäudes als Praxis für Naturheilverfahren und Osteopathie ab 1. September 2024 sowie die sofortige Vollziehung der Nutzungsuntersagung an und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000 Euro an. Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragstellerin und ihr Ehemann Klage zum Verwaltungsgericht (RO 2 K 24.413), über die noch nicht entschieden ist. Ein inhaltlich nahezu identischer Bescheid vom 29. Februar 2024 wurde dem Bevollmächtigten der Antragstellerin und ihres Ehemannes zugestellt und von diesem mit Schriftsätzen vom 23. März 2024 und vom 2. April 2024 in die Klage einbezogen.
Unter dem 10. Juni 2024 stellten die Antragstellerin und ihr Ehemann Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung vom 29. Februar 2024 sowie zur vorläufigen Feststellung, dass der Bescheid vom 12. Februar 2024 mangels ordnungsgemäßer Zustellung nicht wirksam geworden ist, hilfsweise er von der aufschiebenden Wirkung der Klage erfasst ist, weiter hilfsweise die aufschiebende Wirkung der hilfsweisen Anfechtungsklage gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung vom 12. Februar 2024 wiederherzustellen. Mit Beschluss vom 16. Juli 2024 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass der Ehemann der Antragstellerin mangels Adressatenstellung der Nutzungsuntersagungsverfügung nicht antragsbefugt ist. Für eine Klärung der Bekanntgabe- und Zustellungsfragen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes betreffend den Bescheid vom 12. Februar 2024 bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis, da das Landratsamt ausdrücklich erklärt habe, aus diesem Bescheid nicht zu vollstrecken. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet, da die angefochtene Nutzungsuntersagung voraussichtlich rechtmäßig sei. Es liege keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit vor, da sich das Vorhaben im Außenbereich befinde und jedenfalls eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange durch eine Verfestigung einer unerwünschten Splittersiedlung zu befürchten sei.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Der Feststellungsantrag sei zulässig, da der durch den Bescheid hervorgerufene Rechtsschein beseitigt werden müsse. Die Beschwerde gegen die Nutzungsuntersagung sei begründet, weil die Nutzungsänderung offensichtlich genehmigungsfähig sei. Maßgebend sei nicht allgemein die Genehmigungsfähigkeit von Praxisnutzungen, sondern nur die Genehmigungsfähigkeit der untersagten Nutzung, da die Antragstellerin nur einen eingeschränkten Ein-Personen-Betrieb ohne Laufkundschaft an nur drei Wochentagen betreibe. Zudem dürfe eine bloße Teil-Nutzungsänderung im Bestandsgebäude nicht mit der Neuerrichtung eines Gebäudes im Außenbereich gleichgestellt werden. Vielmehr komme es darauf an, ob die Nutzungsänderung im Vergleich zur genehmigten Nutzung im baulich unveränderten Bestand öffentliche Belange mehr beeinträchtige als die genehmigte Bestandsnutzung, was hier nicht der Fall sei. Durch den eingeschränkten Praxisbetrieb werde der Außenbereich weit weniger beeinträchtigt, als durch die genehmigte Wohnnutzung. Die Baugenehmigung sei auch nicht erloschen und die genehmigte Nutzung genieße Bestandsschutz. Es müsse berücksichtigt werden, dass hier die Zulässigkeit eines nicht privilegierten Vorhabens geprüft und genehmigt worden sei. Das Gebäude sei von Anfang an als Wohngebäude und damit als nicht privilegiertes Gebäude im Außenbereich genehmigt worden; eine nun fiktive Aufspaltung sei nicht sachgerecht. Dem Vorhaben stünden weder die Darstellungen des Flächennutzungsplans entgegen noch die Befürchtung der Verfestigung einer Splittersiedlung; insofern vermittle die Baugenehmigung Bestandsschutz. Zusätzlich erforderliche Stellplätze könnten auf bereits versiegelten Flächen hergestellt werden, so dass keine bauliche Erweiterung stattfinde. Es handle sich um einen Sonderfall, da die Nutzung deutlich geringer als bei typischen Praxen sei. Die Nutzungsuntersagung sei auch ermessensfehlerhaft, da die Antragstellerin sich gegen das Nachbarbauvorhaben gewandt habe und hierfür sanktioniert werden solle. Das Landratsamt verhalte sich widersprüchlich, wenn einerseits eine extensiv genutzte Ein-Personen-Praxis verlagert werden solle und dafür eine intensive Wohnnutzung erfolgen solle. Schließlich müsse der Antrag unabhängig von der Hauptsache Erfolg haben, weil sonst vollendete Tatsachen geschaffen würden und die Antragstellerin ihre berufliche Tätigkeit nicht ausüben könne. Es liege ein schwerwiegender, schlecht revidierbarer Eingriff in die Berufsausübung und die Praxis der Antragstellerin vor.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage vom 23. Februar 2024 gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung des Antragsgegners vom 29. Februar 2024 wiederherzustellen und
unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses vorläufig – bis zur Entscheidung in der Hauptsache – festzustellen, dass der Bescheid des Landratsamts Regensburg vom 12. Februar 2024 mangels ordnungsgemäßer Zustellung nicht wirksam geworden ist,
hilfsweise: die aufschiebende Wirkung der hilfsweisen Anfechtungsklage der Antragstellerin vom 23. Februar 2024 gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung des Antragsgegners vom 12. Februar 2024 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Unzulässigkeit des vorläufigen Feststellungsantrags werde mit der Beschwerde nicht in Frage gestellt. Im Übrigen sei der Antrag gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung unbegründet, da das Vorhaben der Antragstellerin nicht offensichtlich genehmigungsfähig sei. Schon die nachgereichte Betriebsbeschreibung der Antragstellerin beinhalte diverse Nutzungsvarianten zur Auswahl. Die Nutzungsuntersagung habe in erster Linie die Funktion, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen. Das Bauvorhaben sei bereits zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung nicht materiell baurechtmäßig gewesen. Zudem würden Bestands- und Funktionsänderungen nicht vom Bestandsschutz erfasst. Die Auffassung, einem zu Unrecht genehmigten, nicht privilegierten Vorhaben komme ein höherer Bestandsschutz zu als einer Entprivilegierung, sei unzutreffend. Schließlich bestehe die Gefahr der Verfestigung einer Splittersiedlung auch ohne eine äußere Änderung des Baukörpers und die negative Vorbildwirkung entfalle nicht, weil die neue Nutzung nur in einem Teil des Gebäudes ausgeübt werde. Die entsprechenden Folgen habe die Antragstellerin zu tragen, da der Praxisbetrieb ohne vorherige Genehmigung aufgenommen worden sei. Ein Eingriff in die Berufsfreiheit der Antragstellerin liege nicht vor, da die grundsätzliche Tätigkeit als Heilpraktikerin nicht untersagt werde.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre. Die vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Interessen geht hier, auch unter Berücksichtigung des Vortrags, dass der Beschwerde unabhängig von den Erfolgsaussichten stattzugeben sei, zulasten der Antragstellerin aus.
1. Die Beschwerde bleibt erfolglos, soweit die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 29. Februar 2024 begehrt.
Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder diejenigen, die für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, aber nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Eilantrags. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2017 – 15 CS 17.1675 -).
Im vorliegenden Fall müssen die Interessen der Antragstellerin zurückstehen, weil die Anfechtungsklage gegen die Nutzungsuntersagung nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO sind mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllt; Ermessensfehler liegen nicht vor.
Nach Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Nutzung einer baulichen Anlage untersagt werden, wenn die Nutzung öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich schon dann erfüllt, wenn eine bauliche Anlage ohne erforderliche Genehmigung, somit formell illegal, genutzt wird. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Es entspricht regelmäßig pflichtgemäßer Ermessensausübung, wenn die Bauaufsichtsbehörde eine formell illegale Nutzung durch den Erlass einer Nutzungsuntersagung unterbindet. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.2.2023 – 15 CS 23.95 -). Letzteres ist hier nicht der Fall, da – worauf das Verwaltungsgericht zutreffend abgestellt hat (BA S. 17) – nicht ohne ins einzelne gehende Prüfung beurteilt werden kann, ob die geänderte Nutzung bauplanungsrechtlich zulässig ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2024 – 1 CS 24.65 -).
Auszugehen ist von der Beschwerde nicht in Frage gestellten Umstand, dass es sich bei der tatsächlich ausgeübten Praxisnutzung – unabhängig von deren Umfang – um eine nach Art. 55 Abs. 1, Art. 57 Abs. 4 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung handelt, an die andere öffentlich-rechtliche Anforderungen als an die genehmigte Zweifamilienhausnutzung zu stellen sind. Die Nutzung einer Wohnung als Praxis liegt nicht innerhalb deren Variationsbreite, sondern weist eindeutig eine andere Zweckbestimmung auf. Diese neue Nutzung berührt andere öffentlich-rechtliche Vorschriften i.S.d. Art. 68 Abs. 1 BayBO, wie z.B. die Stellplatzfrage, Immissionen sowie die bauplanungsrechtliche Vereinbarkeit und das Rücksichtnahmegebot, zumal § 13 BauNVO im Außenbereich nach § 35 BauGB nicht anwendbar ist (vgl. Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 5. Auflage 2022, § 13 Rn. 1a).
Das Verwaltungsgericht geht hier davon aus, dass die untersagte Praxisnutzung nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist und stellt hierbei auf die Lage des (Bestands-)Gebäudes im Außenbereich sowie Probleme und Fragen i.R.d. Genehmigungsfähigkeit (BA S. 17), insbesondere § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 und Nr. 7 BauGB (BA S. 18 f.), ab. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
Der Vortrag der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht stelle nicht auf die tatsächlich ausgeübte Ein-Personen-Praxis-Nutzung ab, sondern auf eine intensivere Nutzungsmöglichkeit, ändert nichts daran, dass die untersagte Nutzung nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt (BA S. 20), dass sich die Besonderheiten der Praxis der Antragstellerin weder in der Betriebsbeschreibung zum Bauantrag vom 14./15. September 2023 widerspiegeln noch vor dem Hintergrund des Internetauftritts der Antragstellerin plausibel erscheinen, so dass nicht von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit ausgegangen werden könne. Die tatsächlich ausgeübte Nutzung erscheint somit unklar, weshalb keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit vorliegt. Hieran ändern auch die während des Beschwerdeverfahrens modifizierten Antragsunterlagen und die geänderte Betriebsbeschreibung mit verschiedenen Nutzungsvarianten nichts, zumal es Sache des Bauherrn ist, konkrete Nutzungsentscheidungen zu treffen (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.2021 – 9 ZB 19.2484 -) und deren Genehmigungsfähigkeit vor Betriebsaufnahme zu klären (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.2021 – 9 ZB 18.2144 -). Unabhängig davon ist auch die vorgetragene Ein-Personen-Praxis mit eingeschränkten Betriebszeiten aufgrund der Lage im bauplanungsrechtlichen Außenbereich sowie der Frage der Reichweite des Bestandsschutzes und der Beeinträchtigung öffentlicher Belange nicht offensichtlich genehmigungsfähig.
Soweit die Antragstellerin der Ansicht ist, das Verwaltungsgericht verkenne den Bestandsschutz und bestandskräftig geprüfte Punkte dürften nicht noch einmal geprüft werden, verhilft dies der Beschwerde nicht zum Erfolg. Denn der Bestandsschutz erstreckt sich nur auf den genehmigten Bestand und die genehmigte Funktion und nicht auf Bestands- und/oder Funktionsänderungen (BVerfG, B.v. 15.12.1995 – 1 BvR 1713/92 -; BayVerfGH, E.v. 21.10.2009 – Vf. 105-VI-08 -; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand Januar 2024, Art. 76 Rn. 117). Die Änderung der Nutzung von Wohnen in Praxis im Erdgeschoss des Gebäudes der Antragstellerin stellt unzweifelhaft eine Funktionsänderung dar, derentwegen sie sich nicht auf Bestandsschutz berufen kann. Die Antragstellerin geht offenbar davon aus, dass mit der Genehmigung ihres Zweifamilienhauses im Außenbereich nach § 35 Abs. 2 BauGB bei einer Nutzungsänderung alle nicht privilegierten Vorhaben bei der Prüfung der Beeinträchtigung öffentlicher Belange vom Bestandsschutz erfasst würden. Dies lässt sich allerdings mit der Feststellungswirkung der Baugenehmigung, die sich ausschließlich auf das konkrete Bauvorhaben und die konkrete Nutzung bezieht, nicht in Einklang bringen (vgl. HessVGH, U.v. 22.2.2018 – 4 A 1837/17 -; BayVGH, B.v. 26.9.2016 – 15 ZB 16.1365 -; Decker in Busse/Kraus a.a.O. Art. 68 Rn. 34). Dies gilt auch, wenn die neue Nutzung nur einen Teil des vorhandenen Gebäudes betrifft. Denn auch dann ist in einheitlicher Beurteilung der baulichen Anlage und der einem Teil derselben auszuübenden neuen Nutzung zu prüfen, ob dieses Vorhaben öffentliche Belange beeinträchtigt (vgl. BVerwG, B.v. 3.12.1990 – 4 B 145.90 -). Ob die neue Nutzung hinsichtlich der mit ihr verbundenen Beeinträchtigung des Außenbereichs tatsächlich hinter der der genehmigten Nutzung eines Zweifamilienhauses zurückbleibt, ist – worauf das Verwaltungsgericht zutreffend abstellt – nicht offensichtlich und bedarf im Hinblick auf die Funktionsänderung einer eingehenden Prüfung.
Die Ausführungen der Antragstellerin zu § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB führen ebenfalls nicht zum Erfolg, denn auch durch eine Nutzungsänderung ohne jede äußere Änderung des Baukörpers kann die Gefahr einer Splittersiedlung aufkommen (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 -). Das Verwaltungsgericht stellt insoweit zutreffend darauf ab, dass der Bestandsschutz des nicht privilegiert genehmigten Wohngebäudes dem nicht entgegensteht, denn es liegt eine Funktionsänderung vor, für die der von der Antragstellerin in Anspruch genommene Bestandsschutz nicht greift. Bei der Beurteilung des Vorhabens nach § 35 Abs. 2 BauGB kommt es – entgegen der Ansicht der Antragstellerin – nicht allein darauf an, dass irgendein nicht privilegiertes Vorhaben bestandsgeschützt ist. Vielmehr ist auch die genehmigte Funktion maßgebend, weshalb die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB auch anhand der neuen Funktion zu prüfen sind. Ein Anspruch des Bauherrn auf Zulassung eines Bauvorhabens aus dem eigentumsrechtlichen Bestandsschutz außerhalb der einfachgesetzlichen Regelungen besteht gerade nicht (vgl. BVerwG, U.v. 14.4.2000 – 4 C 5.99 -). Zur Verfestigung einer Splittersiedlung trägt aber nicht nur die Errichtung eines zum Wohnen geeigneten Gebäudes bei, sondern auch die Änderung eines solchen Gebäudes (vgl. BVerwG, U.v. 14.4.2000, a.a.O.). Zu dem vom Verwaltungsgericht ebenfalls angeführten § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB verhält sich die Beschwerde nicht.
Die Nutzungsuntersagung vom 29. Februar 2024 ist voraussichtlich auch ermessensfehlerfrei. Sachfremde Erwägungen, eine Strafaktion oder ein kollusives Zusammenwirken von Landratsamt und Gemeinde sind nicht ersichtlich. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich auch nicht aus den Akten. Unabhängig davon ist es Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde, bei Kenntnis von Baurechtsverstößen, bauaufsichtlich einzuschreiten (vgl. Art. 54 Abs. 2, Art. 76 BayBO). Im Hinblick auf die o.g. Grundsätze ist auch kein widersprüchliches Verhalten der Bauaufsichtsbehörde festzustellen, wenn einerseits die nach Ansicht der Antragstellerin “extensiv genutzte Ein-Personen-Praxis” verlagert werden und andererseits “intensive Wohnnutzung” erfolgen soll. Denn dies entspricht einerseits dem rechtlichen (Prüfungs-)Maßstab und andererseits der Genehmigungssituation.
2. Die Beschwerde bleibt auch im vorläufigen Feststellungsantrag und dem hilfsweise hierzu gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung der hilfsweisen Klage gegen den Bescheid vom 12. Februar 2024 wiederherzustellen, erfolglos.
Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass hinsichtlich des Antrags auf vorläufige Feststellung der Unwirksamkeit des Bescheids vom 12. Februar 2024 das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin fehlt. Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung gem. § 123 Abs. 1 VwGO ergeben sich – worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat (BA S. 14) – im Hinblick auf die Erklärung des Landratsamts im Rahmen der Antragserwiderung vom 12. Juni 2024, aus dem Bescheid vom 12. Februar 2024 nicht zu vollstrecken, nicht. Hiermit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander und legt keinen Anordnungsgrund dar (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Die Frage, ob – wie die Antragstellerin anführt – zur Beseitigung eines möglichen Rechtsscheins eine entsprechende Feststellung in der Hauptsache begehrt werden kann, genügt nicht, ein Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige Anordnung zu begründen. Dies gilt sinngemäß auch für den hierzu gestellten Hilfsantrag gem. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Nr. 4 VwGO in Bezug auf den Bescheid vom 12. Februar 2024.
3. Unter Berücksichtigung der mangelnden Erfolgsaussichten in der Hauptsache, führt die Abwägung auch im Übrigen nicht zu einem Überwiegen des von der Antragstellerin geltend gemachten Suspensivinteresses.
Die von der Antragstellerin behauptete geringfügige Nutzung als Ein-Personen-Praxis, die hinter der genehmigten Wohnnutzung zurückbleibe, ist im Rahmen der Abwägung irrelevant, da dies bereits Teil der Tatbestandsprüfung des Art. 76 Satz 2 BayBO ist. Ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht dargelegt. Art. 14 Abs. 1 GG schützt nur das Recht, Grundstücke im Rahmen der Gesetze bebauen zu können (vgl. BVerwG, U.v. 12.3.1998 – 4 C 10.97 -) und auch aus Art. 12 Abs. 1 GG dürfte kein Recht auf Ausübung bzw. Aufrechterhaltung einer baurechtlich illegalen Nutzung herzuleiten sein (vgl. BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 15 CS 16.1774 -). Ein Eingriff in die allenfalls betroffene Möglichkeit der Berufsausübung ist hier durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls, wie z.B. der Gewährleistung baurechtmäßiger Zustände und der Vermeidung der Beeinträchtigung öffentlicher Belange, gerechtfertigt. Dass durch den Vollzug der Nutzungsuntersagung vollendete Tatsachen sowie unwiederbringliche Nachteile und Schäden geschaffen würden, ist nicht ersichtlich. Durch die Nutzungsuntersagung entsteht zwar ein wirtschaftlicher Schaden dadurch, dass die Antragstellerin für den Fall, dass die geplante Nutzung sich im Ergebnis als genehmigungsfähig erweisen sollte, die Praxis nicht in dem zum Wohnen genehmigten Gebäude betreiben kann. Diesen Schaden hätte die Antragstellerin im Hinblick auf die fehlende Beachtung des Genehmigungserfordernisses allerdings hinzunehmen. Auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG wäre es eine nicht zu rechtfertigende Bevorzugung des gesetzesuntreuen Bürgers, wenn die Bauaufsichtsbehörde vor Erlass der Nutzungsuntersagungsverfügung die materielle Legalität der nicht genehmigten Nutzung unter Umständen in einem langwierigen Verfahren nachweisen müsste, während der gesetzestreue Bürger die Voraussetzungen für die Genehmigungsfähigkeit der beabsichtigten Nutzung im Genehmigungsverfahren selbst dartun und bis zur Entscheidung hierüber mit der Aufnahme der Nutzung warten muss (vgl. BayVGH, B.v. 29.2.2024 – 15 CS 24.168 -). Im Übrigen muss, wer eine formell illegale Nutzung aufnimmt, jederzeit damit rechnen, mit einem Nutzungsverbot belegt zu werden (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2024 – 1 CS 24.65 -).