vorgestellt von Thomas Ax
1. Das Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 VwGO ist rein formeller Art. Daher kommt es nicht darauf an, dass die von der Behörde angegebenen Gründe inhaltlich richtig sind und die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts tatsächlich rechtfertigen. Entscheidend ist vielmehr die Darlegung, warum aus der Sicht der Behörde das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung zurückzutreten hat.
2. Unterscheidet sich der Fall einer Baueinstellungsverfügung nicht von sonstigen typischen Fällen, in denen wegen einer formellen Illegalität ein Baustopp verfügt wird, darf die Behörde auf eine gruppentypisierte Begründung zurückgreifen.
3. Ein atypischer Einzelfall liegt nicht schon dann vor, wenn der Bauherr der Auffassung ist, dass sein Handeln materiell rechtmäßig ist.
4. Ist die Baugenehmigung mit einer Auflage zur Vorababstimmung mit den Fachdiensten vor Baubeginn versehen worden und ist die Baugenehmigung insoweit bestandskräftig geworden, ist der Bauherr im Eilverfahren mit seinen Einwendungen gegen diese Auflage präkludiert.
OVG Thüringen, Beschluss vom 23.07.2024 – 1 EO 236/24
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar, mit dem sein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen eine von der Antragsgegnerin für sofort vollziehbar erklärte Baueinstellungsverfügung abgelehnt wurde.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks T… in Erfurt (Flurstück a…, Flur 137 in der Gemarkung Erfurt-Mitte), das im räumlichen Geltungsbereich der Ortsgestaltungssatzung der Antragsgegnerin liegt. Die Antragsgegnerin erteilte dem Antragsteller für den Umbau und die Nutzungsänderung des sich auf diesem Grundstück befindlichen Gebäudes zu einem Wohngebäude mit sechs Wohneinheiten unter dem 9. September 2020 eine Baugenehmigung. Als Anlage fügte sie ihrem Bescheid den denkmalschutzrechtlichen Bescheid vom 14. August 2020 bei und erklärte die darin enthaltenen Nebenbestimmungen/Auflagen zum Bestandteil der Baugenehmigung. Der denkmalschutzrechtliche Bescheid enthielt die Auflage, die nordseitige breite dreifenstrige Gaube in ihrer Größe auf eine Gaube mit zwei Fenstern zu reduzieren, da sie mit drei Fenstern und einer Länge von 3,6 m für das Denkmalensemble atypisch und zu breit sowie unverhältnismäßig in Bezug auf das Gebäude sei. Als weitere Auflage wurde darin die maximal mögliche Breite der südseitigen Gaube auf bis zu 2,5 m festgelegt. Die Baugenehmigung selbst enthielt unter der Nr. 6 die Auflage, die Gauben straßen- und hofseitig in ihrer Breite zu minimieren und entsprechend der Ortsgestaltungssatzung auszubilden. Zudem wurde der Antragsteller darin verpflichtet, vor der Bauausführung eine entsprechend der Ortsgestaltungssatzung überarbeitete Variante der Gauben bei der Antragsgegnerin erneut zur Genehmigung einzureichen. Mit der Auflage Nr. 7 gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller auf, die geneigten Dachflächen mit keramischen Dachziegeln in den Farben ziegelrot bis rotbraun und matt herzustellen (§ 3 Abs. 2 der Ortsgestaltungssatzung). In der Nr. 8 verfügte die Antragsgegnerin, dass für die Gesamtfassade rechtzeitig vor der Bauausführung die Gestaltung aller Fassaden- und Dachelemente anhand eines Material- und Farbkonzeptes genauer mit dem Amt für Stadtentwicklung und Stadtplanung, Abt. Stadterneuerung, sowie mit dem Bauamt und der unteren Denkmalschutzbehörde abzustimmen sei. In der Auflage Nr. 9 wurde dem Antragsteller aufgegeben, alle öffnungsschließenden Elemente in Holz auszuführen und in ihrer Teilung und Profilierung vor der Bauausführung genauer mit dem Amt für Stadtentwicklung und Stadtplanung, Abt. Stadterneuerung, abzustimmen.
Gegen die in den Auflagen Nrn. 6 und 7 verfügten Anordnungen hinsichtlich der Gestaltung der Gauben erhob der Antragsteller am 22. Oktober 2020 unter Hinweis auf die seiner Auffassung nach funktionslos gewordene Ortsgestaltungssatzung Widerspruch.
Das Thüringer Landesverwaltungsamt hob mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2022 die Auflage Nr. 6 in der Baugenehmigung auf und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Hinsichtlich der Auflage Nr. 6, die Gauben straßen- und hofseitig in ihrer Breite zu minimieren und entsprechend der Ortsgestaltung auszubilden, führte die Widerspruchsbehörde aus, dass der Zweck der Baugenehmigung die Baufreigabe sei. Dieser Zweck werde mit der Auflage Nr. 6 jedoch nicht erreicht, da die Baufreigabe ungewiss bleibe und in die Zukunft verschoben werde. Insoweit lasse die Auflage die Entscheidung über den Bauantrag völlig offen. Demgegenüber sei jedoch die Auflage Nr. 7, geneigten Dachflächen mit keramischen Dachziegeln in den Farben ziegelrot bis rotbraun und matt gemäß § 3 Abs. 2 der Ortsgestaltungssatzung herzustellen, rechtmäßig. Gegen den Widerspruchsbescheid ging der Antragsteller anschließend rechtlich nicht vor.
Nachdem die Antragsgegnerin am 19. Januar 2023 festgestellt hatte, dass die Gauben abweichend von der Baugenehmigung errichtet worden waren, das Dach bereits gedeckt und begonnen worden war, die Fenster einzubauen sowie die Fassade zu gestalten, wurde noch vor Ort mündlich ein Baustopp ausgesprochen. Eine entsprechende schriftliche Verfügung erging gegenüber dem Antragsteller mit Bescheid vom 27. Januar 2023 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung, wonach alle Baumaßnahmen in und am Dachgeschoss (insbesondere an den Gauben) sowie an der Fassade, einschließlich des Einbaus der Fenster, einzustellen seien. Zur Begründung verwies die Antragsgegnerin darauf, dass die Gauben abweichend von der Ortsgestaltungssatzung errichtet worden seien und für die Abweichungen keine Genehmigungen vorlägen. Darüber hinaus beinhalteten der denkmalschutzrechtliche Bescheid (mit Auflagen) vom 14. August 2020, der ausdrückliche zum Bestandteil der Baugenehmigung gemacht worden sei) sowie die Auflagen in den Nrn. 8 und 9 der Baugenehmigung allesamt die Notwendigkeit einer Detailabstimmung mit den Fachbehörden noch vor der Bauausführung. Der denkmalschutzrechtliche Bescheid besage zudem, dass für die südliche Gaube zur Gewährleistung der Entfluchtung eine Breite bis zu 2,5 m möglich und die nördliche Gaube in ihrer Breite zu reduzieren sei. Diesen Nebenbestimmungen sei der Antragsteller nicht nachgekommen, so dass sein Vorhaben formell illegal sei.
Dagegen erhob der Antragsteller am 3. März 2023 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist.
Am 21. März 2023 hat der Antragsteller auch um einstweiligen Rechtsschutz bei dem Verwaltungsgericht Weimar nachgesucht und beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruches vom 3. März 2023 gegen die Baueinstellungsverfügung vom 27. Januar 2023 wiederherzustellen.
Zur Begründung hat er vorgetragen, dass die Baueinstellungsverfügung offensichtlich rechtswidrig sei, da die in den Auflagen Nrn. 8 und 9 festgelegte Pflicht zur Detailabstimmung vor Bauausführung aus denselben Gründen rechtswidrig sei wie die Auflage Nr. 6, die von der Widerspruchsbehörde bereits aufgehoben worden sei. Wie bei der Auflage Nr. 6 werde die Baufreigabe auch bezüglich der Auflagen in den Nrn. 8 und 9 in die Zukunft verschoben und bleibe daher ungewiss. Außerdem sei im Hinblick auf die Ausgestaltung der Dachgauben angesichts der in der Umgebung festzustellenden heterogenen Ausgestaltung der Gauben mittlerweile eine Funktionslosigkeit der Ortsgestaltungssatzung eingetreten, so dass deren Durchsetzung nunmehr rechtswidrig sei.
Am 17. Juli 2023 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Abweichung von der Ortsgestaltungssatzung.
Mit Beschluss vom 29. April 2024 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag abgelehnt und ausgeführt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung den formell-rechtlichen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genüge und das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Sicherungsanordnung das private Interesse des Antragstellers, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens vom Vollzug der angegriffenen Verfügung verschont zu bleiben, überwiege. Die Baueinstellungsverfügung stelle sich nach summarischer Prüfung im Eilverfahren als offensichtlich rechtmäßig dar. Die Voraussetzungen für einen Baustopp gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 ThürBO lägen vor, da die betroffenen Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden seien. Die Bautätigkeiten im Bereich des Daches sowie der Fenster und Fassade verstießen gegen die Auflagen Nrn. 8 und 9 der Baugenehmigung sowie gegen Punkt 3 der Auflagen in dem denkmalschutzrechtlichen Bescheid vom 14. August 2020, die von der Antragsgegnerin in der Baugenehmigung vom 9. September 2020 zu deren Bestandteil erhoben worden seien. Gegen diese Auflagen habe der Antragsteller keinen Widerspruch erhoben, sodass die Auflagen Nrn. 8 und 9 wie auch die entsprechende Auflage im denkmalschutzrechtlichen Bescheid bestandskräftig geworden seien. Sie begründeten eine Pflicht des Antragstellers zur Abstimmung der Ausführungsdetails für Fenster, Fassaden und Dachgestaltung mit den Fachbehörden vor der Bauausführung, die der Antragsteller unbestritten nicht befolgt habe. Angesichts der Bestandskraft der Auflagen komme es auf eine mögliche Rechtswidrigkeit der denkmalschutzrechtlichen Auflage sowie der Auflagen Nrn. 8 und 9 im vorliegenden Verfahren nicht an. Dass die Auflagen nichtig sein könnten, sei weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Insbesondere sei nach der im Eilverfahren nur allein möglichen summarischen Prüfung die Ortsgestaltungssatzung auch nicht mittlerweile funktionslos geworden.
Gegen diesen ihm am 6. Mai 2024 zugestellten Beschluss richtet sich die vorliegende, bei dem Verwaltungsgericht Weimar am 21. Mai 2024 erhobene und am 6. Juni 2024 beim Oberverwaltungsgericht begründete Beschwerde, mit der der Antragsteller sein erstinstanzliches Rechtsschutzbegehren weiterverfolgt.
Der Antragsteller beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Weimar vom 29. April 2024 die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 3. März 2023 gegen die Baueinstellungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27. Januar 2023 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen und beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- sowie und die Behördenvorgänge (1 Ordner und 1 Hefter) Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung waren.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Die innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, bieten keinen Anlass, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern.
Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag des Antragstellers im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Das Vorbringen des Antragstellers ist nicht geeignet, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in Frage zu stellen. Soweit der Antragsteller die Anordnung der sofortigen Vollziehung im streitgegenständlichen Bescheid als nicht ausreichend begründet (1.) und sein privates Interesse daran, vorläufig von der Vollziehung des Baustopps verschont zu bleiben, als überwiegend erachtet (2.), teilt der Senat diese Auffassungen nicht.
1. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den formell-rechtlichen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
Das Verwaltungsgericht hat zu dem formalen Begründungserfordernis ausgeführt, dass in den Fällen der Anordnung des Sofortvollzugs nach Maßgabe des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen sei. Die Pflicht zur Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO solle der Behörde den auch von Verfassungs wegen bestehenden Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordere. Dem genüge die im Bescheid vom 27. Januar 2023 gegebene Begründung der Antragsgegnerin, wonach die sofortige Durchsetzbarkeit des Baustopps eine Vorbildwirkung für andere Bauherrn verhindere und es nicht gerechtfertigt sei, wenn der Antragsteller aus einem rechtwidrigen Zustand Vorteile erlange, die ein rechtstreuer Bürger nicht genieße. Die Baueinstellungsverfügung könne ihre Funktion daher nur dann hinreichend erfüllen, wenn sie für sofort vollziehbar erklärt werde. Da es sich um eine Formvorschrift handele, habe das Gericht an dieser Stelle nicht zu prüfen, ob die Begründung im Einzelnen richtig sei oder nicht. Bei gleichartigen Tatbeständen könnten gleiche oder gruppentypisierte, gegebenenfalls formblattmäßige Begründungen genügen. Es müsse aber stets gewährleistet sein, dass auch die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigt werden, die hier von dem Antragsteller jedoch nicht geltend gemacht worden seien.
Dem kann der Antragsteller nicht mit Erfolg entgegenhalten, es lägen sehr wohl Besonderheiten des Einzelfalls vor, die eine gruppentypisierte, formblattmäßige Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht genügen ließen, sondern zwingend eine einzelfallbezogene Begründung erforderten. Weder im Hinblick darauf, dass die Auflage Nr. 6 von der Widerspruchsbehörde aufgehoben wurde (a.), noch darauf, dass der Antragsteller die Ortsgestaltungssatzung der Antragsgegnerin als funktionslos erachtet (b.), sind hier atypische Umstände des Einzelfalls gegeben, die ausnahmsweise eine individuelle Begründung erfordern.
a. Soweit der Antragsteller solche Einzelfallaspekte darin sieht, dass seiner Auffassung nach die Auflagen Nrn. 8 und 9 in gleicher Weise wie die Auflage Nr. 6 rechtswidrig seien, da auch sie letztlich eine Baufreigabe verhinderten, vermag diese Argumentation nicht zu überzeugen.
Das Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist rein formeller Art. Daher kommt es nicht darauf an, dass die von der Behörde angegebenen Gründe inhaltlich richtig sind und die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts tatsächlich rechtfertigen. Entscheidend ist vielmehr die Darlegung, warum aus der Sicht der Behörde das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung zurückzutreten hat (Senatsbeschluss vom 28. Juli 2011 – 1 EO 1108/10; BVerwG, Beschluss vom 18. September 2001 – 1 DB 26.01; OVG NRW, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 20 B 117/18). Diese Grundsätze gelten jedenfalls solange, wie die von der Behörde angeführten Gründe nicht offenkundig unzutreffend sind (vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 5. Juli 2011 – 1 EO 1128/10 – amtlicher Abdruck S. 7).
Diesen Anforderungen wird die Begründung in dem streitgegenständlichen Bescheid – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – vollumfänglich gerecht. Auf die von dem Antragsteller thematisierten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Auflagen Nrn. 8 und 9 kommt es auf der Ebene der Prüfung, ob die Antragsgegnerin hier ihrer formalen Begründungspflicht nachgekommen ist, nach den obigen Darlegungen nicht an. Entscheidend für den Umfang der Begründungspflicht war vorliegend der Umstand, dass der Antragsteller vorzeitig – das heißt ohne die im Bescheid verfügte vorherige Abstimmung mit den Fachbehörden – die Umbaumaßnahmen begonnen hat. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall nicht von sonstigen typischen Fällen, in denen wegen einer formellen Illegalität ein Baustopp verfügt wird. Daher durfte die Antragsgegnerin auch auf eine gruppentypisierte Begründung zurückgreifen. Ein atypischer Einzelfall liegt dagegen nicht schon dann vor, wenn der Bauherr – wie hier – der Auffassung ist, dass sein Handeln materiell rechtmäßig sei. Denn die Prüfung, ob die in der Baugenehmigung verfügten Auflagen rechtmäßig sind, kann erst im Rahmen der materiellen Interessenabwägung Berücksichtigung finden. Erst in diesem Rahmen ist zu prüfen, ob eine gegebenenfalls rechtswidrige Verfügung ein überwiegendes öffentliches Interesse rechtfertigen kann.
b. Ebenso wenig stellt die nach Auffassung des Antragstellers evident gegebene Funktionslosigkeit der Ortsgestaltungssatzung einen Umstand des Einzelfalles dar, der einer lediglich formelhaften Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs entgegensteht.
Da es sich bei diesem Argument ebenfalls um einen materiell-rechtlichen Einwand handelt, gelten insoweit die obigen Ausführungen, so dass ein Verstoß gegen das Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hier ausscheidet. Die Frage, ob die Ortsgestaltungssatzung tatsächlich funktionslos geworden ist, betrifft somit ebenfalls allein die materiell-rechtliche Abwägung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Interesse des Antragstellers.
Unabhängig davon ist allerdings darauf hinzuweisen, dass allein der Umstand, dass die baulichen Anlagen im Satzungsgebiet nicht homogen gestaltet sind, für sich allein genommen noch kein Argument für eine Funktionslosigkeit der Ortsgestaltungssatzung ist (Senatsurteil vom 14. August 2023 – 1 KO 243/20).
2. Die von dem Verwaltungsgericht vorgenommene materiell-rechtliche Interessenabwägung begegnet entgegen der Auffassung des Antragstellers keinen rechtlichen Zweifeln.
a. Soweit der Antragsteller von einem Überwiegen seines privaten Interesses, vorläufig von dem Baustopp verschont zu bleiben, ausgeht, weil am Sofortvollzug einer nichtigen Nebenbestimmung kein überwiegendes öffentliches Interesse bestehen könne, verhilft dieser Vortrag seiner Beschwerde nicht zum Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss ausgeführt, dass eine mögliche Rechtswidrigkeit der denkmalschutzrechtlichen Auflage sowie der Auflagen Nrn. 8 und 9 der Baugenehmigung unerheblich sei, weil die Auflagen bestandskräftig geworden seien, und dass diese Auflagen nicht nichtig seien.
Dem kann der Antragsteller nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die Widerspruchsbehörde für die Auflage Nr. 6 eine schwerwiegende Fehlerhaftigkeit festgestellt habe und dies in gleicher Weise auf die Nrn. 8 und 9 zutreffe. Denn zum einen hat die Widerspruchsbehörde lediglich die Rechtswidrigkeit der Auflage Nr. 6 festgestellt und nicht deren Nichtigkeit. Zum anderen aber fehlt es vorliegend auch an einer inhaltlichen Vergleichbarkeit der in den Nrn. 8 und 9 getroffenen Anordnungen mit den in der Auflage Nr. 6 verfügten Anordnungen. Denn mit den Auflagen Nrn. 8 und 9 ist der Antragsteller zu einer Abstimmung mit den Fachbehörden vor Bauausführung verpflichtet worden, während die Auflage Nr. 6 den Antragsteller zur Einholung einer (gesonderten) Genehmigung für eine überarbeitete Variante der Gauben (und damit zu einer neuen Antragstellung) verpflichtete. Während mit der Auflage Nr. 6 keine Baufreigabe verbunden war, da zuvor noch ein neuer Genehmigungsantrag gestellt werden musste, umfasst die Baugenehmigung vom 9. September 2020 dagegen die Baufreigabe für die von den Auflagen umfassten baulichen Anlagen und verpflichtet den Antragsteller insoweit lediglich zu einer Abstimmung hinsichtlich der Material- und Farbwahl vor der Bauausführung. Insoweit bleibt die Baufreigabe nicht ungewiss, sondern wird insoweit vielmehr vorausgesetzt.
Darüber hinaus legt der Antragsteller auch nicht überzeugend dar, inwieweit hier die Voraussetzungen für eine Nichtigkeit nach § 44 Abs. 1 ThürVwVfG vorliegen sollten. Besonders schwerwiegende Fehler im Sinne dieser Vorschrift sind solche, die in einem schwerwiegenden Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung bzw. deren tragenden Zweck- und Wertvorstellungen stehen. Dabei kommt es nicht entscheidend auf den Rang der betreffenden Rechtsvorschrift an, gegen die der Verwaltungsakt verstößt (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl., § 44, Rn. 8). Insbesondere stellt auch eine völlige Unbestimmtheit eines Verwaltungsakts einen solchen besonders schwerwiegenden Fehler dar (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl., § 44, Rn. 10).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Auflagen Nrn. 8 und 9 sind inhaltlich nicht unbestimmt, sondern geben dem Antragsteller konkret auf, sich vor Baubeginn über die Gestaltung aller Fassaden- und Dachelemente anhand eines Material- und Farbkonzeptes genauer mit dem Amt für Stadtentwicklung und Stadtplanung, Abt. Stadterneuerung, sowie mit dem Bauamt und der unteren Denkmalschutzbehörde abzustimmen (Auflage Nr. 8). In der Auflage Nr. 9 wurde dem Antragsteller aufgegeben, alle öffnungsschließenden Elemente in Holz auszuführen und in ihrer Teilung und Profilierung vor der Bauausführung genauer mit dem Amt für Stadtentwicklung und Stadtplanung, Abt. Stadterneuerung, abzustimmen. Beide Auflagen sind für den Kläger als Adressaten des Bescheides hinreichend konkret gefasst und legen ihm auf, ein Material- und Farbkonzept zu erstellen und – ebenso wie die Verwendung von Holzelementen – mit den Fachämtern der Antragsgegnerin vor der Bauausführung abzustimmen.
b. Der Antragsteller dringt auch nicht mit seiner Argumentation durch, dass sich der streitgegenständliche Bescheid selbst bei unterstellter fehlender Nichtigkeit der Auflagen bei summarischer Prüfung zumindest hinsichtlich der Auflagen Nrn. 8 und 9 als offensichtlich rechtswidrig darstellen würde.
Die Beschwerdebegründung verkennt, dass die Baugenehmigung mit den Auflagen Nrn. 8 bis 9 bereits bestandskräftig geworden ist, so dass der Antragsteller wirksam zu einer Vorababstimmung mit den Fachdiensten der Antragsgegnerin verpflichtet worden ist. Mit seinen nunmehr vorgebrachten Einwendungen ist der Antragsteller somit präkludiert, so dass sie in dem noch durchzuführenden Widerspruchsverfahren nicht mehr zu berücksichtigen sein werden. Auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Auflagen kommt es somit ebenso wenig an wie auf die Rechtmäßigkeit der denkmalschutzrechtlichen Auflage, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat.
c. Gleiches gilt hinsichtlich der Ausführungen des Antragstellers hinsichtlich der seiner Auffassung nach mittlerweile funktionslos gewordenen Ortsgestaltungssatzung.
Auch insoweit ist der Antragsteller mit seinen Einwendungen angesichts der Bestandskraft der Auflagen Nrn. 8 und 9 präkludiert. Unabhängig davon verhält sich die Beschwerdebegründung in diesem Zusammenhang aber auch lediglich zu der Problematik der Gauben, ohne jedoch auf die ebenfalls in der Ortsgestaltungssatzung geregelten Material- und Farbvorgaben einzugehen, die von den Auflagen Nrn. 8 und 9 betroffen sind. Für eine auch insoweit funktionslos gewordene Ortsgestaltungssatzung streitet hier – insbesondere auch angesichts der sich in der Gerichtsakte sowie in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Lichtbildaufnahmen – nach summarischer Prüfung nichts. Allein eine fehlende Homogenität der Gestaltung reicht nach den obigen Darlegungen zu der Rechtsprechung des Senats jedenfalls nicht aus.