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OLG Stuttgart zu der Frage der Erstattungsfähigkeit von Mehraufwendungen für einen Drittunternehmer nach Kündigung des Bauvertrages durch den Auftragnehmer

vorgestellt von Thomas Ax

1. Ein Anspruch aus § 4 Nr. 7, § 8 Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 VOB/B setzt grundsätzlich eine schriftliche Kündigungserklärung des Auftraggebers voraus. Die Rechtsprechung, wonach eine Kündigungserklärung bei ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung des Auftragnehmers nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB entbehrlich sein kann, hat der BGH aufgegeben (Aufgabe BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – VII ZR 76/11) und allein aus dem Verlust des Rechts des Auftragnehmers, den Vertrag zu erfüllen, nicht das Recht des Auftraggebers beschränkt, auf Erfüllung zu bestehen und gegebenenfalls Erfüllungsklage zu erheben. Es ist deshalb vom Auftraggeber ein Verhalten erforderlich, das dem mit der Regelung verfolgten Zweck, klare Verhältnisse zu schaffen, gerecht wird. Er muss wenigstens konkludent zum Ausdruck bringen, dass er den Vertrag mit dem Auftragnehmer beenden will (Anschluss BGH, Urteil vom 14. November 2017 – VII ZR 65/14).(Rn.27)

2. Der Auftragnehmer ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 VOB/B zur Erstattung der Mehrkosten der Selbstvornahme verpflichtet. Der Anspruch ist rechtlich nicht auf Schadensersatz, sondern auf Erstattung der durch die Ersatzvornahme entstandenen Mehrkosten der Fertigstellung gerichtet. Der Anspruch besteht in Höhe der Differenz zwischen der mit dem Auftragnehmer vereinbarten Vergütung für die infolge der Kündigung nicht mehr erbrachten Leistung und der für diese Leistung erforderlichen tatsächlichen Kosten der Ersatzvornahme.(Rn.57) (Rn.58)

3. Der Auftraggeber trägt die Darlegungs- und Beweislast für die als Ersatzvornahme erbrachten Leistungen, der dadurch entstandenen Kosten und der infolge der Kündigung nicht mehr an den Auftragnehmer zu zahlenden Vergütung sowie die Berechnung der sich daraus ergebenen Differenz. Die Anforderungen, die an die Darlegung im Einzelfall zu stellen sind, hängen von den Umständen der gesamten Vertragsabwicklung mit dem Auftragnehmer sowie der Ersatzvornahme selbst ab. Eine den Anforderungen des § 14 Abs. 1 VOB/B entsprechende Abrechnung kann nicht generell und unabhängig vom Einzelfall gefordert werden (Anschluss BGH, Urteil vom 25. November 1999 – VII ZR 468/98).(Rn.58)

Gericht:

OLG Stuttgart 10. Zivilsenat

Entscheidungsdatum:

30.12.2020

Aktenzeichen:

10 U 202/20


Gründe

I.

Randnummer1

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Erstattungsfähigkeit von Mehraufwendungen für einen Drittunternehmer nach Kündigung des Bauvertrages durch den Auftragnehmer.

Randnummer2

Die Klägerin war Bauherrin des Bauvorhabens Umbau und Sanierung des Rathauses Ö.. Mit Schreiben vom 17.10.2017, dem die Ausschreibung der Klägerin vom 06.09.2017 mit Plänen und Statik (Anlage K 11, Anlage B 1) und ein Angebot der Beklagten vom 28.09.2017 (Anlage K 15) vorausgegangen waren, schlossen die Parteien einen Bauvertrag über Schlosserarbeiten an diesem Bauvorhaben. Vertragsgegenstand war die Errichtung einer Fluchttreppe über mehrere Stockwerke. Dem Vertrag lag die VOB zugrunde (Ziff. 4.2).

Randnummer3

Mit der Planung hatte die Klägerin den Architekten J. beauftragt, mit der statischen Planung den Dipl.-Ing. R.. Die Statikerpläne aus Anlage B 10 wurden der Beklagten zur Verfügung gestellt. Der Prüfingenieur S. gab die ihm vorgelegten Pläne frei. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte auch die Werkstattzeichnungen erstellen sollte (vgl. Positionsbeschreibung S. 4 = Bl. 148 d.A.).

Randnummer4

Die Beklagte fertigte mehrere Werkstattzeichnungen (Anlagen B 3, 4, 5, 6, 7). Über den Grund der Unvollständigkeit der Zeichnungen entstanden Streitigkeiten zwischen den Parteien. Es fanden Gespräche zwischen den Parteien statt (18.01., 24.01., 25.01., 08.02., 22.02.2018). Mit Mail vom 14.02.2018 machte der Statiker R. die Unvollständigkeit der Werkstattzeichnungen geltend. Mit Mail des Prüfingenieurs S. vom 28.02.2018 (Anlage K 12) rügte er die ihm vorgelegten Werkstattpläne als unzureichend. Mit Schreiben vom 05.03.2018 meldete die Beklagte Bedenken an (Anlage B 8). Eine weitere Besprechung unter den Parteien fand am 08.03.2018 statt. Mit Schreiben vom 09.03.2018 (Anlage B 9) wies die Beklagte erneut auf ihrer Meinung nach fehlende Statikerleistungen hin und führte dazu im Einzelnen aus. Die Klägerin legte sodann nach einer Besprechung vom 21.03.2018 weitere statische Unterlagen vom 27.03.2018 vor (Anlage B 11). Die Beklagte legte bis 09.04.2018 keine weiteren Werkstattpläne vor. Die Abschlagsrechnung der Beklagten vom 11.04.2018 für die Werkstattzeichnungen (Anlage B 13) blieb unbezahlt.

Randnummer5

Neben den Werkstattzeichnungen, über deren Mangelhaftigkeit die Parteien stritten, montierte die Beklagte die beauftragten Handläufe an Stützmauern zum Preis von 1.500 und 2.000 Euro netto (Pos. 31.2.1, 31.2.2). Zahlungen leistete die Klägerin dafür nicht, eine Abschlagsrechnung darüber ist nicht vorgetragen.

Randnummer6

Mit Mail vom 23.04.2018 (Anlage K 7), das die Klägerin als ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung interpretierte, nahm die Beklagte zu ausgebliebenen Zahlungen und dem Baufortschritt Stellung. Mit Schreiben des Architekten J. vom 24.04.2018 (Anlage K 14) wies dieser auf den unterbliebenen Ausführungsbeginn zum 22.01.2018 hin, forderte die Beklagte zur Vorlage vollständiger Werkstattpläne bis 09.05.2018 auf und drohte nach erfolglosem Fristablauf eine Kündigung des Bauvertrages an.

Randnummer7

Unter dem 30.04.2018 erklärte die Beklagte die Kündigung des Vertrages aus wichtigem Grund (Anlage B 12).

Randnummer8

Die Klägerin ließ mit Anwaltsschreiben vom 25.05.2018 (Anlage K 9) mitteilen, dass ein Schaden von über 80.000 Euro entstanden sei, und forderte – vergeblich – zum Haftungsanerkenntnis auf.

Randnummer9

Die Klägerin beauftragte sodann gemäß Bauvertrag vom 03.07.2018 (Angebot der Fa. B. in Anlage K 16 = Bl. 350 d.A.) mit den streitgegenständlichen Arbeiten die Firma B.. Mit Schriftsatz vom 07.03.2019 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten im Laufe des Rechtsstreits in erster Instanz ausdrücklich die Kündigung des Bauvertrages (Bl. 325 d.A.). Die Fa. B. führte – nach zeitaufwendiger Erstellung der Werkstattpläne – die Arbeiten ab Juni 2019 aus.

Randnummer10

Die Differenz zwischen den Auftragssummen im Vertrag der Firma B. und der Beklagten – ohne Nachträge – in Höhe von 39.184,80 Euro macht die Klägerin als Schaden geltend.

Randnummer11

Bezüglich des Sach- und Streitstandes im Übrigen und der Anträge in erster Instanz wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Randnummer12

Das Landgericht hat die auf Schadensersatz in Höhe von Mehrkosten gerichtete Teilklage nach Vernehmung von drei Zeugen abgewiesen. Die Voraussetzungen der §§ 4 Nr. 7, 5 Nr. 4, 8 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B lägen nicht vor. Es fehle an einer schriftlichen Kündigung. Neben einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung sei ein Verhalten des Auftraggebers erforderlich, das dem Zweck, klare Verhältnisse zu schaffen, gerecht werde. Daran aber fehle es. Eine Kündigung sei erst lange nach Beauftragung eines Drittunternehmers erklärt worden. Sonstige Beendigungserklärungen habe die Klägerin zuvor nicht ausgesprochen.

Randnummer13

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils verwiesen.

Randnummer14

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, welche ihr ursprüngliches Schadensersatzbegehren weiterverfolgt. Die Grundsätze aus dem Urteil des BGH (Urteil v. 14.11.2017, Az. VII ZR 65/14) seien hier nicht anwendbar. Eine Kündigungserklärung sei bei Erfüllungsverweigerung durch den Auftragnehmer entbehrlich. Die Vertragsbeendigungsabsicht müsse nicht ausdrücklich erklärt werden. Die Beklagte habe selbst gekündigt, eine weitere Kündigung durch die Klägerin sei nicht erforderlich. Das Schreiben des Architekten J. aus Anlage K 14 sei nicht berücksichtigt worden. Es seien deshalb durch die Klägerin klare Verhältnisse geschaffen worden. Eine Beendigungserklärung sei nicht erforderlich gewesen, wenn der Gegner die Erfüllung ernsthaft und endgültig verweigere. Es seien Beauftragung und Ausführung der Arbeiten durch einen Drittunternehmer vertauscht worden. Mit den Arbeiten sei erst 3 Monate nach der Kündigungserklärung vom 07.03.2019 begonnen worden.

Randnummer15

Die Klägerin beantragt,

Randnummer16

1. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Heilbronn, I 3 O 179/18 vom 30.04.2020 wird die Beklagte / Berufungsbeklagte verurteilt, an die Klägerin / Berufungsklägerin 39.184,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.06.2018 zu bezahlen.

Randnummer17

hilfsweise

Randnummer18

die Beklagte / Berufungsbeklagte zu verurteilen, die Klägerin / Berufungsklägerin gegenüber der Firma B. Schlosserei, … im Zusammenhang mit der Abrechnung des Bauvorhabens „Umbau und Sanierung Rathaus O.” über denjenigen Rechnungs-/ Zahlungsbetrag freizustellen, der über 169.375,02 EUR brutto hinausgeht.

Randnummer19

2. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Heilbronn, I 3 O 179/18 vom 30.04.2020 wird die Beklagte / Berufungsbeklagte verurteilt, an die Klägerin / Berufungsklägerin 1.590,79 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu bezahlen.

Randnummer20

Die Beklagte beantragt,

Randnummer21

die Berufung zurückzuweisen.

Randnummer22

Die Beklagte verteidigt die Entscheidung erster Instanz. Die §§ 4, 5, 8 VOB/B seien richtig angewendet worden. Es fehle an einer Kündigungserklärung, diese sei auch nicht nach Treu und Glauben entbehrlich. Die Klägerin habe aber erst nach Beauftragung eines Drittunternehmens die Kündigung erklärt. Zuvor habe es Beendigungserklärungen nicht gegeben. Mit dem Architektenschreiben vom 24.04.2018 sei eine Kündigung nicht ausgesprochen worden. Der Architekt habe auch nicht mit Vollmacht für die Klägerin gehandelt. Die Kündigung vom 12.06.2019 sei jedenfalls verspätet, sie sei nicht entscheidungserheblich.

Randnummer23

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes zweiter Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Randnummer24

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten Mehraufwendungen in Höhe von 39.184,80 Euro nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 iVm. § 5 Abs. 4 VOB/B ersetzt verlangen.

1)

Randnummer25

Mit dem Anwaltsschreiben vom 25.05.2018 hat die Klägerin konkludent die Kündigung des streitgegenständlichen Bauvertrages erklärt.

a)

Randnummer26

Eine Kündigung der Klägerin ist nicht bereits wegen der vorangegangenen Kündigung der Beklagten vom 30.4.2018 entbehrlich, wenn diese Kündigungserklärung dem Bauvertrag nicht beendet hat (vgl. dazu unten). Auch eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung der Beklagten, die in einer unberechtigten Kündigung liegt, macht eine Kündigungserklärung der Klägerin nicht entbehrlich.

b)

Randnummer27

Nach der jüngeren und aktuellen Rechtsprechung des BGH muss die Vertragspartei zumindest konkludent zum Ausdruck bringen, dass sie den Vertrag mit dem Auftragnehmer beenden will. Ein Anspruch aus § 4 Nr. 7, § 8 Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 VOB/B setzt gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 1 und Nr. 5 VOB/B (2006) grundsätzlich eine schriftliche Kündigungserklärung des Auftraggebers voraus. Die Rechtsprechung, wonach eine Kündigungserklärung bei ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung des Auftragnehmers nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB entbehrlich sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – VII ZR 76/11, BGHZ 192, 190 Rn. 9 mit Nachw.), hat der BGH aufgegeben und allein aus dem Verlust des Rechts des Auftragnehmers, den Vertrag zu erfüllen, nicht das Recht des Auftraggebers beschränkt, auf Erfüllung zu bestehen und gegebenenfalls Erfüllungsklage zu erheben. Es ist damit auf Seiten des Auftraggebers ein Verhalten erforderlich, das dem mit der Regelung verfolgten Zweck, klare Verhältnisse zu schaffen, gerecht wird. Er muss wenigstens konkludent zum Ausdruck bringen, dass er den Vertrag mit dem Auftragnehmer beenden will (BGH, Urteil vom 14. November 2017 – VII ZR 65/14 –, BGHZ 217, 13-24, juris zu Rn. 33).

Randnummer28

Diese Voraussetzung erfüllt das Anwaltsschreiben vom 25.5.2018 (Anlage K9, Bl. 17). Mit diesem Anwaltsschreiben macht die Klägerin gegen die Beklagte Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach § 281 BGB geltend. Damit hat die Klägerin – unabhängig von der Berechtigung des Schadensersatzbegehrens – deutlich gemacht, dass sie von der Beklagten keine Werkleistung mehr erwartet (§ 281 Abs. 4 BGB) und einen finanziellen Ausgleich für den dadurch entstehenden Schaden verlangt. Damit sollte das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien in ein Abrechnungsverhältnis überführt werden. Deshalb ist in diesem Schreiben eine zumindest konkludente Auftragsentziehung enthalten.

2)

Randnummer29

Es liegt ein Kündigungsgrund nach § 5 Abs. 4 VOB/B vor.

a)

Randnummer30

Ein Kündigungsgrund nach § 4 Abs. 7 VOB/B bestand nicht.

Randnummer31

Ein Mangel des Werks der Beklagten lag nicht vor.

Randnummer32

Eine Leistung knüpft – in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 8 Nr. 3 VOB/B – an den werkvertraglichen Leistungserfolg an, der bei einem Bauwerk in der Regel nur dann eintritt, wenn die erbrachte Leistung sich im Bauwerk unmittelbar verkörpert (BGH, Urteil vom 07. Januar 2003 – X ZR 16/01 –, juris zu Rn. 16). Dementsprechend kann ein Auftragnehmer keine Vergütung für auf die Baustelle gelieferte, aber noch nicht eingebauten Bauteile verlangen (BGH, Urteil vom 09. März 1995 – VII ZR 23/93 –, juris zu Rn. 9). Gleiches muss für Vorbereitungsmaßnahmen wie im vorliegenden Fall gelten, die noch zu keiner verkörperten Werkleistung geführt haben.

Randnummer33

Die Werkstattpläne stellten nicht die Werkleistung selbst, sondern nur eine Vorleistung dar, die insbesondere auch kein vertraglich geschuldeter Teil-Erfolg sein sollten. Eine Leistung im Sinne eines im Bauwerk verkörperten Werkes hat die Beklagte hier unstreitig nicht in einer abnahmefähigen Weise – ob in einer mangelfreien Weise, kann letztlich offen bleiben – erbracht. Die auszuführenden Werkstattpläne stellen keine Leistung iSd. § 4 Abs. 7 S. 1 VOB/B dar, sondern nur eine Vorleistung für das zu errichtende Werk. Der streitgegenständliche Bauvertrag regelt das zu errichtende Werk in der Positionsbeschreibung (Titel 31.1 – 31.3) und enthält einen Titel über die Werkstattplanung gerade nicht.

b)

Randnummer34

Begründet ist aber der Kündigungsgrund des § 5 Abs. 4 VOB/B.

Randnummer35

§ 5 Abs. 4 VOB/B setzt voraus, dass der Auftragnehmer den Beginn der Ausführung verzögert, mit der Vollendung in Verzug gerät oder seiner Verpflichtung nach § 5 Abs. 3 VOB/B nicht nachkommt.

aa)

Randnummer36

Die Beklagte hat hier unstreitig Handläufe angebracht, so dass mit der Ausführung begonnen wurde (§ 5 Abs. 1 S. 1 VOB/B).

bb)

Randnummer37

Ein Verzug mit der Vollendung des Werks lag zum Zeitpunkt der konkludenten Auftragsentziehung mit Anwaltsschreiben vom 25.5.2018 nicht vor, nachdem der vereinbarte Termin zur Fertigstellung am 25.5.2018 war.

Randnummer38

Jedoch stand, wenn auch die Leistungszeit erst an diesem Tag ablief, angesichts der über unvollständige Werkpläne nicht hinausgekommenen Leistung der Beklagten fest, dass diese bis zum Ablauf des 25.5.2018 ihre Werkleistung nicht erbracht haben wird (§ 323 Abs. 4 BGB). Dies wird darüber hinaus bestätigt dadurch, dass die Beklagte nach ihrer Kündigungserklärung vom 30.4.2018 bis zum 25.5.2018 keinerlei Bemühungen im Hinblick auf die Werkleistung mehr erbracht hat. Nach dem Rechtsgedanken des § 323 Abs. 4 BGB konnte die Klägerin der Beklagten hier bereits vor Ablauf der Fertigstellungsfrist den Auftrag entziehen.

3)

Randnummer39

Zwar hat die Klägerin eine Nachfrist mit Androhung der Auftragsentziehung gemäß § 5 Abs. 4 VOB/B nicht gesetzt, jedoch war diese im vorliegenden Fall entbehrlich.

a)

Randnummer40

Im Zusammenhang mit den als nicht vollständig gerügten Werkstattpläne hat der Architekt der Klägerin mit Schreiben vom 24.4.2018 (Anlage K 14, Bl. 327) eine Frist zur Vorlage der vollständigen Werkstattpläne gesetzt und die Auftragsentziehung angedroht. Damit ist keine Fristsetzung im Sinn des § 5 Abs. 4 VOB/B verbunden, weil danach eine Frist zur Vertragserfüllung, also zur Fertigstellung des Werks bis zum 25.5.2018, hätte gesetzt werden müssen und stattdessen eine Frist für das Erbringen der Vorleistung, die nach dem Vertrag nicht als selbstständiger Teil-Erfolg geschuldet war, gesetzt wurde.

Randnummer41

Eine Fristsetzung durch den Architekten wäre im Übrigen nicht zu beanstanden, weil dies für den Auftraggeber ausschließlich günstig ist und der Vertrag durch die Fristsetzung und die Androhung der Auftragsentziehung unverändert bleibt. Insoweit ist zwischen Kündigung, die dem Vertragspartner überlassen ist und einer entsprechenden Vollmacht bedarf, und der Vorbereitung der Kündigung, zu der der Architekt regelmäßig bevollmächtigt ist (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 23. Juli 2007 – 3 U 31/07 –, juris zu Rn. 3; Kapellmann/Messerschmidt-Merkens, 7. Aufl. 2020, § 4 Rn. 190), zu unterscheiden.

b)

Randnummer42

Eine Fristsetzung mit Androhung der Auftragsentziehung war hier aber entbehrlich.

Randnummer43

Das ist dann der Fall, wenn der Auftragnehmer das Erbringen seiner Werkleistung ernsthaft und endgültig verweigert. Hieran sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BGH NJW 1992, 235; BGH, Urteil vom 15. März 1990 – VII ZR 311/88 –, juris zu Rn. 7; BGH NJW 1977, 580, 581; Kapellmann/Messerschmidt-Merkens, 7. Aufl. 2020, § 4 Rn. 190; MünchKomm-Ernst, 8. Aufl. 2019, § 323 Rn. 103).

Randnummer44

Eine Erfüllungsverweigerung liegt jedoch im Fall einer – unberechtigten – Kündigung vor, weil der Kündigende damit zum Ausdruck bringt, dass er sich zu keiner weiteren Leistung vertraglich verpflichtet fühlt. Insoweit machte die Kündigung der Beklagten vom 30.4.2018 eine Androhung der Auftragsentziehung unter Fristsetzung entbehrlich, wenn diese Kündigung unberechtigt war und den Vertrag nicht beendet hat.

4)

Randnummer45

Die Kündigung der Beklagten vom 30.04.2018 war unberechtigt.

Randnummer46

Eine Kündigung der Klägerin nach § 5 Abs. 4 VOB/B war nur möglich, wenn die Kündigung der Beklagten unberechtigt war deshalb die Herstellungspflicht der Beklagten aus dem Werkvertrag zwischen den Parteien nicht beendet hat. Die Beklagte hat ihre Auftragsentziehung gemäß dem Schreiben vom 30.4.2018 (Anlage B 12, Bl. 237) darauf gestützt, dass unzureichende Angaben der Auftraggeberin für die Werkstattplanung vorgelegen hätten.

Randnummer47

Wenn ein Auftraggeber eine ihm obliegende Handlung unterlässt und dadurch den Auftragnehmer außerstande setzt, die Leistung auszuführen, kann der Auftragnehmer gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 S. 2 VOB/B den Vertrag kündigen.

a)

Randnummer48

Die Wirksamkeit der Auftragsentziehung durch die Beklagte nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B scheitert hier schon daran, dass vor der Auftragsentziehung keine Frist zur Abhilfe gesetzt und die Auftragsentziehung angedroht wurde.

Randnummer49

Zwar hat die Beklagte die Klägerin mehrfach zur Vorlage und Mitteilung von statischen Informationen aufgefordert, wobei die Berechtigung dieses Verlangens streitig ist. Sie hat aber keine Frist gesetzt und keine Kündigung angedroht (§ 9 Abs. 2 S. 2 VOB/B). Für die Entbehrlichkeit dieser Formalien (vgl. (BGH NJW 1974, 1467; Ingenstau / Korbion – Joussen / Vygen, 21. Aufl. 2020, § 9 Abs. 2 Rn. 4) fehlt ein ausreichender Vortrag der Beklagten, darauf hindeutende Umstände sind auch sonst nicht erkennbar. Das Verhalten der Klägerin lässt vielmehr erkennen, dass sie versucht hat, die Bedenken der Beklagten im Hinblick auf die Statik durch weitere Angaben auszuräumen. Auf Rügen der Beklagten hat die Klägerin eine Nachstatik vom 27.3.2018 überreicht. Die Beklagte übergab daraufhin am 11.4.2018 weitere Pläne, die aber unvollständig und nicht prüffähig waren. Die Beklagte hat danach allerdings keine weiteren Beanstandungen mehr ausgesprochen, sondern den Vertrag gekündigt. Sie hätte aber weitere fehlende Informationen gegenüber der Klägerin geltend machen müssen, wenn die Nachstatik vom 27.3.2018 unzureichend war und sie dadurch an der Fertigstellung der Werkstattzeichnungen gehindert gewesen war. Das hat sie aber nicht getan.

Randnummer50

Auch soweit neue Anforderungen an das Werk der Beklagten gestellt wurden, begründete dies kein Kündigungsrecht, sondern führte unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 und Abs. 4 VOB/B zu einer Erweiterung der Leistungspflicht der Beklagten mit eventuell zusätzlichen Vergütungsansprüchen nach § 2 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B.

b)

Randnummer51

Eine Auftragsentziehung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B wegen fehlender Zahlung auf eine fällige Rechnung scheitert daran, dass die Abschlagsrechnung für die Werkstattplanung – wenn eine solche überhaupt möglich gewesen wäre – noch nicht fällig war, weil diese Leistung noch nicht vollständig bzw. abnahmereif – ob mangelfrei kann dahinstehen – erbracht war. Dass eine Abschlagsrechnung über die Handläufe erstellt und fällig wurde, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

c)

Randnummer52

Eine Kündigung der Beklagten aus wichtigem Grund gemäß § 648a BGB liegt nicht vor. Insbesondere kann die Beklagte eine solche Kündigung nicht auf die Weigerung der Klägerin zu Mitwirkung gemäß § 642 BGB stützen, weil insoweit die Parteien für die Voraussetzung einer Kündigung mit der Vereinbarung der VOB und damit nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B eine vertragliche Sonderregelung getroffen haben. Ein darüber hinausgehender Verstoß gegen das bauvertragliche Kooperationsgebot durch die Klägerin ist nicht ersichtlich.

d)

Randnummer53

Danach war die fristlose Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 30.4.2018 unberechtigt. Sie hätte aufgrund dieser unwirksamen Kündigung ihre Leistung nicht verweigern dürfen, sondern war weiterhin vertraglich verpflichtet, die vereinbarte Werkleistung zu erbringen.

Randnummer54

Einen rechtlichen Grund zur Leistungsverweigerung aus § 320 BGB besaß die Beklagte unabhängig von ihrer Kündigungserklärung nicht. Wird eine fällige Abschlagsrechnung nicht bezahlt, so steht dem Unternehmer ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 320 BGB zu. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Beklagte für die erbrachten Handläufe eine Abschlagsrechnung gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B gestellt hätte. Für die Werkstattzeichnungen durfte die Beklagte gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B keine Abschlagszahlung verlangen, weil diese Vorleistung nicht mangelfrei war.

Randnummer55

Indem die Beklagte die Herstellung des vertraglich geschuldeten Werks vertragswidrig aufgrund der – unberechtigten – Kündigung unterlassen hat, hat sie ernsthaft und endgültig die Erfüllung des Vertrags verweigert. Damit ist für die Klägerin ein Recht zur Auftragsentziehung ohne die Notwendigkeit der Erfüllung weiterer Formalien entstanden.

5)

Randnummer56

Die Klägerin kann damit die Erstattung der geltend gemachten Mehraufwendungen verlangen.

Randnummer57

Gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 VOB/B ist der Auftragnehmer zur Erstattung der Mehrkosten der Selbstvornahme verpflichtet. Nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 VOB/B sind Schadensersatzansprüche ausgeschlossen, wenn der Auftraggeber auf die weitere Ausführung nicht verzichtet. Der Auftraggeber ist so zu stellen, als hätte der Auftragnehmer gemäß den Bedingungen des Vertrages ordnungsgemäß das Werk hergestellt.

Randnummer58

Der Anspruch der Klägerin ist daher rechtlich nicht auf Schadensersatz, sondern auf Erstattung der durch die Ersatzvornahme entstandenen Mehrkosten der Fertigstellung gerichtet. Der Anspruch besteht in Höhe der Differenz zwischen der mit dem Auftragnehmer vereinbarten Vergütung für die infolge der Kündigung nicht mehr erbrachten Leistung und der für diese Leistung erforderlichen tatsächlichen Kosten der Ersatzvornahme. Der Auftraggeber trägt die Darlegungs- und Beweislast für die als Ersatzvornahme erbrachten Leistungen, der dadurch entstandenen Kosten und der infolge der Kündigung nicht mehr an den Auftragnehmer zu zahlenden Vergütung sowie die Berechnung der sich daraus ergebenen Differenz. Die Anforderungen, die an die Darlegung im Einzelfall zu stellen sind, hängen von den Umständen der gesamten Vertragsabwicklung mit dem Auftragnehmer sowie der Ersatzvornahme selbst ab. Sie bestimmen sich danach, welche Angaben dem Auftraggeber möglich und zumutbar sind, und nach dem Kontroll- und Informationsinteresse des Auftragnehmers. Eine den Anforderungen des § 14 Abs. 1 VOB/B entsprechende Abrechnung kann nicht generell und unabhängig vom Einzelfall gefordert werden (BGH, Urteil vom 25. November 1999 – VII ZR 468/98 –, Rn. 7, juris; Kapellmann/Messerschmidt-Lederer, 7. Aufl. 2020, VOB/B § 8 Rn. 102, 103).

a)

Randnummer59

Die Firma B. wurde am 3.7.2018 weitestgehend (siehe unten c)) entsprechend dem Vertrag mit der Beklagten beauftragt (Anlage K 8). Die Firma B. musste damit als Drittunternehmerin das gesamte von der Beklagten geschuldete Werk herstellen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 22.12.2020 unbestritten vorgetragen, dass die Werkstattplanung der Beklagten nicht weiter verwendet werden konnte und die Handläufe abmontiert werden mussten. Die ursprünglich von der Beklagten montierten Handläufe stünden für eine Abholung durch die Beklagte bereit.

Randnummer60

Nachdem die Firma B. gemäß der unbestrittenen Einlassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 22.12.2020 ihren Auftrag auch erfüllt und diesen abgerechnet hat, kann die Klägerin die Mehraufwendungen ersetzt verlangen und kann auf einen abzurechnenden Kostenvorschuss auf die voraussichtlichen Mehraufwendungen nicht verwiesen werden.

b)

Randnummer61

Die Kausalität der Mehraufwendungen durch Beauftragung der Firma B. scheitert nicht daran, dass die Drittunternehmerin vor Kündigung bereits beauftragt worden wäre. Die Firma B. wurde am 3.7.2018 beauftragt (Anlage K 8). Die konkludente und wirksame Auftragsentziehung durch die Klägerin war jedoch bereits am 25.5.2018. Auf eine spätere ausdrückliche Kündigungserklärung des bereits beendeten Vertrags kommt es nicht mehr an.

c)

Randnummer62

Der Klägerin sind wenigstens erstattungsfähige Mehrkosten in Höhe der Klageforderung entstanden.

Randnummer63

Die Mehrkosten berechnen sich aus der Differenz zwischen den Preisen aus dem Vertrag der Beklagten und der Drittunternehmerin, Firma B.. Die Gegenüberstellung der Leistungen und damit die Berechnung des Mehraufwands ergibt sich aus der Anlage K 17, Bl. 407 ff. der Akte, bzw. dem vertragsgegenständlichen Leistungsverzeichnis der Beklagten (Anlage K 15 = Bl. 330 d.A.), das mit einem Preis von 195.612,20 Euro brutto endet, und dem Leistungsverzeichnis der Firma B. (Anlage K 16 = Bl. 350 d.A.), das sich auf einen Preis von 234.797 Euro brutto beläuft (ursprünglicher Angebotspreis zuzüglich 2,5% Preiserhöhung).

Randnummer64

Der Bauvertrag mit der Beklagten enthält zwar die Positionen 31.1.6, 31.1.8 und 31.1.10 nicht und beauftragt die Alternativpositionen 31.1.7 und 31.1.11 (in der oben angegebenen Summe nicht enthalten). Diese bepreisten Positionen, die im Vertrag der Firma B. enthalten sind, sind aber dennoch für den Vergleich der Preise maßgeblich.

Randnummer65

Insoweit besteht bezüglich der Position 31.1.6 der Unterschied, dass im LV der Beklagten die Leistung pulverbeschichtet und im LV der Firma Bi. eine Nasslackbeschichtung angeboten wird. Nachdem hier die Leistung der Drittunternehmerin, der Firma B., allerdings günstiger ist, ergibt sich insoweit keine Abweichung zulasten der Beklagten.

Randnummer66

Aus der Differenz der Auftragssummen ergibt sich ein Mehraufwand von 39.184,80 €. Dieser ist als Vergütungspflicht mit der Beauftragung der Firma B. eingetreten. Mit der Leistungserbringung und der damit verbundenen Fälligkeit des Werklohnanspruchs der Firma B. ist der Erstattungsanspruch der Klägerin in dieser Höhe entstanden.

Randnummer67

Geänderte oder zusätzliche Leistungen nach § 1 Abs. 3 oder 4 VOB/B, die der Drittunternehmer ausführt, sind grundsätzlich ebenfalls zu berücksichtigen. Dafür ist allerdings als Vergleichspreis ein nach § 2 Abs. 5 oder Abs. 6 VOB/B zu bildender Preis der Beklagten zu ermitteln, um den Mehrpreis ermitteln zu können. Einen Mehraufwand im Hinblick auf geänderte Leistungen macht die Klägerin allerdings nicht geltend.

6)

Randnummer68

Nebenforderungen sind in folgendem Umfang begründet:

a)

Randnummer69

Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten können nach § 280 Abs. 1 BGB ersetzt verlangt werden, weil eine Pflichtverletzung der Beklagten vorliegt (unberechtigte Kündigung, vgl. oben), ohne dass es auf Verzug ankommt. Es ergeben sich 1.590,91 Euro (1,3 Gebühren aus Gegenstandswert bis 40.000 Euro zuzüglich Pauschale und Steuer), die beantragten 1.590,79 Euro sind erstattungsfähig.

b)

Randnummer70

Verzug mit der Hauptforderung und der Nebenforderung lag aufgrund Schreibens vom 25.05.2018 (Anlage K 9) seit 31.05.2018 vor. Beantragt wurde für die Hauptforderung eine Verzinsung ab 01.06.2018, für die Nebenforderung ist kein konkreter Zinsbeginn beantragt, womit eine Verzinsung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten wegfällt, ohne dass dies eine Klageabweisung im Übrigen erforderlich machen würde.

III.

Randnummer71

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10 S. 1, 711, 709 S. 2 ZPO.

Randnummer72

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.